Wir haben mehrere Fragen zum Thema :
1
Warum zog der König von der Straße von Moskau nach Süden ? War es die versprochene Unterstützung in der Ukraine durch Mazepa ?? Wäre ein Rückzug zu den schwedischen Provinzen nicht besser gewesen ?
2
Warum blieb der König nach der vergebenen Chance der russischen Niederlage am Pruth noch jahrelang im Osmanischen Reich ?? während dessen Schweden fast alle Ostseegebiete verlor ???????
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Karl XII. eröffneten sich als (zunächst) gefeierter Gast Ahmed III. bzw. des Khans der Krimtataren Devlet Geray durchaus diplomatische Chancen. Bei vielen türkischen Soldaten und Offizieren galt er als Held. Seine Armee war zerstreut, die Rückwege nach Schweden wurden von Karls Feinden kontrolliert. Ein Eintritt des Osmanischen Reichs in den Großen Nordischen Krieg hätte Karl vor Ort in die Lage versetzt, seinen stärksten Gegner, den Zaren Peter den Großen unter Druck zu setzen und eventuell Gebiete, die Russland erobert hatte, zurückzubekommen. Als der Zar bei einem Feldzug am Pruth von einer türkischen Armee eingeschlossen wurde, bot sich Karl eine große Chance. Die Russen waren am Rande der Erschöpfung und ohne Proviant. Peter war bereit, notfalls Asow an die Türken zurückzugeben, Taganrog zu schleifen und ganz Estland, Livland und Karelien an Schweden zurückzugeben. Seinem Unterhändler Schafirow wies er an, alles zu akzeptieren, außer der Sklaverei und St. Petersburg wollte er unbedingt behalten. Als Karl nach mehrtägigem Parforceritt am Pruth ankam, waren gerade die letzten russischen Bataillione abgerückt. Peter war erfreut, dass die Forderungen der Türken viel maßvoller waren, als er befürchtet hatte.
Der Großwesir Baltadschi war aber in ebenfalls schwieriger Lage. Der russische General Rönne hatte ein türkisches Magazin erbeutet und Braila eingenommen. Der Großwesir wäre in die schwierige diplomatische Lage gekommen, zwei der mächtigsten Herrscher und beide ohne Armee als "Gäste" aufnehmen zu müssen. Außerdem befürchteten die Türken einen Angriff der Österreicher und beim Angriff auf die eingeschlossene russische Armee hatten die Janitscharen empfindliche Verluste wenige Tage zuvor gehabt, und Karl wurde als Gast der Türken in Bender allmählich zu einer Belastung. Karl bot sich militärisch aber nie wieder eine solche Chance wie am Pruth, obwohl sein Diplomat von Görz später durch geschicktes taktieren von Russland noch erhebliche Zugeständnisse erreichen konnte. Vor Ort mit der Unterstützung Devlet Gerays konnte Karl tatsächlich mehr Einfluss nehmen, als ihm das ohne schlagkräftige Armee im Baltikum möglich gewesen wäre. Nach den Kabalen am Pruth kehrte Karl inkognito nach abenteuerlichem Parforceritt in die Heimat zurück.
Diplomatische Winkelzüge waren nicht Karls Sache. Als auf den Alandinseln die Deutschen von Görz und Andreas Ostermann, der eine im Dienste Schwedens, der andere im Dienste der Russen, verhandelten, hätten die Verhandlungen sofort geendet, wenn Görz Karls Forderungen unterbreitet hätte. Der verlangte nämlich ganz Livland und Estland zurückzugeben und eine Kriegsentschädigung weil der Zar die Feindseligkeiten gestartet hatte, was total unrealistisch war, da Karl gar nicht über die militärische Schlagkraft mehr verfügte, diesen Forderungen Geltung zu verschaffen.
Ich rate dir, wenn du dich intensiver mit den beiden großen Kontrahenten des Nordischen Krieges beschäftigen willst, Robert K. Massies Werk "Peter the Great, his Life and his Time" anzuschaffen. Es wurde nicht umsonst mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet und liest sich wie ein guter historischer Roman. Massies Buch ist auch in guter Übersetzung als Taschenbuch zu humanem Preis zu erhalten.