Hi,
ich glaube, ich habe mich z.T. mißverständlich ausgedrückt. Sorry.
Sagt Johannes Fried denn etwas anderes zu Karl Martell und den Ereignissen bei Poitier als in der Darstellung von Dieter Hägermann zur Sprache kommt?
Nein, ich denke nicht. Er sagt folgendes:
Johannes Fried kann dieser Biografie kaum etwas Gutes abgewinnen. Schon das Konzept des Buches findet er fragwürdig. Denn dadurch, dass der Autor von Ereignis zu Ereignis fortschreitet, verblassen nach Frieds Ansicht nicht nur das strukturelle Element, sondern auch die "individualisierenden Farben", die durch das Leitseil eines mittelalterlichen Textes Einhardts (aus der Zeit kurz nach Karls Tod und nach Frieds Meinung von zweifelhafter Objektivität) nicht ersetzt werden können. Darüber vermisst Fried neue Erkenntnisse: "Irgendwie scheint alles, was berichtet wird, seit langem vertraut", resümiert er. Vor allem aber beklagt er, dass trotz des erheblichen Umfang des Buches viele Aspekte gar nicht oder unzureichend berücksichtigt würden. Als wenige Beispiele unter vielen seien der Kalender genannt, Byzanz, die Buchmalerei, das Personal im Umfeld Karls, die Familie und die Wissenschaften. Regelrecht verärgert ist der Rezensent über etliche fachliche Fehler, von denen er ebenfalls zahlreiche auflistet. Für wenig anspruchsvolle Leser, die lediglich an einer "Erzählung der Ereignisse" interessiert seien, kann er das Buch mit Einschränkungen empfehlen. Fried läßt aber deutlich erkennen, dass er selbst andere Veröffentlichungen zum Thema bevorzugen würde.
genaue Rezension hier:
Faz.net
in der Süddeutschen steht das hier:
Arno Orzessek macht in seiner Rezension keinen Hehl daraus, dass er dieser Biografie nichts abgewinnen kann. Schon den Aufbau findet er missglückt: Der Autor "hangelt sich unentschlossen an Karls Reisekalender durch die Jahrzehnte", meint er und räumt zwar ein, dass der Leser dabei allerhand über diverse Feldzüge erfährt. Aber schon die Tatsache, dass Hägermann sich häufig auf den ersten Biografen Karls, Einhart (9. Jahrhundert), beruft, findet er heikel, da Einharts Quellen ihrerseits fragwürdig seien und seine Äußerungen darüber hinaus zeittypische hagiografische Züge trügen. Insgesamt zeige Hägermann in diesem Band zwar, welch intensives Quellen- und Literaturstudium dieser Veröffentlichung vorausgegangen ist. Dennoch bleiben nach Orzesseks Ansicht zu viele Aspekte unbeleuchtet. Als Beispiel nennt er die zu Karls Zeiten durchgeführten Reformen oder einen aufschlussreichen Vergleich der Kulturen. Fragen wie diese spreche der Autor zwar an, jedoch hätte eine Vertiefung dabei nicht geschadet, findet Orzessek. Auch über das Leben am Hof, die Menschen und die Verwaltung im Reich erfahre man nichts. Und durch das Fehlen von Fußnoten ist ein eigenes Weiterforschen zu bestimmten Sachverhalten kaum möglich, wie der Rezensent enttäuscht feststellt.
genaue Quelle direkt auf der Seite der süddeutschen hab ich nicht finden können.
Zitate oben von perlentaucher.de
Dieter Hägermann betreibt wohl auch nach deinem Geschichtsverständnis keine Propaganda.
Nein, ich meinte nicht Hägermann, ich meinte die (christliche) Propaganda, die nicht schon zu Zeiten Karl Martells einsetzte (dort wurde er wie oben geschildert sehr kritisch gezeichnet), sondern z.T. Jahrhunderte später, um ihn zu instrumentalisieren, z.B. bei den Kreuzzügen.
Und diese Jahrhunderte nach Karl Martell aufgezeichnete Hagiographie von ihm, wurde durch moderne Historiker oft genug unreflektiert wiedergegeben, ohne gleichzeitig sie mal durch arabische/mozarabische Quellen zu verifizieren.
So schreibt Edward Gibbon in seinem berühmten Buch "Verfall und Untergang des röm. Reiches" wäre die Schlacht anders ausgegeangen, würde heute in Oxford der Koran interpretiert werden.
Er nimmt also die Überhöhung der Schlacht/Gefechtes unreflektiert an, ohne zu bedenken, dass eben jener Karl Martell in den zeitgenössischen Quellen der Andalusier kaum Erwähnung findet.
Warum nicht, wo die arabischen Chronisten doch jeden Pups aufzeichnen?
(OK. Er war noch ganz dem damals herrschenden Mainstream verpflichtet, und das wäre wohl für die Zeit damals zuviel verlangt...
)
Das geht in der abendländischen Historiographie so weiter, so schreibt Ende des 19. Jh./Anfang des 20. Jh. die Allgemeine Deutsche Biographie, verfasst von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften:
"Karl (Martell) ist eine „überwältigende“ Persönlichkeit des Mittelalters.", "Der Sieg rettet Germanen- und Christenthum in Europa;", "Die Franken waren der letzte Wall vor muhammedanischer Ueberschwemmung.", usw.
Wenn man sich diesen Text durchliest, sieht man leider wieder die hagiographischen Quellen der Post-Karl Martell-Zeit.
Siehe hier:
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Karl_(Martell)
Ich vermute, dass durch die Offenlegung alter Texte im Internet als Open Source Texte, wie obigem, oder der alten Encyclopaedia Brittanica von 1911, usw. die Verflachung und vor allem Verfälschung des Wissens, welche durch die Wiki sich schon ausgebreitet hat, noch weiter zunehmen wird und alte "Mythen" als vermeintliche Fakten Allgemeingut bleiben oder werden.
Noch am 16. Okt. 1982 hat eine deutsche Tageszeitung den Gedenktag gefeiert und von Plänen berichtet, "ostwärts will er [der Kalif] von dort mit seinen Reiterscharen weiterstürmen, durch ganz Europa, bis er in Asien wieder im Kalifenreich anlangt."
aus: Sigrid Hunke: Allah ist ganz anders. Enthüllung von 1001 Vorurteilen über die Araber. 1990.
Du siehst, wie lange Geschichtsklitterung noch nachwirkt! Ja wieder auflebt!
Es wird z.B. kaum erwähnt, dass er noch 737 erfolglos Narbonne belagert hat.
Hier mal Zitate neuerer Geschichtsbücher:
Francesco Gabrieli (Hrsg.): Mohammed in Europa. Augsburg 1997.
Er war Orientalistischer Professor an der Uni Rom.
"Das berühmte Treffen zwischen muslimischen Eindringlingen aus Spanien und den Truppen Karl Martells in Poitiers 732
gilt etwas zu Unrecht als Meilenstein der Geschichte, an dem der arabische Vormarsch in Europa zum Stehen gebracht worden sei. In Wirklichkeit hatte dieser Vormarsch längst den Charakter einer dauerhaften Niederlassung verloren und bestand nur noch aus kurzen
Raubzügen, ähnlich den vielen
anderen Einfällen der Sarazenen in Frankreich
vor und nach der Schlacht von Poitiers. Narbonne war vielleicht das bedeutendste Zentrum in Südfrankreich, das die Araber mit einer gewissen Beständigkeit besetzt hielten. In Fraxinetum, nicht weit von Saint-Tropez, ließ sich im 10. Jh. für einige Jahrzehnte eine muslimische Räuberkolonie nieder, ähnlich derjenigen, die zur gleichen Zeit in Italien am Garigliano bestand. Noch weiter entfernt, jenseits der Alpen, zogen wiederholt sarazenische Banden nach Piemont und Ligurien hinunter, ohne dass dabei irgendeine Verbindung zu arabischen Niederlassungen in Süditalien bestanden hätte. Wie gesagt handelte es sich nur um Raubzüge. Alles in allem erlebte das merowingische und karolingische Frankreich das arabische Abenteuer nur am Rande mit, als eine gefährliche Belästigung, aber nicht als entscheidende Phase seiner eigenen Geschichte. ... In Wirklichkeit war das Ereignis, dessen dichterische Überhöhung von hohem Reiz ist, nur eine bescheidene Episode im Kleinkrieg an der Grenze zwischen dem Reich Karl des Großen und dem muslimischen Spanien."
Marcus Hattstein u. Peter Delius (Hrsg.): Islam. Köln 2000.
"Diese Schlacht, die später auf christlicher Seite zur "rettung des Abendlandes"
hochstilisiert wurde, war aber nur
eine von vielen; der Grenzkrieg zog sich noch über mehrere Jahre hin, und nach 791 drangen islamische Truppen erneut bis Carcasonne und Narbonne vor."
Prof. Dr. Jürgen Paul, Orientalist von der Uni Halle schreibt in seinen Seminarunterlagen:
hieraus:
http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=227515&postcount=10
"Ausgriffe weiter nach Norden, über die Pyrenäen hinaus, haben dagegen den Charakter von
Raubzügen; einer davon, in der westlichen Historiographie als entscheidender Sieg über die Araber herausgestellt, betraf das Gefecht von Tours und Poitiers; es kommt in der arabischen Historiographie gar nicht vor. Eine dauerhafte Eroberung Frankreichs dürfte kaum auf der Tagesordnung gestanden haben; lediglich in der Gegend von Narbonne (einem bedeutenden Mittelmeerhafen) kam es zu einer etwas länger andauernden muslimischen Herrschaft nördlich der Pyrenäen. "
dann verweise ich nochmals auf die erhellende Seminararbeit von hier:
http://alsharq.blogspot.com/2006/10/die-schlacht-von-poitiers-732-teil-3.html
Sind das Quellenauszüge? Die Verherrlichung Karl Martells zum Retter des Abendlandes ist doch unbestritten.
Natürlich ist "ein super geiler blendend heller Sieg" keine zeitgenössische Quelle...
Was ich meinte, wie es oben schon steht, ist die z.T. erfolgte unkritische Übernahme der (späteren!!!) mittelalterlichen Verherrlichung Karl Martells durch moderne Historiker.
Welche Zeitgenossen?Die sogenannte mozarabische Chronik, die einzige zeitgenössische Quelle aus Spanien, ist wohl um das Jahr 754 in einem christlichen Kloster entstanden.
Na, Zeitgenossen von Karl Martell, wie sie ihn sahen, nicht wie spätere Chronisten ihn sahen.
Wie ich oben schon schrieb, bezugnehmend auf die zeitgenössische (z.B. kirchliche) Beurteilung Karl Martells:
Karl selber und seine Zeit haben seinem Kampf keineswegs die gleiche Bedeutung beigemessen wie seiner Bezwingung der Friesen, der Sachsen und Alemannen. Als Kaiser Ludwig der Fromme die Leistungen seiner Vorfahren verherrlicht, lässt er die Unterwerfung der Friesen als die Großtat seines Urgroßvaters Karl auf die Wände der Pfalz von Ingelheim malen: Diese war es, die ihm den Ehrennamen des "Hammers" eingetragen hatte.
Karl Martell als "Held der Christenheit" und "Retter des Abendlandes" zu feiern, wie eine spätere, auf Kreuzzugspropaganda gestimmte Heldenverehrung ihm, den Glaubensdinge gleichgültig ließen, andichtete, hätte zu seiner Zeit eher beißenden Sarkasmus hervorgerufen. Denn die Kirche hat in ihm keineswegs den Schützer und Bewahrer der Christenheit gesehen, sondern ihn als Kirchenräuber verdammt, der aus kirchlichen und klösterlichen Bauten, Ländereien und Kirchenschätzen seine neuen Reiterheere gerüstet und mit Lehen ausgestattet hat, dessen Grab darum leer und "verkohlt", dessen Leib "vom Teufel in die Hölle" entführt worden sei.
Das anfängliche Bündnis der Westgoten mit den Sarazenen wandelte sich schnell zur Unterwerfung, besonders nach dem Zusammenbruch der Herrschergewalt, die der Einnahme der westgotischen Hauptstadt Toledo folgte. Vielleicht ist also das "Feindbild" nicht gar so abwegig.
Was ich mit "Feindbild" meinte, sind nicht die damaligen Zeitgenossen, sondern die heutige Gesellschaft, die noch voller "Feindbilder" und "Vorurteilen" steckt.
So habe ich nach dem 11. September und nach dem Karikaturenstreit subjektiv beobachtet, wie in der Wiki zahlreiche differenziertere Artikel zum Islam wieder umgeändert oder gelöscht wurden.
Es ist aber auch kein Wunder, da die Medien uns stark beeinflussen:
Siehe die wissenschaftliche Studie über die Berichterstattung bei ARD und ZDF:
Das Gewalt- und Konfliktbild des Islams bei ARD und ZDF:
http://www2.kommunikationswissenschaft-erfurt.de/uploads/bericht_islam_in_ard_und_zdf_2005_2006.pdf
Hier einige Pressestimmen zur Studie:
http://www.islamische-zeitung.de/?id=8239
und
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19291/1.html
aber das wird nun zu Offtopic...
Ein anderer Ausgang der Schlacht bei Poitiers hätte die weitere Entwicklung des Frankenreichs und Asturiens wohl in völlig andere Bahnen gelenkt. Entscheidend war daher auch aus der späteren Sicht der Sarazennen die Niederlage und der Tod des Heerführers Abd ar-Rahman ibn Abd Allah bei Poitiers. Im Jahr 735 kam es zu einem erneuten Feldzug; es wurden die Städte Arles, Avignon, Lyon und Teile der Provence erobert. Karl Martell schaffte es aber, die Sarazennen wieder nach Spanien zurückzudrängen, nur die Stadt Narbonne blieb in ihrer Hand. Im Jahr 759 eroberte Pippin Narbonne in Septimanien und der Heilige Vater verlieh dem König der Franken die Ehrenwürde eines Schutzherrn der Goten.
Wie oben schon erwähnt, gab es noch weitere "Schlachten", bzw. Gefechte/Scharmützel, die "die Christenheit" verloren hat, und?
Wurde daraufhin das "Abendland" "überschwemmt"?
Wie oben schon beschrieben, hat Karl Martell nicht die "Sarazenen" zurückgedrängt, weil es da nicht viel zum zurückdrängen gibt, denn die Raubzüge gingen halt weiter, wie erwähnt, 791 z.B. wurden die Razzien wieder in Frankreich durchgeführt.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Gefechte bei Poitier und Tours waren eines der am weitesten vorgedrungenen Beutezüge der Araber, und von daher bedeutsam. Aber es war kein sooo großer "Wendepunkt", erst recht kein welthistorisches Ereignis, denn danach gingen weitere Beutezüge fröhlich weiter. Außerdem fehlen zeitgenössische arabische Chroniken fast völlig, was auf die wahre Bedeutung hindeutet.
Natürlich können spätere Chronisten manchmal erst die wahre Bedeutung von Ereignissen vielleicht besser einschätzen, als Zeitgenossen. Aber hätte es für die Araber mehr Bedeutung als nur kleinere Feldzüge und Razzien gehabt, hätten sie es ebenso in den zeitgenössischen Chroniken erwähnt, wie auch andere für sie wichtigere Ereignisse, wo sie z.B. mit Feldzügen genaue Absichten verfolgten. Außerdem wurde die Intention späterer christl. Chronisten inzwischen hinlänglich untersucht. Und ihre Absicht war nicht, eine differenziert korrekte Einordnung der Ereignisse in die Geschichte vorzunehmen.