Kleine Einführung in das Ahnenerbe

SRuehlow

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Als am 30. Januar 1933 Adolf Hitler von Reichspräsident von Hindenburg zum Reichskanzler des Deutschen Reiches ernannt wird, weht über Deutschland, in jeder Straße und an jedem Haus, in jedem öffentlichen Amt oder Kirche ein neues Symbol – die Hakenkreuzfahne. Das Hakenkreuz, ein Symbol aus der mythologischen Vorgeschichte Europas, ist Sinnbild der neuen Politik. Hitlers Pläne für die Zukunft des deutschen Volkes liegen in der Rückkehr zum heidnischen Germanentum und zum urdeutschen Kultur- und Gedankengut. Forscher und Wissenschaftler ersinnen Legenden heldenhafter Germanen und verweben die Kulturgeschichte Europas und der Welt mit diesem längst ausgestorbenen Volk, dessen direkte Nachfahren Hitler in den Deutschen zu erkennen glaubt.

Der engagierteste Vertreter der neuen Mythologie des Ariertums ist der SS-Reichsführer Heinrich Himmler. Die Organisation der SS war allegorisch vergleichbar aufgebaut wie die Hierarchie des Vatikans. Himmler sah die SS nicht nur als politische Institution, sondern auch als einen Orden an, der in der Tradition der Ritter der Tafelrunde oder der mittelalterlichen Tempelkreuzfahrer steht. Nach dem Vorbild der Artussage lässt Himmler die Wewelsburg bei Paderborn zur Gralsburg der SS durch Häftlinge des Konzentrationslagers Wewelsburg ausbauen und mit Runen und Symbolen der Germanen ausstatten. Die SS-Offiziere wurden bei pseudomythischen Festen auf das Hakenkreuz und die Fahne als SS-Ritter eingeschworen.
Himmler, bekannt ein pedantischer Bürokrat zu sein, ist ebenso leidenschaftlicher Esoteriker. Er glaubt daran, dass das deutsche Volk wieder zur Urreligion der Germanen zurückkehren solle. Er lässt überall in Deutschland okkulte Plätze errichten und belebt alte Kultorte wieder zum Leben. So lässt er zum Beispiel eine Allee von 5000 Findlingen aufstellen, die an die Hinrichtung der Sachsen durch Karl den Großen erinnern sollen. Die biblischen Stammväter seien nicht die Stammväter der Deutschen, so Himmler. Diese Ansichten lässt der NS-Propagandaapparat im Medium Film groß inszeniert umsetzen und scheut keine Mühen und Gelder, den Deutschen ihre angebliche Herkunft vor Augen zu führen. Die Filme, die zu dieser Zeit entstehen, sind geprägt von Symbolismus und idyllischem Bauerntum in grandiosen Landschaften. Besonders hervorgehoben wird das Leben im und mit dem Wald. Alte germanische Feste erstehen wieder zu neuem Leben und Boden und Heimat treten in den Vordergrund.

Himmlers Ansichten sind ein zusammen gewürfelter Haufen esoterischer, okkulter Weltvorstellungen, die die Vergangenheit in die Zukunft transportieren sollen. Hierbei spielt das Ahnenerbe eine bedeutende Rolle, deren sich die Propagandamaschinerie bedient. Durch die Wissenschaft augenscheinisch legitim, forschten durch diese Institution die verschiedensten Wissenschaftler wie Geologen, Mediziner, Linguisten, Zoologen und Anthropholgen und viele andere in aller Welt nach dem Urgermanentum oder den Ariern. Vor allem aber wurden die Geisteswissenschaften wie Archäologie und Geschichte vom Ahnenerbe missbraucht. Bei Ausgrabungen datiert man gegen jedes bessere Wissen Funde auf vierzehntausend Jahre. Oft meint man ein germanisches Hakenkreuz auf Funden zu erkennen. Kurzum, Stonehenge in England und die Pyramiden in Gizeh seien ebenfalls durch die Germanen erschaffen worden. Solche Ansichten werden wiederum im Film umgesetzt, welches die deutsche Bevölkerung in frenetischem Jubel annimmt.

Das "Deutsche Ahnenerbe" wurde 1935 als "Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte" mit der Rechtsform eines eingetragenen Vereins von führenden Funktionären der SS gegründet, darunter der Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900-1945) und der Reichsbauernführer und Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes (RuSHA) Richard Walther Darré (1895-1953).
Ursprünglich vor allem zur Förderung der pseudowissenschaftlichen nordisch-volkskundlichen Arbeiten des holländischen Privatgelehrten Herman Wirth (1885-?) gegründet, entwickelte sich das Ahnenerbe ab 1937 zu einer der größten nichtstaatlichen Forschungseinrichtungen des Dritten Reiches. Selbst im 3. Reich ist diese Institution nur wenigen bekannt und verliert sich kurz nach 1945 fast in der Vergessenheit. Ziel ist es, Wissenschaftler für die SS zu gewinnen und so das Prestige für SS, dem Dritten Reich und dem deutschen „Kulturvolk“ zu vergrößern. Man könnte sagen, dass das Amt einen Querschnitt der Gelehrten und Wissenschaftler ganz Deutschlands bildete. Himmler will die SS zu einer geistigen Elite machen und bedient sich schmeichlerischen Mitteln, um bedeutende Wissenschaftler für das Ahnenerbe zu gewinnen.

In der Satzung des Amtes für Ahnenerbe heißt es:
1. „Raum, Geist und Tat des nordrassischen Indogermanentums zu erforschen,
2. die Forschungsergebnisse lebendig zu gestalten und dem deutschen Volke zu vermitteln,
3. jeden Volksgenossen aufzurufen, hierbei mitzuwirken.“

In seinen "besten" Zeiten bestand das AE aus mehreren Dutzend Forschungsabteilungen und verfügte über Fotolabore, ein Bildhauerstudio, ein Museum, sowie diverse Bibliotheken und Archive in München, Salzburg, Detmold und vielen anderen Städten. Über den "Ahnenerbe-Stiftungsverlag" kontrollierte der Verein zahlreiche Zeitschriften, Buchreihen und Verlagshäuser. Das AE finanzierte archäologische Grabungen und Forschungsexpeditionen inner- und außerhalb Europas (u.a. die Tibet-Expedition Ernst Schäfers 1938/39 oder die Erforschung kleinerer Abflüsse des Amazonas in Brasilien) und veranstaltete wissenschaftliche Tagungen und Kongresse im Sinne Nazideutschlands.
 
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Die Projekte, die durch das Amt für Ahnenerbe erforscht werden sollten, waren keineswegs fundierte, empirische Untersuchungen, sondern pseudowissenschaftliche Forschung, die oftmals einzig und alleine das persönliche Interesse Himmlers, der SS oder Nazi-Deutschlands dienten.
An wissenschaftlichen Mitarbeitern mangelte es Himmler nicht, da er sie dafür bezahlte. Somit erkaufte er sich oftmals Männer, die nur zu gerne die okkulten Reden und mystischen Vorstellungen Himmlers nachplapperten und genau die Ergebnisse wissenschaftlichen Untersuchungen liefern, die der Reichsführer SS sehen will.

Trotzdem stellt sich dem Betrachter eine Frage: Warum haben so viele Wissenschaftler sich in die Machenschaften der SS ziehen lassen, obwohl sie wussten, dass ihre Forschungsergebnisse mutmaßlich vorgegeben und verfälscht wurden? Die Antwort könnte lauten, dass die Wissenschaftler, die sich mit Himmlers Forschungsverein einließen, dies aus sehr unterschiedlichen Gründen taten. Vielleicht aus ideologischer Überzeugung, aus Mangel an alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten, aufgrund attraktiver Forschungsförderungs-möglichkeiten, um über die Assoziation mit der SS an kulturellem Prestige zu gewinnen, oder, wie einige der Mediziner und Anthropologen, aufgrund der Möglichkeit, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen ohne Rücksicht auf traditionelle ethische Grenzen befriedigen zu können.

Der erste Leiter und Geschäftsführer des Instituts für Ahnenerbe war Wolfram Sievers. Der SS-Mann war der Verbindungsmann zwischen dem Ahnenerbe und der Großindustrie, die das Amt mit finanziellen Mitteln unterstützen sollte. Durch seine weit reichenden Kontakte zu Banken, Privatfinanziees und einflussreichen Persönlichkeiten des 3. Reiches, konnte Himmler bald über einen beachtlichen Eta verfügen, um seine persönlichen Interessen in wissenschaftliche Kleider zu stecken.
Wolfram Sievers, dem damals 32-jährigen Leiter des Ahnenerbes, wünscht 1943 Filmaufnahmen von Experimenten an ausgesuchten Juden, um deren „Beendung unwerten Lebens im Todeskampf“ dokumentieren zu können. Die Versuche sollen extreme Höhe simulieren und den deutschen Kampfpiloten helfen, mit Extremen umzugehen. Er bittet den Tibet-Kameramann Ernst Krause, einem Expeditionsteilnehmer von 1938/39 um den Gefallen, die Filmaufnahmen zu machen. Ernst Schäfer kann ihn davor bewahren.
Der fanatische SS-Offizier Sievers, der eine steile Karriere in der NS gemacht hat, wird später durch das Gericht der Alliierten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode durch den Strick verurteilt. Er ist somit der einzige Wissenschaftler des Ahnenerbes, der zum Tode verurteilt wird. Die meisten anderen Mitwirkenden des Amtes kommen ungeschoren oder mit wenigen Jahren Freiheitsentzug davon. Sievers jedoch wird gegen Ende 1948 hingerichtet.

Ausgehend von den Theorien der Welteislehre, die von Hanns Hörbiger um 1913 entwickelt wurden, verfolgte das Amt für Ahnenerbe mehr als zwanzig Expeditionsziele auf allen Kontinenten, wie z.B. das Kulturerbe der Indianer, die am Titicacasee leben oder den Tibetern auf dem Dach der Welt. Hörbiger war davon überzeugt, dass das Universum in seiner Genese auf Mutationen von ewigem Eis zurückzuführen sei, die in zahlreichen Mythen (z.B. der Sintflut) beschrieben sind. Nach Hörbiger befindet sich das Universum in einem ständigen Dualismus von Sonnen- und Eisplaneten. Außerdem sei die Erde innen hohl. Die Deutschen werden als die Nachkommen einer höheren, zur Rettung der Menschheit berufenen Rasse, den Atlantern, bzw. den Ariern, beschrieben. Zwar wurden diese Thesen in Fachkreisen als wissenschaftlich nicht haltbar zurückgewiesen, der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, förderte dessen ungeachtet die Welteislehre als zum "nordischen Weltbild" gehörend. Ab 1937 erlangte die Welteislehre daher im Zweig "Wetterkunde" der SS-Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe Einfluss. Dabei sollte insbesondere eine Wirkung des ewigen Welteises auf das Germanentum nachgewiesen werden. Die Atlanter seien über die ganze Erde zerstreut gewesen und durch eine gewaltige Urkatastrophe sei dieses Volk ausgelöscht worden. Die Nachkommen der Überlebenden dieser Rasse hätten sich mit Weitentwickelten Völkern, wie z.B. den aristokratischen Tibetern vermischt.
Das Ahnenerbe war der Meinung, dass man Aufgrund mathematischer Körpermessungen und durch das Anlegen von Rassenstammbäumen nachweisen könne, dass in dieser oder jener Rasse, mehr oder weniger Erbgut der Atlanter zu finden sei. Hierbei sei angemerkt, dass diese Formen der wissenschaftlichen Arbeitens und Forschens nicht eigens für das Ahnenerbe entwickelt wurde, sondern schon weit früher von führenden Wissenschaftlern vor 1930. Die Theorie, dass man anhand der verschiedensten Gesichtszüge Aufschluss auf Charakter und Wesensmerkmale bekommen könne, war bereits Goethe um 1805 bekannt, der den Schädel seines Freundes Friedrich Schiller vermaß, um Rückschlüsse auf seinen Charakter zu gewinnen.
Mit Ausbruch des 2. Weltkrieges änderten sich die Aufgaben des Ahnenerbes, das 1940 seine institutionelle Selbständigkeit verlor und als "Amt A" in die Dienststelle "Persönlicher Stab Reichsführer SS" integriert wurde. Hauptamtliche Mitarbeiter des Amtes beteiligten sich 1939/40 federführend an Kulturraub-Aktionen in Mittel- und Osteuropa. In Tirol werden die gesamten Kulturbräuche und Rituale der dort ansässigen Deutschen, in denen Himmler altes, besonders starkes, germanisches Blut zu erkennen glaubt, systematisch katalogisiert und dokumentiert. Sie sollen den deutschen Panzern und Soldaten nach Russland und in die Ukraine folgen. Himmler sieht nach der Endlösung an den Juden die komplette Umsiedlung der Tiroler Deutschen in die entvölkerten, ehemals jüdischen, Gebiete vor. Außerdem gibt es zwischen Benito Mussolini und Hitler geheime Verträge über ein Aufteilen der ehemaligen jüdischen Siedlungsgebiete in Italien.
In Nordwest-Europa wurde das Ahnenerbe vom Reichsführer SS als Instrument der auswärtigen Kulturpropaganda und Volkstumspolitik der SS eingesetzt: Im sog. "Germanischen Wissenschaftseinsatz" unter Leitung des Ahnenerbe-Abteilungsleiters Hans Ernst Schneider (1909-1999, alias Hans Schwerte) unterstützte das Amt einerseits die Werbung von Freiwilligen für die Waffen-SS in den "germanischen Randländern" (Niederlande, Belgien, Dänemark, Norwegen) und anderseits versuchte es, die Regional-, National- und Autonomiebewegungen in diesen besetzten Gebieten durch gemeinsame kulturelle, wissenschaftliche und propagandistische Arbeitsprojekte an den Nationalsozialismus zu binden und für die deutschen Pläne zur staatlichen Neuordnung Europas nach dem Kriege zu gewinnen.
Das verbrecherischste Kapitel in der Geschichte des Ahnenerbes sind die Menschenversuche der Abteilung "R" - "R" für Sigmund Rascher (1909-1945) - des Ahnenerbe-Instituts für Wehrwissenschaftliche Zweckforschung, die an Häftlingen des Konzentrationslagers Dachau (durch Rascher) und Natzweiler (u.a. durch August Hirt) durchgeführt wurden, zum Teil mit Unterstützung der Wehrmacht.
 
Ich betreibe gerade vor Ort Forschungen über eine Grabung des Ahnenerbes. Kann mir jemand gute Einführungsliteratur zum Ahnenerbe mit den beteiligten Wissenschaftlern und Projekten empfehlen?
 
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