Die Frage ist doch um einiges komplexer. Z.B. der neue Mensch: soweit mir bekannt, vertrat Marx nicht die These, daß ein neuer Mensch die neue Gesellschaft machen solle, sondern die neue Gesellschaft formt neue Menschen (das Sein bestimmt das Bewußtsein). Das ist grundlegend. Die Idee geht davon aus, daß in einer Gesellschaft, wo alle gleich sind (nicht im Sinne, alle haben gleiche Interessen, sehen gleich aus etc., sondern alle können ihre unterschiedlichen Interessen mit gleichen Recht und gleich gut Gütermäßig abgesichert ausleben), der Mensch sozial mitfühlend und nicht egoistisch ist. Und an dieser These ist nicht viel zu rütteln und kritisieren. In jeder Gesellschaft in jedem Stand/Klasse/Kaste gibt es unterschiedliche Verhaltensmuster von häufig vorkommenden menschlichen Handlungen, die durch die praktische Rechtslage bedingt sind. D.h. was ist staatlich verboten/erlaubt, was wird geduldet (obwohl verboten), was streng geahndet. So lenkt letztlich der Staat Verhaltensmuster in den unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft bewußt oder unbewußt.
Wenn nun eine Gesellschaft aufgebaut würde ohne gesellschaftliche Unterschiede, ohne unterschiede in der Möglichkeit an Güter zu kommen, in der sich jeder nach eigenen Möglichkeiten und Interessen entfalten kann, dann, davon ging Marx aus, entsteht ganz natürlich ein Mensch, der frei von Neid und Brutalität ist.
Doch wo gab es im real existierenden Sozialismus die Bedingungen eines solchen Menschen? Nirgends. Also gab es auch nicht diesen "neuen" Menschen; und da das dogmatisch nicht sein durfte, wurde dieser neue bessere Mensch prer Definition eingeführt und wer das nicht war, war anormal/asozial (in Kuba z.B. auch Homosexuelle).
Was ich auch bestreiten würde ist, daß Marx Visionen gehabt hätte. Denn dies Wort führt zu sehr in spirituelle Sphären. Diese lagen Marx natürlich sehr fern. Marx hat seine Zeit analysiert und ist dabei bahnbrechend und bis heute aktuell geblieben. Er war Wirtschaftswissenschaftler, Historiker und Philosoph. Er gehört jeder dieser Disziplinen an. Und er hat Schlußfolgerungen aus den Situationen seiner Zeit gezogen. Doch mit einem hat er sich grundlegend geirrt. Daß es eine kleine Gruppe politischer Führer sein könne, die die Massen aus der Ungerechtigkeit und Ungleichheit leiten könne.
Denn hier beißt sich die Katze des neuen Menschen in den Schwanz. Diese politischen Führer waren keine neuen Menschen, weil es noch keine neue Gesellschaft gab. An ihrem Wollen und Können aber hing gänzlich die Entwicklungsrichtung dieser neuen Gesellschaft. Und wohin das führte, das wissen wir.
Marx daraus einen Vorwurf machen und seine gesamte Idee verdammen, ist weder gerecht, noch zielführend, denn Gerechtigkeit der Gesellschaft kann nur das Ziel der Menschheit sein.
Aber der Fehler, der den Kommunismus von einer freiheitlichen Idee in eine real existierende Diktatur umwandelte, der lag schon in Marxens System.