Karthago besiegt Rom; und dann?

Mutina dürfte auch drunter fallen. Zwischen den ersten beiden punischen Kriegen noch Placentia und ein paar weitere in der Poebene.
 
Es ist offensichtlich, dass die geopolitischen Ziele Roms und Karthagos weit auseinanderlagen und auch das Selbstverständnis beider Staaten differierte.

Genau so sehe ich das auch: karthago war primär Händlernation und Seemacht, Rom bis zu den punischen Kriegen eher ein Bauernstaat und damit festlandorientiert.
Und genauso waren auch die Herrschaftsgebiete gestaltet-ein weit ausgreifendes Netz an Hafenstützpunkten einerseits und ein relativ kompaktes,in sich geschlossenes Festlandsgebiet andererseits.
Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausrichtung war ein Konflikt beider Reiche also nicht unbedingt vorprogrammiert.
 
Natürlich findest Du ältere Siedlungen an fast allen Orten, wo später Städte gebaut werden, mitunter bis in die Steinzeit zurück. Das ist sogar in Rom selbst nicht anders, bevor ein Romulus auf die Idee kam, die Dörfer zu einer Stadt zu vereinen.
 
Ravenik, ich glaube, Du übersiehst da was: zum einen sträubst Du Dich gegen das unterschiedliche "Territorialkonzept" Karthagos und Roms (Handelsstationen und Küstenstädte mit relativ wenig Hinterland gegen raumgreifende Agrikultur und zentrale, befestigte Landstädte).
Natürlich gab es Unterschiede, z. B. dass die Punier bevorzugt für den Handel geeignete Stützpunkte anlegten, oder der von Dir betonte Punkt, dass die Karthager nicht so integrationsfreudig waren wie die Römer - wobei man diesen Punkt aber auch nicht überbewerten sollte: Auch bei den Römern vergingen zwischen Unterwerfung und Verleihung des Bürgerrechts meist Jahrhunderte. Sogar die meisten Italiker erhielten erst im 1. Jhdt. v. Chr. das römische Bürgerrecht, also zu einer Zeit, als Karthago gar nicht mehr existierte.

Wogegen ich mich aber wirklich sträube ist, wenn die Karthager als friedliebendes Volk hingestellt werden, das nur friedlich Handel treiben wollte und nur zu den Waffen griff, wenn es von den bösen griechischen oder römischen Aggressoren dazu genötigt wurde. Vielmehr gingen sie gegen jeden vor, der sich ihren Interessen widersetzte oder gar auf die Idee kam, sich in ihrem Interessengebiet niederlassen zu wollen, man denke nur an die Phokaier auf Korsika oder den Kolonisationsversuch des Spartaners Dorieus im heutigen Libyen.

Und was das Hinterland betrifft: Magos berühmtes vielbändiges Landwirtschaftslehrbuch spricht doch wohl eindeutig für eine Beschäftigung der Karthager mit Agrikultur.
Diodor (20,8) beschreibt anlässlich von Agathokles' Afrikafeldzug ausführlich den landwirtschaftlichen Reichtum des Hinterlandes Karthagos, dessen große Landgüter karthagischen Großgrundbesitzern gehörten (denen die einheimische Bevölkerung ihr Land wohl kaum freiwillig überlassen haben wird). In 3,17 erwähnt Diodor, dass Agathokles mehrere Städte im Landesinneren, die die Karthager hassten, zum Überlaufen brachte. Wenn die Karthager nur an der Küste gesessen wären und friedlich mit unabhängigen Bewohnern des Landesinneren koexistiert hätten, dann hätten diese erstens nicht überlaufen können und zweitens keinen Grund zum Hass gegen die Karthager gehabt. Außerdem diente Agathokles' Afrikafeldzug dem Ziel, die Karthager in ihrer Heimat anzugreifen und aus Sizilien wegzulocken. Insofern wäre es sinnlos gewesen, wenn er stattdessen Städte im Landesinneren angegriffen hätte, die mit den Karthagern gar nichts zu schaffen hatten.

Sardinien und Korsika mussten nach ihrer Annektion von den Römern wieder erobert werden, und zwar nicht von den Puniern, sondern den Ureinwohnern. Du wirst keine einzige genuin punische Stadt finden, die im Landesinneren liegt;
Das sieht Werner Huß anders. In "Die Karthager" (S. 32) schreibt er: "Die Grabungen der letzten Jahrzehnte haben deutlich erkennen lassen, dass auch das Innere Sardiniens weithin nicht nur von punischer Kultur durchdrungen, sondern auch von punischen Siedlern bewohnt war." Weiter bezweifelt er dann sogar Diodors Angabe, die Karthager hätten nie das Innere Sardiniens kontrolliert.
Auch militärisch waren die Karthager auf Sardinien sehr aktiv: Im 6. Jhdt. v. Chr. erlitten sie eine schwere Niederlage gegen die einheimische Bevölkerung. Auch Mago führte dort Krieg, und sein Sohn Hasdrubal starb an einer Kriegsverletzung, die er auf Sardinien erlitten hatte.
Es stimmt somit nicht, dass die Karthager keine Gebiete besiedelten und keine Eroberungskriege führten.

Zum anderen: wie machten Römer ein Land zur Provinz, also zu "ihrem Eigentum?" Abgesehen davon, dass erst Pompeius überhaupt das Provinzsystem ordnete und gesetzlich regelte: nur in einem Fall kam Rom ohne Vernichtung an eine Provinz – die Erbschaft von Asia. Ansonsten wurde das Gebiet erobert und die Widerstand leistenden Einwohner zum großen Teil umgebracht und/oder versklavt. Anschließend wurden dort Römer angesiedelt.
Mal abgesehen davon, dass auch Gebiete wie Zypern oder Kyrene friedlich unter römische Herrschaft kamen und auch manche Klientelstaaten weitgehend gewaltlos in Provinzen umgewandelt wurden, ist das doch maßlos übertrieben: Wieso musste im 3. Jhdt. n. Chr. noch den nichtrömischen freien Reichsbewohnern das römische Bürgerrecht verliehen werden, wenn ihre Vorfahren eh fast alle umgebracht oder wenigstens versklavt worden waren und überall nur noch römische Kolonisten lebten? Wieso war das Byzantinische Reich griechisch dominiert, wenn der Großteil der griechischen und hellenistischen Bevölkerung umgebracht und durch römische Siedler ersetzt worden war?
Aber auch in Gebieten, in denen die Römer wirklich rabiat vorgingen, wie Spanien, Gallien, Britannien oder Illyrien, wurde die einheimische Bevölkerung keineswegs ausradiert. Dass es heute noch in Großbritannien keltischsprechende Menschen gibt, zeigt doch klar, dass die Briten nicht fast ausgerottet worden waren. Und wie konnte eigentlich Claudius gegen die Druiden vorgehen und sich für die Aufnahme gallischer Adliger in den Senat einsetzen, wenn es so gut wie keine Gallier mehr gab und Gallien ohnehin fast nur noch von römischen Siedlern bewohnt war? Massenmorde und Massenverschleppungen kamen zwar vor (z. B. in Epirus), waren aber keineswegs die generelle Vorgehensweise.
Die Römer siedelten sogar noch in der späten Republik ausgediente Veteranen nach Möglichkeit in Italien an: So wurden z. B. vom 2. Triumvirat umfangreiche Ländereien in Italien enteignet, um dort Soldaten anzusiedeln (und dafür eine Menge Konflikte in Kauf genommen) - und nicht etwa im angeblich fast menschenleeren Gallien. Auch die römische Kolonie in Karthago wurde erst hundert Jahre nach der Zerstörung der Stadt angelegt. In der Kaiserzeit wiederum ging man dazu über, Veteranen mit Geld abzufinden statt mit Land - warum, wenn die Provinzen eh fast menschenleer waren?

Das Volk blieb klein, es blieb unter sich
Es war zumindest groß genug, um im Krieg gegen Agathokles und im Söldnerkrieg in der Not eigene (wenn auch wenig schlagkräftige) Heere aufstellen und sich im 3. Punischen Krieg hartnäckig gegen die Römer wehren zu können.

Genau so sehe ich das auch: karthago war primär Händlernation und Seemacht, Rom bis zu den punischen Kriegen eher ein Bauernstaat und damit festlandorientiert.
Und genauso waren auch die Herrschaftsgebiete gestaltet-ein weit ausgreifendes Netz an Hafenstützpunkten einerseits und ein relativ kompaktes,in sich geschlossenes Festlandsgebiet andererseits.
Ganz generell denke ich, dass man die Unterschiede zwischen Karthago und Rom nicht so sehr in der Mentalität (Karthager friedliche Händler, Römer aggressive Bauern), sondern in der Geographie und im Ursprung suchen sollte: Karthago entstand als Handelsstadt phönizischer Seefahrer am Meer, insofern war naheliegend, dass es (auch) in Übersee Stützpunkte anlegen und interessante Ländereien suchen würde. Natürlich stellten sich die karthagischen Kaufleute und Handwerker nicht unbedingt selbst aufs Feld, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht andere zwangen, das für sie zu tun, um die Erträge einzustreichen. Rasch expandieren konnte Karthago wohl, weil ihm der Handel die nötigen Mittel zur Kriegsfinanzierung brachte.
Rom hingegen hatte anfangs nicht einmal einen gesicherten Zugang zum Meer, und selbst als es den hatte, wäre es untunlich gewesen, auf dem Meer gleich mit den Karthagern und Griechen konkurrieren zu wollen. Insofern war es naheliegend, sich auf die Landwirtschaft zu konzentrieren. Das bedeutet aber nicht, dass die Römer generell nicht am Handel interessiert gewesen wären: Immerhin griffen sie nach Illyrien aus, um die Piraterie gegen die italischen Kaufleute zu beenden, und den Senatoren wäre wohl kaum im späten 3. Jhdt. v. Chr. der Seehandel weitgehend untersagt worden, wenn sie nicht davor darin aktiv gewesen wären. Dass es mit der Lex Rhodia de iactu sogar ein eigenes Gesetz für den Fall gab, dass in Seenot Waren über Bord geworfen werden, spricht wohl auch eine eindeutige Sprache. Bei der Verleihung beschränkter Rechte an Bundesgenossen spielte das commercium neben dem conubium eine wichtige Rolle. Aber auch die Verträge mit Karthago sind sehr aufschlussreich: Bereits der erste enthielt komplizierte Regelungen für den Handel von Römern in karthagischem Gebiet. Ich bezweifle, dass die Römer und Karthager extra einen Vertrag geschlossen haben, nur um ihn mit für die Praxis irrelevantem totem Recht zu füllen.
 
Danke für den Hinweis bezüglich Sardiniens, Ravenik; es ist schon länger her, dass ich den Huss las und hier zuhause habe ich nur die gekürzte Beck-Ausgabe. Ich schätze Deine fundierten Widerlegungen meiner Beiträge sehr. Da ich Deinen Beitrag noch nicht wieder bewerten kann, färbe ich hier einfach mal den Text grün und hole das demnächst nach.

Die Größe des karthagischen Hinterlands: schon in der Gründungssage geht es um einen Beschiss; der libysche König holte sich die Phönikier ins Haus, die machten sich breiter als vereinbart. Das Buch Magos über Landwirtschaft ist ein Beleg für Agrarwirtschaft im großen Stil, sicher, aber eben auch ein Beleg für einen erfolgreichen ökonomischen Wandel: der in Karthago auf Kosten der Libyer ablief, in Rom später auf Kosten der eigenen Kleinbauern. Ich tippe bei der Einflusssphäre Karthagos was "Landbesitz" anbelangt auf einen Umkreis mindestens bis Zaghouan (Wasserversorgung). Aber der dürfte sich wirklich erst im Jahrhundert vor dem ersten punischen Krieg so entwickelt haben.

Der Hinweis auf Sardinien und die Kämpfe von Magoniden dort ist auch interessant, wirft das doch ein Licht auf die "Franchise Warlords" der Karthager, die mehr oder minder auf eigene Rechnung eroberten und kämpften (bislang hatte ich nur die Barkiden in Spanien als Beispiel). Ambitionierte, aber erfolglose Feldherren wurden schneller fallengelassen als heisse Kartoffeln. Vielleicht haben die Karthager sich auch deshalb so leicht von Sardinien getrennt, weil das als "Magoland" eh relativ wenig zum Wohl der restlichen Oligarchie beitrug bzw. der Verlust einem politisch bereits abgewerteten Mitglied angehängt werden konnte.

Das Killer-Argument römischer Expansion: es stimmt, da habe ich maßvoll übertrieben. Wo die Bevölkerungsdichte sehr hoch war, gelang ein tatsächlicher Völkermord schon aus arbeitsökonomischen Gründen nicht: demzufolge verzeichnen die Städte rings um Karthago nach dessen Sturz einen deutlichen Einfluss durch Flüchtlinge. Exemplarische Grausamkeit ersetzt dann die flächendeckende; nicht zuletzt wurde bei der Eroberung des Ostens eine zivilisatorisch gleich- wenn nicht höherstehende Region erobert, deren Infrastruktur und Wirtschaft ihren Reichtum ausmachte: da lohnt es sich, eher die Führung neu zu regeln als "alles platt zu machen" (was im Fall von Korinth und Karthago auch auf römischer Seite nicht kritiklos blieb). Romanisierung der einheimischen Eliten war dann eine der wichtigsten Maßnahmen, mit denen die Kaiser das Reich zusammenhielten. Übrigens war die Nichtrichtigbefriedung der britischen Inseln eines der schwärenden Themen der Kaiser; Septimius Severus biss sich die Zähne dran aus und wenn mich nicht alles täuscht, stammt der Tacitus-Satz "sie schaffen eine Wüste und nennen es Frieden" auch aus diesem Umfeld.

Römer und Karthager gerieten auch deshalb aneinander, weil sie sich zu ähnlich waren: oligarchisch, innovativ, adaptiv und auf verschiedene Art und Weise expansiv. Wobei die Oligarchie fast immer einen konservativen Anstrich hat, der Karthago letztlich einen fatalen Nachteil einbrachte; das gleichfalls oligarchische Rom hielt zwar immer "mos maiorum" hoch und beschwor die althergebrachten Traditionen, entschloss sich dann aber im Zweifelsfall für die rationalere Lösung, und wenn sie noch so innovativ war.
 
Die Größe des karthagischen Hinterlands: schon in der Gründungssage geht es um einen Beschiss; der libysche König holte sich die Phönikier ins Haus, die machten sich breiter als vereinbart. Das Buch Magos über Landwirtschaft ist ein Beleg für Agrarwirtschaft im großen Stil, sicher, aber eben auch ein Beleg für einen erfolgreichen ökonomischen Wandel: der in Karthago auf Kosten der Libyer ablief, in Rom später auf Kosten der eigenen Kleinbauern. Ich tippe bei der Einflusssphäre Karthagos was "Landbesitz" anbelangt auf einen Umkreis mindestens bis Zaghouan (Wasserversorgung). Aber der dürfte sich wirklich erst im Jahrhundert vor dem ersten punischen Krieg so entwickelt haben.
Das sehe ich auch so. Ursprünglich mussten die Karthager sogar einen jährlichen Tribut an die Libyer zahlen, eine Art Pachtzins für das ihnen zur Stadtgründung überlassene Gebiet. Die Magoniden versuchten diese Zahlungen abzustellen, wobei sie anfangs eine Niederlage erlitten. Erst im 5. Jhdt. gelang es den Söhnen von Hasdrubal und Hamilkar, die Libyer zum Verzicht zu zwingen, und sie führten aktiv Krieg gegen die Numidier und Mauren. Damals begann also wohl die karthagische Hegemonie in Nordafrika, wozu auch der erste Vertrag mit Rom passt.
Ab dem 4. Jhdt. dürfte Karthago dann einen größeren Teil des heutigen Tunesien tatsächlich beherrscht haben.

Interessant ist immerhin, dass die Karthager deutlich früher in Sardinien und Sizilien expandierten als in Afrika selbst. Da zeigte sich wohl ihre Ausrichtung aufs Meer hin, und darin unterschieden sie sich in der Tat von den Römern, denen trotz Expansion nach Sizilien im Grunde genommen noch im 2. Jhdt. v. Chr. eher unbehaglich bei dem Gedanken an direkte Herrschaftsausübung in Übersee war.

Der Hinweis auf Sardinien und die Kämpfe von Magoniden dort ist auch interessant, wirft das doch ein Licht auf die "Franchise Warlords" der Karthager, die mehr oder minder auf eigene Rechnung eroberten und kämpften (bislang hatte ich nur die Barkiden in Spanien als Beispiel). Ambitionierte, aber erfolglose Feldherren wurden schneller fallengelassen als heisse Kartoffeln.
Ich weiß nicht so recht, ob man die Magoniden wirklich mit den Barkiden vergleichen kann. Die Barkiden werkelten in Spanien weitgehend unabhängig von der Regierung in Karthago vor sich hin und beschränkten sich im Wesentlichen darauf, ihren Einfluss in der Hauptstadt durch Verbündete im Rat und durch die Volksversammlung zu wahren. Die Magoniden hingegen waren zu ihrer Zeit die eigentlichen Machthaber in Karthago, wenn auch kaum als "Könige", wie manchmal behauptet, sondern eher als recht regelmäßig amtierende Magistrate. (Z. B. scheint der an einer Kriegsverletzung gestorbene Hasdrubal elfmal amtiert zu haben, eventuell mit Sondervollmachten.) Insofern tue ich mir schwer, ihre Feldzüge als "Privatunternehmen" ähnlich dem der Barkiden einzustufen, da sie wohl mehr oder weniger als Repräsentanten des Staates handelten und vermutlich vollen Zugriff auf dessen Ressourcen hatten.

Vielleicht haben die Karthager sich auch deshalb so leicht von Sardinien getrennt, weil das als "Magoland" eh relativ wenig zum Wohl der restlichen Oligarchie beitrug bzw. der Verlust einem politisch bereits abgewerteten Mitglied angehängt werden konnte.
Ich würde nicht sagen, dass sie sich von Sardinien "leicht" getrennt haben. Nachdem ihnen die Insel im Söldneraufstand abhanden gekommen war, bereiteten sie sehr wohl einen Feldzug zur Rückeroberung vor, aber da ihnen die Römer für diesen Fall mit Krieg drohten, für den die Karthager damals keinesfalls bereit waren, blieb ihnen nichts anderes übrig als die Insel fahren zu lassen. Später im 2. Punischen Krieg wurden sie wiederum auf Sardinien aktiv, wenngleich es ihnen dabei in erster Linie darum gegangen sein mag, die Römer zu beschäftigen und ihnen zu schaden.

die Städte im afrikanischen Landesinneren hatten mindestens dieselbe Souveränität wie die Latiums und Etruriens, die karthagischen und phönikischen Gründungen im westlichen Mittelmeer sogar noch mehr. Utica war mit Karthago so überzwerch, dass es im dritten punischen Krieg an der Seite Roms kämpfte. Und die in der späteren Provinz Africa lebenden Libyer waren so selbständig, dass sie z. B. für den Söldnerkrieg mit Mühe und Gold gewonnen werden mussten – und den dritten punischen Krieg erst vom Zaune brechen halfen. Unterwerfung sieht anders aus (dazu schaue man nach Italien).
Gerade in diesem Punkt ist der Vergleich mit Italien in der Tat aufschlussreich: Auch die Städte Italiens waren autonom, trotzdem würde wohl niemand abstreiten, dass Rom ab seinem Sieg über Pyrrhos den Großteil Italiens beherrschte. Man könnte durchaus auch einen Vergleich bei den autonomen Gebieten und den direkt beherrschten Gebieten ziehen: So wie es in Italien autonome Städte gab und zwischen ihnen verstreut römische Kolonien, gab es wohl auch in Africa Städte mit begrenzter Autonomie und dazwischen die Latifundien der karthagischen Großgrundbesitzer.
Was Utica sowie den Söldnerkrieg betrifft: Auch hier lohnt der Vergleich mit Italien tatsächlich: Im 2. Punischen Krieg fielen viele Städte Italiens bekanntlich zu Hannibal ab. Das ist aber kein Beweis für ihre Unabhängigkeit, sondern im Gegenteil, wenn sie unabhängig gewesen wären, hätten sie sich nicht gegen die Römer zu erheben brauchen. Dass in Kriegszeiten, insbesondere wenn der Feind im eigenen Land steht oder die Führungsmacht sonstwie (z. B. durch einen Söldneraufstand) geschwächt ist, die tatsächliche Kontrolle über die eigenen Städte schnell dahinschwinden kann und sie ihre Chance auf Freiheit oder zumindest Durchsetzung irgendwelcher Forderungen sehen, ist klar. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch in Friedenszeiten unabhängig gewesen wären.
Dass im 2. Römisch-karthagischen Vertrag die Karthager auch für Utica sprachen, zeigt wohl klar, welche Stadt zu diesem Zeitpunkt die Oberhoheit über die andere hatte und ihre Außenpolitik bestimmen konnte.
Natürlich waren auch die Phönizierstädte im karthagischen Herrschaftsbereich den Karthagern tributpflichtig (Leptis soll sogar zur Zahlung von einem Talent pro Tag (!) verpflichtet gewesen sein, was aber wohl übertrieben ist).
Es wurden auch Aufsichtspersonen in die Untertanenstädte geschickt.

Na ja, ich sehe schon einen Unterschied zwischen der Bereitschaft zur Expansion bei Rom und Karthago, aber es ist zu berücksichtigen, daß Karthago mehrfach die Eroberung von ganz Sizilien versuchte und scheiterte. Die geringe Expansion war wenigstens zum Teil keine weise Selbstbeschränkung, sondern Unfähigkeit gepaart mit Unentschlossenheit. Die Unentschlossenheit ist verständlich, da man als Handelsnation nicht unbedingt auf territoriale Ausdehnung aus war, aber ein zwiespältiges Gefühl bleibt.
Dass Karthago zu größeren Eroberungen unfähig war, möchte ich doch sehr bezweifeln. Dass das rasch gelingen konnte, zeigt die schnelle Eroberung Südspaniens. Das alles beweist, dass die geopolitischen Zielsetzungen Roms und Karthagos verschieden waren. Im Verlauf der Geschichte hat es stets Staaten gegeben, die starke expansive Kraft entfalteten, und andere, die eher den Status quo bewahren wollten. Dafür gibt es sicher jeweils unterschiedliche Gründe, aber "Unfähigkeit zu Expansion" würde ich Karthago nicht unterstellen.
Unfähigkeit würde ich den karthagischen Feldherrn nicht unterstellen.
Das Problem war wohl, dass Karthago von seiner militärischen Struktur her ein Problem mit der Führung langer Kriege hatte. Söldner waren teuer, es war untunlich, sie jahrelang bezahlen zu müssen. Man versuchte zwar gerne, sie mit der Bezahlung auf später zu vertrösten (um sie dann, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden, zu prellen), aber das funktionierte auch nur für beschränkte Zeit. Sehr schön sieht man das bei den Kriegen um Sizilien: Die Karthager betrieben immer wieder gewaltige Rüstungen, bauten Flotten und heuerten Söldner an, aber wenn der Krieg dann nicht halbwegs rasch einen entscheidenden Durchbruch brachte oder man gar eine gröbere Niederlage erlitt, wurden sie zum Frieden geneigt und versuchten, wieder halbwegs kostengünstig und gesichtswahrend aus der Unternehmung herauszukommen. Auch im 1. Punischen Krieg zeigten sich bald Erschöpfungs- und Überforderungszustände, und letztlich beendeten ihn die Karthager, ohne schon selbst existenziell bedroht zu sein, weil ein Sieg unerreichbar schien. Dass man ihn überhaupt so lange führte, lag wohl daran, dass man partout nicht auf Sizilien verzichten und Rom als neue mindestens gleichrangige Hegemonialmacht im westlichen Mittelmeerraum akzeptieren wollte. Im 2. Punischen Krieg wiederum blieb den Karthagern kaum etwas anderes übrig, als auf Biegen und Brechen nach dem Sieg zu streben, weil für den Fall einer neuerlichen Niederlage mit dem Schlimmsten zu rechnen war. Bei den früheren Kriegen auf Sizilien hingegen war der Preis in der Regel geringer gewesen, da ging es nur um Gewinn oder Verlust einiger Städte auf der Insel.

In der Regel reagierte Karthago auf Sizilien lediglich auf militärische Provokationen der Griechen, die unerschütterlich der Meinung waren, Sizilien gehöre ihnen und Karthago müsse von der Insel vertrieben werden.
Hier stellt sich wohl ein bisschen die Frage nach der Henne und dem Ei bzw. wer denn ein "Recht" auf Sizilien hatte. Am meisten wohl die Einheimischen, aber die wurden nicht gefragt. Die ersten griechischen Kolonien auf der Insel wurden im 8. Jhdt. v. Chr. gegründet. Die Karthager hingegen wurden erst im 6. Jhdt. v. Chr. auf Sizilien aktiv und übernahmen die Kontrolle über die dortigen phönizischen Handelsniederlassungen.

Im Übrigen war es mindestens so sehr Karthago, das die Griechen aus dem westlichen Mittelmeerraum vertreiben wollte, wie die Griechen die Karthager von Sizilien. Das militärische Vorgehen der Karthager gegen die Phokaier auf Korsika und gegen die Kolonisationsversuche des Dorieus habe ich schon erwähnt. Mit der Seeschlacht bei Alalia war es aber nicht getan, sondern Karthago ging auch gegen Massalia selbst vor, scheiterte aber. Auch die griechische Kolonie Mainake in Spanien scheint von den Karthagern zerstört worden zu sein. Sie gingen aber auch gegen widerstrebende phönizische Städte vor, z. B. belagerten und eroberten sie einmal Gades (bei welcher Gelegenheit der Rammbock erfunden worden sein soll).

Aber um zu Sizilien zurückzukehren:
In dem Krieg, der mit der Himera-Schlacht für die Karthager unglücklich endete, waren doch wohl klar die Karthager die Angreifer.
Im großen Krieg ab 409 nutzte man ein Hilfsersuchen Segestas gegen Selinus als Kriegsgrund, wobei klar sein musste, dass bei dieser Einmischung insbesondere Syrakus kaum untätig bleiben würde. So kam es auch. Selinus wurde von den Karthagern erobert, der Großteil der Einwohner massakriert und die Stadt dauerhaft unterworfen. Himera wurde von den Karthagern komplett zerstört; in der Nähe gründeten die Karthager eine eigene Stadt. Auch Akragas wurde zerstört und später zwar wieder aufgebaut, blieb aber von den Karthagern abhängig. Gela wurde ebenfalls zerstört. Nach und nach eroberten die Karthager fast ganz Sizilien und griffen Syrakus selbst an, was aber wegen einer Seuche scheiterte. Als Folge dieses Krieges blieb ein nicht unerheblicher Teil Siziliens dauerhaft in der Hand Karthagos; viele ruhmreiche alte Griechenstädte waren zerstört, unterworfen oder in der Bedeutungslosigkeit versunken.
Die Kriege gegen Timoleon hatten ihren Hintergrund darin, dass die Karthager auf Hilfsersuchen des Tyrannen Hiketas von Leontinoi reagierten und auch später die Gegner von Syrakus unterstützten.
Nach Agathokles' Tod expandierten die Karthager wiederum auf Sizilien, was zum Eingreifen des Pyrrhos führte.
Nicht vergessen sollte man natürlich auch, dass nicht nur die Römer, sondern auch die Karthager den Mamertinern in Messana "zu Hilfe" kamen. Ihr Ausgreifen in den Nordosten Siziliens kann man wohl kaum als defensiven Akt des Antiimperialismus interpretieren.
Dass es daneben auch Kriege gab, die eindeutig von Syrakus oder sonstigen Griechen begonnen wurden, ist unbestreitbar, ändert aber nichts daran, dass die Karthager nicht immer nur die Angegriffenen waren, die nur Krieg führten, weil ihre bösen Nachbarn sie nicht in Frieden leben ließen. Vielmehr konkurrierten Karthago und insbesondere Syrakus um Macht und Einfluss auf Sizilien, Konfrontationen waren unvermeidlich. Ich schreibe bewusst "insbesondere Syrakus", weil die Griechen keineswegs geschlossen gegen Karthago auftraten, sondern oft auch einige auf karthagischer Seite standen.
 
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