Wenn man die Ereignisse von München 1938 ex-post betrachtet, ist es einfach, darin einen Punkt zu sehen, an dem der 2. Weltkrieg hätte verhindert werden können.

Aber mit dem Kenntnisstand von 1938 war das anders:

Die Tschechoslowakei wurde als unabhängiger Staat erst nach dem ersten Weltkrieg gegründet und bestand eigentlich aus zwei historisch getrennten, sprachlich eng verwandten Gebieten, nämlich dem ehemaligen Königreich Böhmen und der Slowakei. Beide Teile des Staatsgebietes waren vorher keine unabhängigen Staaten, sondern gehörten zu Österreich-Ungarn. Der neue Staat hatte 1938 gerade einmal 20 Jahre auf dem Buckel. Bei den fraglichen Gebieten, das Sudetenland, handelte es sich zwar zum alten Königreich Böhmen gehörige Gebiete, die aber deutschsprachig waren. Nach dem 1. Weltkrieg gab es keine Volksabstimmung zur nationalen Zugehörigkeit, sondern es bestand ein Konflikt zwischen Österreich und der Tschechoslowakei um diese Gebiete, die dann letztendlich der Tschechoslowakei im Vertrag von Saint-Germain gegen den Widerstand der dortigen Bevölkerung zugeschlagen wurden. (Insofern ist übrigens auch der Vergleich mit der Krim nicht richtig, da dort eine Mehrheit für die Unabhängkeit der Ukraine 1991 votierte.)

Kurzum: aus Sicht von Chamberlain wurden durch den 1. Weltkrieg deutsches Gebiet einer fremden Nation zugeordnet (ohne Beachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker). Zur Abwendung eines Konfliktes mag es damals richtig erschienen sein, diese Gebiete an den deutschen Staatsverband wieder einzugliedern.

Man kann also Chamberlain vorwerfen, keine Glaskugel im Reisegepäck dabei gehabt zu haben. Vielleicht ging er davon aus, dass mit der Angliederung des Sudetenlandes Hitler sonst keine weiteren Gebietsansprüche stellen würde.
 
Was soll das heißen "mehr Haltung" zeigen?
Zitat aus Wikipedia in Bezug auf Hößbach-Niederschrift aus dem Jahr 1937:

Hitler rechnete vor dem Münchener Abkommen noch mit einem Eingreifen der Westmächte bei einem Vorgehen gegen Österreich bzw. die Tschechoslowakei. Er zeigte sich jedoch überzeugt, mit Großbritannien zu einer Abgleichung der Interessensphären zu kommen, was Frankreich von einem Kriegseintritt abhalten würde.

Hitler rechnete also mit Widerstand der Westmächte, aber die blieben sowohl beim Anschluss Österreichs als auch in der Sudetenkrise und bei der endgültigen Zerschlagung der Tschechoslowakei untätig. Das alles geschah in 3 Schritten zwischen März 1938 und März 1939. Er konnte das tun, weil die Westmächte ihn gewähren ließen.

Man kann also Chamberlain vorwerfen, keine Glaskugel im Reisegepäck dabei gehabt zu haben.
Das kann man nur sagen, wenn man das, was ich gestern zitierte, nicht zu Kenntnis nimmt – deshalb bringe ich das Zitat noch einmal (Fettschreibung durch mich):

So erklärte der tschechoslowakische Außenminister Krofta am 30. September 1938 gegenüber britischen, französischen und italienischen Gesandten u.a. Folgendes: Wir unterwerfen uns und werden uns bemühen, unserem Volk ein ruhiges Leben zu sichern. Ich weiß nicht, ob von dieser in München getroffenen Entscheidung Ihre Länder Vorteil haben werden. Allein, wir sind nicht die letzten, nach uns werden andere betroffen werden.

Hatte der Außenminister Glaskugel dabei? Natürlich nicht. Trotzdem hat er die folgenden Ereignisse richtig vorausgesagt. Chamberlain hatte keine Glaskugel im Gepäck – dafür aber das Sudetenland als Geschenk an Hitler. Das ist Fakt, denn 21. September 1938, also 9 Tage vor dem Münchner Abkommen, haben die Westmächte der Tschechoslowakei klargemacht, dass von ihnen keine Hilfe zu erwarten sei.
 
Technisch gesehen befand sich die britische Luftwaffe gerade in einer Umrüstungsphase, "Panzerdivisonen" ebenso.
Während die Wehrmacht in erster Linie mechanisiert hat, haben Briten und Franzosen stärker motorisiert.
Ich sehe da keine Möglichkeit wie Großbritannien zur Zeit des Abkommens überhaupt militärischen Druck hätte ausüben können.
Frankreich fiel aus innenpolitischen Gründen als starker Partner auch eher aus, zudem war die französische Armee
tatktisch und in einigen Bereichen auch technisch erheblich unterlegen, zumindest was Offensivoperationen anging.

Das Abkommen von München wird letztendlich Großbritannien die dringt benötigte Zeit verschafft haben seine Luftwaffe aufzubauen.

Bitte nicht übersehen, der Serienbau der Spitfire konnte nach technischen Schwierigkeiten erst ab Mitte 1938 beginnen!

Mit der Dewoitine 520 und der MS 410 war es ähnlich bestellt, allerdings war die französische Flugzeugindustrie
hoffnungslos schwach.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bitte nicht übersehen, der Serienbau der Spitfire konnte nach technischen Schwierigkeiten erst ab Mitte 1938 beginnen!

Die Hawker Hurricane gab es da aber schon, und sie war durchaus eine gute Jagdmaschine.

Traditionell wäre aber wohl die britische Flotte das geeignete Druckmittel gewesen, die Blockade aus dem 1.Weltkrieg war ja noch in guter Erinnerung.

Gruß, muheijo
 
Die Hurricane war der Me 109 unterlegen und wurde bei den Luftkämpfen in Großbritannien ausschließlich zur Bekämpfung einfliegender Bomber und Zerstörer genutzt. Die HH war in Geschwindigkeit, Steigleistung und Luftkampffähigkeit der ME 109 unterlegen.
 
So erklärte der tschechoslowakische Außenminister Krofta am 30. September 1938 gegenüber britischen, französischen und italienischen Gesandten u.a. Folgendes: Wir unterwerfen uns und werden uns bemühen, unserem Volk ein ruhiges Leben zu sichern. Ich weiß nicht, ob von dieser in München getroffenen Entscheidung Ihre Länder Vorteil haben werden. Allein, wir sind nicht die letzten, nach uns werden andere betroffen werden.

Die Frage ist, ob das auch die Einschätzung von Chamberlain war. Und mir scheint, dass es sie nicht gewesen ist.


In welcher Konstellation hätte man hier den Krieg verhindern können?
Vorziehen oder Hinausschieben, möglicherweise. Aber verhindern?

Es gab ja noch die sog. Septemberverschwörung – Wikipedia . Ich vermute, diese war Chamberlain nicht bekannt. Wäre es bei der Konferenz nicht zu einer Einigung gekommen, hätte dies nach dem Planungen der Verschwörer letztendlich einen Staatsstreich ausgelöst. Und damit wäre das Dritte Reich mutmaßlich Geschichte gewesen.
 
Es gab ja noch die sog. Septemberverschwörung – Wikipedia . Ich vermute, diese war Chamberlain nicht bekannt.

Wenn wir davon ausgehen, dass Chamberlain davon nichts wusste (und warum hätte man ihn informieren sollen?)
konnte er kaum damit kalkulieren, dass so etwas passieren würde, falls man sich in Sachen CSR unnachgiebig zeigen würde.

Wäre es bei der Konferenz nicht zu einer Einigung gekommen, hätte dies nach dem Planungen der Verschwörer letztendlich einen Staatsstreich ausgelöst. Und damit wäre das Dritte Reich mutmaßlich Geschichte gewesen.

Die Frage ist nur, hätten sie das am Ende tatsächlich durchgezogen und hätte es funktioniert?

Auf der Listen der Beteiligten stehen einige Namen von Persönlichkeiten, die sich später im Widerstand gegen das NS-Regime und am 20. juli beiligten und denen man sicherlich zutrauen könnte, dass sie tatsächlich versucht hätten Hitler zu stoppen, das Problem sind, wie ich das sehe allerdings die 3-4 wichtigsten Figuren in der ganzen Angelegenheit die wahrscheinlich Wackelkandidaten waren.

Halder und v. Brauchitsch, als Generalstabschef und und Oberbefehlshaber des Heeres waren Figuren, die hier zwar eingeweiht waren, die aber in der Folge weiter mit Hitler zusammenarbeiteten und dessen Kurs mittrugen.

v. Witzleben und Canaris als kommandierender General in Berlin und Chef der Abwehr waren anscheinend jedenfalls in die Planänderung Hitler sicherheitshalber gleich töten zu wollen nicht eingeweiht, was bedeutet, dass sie möglicherweise, hätten sie davon Wind bekommen abgesprungen wären.

Ob das geplante Attentat denn auch tatsächlich funktioniert hätte, wäre auch noch einmal eine andere Frage.
 
Hitler rechnete also mit Widerstand der Westmächte, aber die blieben sowohl beim Anschluss Österreichs als auch in der Sudetenkrise und bei der endgültigen Zerschlagung der Tschechoslowakei untätig. Das alles geschah in 3 Schritten zwischen März 1938 und März 1939. Er konnte das tun, weil die Westmächte ihn gewähren ließen.

Du übersiehst, dass Hitler, sofern er mit Widerstand, was im Klartext "Krieg" bedeutet hätte, rechnete sich dadurch von seinem Handeln nicht abschrecken ließ, was bedeutet, dass er bereits bei seinem Einmarsch in Österreich und auch bei seiner Politik, die darauf zielte sich die tschechischen Gebiete einzuverleiben, das eventuelle Risiko eines Krieges inkauf nahm, auch wenn er es aus verschiedenen Gründen sicherlich nicht als allzu hoch einschätzte.

Wenn Hitler aber bereits im März 1938 beim Einmarsch in Österreich trotz eventueller Kriegesgefahr mit dem Westen, sich entschloss diesen Schritt dennoch zu gehen und wenn er trotz vorhandener Gefahr darüber mit dem Westen in einen Krieg zu geraten den Versuch sich die tschechischen Gebiete einzuverleiben zu forcieren bereit war, beweist dass doch, dass de facto kein Abschreckugspotential vorhanden war.

Jemand, der eine Politik betreibt, die bereit ist Krieg inkauf zu nehmen, ist durch Drohung mit Krieg offensichtlich nicht abzuschrecken.
 
Man kann also Chamberlain vorwerfen, keine Glaskugel im Reisegepäck dabei gehabt zu haben. Vielleicht ging er davon aus, dass mit der Angliederung des Sudetenlandes Hitler sonst keine weiteren Gebietsansprüche stellen würde.

Das war ja auch gar nicht so abwegig. Jedem Menschen der einigermaßen politisches Augenmaß besaß, musste doch einleuchten, dass Deutschland im Grunde alles erreicht hatte, was es vernünftigerweise überhaupt erreichen konnte. Es war Deutschland die Hegemonialmacht in Europa geworden, und das alles war ohne Krieg erreicht worden.

Die Regierung in Prag war abhängig von Direktiven aus Berlin geworden, es vergab sich Deutschland nichts, wenn es den Satellitenstaaten einen Rest von Autonomie und staatlicher Eigenständigkeit ließ.

Hitler hatte im Grunde alles erreicht, was deutsche Politik nur erreichen konnte. Versailles war nur noch ein Fetzen Papier. Er hatte den alten Traum der 1848er verwirklicht: die großdeutsche Version, die Vereinigung Österreichs mit dem Reich, er konnte als Mehrer des Reiches nach Berlin zurückkehren, und er hatte das alles ohne Krieg erreicht.

Es war bezeichnend für Hitler, dass er diesen Triumph gar nicht erkannte, die Chancen gar nicht sah. Er hatte Krieg gewollt, und er beschimpfte Chamberlain in vulgären Worten, der ihm das vermasselt hatte.
 
Das war ja auch gar nicht so abwegig. Jedem Menschen der einigermaßen politisches Augenmaß besaß, musste doch einleuchten, dass Deutschland im Grunde alles erreicht hatte, was es vernünftigerweise überhaupt erreichen konnte. Es war Deutschland die Hegemonialmacht in Europa geworden, und das alles war ohne Krieg erreicht worden.

Ich denke, dass man außerdem eine Perspektive nicht außer Acht lassen sollte, die für Chamberlain und die britische Position möglicherweise eine Rolle bei der Bewertung von Hitlers Prioritäten gespielt haben könnte und das ist der Umstand, dass Hitler eben kein Preuße und von der Herkunft her nicht einmal ein Reichsdeutscher, sondern eben Österreicher war.

Und wenn man Hitler von seinem Hintergrund her vor allem als Österreicher betrachtete und seine weiteren machtpolitischen Implikationen nicht kannte, weil man entweder seine Schriften nicht gelesen oder sie nicht ernst genommen hatte, konnte man von dem her durchaus unterstellen, dass eben für den katholischen Österreicher Hitler der maßgebliche außenpolitische Konflikt bei dem es tatsächlich um Territorien ging, derjenge mit der Tschechoslowakei sei, während die im Kern tschechischen und ehemals preußischen Gebiete in Polen ihn weniger interessierten.
Unabhängig davon dass es sich damit etwas anders verhielt, wäre der Schluss, dass der Konflikt mit der Tschechoslowakei das außenpolitische Kernthema des Österreichers Hitler sei, so abwegig nicht gewesen, ebenso die Annahme, dass dieser sich eventuell zukünftig friedlich zeigen würde, wenn man ihm dieses Zugeständnis machte.
 
Nur mal so nebenbei, in meiner Jugendzeit habe ich auch gedacht, die Politik Großbritanniens zu der Zeit in Bezug auf das Nationalsozialistische Deutschland sei völlig verfehlt gewesen.
Jetzt, im Alter und mit tieferer Einsicht in diesem Bereich sehe ich das unter den damaligen Umständen nicht mehr so.
 
Widerstand bedeutete keineswegs den sofortigen Krieg, denn in der Hößbach-Niederschrift steht: Hitler rechnete mit dem Widerstand der Westmächte, und in so einem Fall, hoffte er separat mit Großbritannien zu einer Abgleichung der Interessensphären zu kommen, was Frankreich von einem Kriegseintritt abhalten würde.

Aber dazu ist bekanntlich nicht gekommen - weil die Westmächte es nicht einmal versuchten, so etwas wie Widerstand zu organisieren.
 
Widerstand bedeutete keineswegs den sofortigen Krieg, denn in der Hößbach-Niederschrift steht: Hitler rechnete mit dem Widerstand der Westmächte, und in so einem Fall, hoffte er separat mit Großbritannien zu einer Abgleichung der Interessensphären zu kommen, was Frankreich von einem Kriegseintritt abhalten würde.

Aber dazu ist bekanntlich nicht gekommen - weil die Westmächte es nicht einmal versuchten, so etwas wie Widerstand zu organisieren.

Sie haben sich dem fait accompli Hitlers gebeugt, sie haben es nicht, wie er es eigentlich wollte, auf den großen Kladderadatsch ankommen lassen, und Frankreich hat ziemlich schnöde seinen Verbündeten CSR im Regen astehen lassen. Das hatte auch fatale Rückwirkungen auf die SU, die ihrerseits auch bald mit den Deutschen auf einen Deal einließen.

Andererseits war die Mehrheit der Österreicher mit dem Anschluss einverstanden, und das Sudetenland war mehrheitlich von Deutsch-Böhmen bewohnt.

Die Westmächte hatten gehofft, mit dem Münchner Abkommen, Hitler-Deutschland einzubinden. Sie hatten schließlich die vollendeten Tatsachen gebilligt, die Hitler geschaffen hatte. Sie hatten die Forderungen Hitlers, die sich mit Kulanz noch als einigermaßen mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker vertretbar interpretieren ließen akzeptiert. Sie haben aber auch deutlich gemacht, dass das die äußersten Zugeständnisse waren. Das war sozusagen ein Angebot, dass das, was Hitler durch Erpressung erreicht hatte, mit der Zeit rechtmäßig wurde, wenn Hitler das kapierte, und sich an die Spielregeln hielt. Das waren realpolitische Zugeständnisse, mit denen jeder halbwegs normale Mensch mit Maß hätte zufrieden sein können.

Chamberlain und Daladier haben die CSR im Grunde preisgegeben, die CSR war nicht einmal beteiligt. Es war das Münchner Abkommen der letztlich erfolglose Versuch, Hitlers Politik in eine europäische Friedensordnung einbinden zu können unter der Voraussetzung, der Geschäftsgrundlage, dass den Forderungen nachgegeben wurde, die noch vertretbar schienen: also Deutsch-Österreich und das Sudetenland. Keinesfalls aber mehr, keinesfalls weitere Erpressungsmanöver. Das war das Angebot, das Erpresste mit der Zeit rechtmäßig werden lassen zu können, wenn Hitler nur sich an die Spielregeln hielt, wenn jetzt endlich Schluss mit Va Banque Spiel, Erpressungen, mit vollendete -Tatsachen-schaffen war. Das eigentlich auch sehr deutlich.

Rückblickend war München fatal, das Angebot der Einbindung, des Appeasement hat Hitler herausgefordert, es wieder darauf ankommen zu lassen. Es war ein Versuch, den Frieden zu sichern, ein Angebot.

Hitlers nächsten Coup, die Zerschlagung der CSR haben die Westmächte schon nicht mehr abgesegnet, und sie haben deutlich gemacht, dass sie zum Widerstand entschlossen waren und sie haben signalisiert, dass beim nächsten Mal Krieg droht, und sie haben nach dem Angriff auf Polen auch Ernst gemacht-

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten haben die Westmächte sich spät erst zum energischen Widerstand entschlossen. Hitler hat München als Einladung zu weiteren Erpressungen interpretiert.

Aber so war es nicht gemeint. Es war ein Zugeständnis an Hitler, ein Angebot, aber auch eine Ansage, dass damit nun Schluss mit solchen Manövern sein musste.
 
Die 18 Monate bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs haben Großbritannien und Frankreich gut genutzt, die Zeit bis zum 10. Mai erst recht.
Für Deutschland war der Krieg im Sommer 1940 schon verloren, die Initiatoren der Kriegswirtschaft wie der Kriegsführung konnten taktisch nicht mehr aufholen was strategisch verloren war.

Nicht zuletzt aus diesem Grunde halte ich die Entscheidung Chamberlains zwar für bitter, aber für einen strategischen Gewinn.
 
Technisch gesehen befand sich die britische Luftwaffe gerade in einer Umrüstungsphase, ...
Das ist m.E. ein wichtiger Punkt.

Churchill hebt diesen in seinen Memoiren hervor.
Und wie Du bereits angemerkt hast, betrifft das auch andere Rüstungsbereiche.
GB ist im gefährlichen Zeitverzug wie Churchill S. 162 im Blick auf das Jahr 1938 feststellt.
„Die Erzeugung von Kriegsmaterial auf einem das ganze Land umfassenden Plan ist eine Aufgabe, die vier Jahre in Anspruch nimmt. Das erste Jahr bringt keinen Ertrag, das zweite sehr wenig, das dritte schon eine Menge und das vierte eine Hochflut.“
Hitlers Deutschland sei nun bereits im dritten oder vierten Jahr der Hochrüstung gewesen.
Und so herrschte auch große Erleichterung über den zweifelhaften Erfolg Chamberlains weil: „In England wussten viele wie wehrlos wir waren.“
Sicher hat das Münchner Abkommen etwas Luft für die Vorbereitung auf den sich immer deutlicher abzeichnend Krieg verschafft.

Churchill sieht den Wendepunkt eher bei der folgenlosen Rheinlandbesetzung 1936.
Zu diesem Zeitpunkt hätte die Chance bestanden Hitler zu stoppen. Wäre die, da noch weit überlegene, französische Truppe entgegengetreten, so „wäre Hitler zweifellos von seinem eigenen Generalstab zum Rückzug gezwungen worden“. Dies hätte das dem Regime „leicht verhängnisvoll“ werden können. S. 109

Der militärische Angriff des 3. Reichs auf die Tschechoslowakei wurde als sicher kurzfristig erwartet und man musste feststellen, dass der Feind schneller erstarkt war als vorausgesehen, während man selbst hinterher hinkt.

Hatte Chamberlain die Illusion er habe den Frieden gesichert? Das ist nicht leicht zu sagen.
Sicher hat der Verrat an den Tschechen Zeit für die eigene Aufrüstung gewonnen.

Und was Luftwaffe angeht, so ist dies die einzige Waffe die England direkt treffen kann.
Und die Vorstellung Douhets „Der Bomber kommt immer durch“ war plausibel und nicht zu unrecht verbreitet.
(Und schon im Ersten Weltkrieg wurde London aus der Luft bombardiert. )


Churchill, Winston (2003): Der Zweite Weltkrieg. [Sonderausg.]. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer-Taschenbücher, 16113).
 
In der Rückschau ist es für uns schwer zu begreifen, warum der Westen und in erster Linie Großbritannien nicht energischer Hitler entgegengetreten sind.

Aber in den Vorkriegsjahren waren Hitler und die Nazis noch nicht die späteren Monster. Hitler hatte noch nicht Millionen umgebracht (auch das Novemberorogrom ja erst später), aber Stalin. Hitler hatte auch noch keinen Krieg geführt, aber Mussolini.

Hitler stellte keine absurden Forderungen auf, sondern konnte sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen. Was im Saarland und in Österreich bewiesen wurde (es zweifelte damals wohl niemand daran, dass auch eine freie Abstimmung zum "Anschluss" geführt hätte).

Die Behandlung der Nicht-Tschechen war in der "Schweiz des Ostens" eben auch nicht astrein. Am wenigsten konnte sich noch das zweite Staatsvolk, die Slowaken beklagen, aber auch das Verhältnis war nicht ungetrübt (bis zuletzt, 1993).

Da Polen und Ungarn ebenfalls daran interessiert waren, sich an der CSR schadlos zu halten, wären diese wohl im Kriegsfall bestenfalls (aus westlicher Sicht) neutral geblieben.

Im Falle Großbritanniens machte sich zudem die imperiale Überdehnung immer bemerkbarer. Indien ein Unruheherd, Italien ein Herausforderer im Mittelmeer und in Ostafrika, Japan ein Störenfried in Ostasien. Die Weltwirtschaftskrise war auch noch nicht überwunden. Und jetzt, zum ersten Mal, die Drohung Hitlers gegenüber einem nicht-deutschen Staat (ja, ich weiß, Österreich war auch Ausland).

Chamberlain (oder jeder andere Premier) hatte nur die zwei Möglichkeiten, Krieg oder Verhandlungen. Keine Verhandlungen zu versuchen, welcher demokratische Politiker hätte das gemacht (dabei kommen mir Bilder eines langen, weißen Tischs im Kreml in den Sinn)?
 
Churchills Memoiren sind lesenswert, aber eben auch erst mit dem späteren Wissen geschrieben worden. Und er ist kein "neutraler" Beobachter und schon gar kein wohlwollender Freund Chamberlains.
 
Widerstand bedeutete keineswegs den sofortigen Krieg, denn in der Hößbach-Niederschrift steht: Hitler rechnete mit dem Widerstand der Westmächte, und in so einem Fall, hoffte er separat mit Großbritannien zu einer Abgleichung der Interessensphären zu kommen, was Frankreich von einem Kriegseintritt abhalten würde.

Schau dir doch bitte einfach mal, wie das realitier gelaufen ist, statt lediglich einen Teil der Zusammenfassung der Hoßbach-Nieederschrift aus Wikipedia zu copy-pasten.

Die einzige Maßnahme, die Hitler jemals in Richtung Großbritannnien unternahm und die auf irgendeine konkrete Form von Interssenausgleich hinauslief, war das Flottenabkommen von 1935, dass von Anfang an das Papier nicht wert war, auf dem es geschrieben stand, weil Deutschland in vertragswidriger Weise U-Boote baute und bereits ein Jahr später mit den beiden Schiffen der Bismarck-Klasse anfing Schlachtschiffe auf Kiel zu legen, deren Tonnage die mit den Briten ausgehandelte Höchstgrenze deutlich überschritt.

Ansonsten kam von Hitler in Richtung Großbritannien ein seltsames Gemisch aus schwammigen recht unbestimmte Avancen und kaum verhohlenen Drohungen, die insgesamt Hitler als reichlich unberechenbar erscheinen lassen mussten.
Schaut man sich an, wie die Annexion Österreichs realiter ablief, gab es da keine großen Verhandlungen mit Großbritannien zum Ausgleich von Interessensphären, sondern de facto schickte Hitler einfach Truppen und besetzte Österreich.

Angesichts dessen, dass Hitler da einfach einmarschierte, wie genau hätte Widerstand, der Krieg aber ausgschlossenn hätte funktionieren sollen?

Im Falle der CSR hatte Hitler der Wehrmacht bereits am 3. September 1938 Weisung gegeben sich zum 27. Septembeer für einen Angriff auf die Tschechoslowakei bereit zu halten.

Am 17. September 1938 veranlasste Hitler Henlein das "Sudetndeutsche Freikorps" aufzustellen, dass ab dem 19. September Überfälle und Terrorakte im Sudetenland verübte, sich Auseinandersetzungen mit der tschechoslowakischen Polizei lieferte und wohl auch einige Einheiten entwaffnete, so wie die Stadt Eger de facto besetzte.

Das war passiert, bevor von der Münchner Konferenz irgendjemand etwas wusste und auch bevor es zu sondierenden Verhandlungen zwischen der deutschen und britischen Seite in Godesberg wegen Grenzveränderungen kam.

Die interne Weisung an die Wehrmacht tatsächlich alles für die Invasion der CSR zum 27. September 1938 vorzubereiten, wäre in dieser Form nicht erteilt worden, wenn man eine solche Invasion nicht auch beabsichtigt gewesen wäre, wäre es darum gegangen lediglich Theater zu machen ohne Krieg ernsthaft in Betracht zu ziehen, hätte man ggf. Manöver abgehalten, den Truppen aber strenge Weisung gegeben in keinem Fall irgendwas zu tun, dass einen Krieg provozieren könnte.

Das Gleiche mit der Aufstellung paramilitärischer Sudetendeutscher-Formationen und das Anweisen bewaffneten Vorgehens gegen Stellen und Organe des Tschechoslowakischen Staates.
Den tschechoslowakischen Staat in dieser Weise herauszufordern, konnte nur dann einen Sinn ergeben, wenn man damit die Bereitung des Vorfelds für einen tatsächlichen Angriff beabsichtigte, denn dass Prag darauf im Grunde nicht anders darauf reagieren konnte das militärisch niederzuschlagen und die Sudetendeutschen Organisationen zu verbieten etc. musste klar sein.
Wenn also Hitler seine Helfershelfer im Sudentenland zur bewaffneten Rebellion anwies, musste er auch bereit sein, diesen reguläre Truppen zur Hilfe zu schicken, sonstigenfalls hätte das nur die Zerschlagung seines Hebels Einfluss auf die Verhältnisse in der CSR zu haben, in Form der Zerschlagung der Sudetendeutschen Organnisationen nach sich gezogen.

Auch die Art und Weise wie Hitler sich in Godesberg gegenüber den Briten verhielt und versuchte dem Kompromiss auszuweichen, in dem er das Angebot der Abtretung der deutschsprachigen Gebiete an das Deutsche Reich zunächst als unzureichend zurückwies und sich auf einmal dazu verstieg auch die Erfüllung der polnischen Wünsche, von denen er selbst gar nicht hatte zur Bedingung für eine friedliche Lösung einzufordern, zeigt eigentlich, dass Hitler an Verständigung nicht gelegen war.
Denn das diente offensichtlich nur dem einen Zweck den Preis für eine Verständigung so weit nach oben zu treiben, bis Paris, London und Prag das empört zurückweisen und Hitler durch das Scheitern von Verhandlungen einen Kriegsgrund haben würde, von dem er ausgehen konnte, dass die eigene Bevölkerung das akzeptieren und mittragen würde.


Wenn wir übrigens bereits bei der Hoßbach-Niederschrift sind:

Die Weist aus, dass Hitler bereits zu diesem Zeitpunkt den gesamten tschechischen Teil der CSR, nicht nur die deutsschsprachigen Gebiete im Auge hatte:

"Wenn auch die Besiedelung insbesondere der Tschechei keine dünne sei, so könne die Einverleibung der Tschechei und Österreichs den Gewinn von Nahrungsmitteln für 5-6 Millionen Menschen bedeuten unter Zugrundelegung, daß eine zwangsweise Emigration aus der Tschechei von zwei, aus Österreich von einer Million Menschen zur Durchführung gelange. Die Angliederung der beiden Staaten an Deutschland bedeute militär-politisch eine wesentliche Entlastung infolge kürzerer, besserer Grenzziehung, Freiwerdens von Streitkräften für andere Zwecke und der Möglichkeit der Neuaufstellung von Truppen bis in Höhe von etwa 12 Divisionen, wobei auf 1 Million Einwohner eine neue Division entfalle."

Volltext Niederschrift über die Besprechung in der Reichskanzlei am 5. 11. 1937 von 16.15-20.30 [Hoßbach-Protokoll], 10. November 1937 / Bayerische Staatsbibliothek (BSB, München)

Das beweist, dass die Vorstellung, dass erst das Nachgeben der Westmächte in der Sudetenfrage Hitler zu weiteren Expansionszielen veranlasst habe, falsch ist.

Überhaupt theoretisierte Hitler ja gemäß der Überlieeferung der Hoßbachniederschrift sehr ausführlich, wann und unter welchen Umständen Krieg gegen die Tschechoslowakei und Österreich zu führen sei, um diese auszuschalten und als potentielle "Flankenbedrohung" los zu werden.

Hitler war zu keinem Zeitpunkt gewillt, sich mit den Sudeten-Gebieten begnügen, er wollte bereits deutlich vor München den gesamten tschechischen Teil der CSR und er wollte den Krieg.


Wie hätte Widerstand gegen eine solche Haltung aussehen können, wenn "Widerstand" nicht bedeuten sollte sich in einen Krieg einzulassen?
 
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