Kampf um Bazeilles im dt-franz- Krieg: Bayerische Kriegsverbrechen?

rrttdd

Mitglied
Hallo,

ich habe dazu nicht viel Material...

Es war wohl so, dass ein übermotivierter bayerischer Kommandeur nach Bazeilles einrückte. Es kam zu einem Häuserkampf, an dem sich auch bewaffnete Zivilisten beteiligten und aus den Häusern schossen. Daraufhin wurden durch die Bayern wahllos verschiedene Gebäude angezündet, in denen sich leider auch unbewaffnete Frauen und Kinder versteckt hatten.

Dann war es wohl ein bayerisches Kriegsverbrechen? Heftig, es handelt sich beim Königreich Bayern ja um den unmittelbaren Vorläufer unseres heutigen Bundeslandes. Und ich war vor 10 Jahren in Bayern auf der Schule - wir hatten im 19. Jahrhundert Bayern-Themen wie den tollen Montgelas und die Ludwigs mit ihren Liebeleien, aber von Bazeilles stand nichts im Geschichtsbuch...
 
Schau mal unter WIKI http://de.wikipedia.org/wiki/Kampf_um_Bazeilles
Danach hatten bewaffnete Einwohner aus Kellerverstecken die vorrückenden Soldaten und zurückgehende Verwundete beschossen. Daraufhin zündeten die Bayern die Häuser an, aus denen die Schüsse fielen,worauf,mangels Löschmöglichkeiten wohl der ganze Ort abbrannte
Nach damaligem Verständnis betrachtete man das bayrische Vorgehen nicht als Kriegsverbrechen,sonder als
Ein blutiger Beitrag zur Bayerischen Waffenehre, ein ehrenvoller Kitt für die Deutsche Einigkeit.
Zivilisten ,die Soldaten und vor allem Verwundete beschossen standen außerhalb des Kriegsrechts und durften nicht mit Schonung rechnen.






 
Den Brand des restlichen Dorfes sah man damals wohl als das, was man heute mit dem fragwürdigen Begriff "Kolateralsschaden" umschreibt.
Eine offizielle Verurteilung o.ä. fand sogar von französischer Seite m.W. nicht statt.Vielmehr sah man das als Teil der Kampfhandlungen,weshalb die Einwohnerschaft von Bazeilles mit dem Kreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet wurde.
 
...ich habe dazu nicht viel Material...

..Daraufhin wurden durch die Bayern wahllos verschiedene Gebäude angezündet, in denen sich leider auch unbewaffnete Frauen und Kinder versteckt hatten.

Dann war es wohl ein bayerisches Kriegsverbrechen? Heftig,... .

Wenn ich sowas lese, fage ich mich, ob sich manche Leute keine Gedanken machen, was sie da von sich geben und wie es interpretiert werden kann.

1. Im ersten Satz wird eingeräumt, dass man eine angemessene Kenntnis des Sachverhalts nicht besitzt.

2. Um dann in der Folge sich zum Staatsanwalt und Richter in Personalunion aufzuschwingen und entsprechend 1. eine mehr als dürfte Sachlage auszubreiten.

Vor diesem Hintergrund wäre eine etwas selbstkritischere Sichtweise im Umgang mit dem vermutlich nicht unangemessen bei der Darstellung und der Schuldzuweisung. Freundlicherweise hat zaphodB dieses ja nachgeholt.

Eine einfache Darstellung, abgeschlossen mit der Frage, ob es sich um einen "normalen Akt" der Kriegsführung handelt, oder bereits um ein Kriegsverbrechen wäre sicherlich sinnvoller gewesen.

Ansonsten läuft man sehr schnell Gefahr, dass die persönlich Meinung eher als pro oder con, im Sinne einer politischen Instrumentalisierung, wahrgenommen wird. Letzlich sollte es um Informieren gehen und nicht um Emotionalisieren.

Und in der Regel bemühen wir uns ja im GF um eine neutrale bzw. kritische Darstellung historischer Ereignisse und deren Rezeption.

Sorry für den Beitrag auf einer Metaebene. :winke:
 
In Bazeilles wurden sowohl Zivilisten als auch französische Soldaten erschossen, nachdem sich diese ergeben hatten, und das Dorf soll in einer Art "Strafaktion" abgebrannt worden sein.

Quelle: Jan N. Lorenzen, Die große Schlachten: Mythen, Menschen, Schicksale, S. 156 ff. (162) - teilweise lesbar bei books.google.de.
 
In Bazeilles wurden sowohl Zivilisten als auch französische Soldaten erschossen, nachdem sich diese ergeben hatten, und das Dorf soll in einer Art "Strafaktion" abgebrannt worden sein.

Quelle: Jan N. Lorenzen, Die große Schlachten: Mythen, Menschen, Schicksale, S. 156 ff. (162) - teilweise lesbar bei books.google.de.

Das entsprach alles dem damaligen Kriegsrecht. Eine Stadt war entweder eine "offene Stadt" und durfte nicht verteidigt werden, wurde dann aber auch geschont, oder es war ein befestigter Platz. Dieser wurde dann, wenn er belagert wurde, aufgefordert sich zu ergeben. Wenn dieses rechtzeitig geschah, wurde die Besatzung und die Bevölkerung verschont und musste nur Kontributionen zahlen.

Wenn jedoch bereits eine Bresche geschossen war und der Sturm begonnen hatte, war es zu spät, die Stadt wurde dann drei Tage lang geplündert und die Besatzung durfte ganz legal erschossen werden. Zivillisten die sich bei der Verteidigung beteiligten auch, denn entweder waren sie Teil der Verteidigung und litten mit dieser, oder Partisanen und erlitten die entsprechenden Konsequenzen.

Das mag alles barbarisch klingen, führte aber sehr oft dazu, dass sich Städte frühzeitig ergaben und es zu weniger Blutvergiessen kam.

Während der Napoleonischen Feldzüge, verbat Napoleon unter Todesandrohung seinen Offizieren, Feste Städte und Festungen zu ergeben, bevor nicht zumindest ein Sturmversuch stattgefunden hatte. Dieses brachte sie in große Konflikte, denn entweder verstießen sie gegen diesen Befehl und konnten später dafür vor ein Erschiessungskommando landen, oder sie befolgten es und sie bzw. ihre Truppen wurden von den Siegreichen Truppen des Gegners nach geltenden Kriegsrecht umgebracht.

Für die Zivilbevölkerung war es auch ein Kreuz. Die Briten haben z.B. die von ihnen gestürmten Städte (Ciudad Rodrigo, Badajoz, San Sebastian...) ausgiebig geplündert und San Sebastian sogar in Brand gesetzt, obwohl die Bewohner ihre Alliierten waren und die Städte von ihnen eigentlich "befreit" wurden. Die Spanier nehmen ihnen dieses Verhalten bis heute übel.

Bei der Schlacht von Vitoria ritt der auf der britischen Seite kämpfende General Alava, Adjutant Wellingtons, mit einer Schwadron Dragoner in seine Geburtsstadt Vitoria hinein, um zu vermeiden, dass diese von den Briten im Überschwang des Sieges geplündert oder gar in Brand gesteckt wurde.

Dieser "Kriegsbrauch" hat sich erst mit der Hager Landkriegsordnung (1899 und 1907) geändert, auch wenn es nachträglich hier und dort noch die "drei Tage Plünderung" gegeben haben soll.
 
Zuletzt bearbeitet:
In Bazeilles wurden sowohl Zivilisten als auch französische Soldaten erschossen, nachdem sich diese ergeben hatten, und das Dorf soll in einer Art "Strafaktion" abgebrannt worden sein.

Quelle: Jan N. Lorenzen, Die große Schlachten: Mythen, Menschen, Schicksale, S. 156 ff. (162) - teilweise lesbar bei books.google.de.


Was mich ein wenig irritiert, ist, daß zu diesen Hinrichtungen an Soldaten und Zivilisten und der Strafaktion in der französischen Wikipedia nichts gesagt wird.

Ich habe die entsprechenden Artikel in Bazeilles - Wikipédia und in Bataille de Bazeilles - Wikipédia überflogen:

hervorgehoben wird der heldenhafte Widerstand einer Division Bleue, eine Marinedivision, die bis zur letzten Kugel gekämpft hat, und die Tatsache, daß die Verluste der Deutschen mehr als doppel so hoch wie die der Franzosen waren. Aber von Häuserkampf, Partisanentätigkeit und Exekution gefangener Soldaten und Zivilisten wird nichts erwähnt. Ausdrücklich wird ein Gemälde erwähnt, das die Marinesoldaten beim Kampf zeigt: Fichier:Alphonse-Marie-Adolphe de Neuville - Les dernières cartouches (1873).jpg - Wikipédia

Und in der französischen Marine wird jährlich dieser Soldaten gedacht. Die "letzten Patronen" werden übrigens noch in einem Museum vor Ort aufbewahrt.
 
Das entsprach alles dem damaligen Kriegsrecht.
Das klingt nicht nur barbarisch. Es ist auch falsch. Da hat wohl jemand den Einfluss der Menschenrechte auf das Kriegsvölkerrecht im 19. Jahrhundert nicht mitbekommen.

Ich zitiere mal aus Johann Casper Bluntschli "Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staaten als Rechtsbuch dargestellt" aus dem Jahr 1869, S. 325: "Feindliche Personen, welche die Waffen strecken und sich dem Sieger ergeben, sind zu schonen und dürfen weder verwundet noch getödet werden, wohl aber entwaffnet und zu Kriegsgefangenen gemacht werden". Das Erschiessen von sich ergebenden Soldaten entsprach mit Sicherheit nicht dem damaligen Völkerrecht.

Auch das Plündern oder Anzünden eines Dorfes als Rache oder Kollektivstrafe für geleisteten Widerstand wäre ein Kriegsverbrechen gewesen. Ich persönlich meine aber mal einen zeitgenössischen Bericht eines deutschen Kriegsberichterstatters gelesen zu haben, in dem dieser Vorgang als "Notwehr" dargestellt wurde.
Was mich ein wenig irritiert, ist, daß zu diesen Hinrichtungen an Soldaten und Zivilisten und der Strafaktion in der französischen Wikipedia nichts gesagt wird.

(...)

Und in der französischen Marine wird jährlich dieser Soldaten gedacht. Die "letzten Patronen" werden übrigens noch in einem Museum vor Ort aufbewahrt.
Lies doch mal in dem von mir bei books.google.de teilweise einsehbaren Buch. Lorenzen zitiert aus den unterschiedlichen deutschen und französischen Quellen und stellt diese auch vergleichend gegenüber. Interessanterweise spielen bei den Darstellungen der französischen Soldaten Zivilisten weniger eine Rolle als bei den Berichten der deutschen Soldaten. Das passt zu den von einer französischen Kommission ermittelten Opferzahlen von (nur) 39 getöteten Zivilisten.

Bei arte habe ich mal eine Dokumentation über diese Vorgänge gesehen und der Museumsdirektor berichtete über die Erschiessungen. Gibt es vielleicht eine website vom Museum mit entsprechenden Einträgen?
 
Die Doku habe ich bei Youtube gefunden:
Titel: "1870 - Entscheidung von Sedan (1/3)" bis (3/3)
Hochgeladen von "MrPascaldoku2"

Den Kampf um Bazeilles findet man in (2/3), inkl. Niederbrennen des Dorfes. In der Doku geschieht dies nach der Eroberung, nicht im Kampf.
 
Das klingt nicht nur barbarisch. Es ist auch falsch. Da hat wohl jemand den Einfluss der Menschenrechte auf das Kriegsvölkerrecht im 19. Jahrhundert nicht mitbekommen.

Ich zitiere mal aus Johann Casper Bluntschli "Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staaten als Rechtsbuch dargestellt" aus dem Jahr 1869, S. 325: "Feindliche Personen, welche die Waffen strecken und sich dem Sieger ergeben, sind zu schonen und dürfen weder verwundet noch getödet werden, wohl aber entwaffnet und zu Kriegsgefangenen gemacht werden". Das Erschiessen von sich ergebenden Soldaten entsprach mit Sicherheit nicht dem damaligen Völkerrecht.

Auch das Plündern oder Anzünden eines Dorfes als Rache oder Kollektivstrafe für geleisteten Widerstand wäre ein Kriegsverbrechen gewesen. Ich persönlich meine aber mal einen zeitgenössischen Bericht eines deutschen Kriegsberichterstatters gelesen zu haben, in dem dieser Vorgang als "Notwehr" dargestellt wurde.

...

Es hat garantiert einen längeren Prozess gegeben, der bis zu der Konkretisierung in der Haager Konvention geführt hat. Das heist aber noch lange nicht, dass frühere Texte von Rechtsgelehrten die allgemeine anerkannte Rechtsituation wiederspiegelt. Wären diese Ereignisse damals bereits als Kriegsverbrechen betrachtet worden, hätten die Franzosen als erste Protestiert und dieses Sache hochgehängt, was m.W. nicht geschehen ist.
Ich erinnere auch daran, das wenig vorher die Briten und Franzosen zusammen als Strafaktion den Sommerpalast in Peking geplündert und in Brand gesetzt haben.
 
Das klingt nicht nur barbarisch. Es ist auch falsch. Da hat wohl jemand den Einfluss der Menschenrechte auf das Kriegsvölkerrecht im 19. Jahrhundert nicht mitbekommen.
Ich zitiere mal aus Johann Casper Bluntschli "Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staaten als Rechtsbuch dargestellt" aus dem Jahr 1869, S. 325: "Feindliche Personen, welche die Waffen strecken und sich dem Sieger ergeben, sind zu schonen und dürfen weder verwundet noch getödet werden, wohl aber entwaffnet und zu Kriegsgefangenen gemacht werden". Das Erschiessen von sich ergebenden Soldaten entsprach mit Sicherheit nicht dem damaligen Völkerrecht.

Guter Hinweis! Das Thema ist sehr komplex.

Die "Franktireur-Frage" 1870/71 ist schon kurz nach dem Krieg, auch in Verbindung mit dem (stellvertretend genannt) preußischen Generalstabswerk und seine Tendenz, neben "Prahlerei" die "Wahrheit zart zu umschreiben", aufgeflammt.

Dazu muss man nicht einmal Friedrich Engels bemühen, der sich mit den Ereignissen auseinander gesetzt hat. Auch die Militär-Historiographie hat das aufgegriffen, sowohl in Frankreich wie in Deutschland. Dabei holte man weit aus, und stellte die preußische Darstellung in den krassen Gegensatz von Gneisenau, der 1811/13 "nicht müde wurde", zu fordern:

"nicht nur die reguläre Armee, sondern auch den Volkswiderstand vorzubereiten als ein Mittel, das französische Joch abzuschütteln," indem eine Volkskriegsführung organisiert werden sollte, die man offiziell mit der Landsturmordnung vom 21.4.1813 anerkannt habe, um so den "heiligen Kampf der Selbstverteidigung vorzubereiten, in dem jedes Mittel erlaubt sei" [Gneisenau, ebenso auch die Clausewitzsche Theorie der 'Volksbewaffnung'] (*)

Nach dem Krieg erinnerte man an die jedermann bekannten preußischen Erlasse von 1813, "in denen damals alles gepriesen worden sei, was man heute verurteile".

Tatsächlich gab es im Generalstabswerk und in den übrigen Publikationen merkwürdige Lücken, wobei der Stil dieser Werke ansonsten bemerkenswert trocken-rational und bis ins Kleinste gewissenhaft und exakt ist. Armeebefehle, die es "aufs Nachdrücklichste verbieten, Franktireurs als Gefangene einzubringen,", stattdessen anordnen "dieselben ..., wo sie sich nur zeigen mögen, standrechtlich niederzuschießen," wurden in der militärischen Historiographie unterschlagen. Selbst zeitgenössische deutsche Zeitungen berichteten indes 1870 davon, dass "mit den Franktireurs gündlich aufgeräumt worden sei, indem diese Bande der Reihe nach aufgestellt und einem nach dem andern durch eine Kugel vor den Kopf der Garaus gemacht worden sei."

Ein Oberbefehl der 2. Armee, Prinz Friedrich Karl von Preußen kann stellvertretend genannt werden:

"daß jede Person, die nicht zur regulären Truppe oder zur nationalen Mobilgarde gehört und unter der Bezeichnung Freischärler oder einem anderen Namen mit Waffen angetroffen wird, in dem Augenblick, wo sie bei der Ausübung von feindseligen Handlungen gegen unsere Truppen in flagranti gefaßt wird, als Verräter angesehen und ohne jedes weitere Prozeßverfahren gehängt oder erschossen wird; alle Häuser oder Dörfer, die den Freischärlern Unterschlupf bieten und in deren Schutz diese die deutschen Truppen angreifen, werden in Brand gesteckt oder beschossen." (*, S. 646).

Zur Wahrnehmung in Detuschland:
Erinnerte man sich bei den preußischen und verbündeten Truppen der Wirkungen und vermuteten Gefahren des Franktireurkrieges 1813? Dieser Eindruck von 1870/71 kehrte dann 1914 in Belgien zurück, und 1939 in Polen.

Zur Wahrnehmung in Frankreich:
Schilly spricht schließlich von der "faszinierenden Wirkung" gerade der mündlichen Überlieferungen auch in Frankreich. "Die voll Spannung und erschrocken zuhörenden Kinder werden dereinst 1916 Verdun verteidigen, die 'Boches' im besetzten Land irreleiten, und ihre Söhne, die die Invasion 1940 erleben, werden wieder Franktireure ... Car la 'Resistance' ne date pas d'hier".

Gleichwohl gab es auch andere Stimmen in Frankreich [hier als Extrem die Darstellung von Muraise, 1968]:
"Man wird die verheerenden Vergeltungsmaßnahmen nie laut genug anprangern können, man soll aber auch Verständnis dafür aufbringen, daß es unmöglich ist, in revolutionären [-> "moderner Volkskrieg"] Zeiten einen Krieg nach den Regeln des Völkerrechts zu führen. Der 'Zivilist' kann nicht beides zugleich für sich beanspruchen: sich im Recht fühlen zu dürfen, wenn er die Waffe in die Hand nimmt [modern würde man ergänzen: Waffen produziert], und sich dann plötzlich für 'tabou' zu halten, sobald er sein Gewehr versteckt hat [oder nach Feierabend die Geschützproduktion von Krupp in Essen verläßt]. Le respect des populations est fonction de leur neutralité. Wenn es denn schon scheinheilig ist, unterschiedslos die Gewalttätigkeiten beim Zusammenstoß mit Partisanen zu brandmarken, dann ist es wohl nicht weniger doppelzüngig, die Partisanen der Illoyalität zu bezichtigen. Man führt einen Krieg so gut, wie man kann. Entscheidend ist nur, daß man sich darüber im Klaren ist, ob es sich gelohnt hat, ihn bis dahin kommen zu lassen."


(*) hier und ansonsten:
Schilly, Ernst: Historiographiegeschichtliche Aspekte des französischen und deutschen Generalstabswerkes 1870/71, Dissertation Saarbrücken 1987, insbesondere S. 646 ff.

Es hat garantiert einen längeren Prozess gegeben, der bis zu der Konkretisierung in der Haager Konvention geführt hat.

Siehe oben.

Der deutsche Prozess reicht von 1813 bis 1871, als man aus rein rein kriegspraktischen Gründen für Frankreich das brandmarkte, was man zuvor selbst propagierte.:winke:
 
Guter Hinweis! Das Thema ist sehr komplex.
Vorsicht: mein Bluntschli-Zitat bezieht sich - entsprechend der Diskussion mit Bdaian auf die Frage, ob es 1870 mit dem Völkerrecht vereinbar war,sich ergebende reguläre Soldaten zu erschiessen (Bdaian bejaht dies, ich verneine dies unter Hinweis auf Bluntschli), auf reguläre Soldaten und nicht auf Freischärler.

Zum Volkskrieg: nach Bluntschli sind Parteigänger sowie staatlich authorisierte, aber auch nicht authorisierte Freischaren mit regulären Soldaten gleichzuetzen, wenn diese "als militärisch geordnete Truppen erscheinen und handeln" (Bluntschli, aaO, Nr. 570). Als Beispiele dienen ihm hierbei die Freicorps von Garibaldi in den beiden Kriegen Italiens mit Österreich (1859 und 1866) sowie Garibaldis Feldzug gegen Sizilien und Neapel (1860).

Davon abgrenzen sind "Personen, welche ohne staatliche Ermächtigung auf eigene Faust kriegerische Streifzüge machen und dann wieder willkürlich als Bürger sich gebaren und ihren Beruf als Kriegsleute verbergen". Diese werden "nicht als öffentliche Feinde betrachtet und können nach Umständen als Räuber zur Verantwortung und Strafe gezogen werden" (Nr. 571). "Ebenso werden Freischaren, welche ohne staatliche Ermächtigung in selbstsüchtiger Absicht kriegerische Gewalt üben (...) nicht als Feinde, sondern als Verbrecher behandelt" (Nr. 572).

Die Vorgänge in Bazeilles waren viel komplizierter. In der von mir genannten Doku deutet dies der französische Militärhistoriker Gérard Bieuville vom Armeemuseum Paris an. Die Zivilisten, die in die Auseinandersetzung der französischen Armee mit der bayerischen Armee zu Gunsten ihrer Armee eingriffen, traten nach außen nicht als geordente Truppen in Erscheinung. Das war illegal. Auf der anderen Seite waren sie aber auch keine klassischen Freischärler, die aus dem Untergrund handelten oder den Krieg für ihre eigene Zwecke führten. Sie unterstützten ihre Armee bei einem Häuserkampf und wurden von den Bayern ja auch als Feinde erkannt und bekämpft. Das meint Bieuville mit "man muss abwägen".

Es hat garantiert einen längeren Prozess gegeben, der bis zu der Konkretisierung in der Haager Konvention geführt hat. Das heist aber noch lange nicht, dass frühere Texte von Rechtsgelehrten die allgemeine anerkannte Rechtsituation wiederspiegelt. Wären diese Ereignisse damals bereits als Kriegsverbrechen betrachtet worden, hätten die Franzosen als erste Protestiert und dieses Sache hochgehängt, was m.W. nicht geschehen ist.
Ich erinnere auch daran, das wenig vorher die Briten und Franzosen zusammen als Strafaktion den Sommerpalast in Peking geplündert und in Brand gesetzt haben.
Zunächst einmal möchte ich schon festhalten, dass ich für meinen Standpunkt zwei Quellen nennen konnte: einen Historiker und einen zeitgenössischen Völkerrechtler. Das scheint mir mehr als ein vager Anhaltspunkt dafür zu sein, dass das Erschiessen sich ergebender Soldaten schon damals völkerrechtswidrig war.

Soweit Du in Deinen Beiträgen mit einer Aufzählung von Ereignissen und Aneinanderreihung von Behauptungen aufwartest, habe ich den Eindruck, Du verwechselst die Bestimmung eines Rechtssatzes des Völkergewohnheitsrechtes mit dem Zusammenfädeln einer Perlenkette.=) Es reicht nicht aus sich auf Vorgänge am Anfang und am Ende des 19. Jahrhunderts zu beziehen und das dadurch entstehende Trugbild eines angeblichen "roten Faden" als damaliges Völkerrecht auszugeben. Du müsstest Dich mehr mit den Kriegen beschäftigen, die in zeitlicher Nähe zum deutsch-französischen Krieg abliefen und vor allem müsstest Du Dich mit den rechtlichen Überzeugungen der Regierungen, wie sie in Verlautbarungen, Erörterungen, Notenaustauschen etc. zu einzelnen Vorfällen dieser Kriege zum Ausdruck kamen, beschäftigen.

Deinen Satz vom "m.W." fehlenden französischen Protest wäre dann nachvollziehbar, wenn Du darlegen würdest, in welchen hierfür geeigneten Büchern Du nach einem etwaigen französischen Protest gesucht hast. So aber könnte den auch jemand schreiben, der von Bazeilles noch nie etwas gehört hat. Ich selbst habe in Erinnerung, dass der französisch-deutsche Krieg zu einer Reihe von Protesten führte und dass sich nach dem Krieg die "Brüsseler Konferenz" mit diesen Vorfällen beschäftigte. Allerdings erinnere ich mich dabei mehr an die Geiselerschiessungen und weniger an Bazeilles. Doch wenn es nach meiner Erinnerung ginge, wäre Bieuville Museumsdirektor in Bazeilles und nicht Militärhistoriker im Armeemuseum Paris (vgl. # 8).:grübel:

Zu China folgendes: die Europäer meinten im 19. Jh., dass die Einhaltung des Völkerrechts nur von den Staaten der Christenheit bzw. von den "zivilisierten Staaten" erwartet werden könne, weshalb das Völkerrecht gegenüber anderen Völkern und Staaten nur eingeschränkt Anwendung fand. Auch deshalb kann aus dem brennenden Sommerpalast des chinesischen Kaisers für das Völkerrecht in Europa nichts abgeleitet werden. Aber Dein Versuch zeigt einen Fallstrick des Imperialismus auf: in Europa entwickelte man das Völkerrecht in Richtung humanes Völkerrecht weiter, in Übersee tobte man sich aus und irgendeiner kommt dann angelaufen und meint, was dort ginge, ginge auch in Europa. :pfeif:
 
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Eine umfangreiche Darstellung der Situation 1870 und der darauf folgenden Entwicklung durch die Brüsseler Komferenz 1874 findet sich bei

Meurer, Die Haager Friedenskonferenz, München 1907 im zweiten Bande

http://brittlebooks.library.illinoi...01haafriv00002/meurch0001haafriv00002_ocr.txt

Meurer stellt die französische unf die deutsche Auffassung einander gegenüber

Die Franktireurs waren durch den Kriegsminister bevollmächtigt worden (G. v. 17. Juli 1870); der Nationalgarde waren die Rechte von Kriegführenden durch das Sondergesetz v. 29. August 1870 beigelegt worden.2) Die französischen Dekrete vom 29. Septbr. und 11. Oktober bestimmten weiterhin, dass jedes Korps von Franktireurs und von Freiwilligen einem regulären Armeekorps oder in Ermangelung eines solchen einer Landwehrdivision angegliedert werde und dass die Franktireurs und Freiwilligen nach den Weisungen der Korps- und Divisionskommandanten operieren.3)Das Dekret der Delegation von Tours v. 2. November 1870 berief schliesslich alle waffenfähigen Männer vom 21. bis zum 40. Jahre ein (Art. 1), verlangte aber dabei, dass sie entsprechend den Dekreten vom 29. September und vom 11. Oktober durch den Präfekten organisiert würden (Art. 2), stellte sie nach erfolgter Organisation dem Kriegsminister zur Verfügung (Art. 3) und gab ihnen eine bestimmte Bekleidung und eine Ausrüstung (Art. 4).
Dagegen die deutsche Forderung:


„Der Oberbefehlshaber bringt zur Kenntnis der Einwohner des Arrondisse-ments, dass jeder Gefangene, der als Kriegsgefangener behandelt sein will, über seine Eigenschaft als französischer Soldat durch eine von der gesetzlichen Behörde erlassene und an seine Person gerichtete Ordre, den Nachweis zu führen (hat), dasser zur Fahne einberufen und in die Listen eines durch die französische Regierung militärisch organisierten Korps eingetragen ist. Gleichzeitig muss die militärische Stellung, in welcher er sich bei der Armee befindet, durch militärische und gleichförmige Abzeichen kenntlich gemacht sein, die von seiner Ausrüstung untrennbar und dem unbewaffneten Auge auf Gewehrschussweite sichtbar sind.Individuen; welche mit Hintansetzung einer dieser Bedingungen die Waffen ergriffen haben, werden nicht als Kriegsgefangene betrachtet. Sie werden durch ein Kriegsgericht abgeurteilt und, wenn sie sich nicht einer Handlung schuldig gemacht haben, die eine strengere Strafe nach sich zieht, zu 10 Jahr Strafarbeit verurteilt und bis nach Verbüssung dieser Strafe in Deutschland deteniert werden."
Den formalisierten Nachweis der Einberufung gab die deutsche Seite indessen, da völkerrechtlich nicht gedeckt, bald auf. Es gab zwischen beiden Seiten demnach aber keinen Dissens in der Frage der Notwendigkeit militärischer Organisation für die Erlangung des Kombattantenstatus. Umstritten blieb die Frage, wie deutlich sich die Kleidung von der der Zivilbevölkerung unterscheiden musste.

Die französischen Präfekten hielten sich allerdings nicht immer an die Gesetze und Dekrete, wie folgendes Rundschreiben des Präfekten der Cote d’Or an die Unterpräfekten und Bürgermeister zeigt:

„Das Vaterland verlangt nicht von Euch, dass Ihr Euch in Masse versammelt und offen dem Feinde widersetzt, es erwartet nur, dass an jedem Morgen drei oder vier entschlossene Männer ihr Dorf verlassen und sich an einem von der Natur selbst bezeichneten Ort verbergen, von wo sie ohne Gefahr auf die Preussen schiessen können. Ich werde solchen Männern (welche die Pferde der erschossenen einzelnen Reiter abliefern) eine Belohnung zuerkennen und ihre heroischen Taten in allen Blättern des Departements sowie im Moniteur öffentlich bekannt machen."
Das Eingreifen der Bewohner von Bazeilles in den Kampf war demnach nicht durch den damaligen Stand des Völkerrechts gedeckt.

Erst die Brüsseler Konferenz von 1874 machte
zum erstenmal ein Zugeständnis an die unorganisierte Volkserhebung indem sie, und zwar gleichfalls zum erstenmal, scharf zwischen bereits besetzten und noch nicht besetzten Gebieten unterschied und in letzteren das freie Volksverteidigungsrecht anerkannte.
Die USA, die Schweiz und Italien taten sich auf der Konferenz als Vertreter des „freien Volksverteidigungsrechts“ besonders hervor.
 
Schwierig ist eben, die Sachverhalte zu eruieren, da die militärischen Berichte diesbezüglich (siehe oben) skeptisch gelesen werden müssen.

Bazeilles geriet übrigens auch 1914 wieder in den Fokus:
Die Franktireur-Psychose führte zu Erschießungen, wobei man auch gleich 15 italienische Gastarbeiter (die wohl zahlreich in Frankreich anzutreffen waren) exekutierte, nach behaupteten Schüssen auf die Truppe.
 
Nun, dass auf französischer Seite Zivilisten mitgekämpft haben ist wohl als gesichert anzunehmen. Es ist in die Literatur (Zola) und in die bildende Kunst ( Pallière, Le Curé de Bazeilles) eingegangen und in einem Gedicht von Déroulède wird sogar der Pfarrer als derjenige gefeiert, der die zivilen Einwohner zum bewaffneten Kampf aufgerufen und ständig angefeuert habe.

Dass es daneben zu brutalen Ausschreitungen im Häuserkampf gegen bayerische Verwundete kam und ebenso, dass Zivilisten noch mehrere Stunden nach Beendigung der Kämpfe im Dorf aus Fenstern geschossen haben ist durch Augenzeugen, die nicht am Kampf direkt beteiligt waren, glaubwürdig geschildert worden, so den Korrespondenten der „Kölnischen Zeitung“, der gegen 15.00 und einen Soldaten eines nicht-bayerischen Regiments, der direkt nach Beendigung der Kämpfe gegen 13.00 durch das Dorf kam.

Angesichts der sehr hohen Verluste der bayerischen Regimenter im Dorf ist wohl Einiges aus dem Ruder gelaufen, was aber angesichts kämpfender Nichtkombattanten nicht so verwunderlich ist. Immerhin berichtet der Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ aber auch, dass ein bayerischer Offizier die sofortige Erschießung einer älteren Frau, die aus einem Gartenhaus auf die Soldaten geschossen hatte, verhindert habe und sie in die Kommandantur habe bringen lassen.

Der Brand in Bazeilles begann schon recht früh, als die bayerischen Truppen einige Häuser in Brand setzten, um dem Beschuss aus den oberen Stockwerken zu entgehen. Das hatte einen gewissen Erfolg – die Besatzung einiger dieser Häuser ergab sich – zwang allerdings auch die Bayern, sich ein Stück zurückzuziehen. Nach dem Bericht des Korresponten der „Kölnischen Zeitung“, der dies miterlebte, entstand der große Brand erst am Nachmittag, als nach der Besetzung des Dorfes erneut aus Häusern von Zivilisten auf die Soldaten geschossen wurde. Danach habe man zunächst diese Häuser angezündet, dann sei der Ruf „Steckt das Nest in Brand!“ umgegangen.
 
Leider habe ich erst jetzt Zeit, zu dem Thema noch etwas zu schreiben. Ich hoffe, dass dies noch von Interesse ist:

Zunächst zur Frage, ob es 1870 völkerrechtmäßig war, sich ergebende Soldaten zu töten:

Nach der Rousseau-Portalis-Doktrin wurde der Krieg von Staat zu Staat geführt, nicht aber gegen den einzelnen Menschen. Diese Doktrin war 1870 (auf dem Kontinent) allgemein anerkannt. So erklärte Kg. Wilhelm I. von Preußen in seinem Armeebefehl vom 08.08.1870, der sich auch an das französische Volk richtete: "Wir führen keinen Krieg gegen die feindlichen Bewohner des Landes".

Aus dieser Doktrin folgt, dass ein Soldat, der sich ergibt, kein legitimes Angriffsziel mehr darstellt. Entsprechende Schutzvorschriften finden sich in den Militärstrafgesetzbüchern der damaligen Zeit, z.B. in § 166 Militärstrafgesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahr 1869:
"Eine Militärperson, welche ohne Befehl oder Not dem Feinde den erbetenen Pardon verweigert, wird mit Zuchthaus bis zu acht Jahren, wenn der Bittende aber wehrlos war, nach den allgemeinen strafgesetzlichen Bestimmungen wegen Tödtung bestraft".

In der damaligen Völkerrechtslehre war umstritten, ob die Nottötung von sich ergebenden Soldaten völkerrechtmäßig war. Aber auch dieser Streit zeigt, dass die Tötung von sich ergebenden Soldaten grundsätzlich als völkerrechtswidrig bewertet wurde und nur im Ausnahmefall (bei Vorliegen einer Notlage) rechtmäßig sein konnte. In Bazeilles wurden jedoch französische Soldaten erschossen, weil sie sich durch ihren verlustreichen Widerstand den Zorn der Bayern zugezogen hatten.
Das Eingreifen der Bewohner von Bazeilles in den Kampf war demnach nicht durch den damaligen Stand des Völkerrechts gedeckt
Gérard Bieuville stellt dies in der von mir genannten Dokumentation nicht in Abrede. Sein "man muss abwägen", lässt sich auch auf die Ebene der Strafzumessung beziehen: Der Sinn und Zweck des Verbots als Zivilist gewaltsam Widerstand zu leisten ist wohl darin zu sehen, dass für einen Soldaten klar sein soll, ob sich ihm ein feindlicher Soldat oder ein Zivilist nähert, er also mit einem Angriff rechnen und sich entsprechend erwehren muss. In Bazeilles schoss jedoch aus dem einen Fenster ein franz. Soldat und aus dem anderen ein franz. Zivilist, währenddessen die bayerischen Soldaten auf alles geschossen haben, was sich im Fensterbereich irgendwie bewegte und auch die entsprechenden Häuser zur Abwehr dieser Schüsse angezündet haben. Die Gefahr war also erkannt und wurde sogar aktiv bekämpft. Hier läuft der Sinn und Zweck des Verbotes ins Leere, was freilich im Einzelfall konkret betrachtet werden müsste.

Das eigentliche Problem lag aber - wie Silesia andeutete - tiefer: französische Einwohner griffen in Bazeilles beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antrieb zu den Waffen, um die eindringenden Truppen zu bekämpfen.

Bluntschli schrieb 1869 in dem bereits genannten Lehrbuch folgendes:

"512.
Eine bewaffnete Partei, welche nicht von einer bestehenden Staatsgewalt zur Gewaltübung ermächtigt worden ist, wird dennoch insofern als Kriegspartei betrachtet, als sie als selbständige Kriegsmacht organisiert ist und an States statt in gutem Glauben für öffentliches Recht streitet".

"597.
Wenn sich die Bevölkerung in Masse zur Vertheidigung ihres Landes erhebt, so wird diesselbe als feindlich behandelt und kann kriegsgefangen werden ...".

"598.
Kein Befehlshaber ist zu der Drohung berechtigt, daß er die nicht uniformierten Landstürmer als Räuber behandeln werde.
Wenn aber eine feindliche Gegend von der Kriegsgewalt eingenommen und besetzt ist, so gilt während dieses Besitzes ein Aufstand als Verletzung des Kriegsrechts und kann strafrechtlich behandelt werden".

Die Franzosen in Bazeilles waren nicht organisiert (512 scheidet aus). Sie erhoben sich nicht uniformiert (was nach 598 unschädlich war). Dies geschah zur Verteidigung ihres bislang unbesetzten Dorfes (597). Aber geschah dies auch "in Masse" (597)? Die Landstürmer wurden regelmäßig nicht anerkannt, weil sie (angeblich) zu wenig waren (Einwand: keine Erhebung der Bevölkerung in Masse sondern einzelner Dorfbewohner).

Interessant ist auch, wie 1899 in der HLKO dieses Problem geregelt wurde:

In Art. 1 wurde zunächst bestimmt, dass auch für die Milizen und Freiwilligen-Korps unter bestimmten Bedingungen (organisierte Gruppe mit verantwortlichem Anführer, Tragen von Abzeichen, offenes Führen von Waffen, Einhalten der Kriegsgebräuche) die Rechte und Pflichte der HLKO gelten.

In Art. 2 findet sich dann eine Regel für die Bevölkerung eines nicht besetzten Gebietes, die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antriebe zu den Waffen greift, um die eindringenden Truppen zu bekämpfen, "ohne Zeit gehabt zu haben, sich nach Art. 1 zu organisieren". Auch diese Gruppe wird als Kriegspartei betrachtet, wenn sie das Kriegsrecht beachtet.
 
Gab es denn 1870 einen gültigen internationalen Vertrag, der rechtlich bindende Gesetze für die Art der Kriegführung in Europa festlegte?

Die Gedanken von Philosophen in Ehren, aber nur weil manche Regierungen sie als Grundlage ihrer nationalen Gesetzgebung nahmen, waren sie noch lange nicht universal.
 
Gab es denn 1870 einen gültigen internationalen Vertrag, der rechtlich bindende Gesetze für die Art der Kriegführung in Europa festlegte?

Die Gedanken von Philosophen in Ehren, aber nur weil manche Regierungen sie als Grundlage ihrer nationalen Gesetzgebung nahmen, waren sie noch lange nicht universal.
Ich nehme mal an, dass sich diese Frage auf das Verbot bezieht, sich ergebende Soldaten zu erschiessen.

Rechtsquellen des Völkerrechts sind neben völkerrechtlichen Verträge auch das Völkergewohnheitsrecht. 1870 gab es nur bruchstückhafte vertragliche Regelungen über die Grenzen der Kriegsführung, z.B. Genfer Konvention 1864 (Behandlung verletzter Soldaten). Infolgedessen kommt (wie so häufig) dem Völkergewohnheitsrecht eine entscheidende Rolle zu. Darunter ist weniger eine Sammlung von Vorfällen (die von mir kritisierte "Perlenschnur") zu verstehen, sondern Gewohnheiten, die in der Überzeugung ihrer rechtlichen Gebotenheit ausgeübt werden.

Wie immer bereitet die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht seine Schwierigkeiten. Im Grunde müsste man die Erklärungen und Rechtsnormen einer Vielzahl von Staaten durchforsten, um zu einem (sicheren) Ergebnis zu gelangen.

Momentan gibt es zur Frage, ob 1870 sich ergebende Soldaten erschossen werden durften, folgende mehr oder weniger starke Argumente:
- zeitgenössischer Völkerrechtslehrer Bluntschli 1869 (# 8): völkerrechtswidrig
- § 166 Militärstrafgesetzbuch für Bayern 1869: strafrechtlich verboten
- Wilhelms Armeebefehl 1870 mit dem Rousseaus Kriegsbegriff aufgenommen wird und der sich auf die Einhegung des Krieges verstehen lässt (als Hintergrundinfo über die allgemeine Rechtsentwicklung)
- der Historiker Jan Lorenzon 2006 (# 5): völkerrechtswidrig (Einschätzungsinfo)

Ich frage mal zurück: Kannst Du eine Quelle nennen, nach der das Erschiessen sich ergebender Soldaten 1870 erlaubt gewesen sein soll?
 
Danke für deine Ausführungen.

Meine Frage bezog sich auch auf zu den Waffen greifenden Zivilisten.

Im Fall der gefangenen Soldaten stimme ich der Wirkung eines gewissen "Gewohnheitsrechtes" zu, da das Erschießen von gefangen genommenen regulären Soldaten mindestens gemeinhin als unehrenhaft galt, wenn es nicht wie im Fall von Bayern sogar verboten war.
Aber was ist solch ein Gewohnheitsrecht wert? Auch heute ist vieles in der Kriegführung, besonders einige bestimmte Waffen, international geächtet, aber so lange die sie einsetzenden Staaten keine Verträge ratifiziert haben, die diese Mittel beschränken, kann ein Feind nichts dagegen tun außer seinerseits selbst zu diesem Mittel zu greifen oder folgenlos öffentlich zu protestieren.

Ich frage mal zurück: Kannst Du eine Quelle nennen, nach der das Erschiessen sich ergebender Soldaten 1870 erlaubt gewesen sein soll?

Nein. Aber ist es nicht so, dass alles erlaubt ist, das nicht explizit verboten ist? Bevor man mich falsch versteht: Es geht mir hier nicht darum, solche Taten moralisch zu rechtfertigen, sondern lediglich festzustellen, ob sie damals gemäß dem Völkerrecht legitim gewesen wären.

Im Fall der sich spontan bewaffnenden Zivilisten sehe ich nichtmal ein Gewohnheitsrecht, denn meines Wissens waren solche Erhebungen damals recht selten und der Gegner entsprechend nicht darauf vorbereitet, in jeder Stadt ohne militärische Besatzung überraschend auf Widerstand zu stoßen. Sollte ich mich irren, so korrigiere mich bitte.

Ein weiteres interessantes Thema aus einem früheren Beitrag von dir ist die Behandlung von Freikorps. Gemäß der HLKO waren sie wie reguläre Soldaten zu behandeln, insofern sie die Gesetze der Kriegführung wie das offene Führen von Waffen und Abzeichen einhielten. Aber das galt doch nur, insofern jene Freikorps von einer der Krieg führenden Mächte dazu ermächtigt waren, in ihrem Dienst zu kämpfen, oder? In dem Fall waren die erwähnten Truppen Garibaldis selbst nach der HLKO noch wie Verbrecher zu behandeln, als sie eigenmächtig gegen das Königreich beider Sizilien Krieg führten, so wie schon 1809 die Mitglieder des Freikorps Schill von den Franzosen nicht als reguläre Gefangene betrachtet wurden.
 
Im Fall der sich spontan bewaffnenden Zivilisten sehe ich nichtmal ein Gewohnheitsrecht, denn meines Wissens waren solche Erhebungen damals recht selten und der Gegner entsprechend nicht darauf vorbereitet, in jeder Stadt ohne militärische Besatzung überraschend auf Widerstand zu stoßen. Sollte ich mich irren, so korrigiere mich bitte.

Auch diese Form von Widerstand wurde 1811/13 gefördert, siehe #11.

Die These der sich in diesem Fall spontan bewaffnenden Zivilisten - mit oder ohne Angliederung an reguläre Truppen - ist nicht belegbar, Berichte diesbezüglich sind zweifelhaft (siehe die zitierte Dissertation von Schilly). Der Mythos wurde in Frankreich wie im Deutschen Reich aus unterschiedlichen Aspekten verbreitet.
 
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