Kurdische Sicht auf die Türkei bzw. das Osmanische Reich

muck

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Bonjour,

kennt sich hier jemand mit der kurdischen Geschichte aus? Zufällig erfuhr ich gerade, zu meinem Erstaunen, dass es zumindest unter militanten Kurden gängig zu sein scheint, türkische Soldaten und andere Vertreter der Staatsmacht als "Römer" zu bezeichnen.

Ich kann mir die Herkunft dieses Brauchs so ausdeuten, dass aus kurdischer Sicht die Macht, die sie unterwarf, aus dem Westen kam – dem damaligen Konstantinopel und aus Rumelien, befohlen von Herrschern, die großen Wert darauf legten, auch Kayseri Rum zu sein, also Kaiser von Rom.

Aber ist diese Deutung zutreffend? Sind im Bewusstsein der historischen und der heutigen Kurden die Osmanen bzw. Türken zunächst einmal "Römer"?

Oder ist das bloß ein historisierender Kampfbegriff, so wie viele Islamisten in der Region von den Europäern und Amerikanern als "Kreuzfahrer" oder "Franken" sprechen?

Merci!
 
Ich denke, das ist ein rein georgraphischer Begriff, der sich von den Rum-Seldschuken ableitet. Die Seldschuken eroberten byzantinisches Gebiet in Anatolien. Die Byzantiner verstanden sich selbst als Römer/Rhomäer, was dann auch in der persischen und arabischen Literatur übernommen wurde. Daher bezeichnete man den Zweig der Seldschuken, der über ehemals byzantinisches Gebiet in Anatolien herrschte als Rum-Seldschuken.
 
Das wäre auch meine Antwort gewesen. Man stelle sich mal einen tlaxcaltekischen Krieger aus dem spanisch-tlaxcaltekischen Koalitionsheer gegen die Azteken (Meschika) vor, der die Gnade(?) hätte, mit einer Zeitmaschine in unsere Gegenwart befördert zu werden, um seine Nachfahren 500 später kennen zu lernen. Der müsste nun erfahren, dass nach 300 Jahren spanischer Kolonialherrschaft seine Nachfahren zu „Mexikanern“ geworden sind. Wie verwirrt der allein deswegen sein müsste.
 
Sehr interessant ist auch der englische Wikipedia-Artikel zu Rum. Der türkische Stammesname und der Eigenbezeichnung von Byzanz sind praktisch gleichlautend. Mit der Doppeldeutigkeit des Wortes wurde jahrhundertelang gespielt.

Als sich Mehmed II. zum Ḳayṣer-i Rūm deklarierte, betonte er dadurch gleichzeitig die Kontinuität zu Byzanz und dem Sultanat der Rum-Seldschuken.

Mondsichel und Stern bildeten zusammen das Stadtwappen von Konstantinopel. Später wurde dies das Wappen der Byzantiner, dann der Osmanen und daran anknüpfend der Republik Türkei.
 
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