Legionen am obergermanischen Limes

Semnon

Neues Mitglied
Hallo zusammen,

ich schreibe gerade ein kleines Theaterstück über das Obergermanien des 3. Jahrhunderts. Der Sinn des Stückes liegt darin, eine Heranführung zur Lokalgeschichte mit philosophischen Gedanken der heutigen Zeit, insbesondere in Bezug auf ethnische Identitäten zu verbinden.

Mein persönlicher Anspruch liegt darin, dass ich als Autor nur die Lücken der Geschichtsschreibung kreativ auffüllen, aber keinen gesicherten Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft widersprechen möchte. Die Antworten müssen also nicht ins letzte Detail wissenschaftlich belegt werden, es handelt sich nicht um eine Erzählung mit detailliertem wissenschaftlichem Anspruch, aber sie sollten einigermaßen realistische Schätzungen widerspiegeln.

In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, wie viele Legionen etwa um das Jahr 280 herum am obergermanischen Limes stationiert waren und ob es im Vorfeld, im Zuge der Kriege gegen die Perser zu einer Truppenreduzierung in Obergermanien gekommen ist.

Ich danke allen nachfolgenden Schreibern schon im Voraus für ihre Mühe.

MfG, Semnon

P.S. Auf Wikipedia wird außerdem im Artikel über die Alemannen berichtet, dass eine These diskutiert würde, wonach im sog. "Dekumatland" (etwa die Südwesthälfte des heutigen Baden-Württembergs) von Rom gezielt romfreundliche Alemannen angesiedelt worden seien. Ich wollte mal nachhaken, wie plausibel diese These den Forumsmitgliedern erscheint.

Falls außerdem noch jemand etwas Weiteres über den anonymen Statthalter Obergermaniens zwischen 270-280 n. Chr. weiß, wäre ich auch an diesen Informationen recht interessiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu den Truppen am Limes. Im Zuge der massiven Bürgerkriege gerade in der Zeit des Gallienus und der Etablierung des Gallischen Sonderreiches wurden so massiv Truppen vom Limes abgezogen, dass man von einer wirklichen Besetzung der Grenze eigentlich kaum noch sprechen kann. So war es ca. 260 n. Chr. den Germanen fast problemlos möglich, den Limes zu überwinden. Um 280 n. Chr. kann also von einer römischen Besatzung am Limes nicht mehr die Rede sein.

Außerdem waren am Limes keine Legionen stationiert, sondern Hilfstruppen. Die Legionen lagen im Hinterland in den großen Lagern (ich denke, auch noch in dieser Zeit, aber da bin ich jetzt gerade nicht ganz sicher), also in Xanten, Mainz, Straßburg, Regensburg.

Zu den Alamannen im Dekumatland gibt es eine gute Quelle aus der Mitte des 4. Jh. (Ammianus Marcellinus), der berichtet, dass während der dort stattfindenden Bürgerkriege unter den Söhnen Konstantins und deren Konkurrenten ein Machthaber den Einfall von Germanen/Alamannen in den Machtbereich des Gegners förderten, um diesen gezielt zu schwächen. Die Alamannen ließen sich aber nicht so ganz steuern, sondern plünderten dann alles im Bereich des Ereichbaren. In diesen Zusammenhang fällt z.B. eine Zerstörung des Kastells Kaiseraugst bei Basel und vielleicht die Vergrabung des berühmten Silberschatzes von Augst.

Und zu den Statthaltern. Wenn da jemand etwas wissen würde, dann wären die Leute nicht anonym. Es wäre eher überraschend, dass hier im Forum jemand Statthalter kennt, die in der Forschung anonym sind. ..
 
Ganz so düster sieht es nicht aus tela. In der Tat kennen wir eine ganze Reihe von Statthaltern. Verdient hat sich da der mittlerweile emeritierte Prof. Eck.
Dazu sind von ihm erschienen:
Die Statthalter der germanischen Provinzen vom 1. - 3. Jahrhundert, Köln 1985

sowie sein Vortrag
Roms Statthalter am Rhein, Repräsentanten römischer Macht von 1984

Auch was die Stationierung der Truppen angeht siehts nicht gar so düsterlich aus, auch wenn der Eindruck leicht entstehen kann. So wissen wir von der Legio XXII die fast ihre gesamte nachweisbare Zeit in Mainz verbrachte, dass sie noch in den 30ern. des 3. Jh.n.Chr. in Mainz lag, und just ihr Kommandeur ist der berühmte Laelianus, der Postumus zu fall brachte, weil dieser die Stadt seiner Legion, und das ist hier wieder Mainz, belagerte aber nicht plündern ließ. Diese Episode soll sich 269 / 270 abgespielt haben.

Wie man sieht weiß man also doch das ein oder andere mehr.
 
Klar. Ich hab ja gar nicht abgestritten, dass wir vieles kennen, gerade auch die Truppenbelegungen. Die sind ja auch für den Limes in großer Zahl vorhanden, welche Einheiten wann wo wie gedient haben. Und genauso für die Legionsgeschichten.

Zu den Truppengeschichten könnte ein Blick in die RE auch von Interesse sein. Auch wenn das Ding ja schon älter ist, dürfte es durchaus noch relativ aktuell sein, also nur durch neuere Funde im Detail korrigiert sein.

Aber wenn der Fragesteller schreibt, dass die Statthalter zwischen 270 und 280 anonym, also nicht bekannt sind, dann gehe ich einfach auch davon aus, dass die auch Eck nicht kennen wird. Und wenn der sie nicht kennt, dann eben wohl auch niemand hier im Forum, weil es über diese Zeit einfach keine Nachrichten über die Statthalter gibt.
 
Da hast du natürlich absolut recht. Geschuldet dem schludrigen drüberlesen meinerseits habe ich weder auf das 280 geachtet, noch auf die Forumlierung rund ums "anonym". Ob diese 10 Jahre wirklich anonym vergangen sind weiß ich gerade nicht zu sagen, werde aber bei Gelegenheit mal bei Eck nachschlagen.
 
Was die gezielte Ansiedlung romfreundlicher Alamannen betrifft kann man wohl getrost skeptisch sein, auch wenn dergleichen damals durchaus als Vorfeldsicherung des Reiches üblich und erwünscht war! Rom hatte infolge der inneren Unruhen, wie der Bildung des Sonderreiches in Gallien, wohl kaum die Kraft derartige Ansiedlungen wie gewöhnlich zu lenken. Dazu kommt der Interessengegensatz zwischen dem Sonderreich und den "Romtreuen Provinzen". So soll etwa Raetien kurzzeitig durchaus dem Sonderreich angehört haben.... Bei derartigen Schwerpunktverlagerungen einer römischen Politik, denn das Sonderreich sehe ich in diesem Kontext durchaus als römisch an, liegen die Probleme auf der Hand. Dazu war die militärische Macht Roms an den Grenzen ebenfalls durch die inneren Unruhen geschwächt, was eine langfristige und effektive Lenkung einer Ansiedlung weiter erschwert haben wird.

Telas Verweis auf die Überlieferungen des Ammianus Marcellinus Generationen später lassen erahnen, zu welch selbstständigen und souveränen Handlungen fremde Gentes bei innerrömischen Zwisten fähig waren. Sicherlich war die Ethnogese der Alamannen zu Ammians Zeiten schon gefestigt, während inzwischen davon ausgegangen wird, dass diese Ethnogese erst nach der Einwanderung im Decumatland im Wesentlichen stattgefunden hat. Ohnehin ging Roms Herrschaft zwischen Rhein und Limes eher lautlos zu Ende, was die Nachrichten darüber betrifft.
 
@Tela

"Aber wenn der Fragesteller schreibt, dass die Statthalter zwischen 270 und 280 anonym, also nicht bekannt sind, dann gehe ich einfach auch davon aus, dass die auch Eck nicht kennen wird. Und wenn der sie nicht kennt, dann eben wohl auch niemand hier im Forum, weil es über diese Zeit einfach keine Nachrichten über die Statthalter gibt.
Ich bin im Internet auf den Hinweis gestoßen, dass es ein einzelner Statthalter war, der Präses von Obergermanien zwischen 270-280 war und 274 das Amt des Statthalters erlangen konnte, dieser aber anonym sei.
Die zugehörige Quelle ist:
Der Kaiser Marcus Aurelius Probus ... - Google Buchsuche
(steht unter "Germania superior")

Und daher wären schon nähere Informationen über diesen namentlich nicht bekannten Herrn denkbar, etwa, dass es ein Dokument gibt, in dem steht: "der Statthalter von Obergermanien ließ 278 den X und den Y töten." Auch wenn der Name des Menschen nicht bekannt ist, wären ja Informationen möglich, die Rückschlüsse auf seine Fähigkeiten, Charakter oder sein Alter zulassen würden.

Was mich in Bezug auf Obergermanien als faktisch weitgehend aufgegebene Provinz auch interessieren würde: Wurden hier in das Grenzgebiet eher besonders fähige Offiziere hingeschickt oder eher die unfähigen Typen, die man aus personaltaktischen Gründen mit irgendeinem Amt versorgen musste?

@ Tejason

Ein Zusammenhang, in dem ich mir eine romfreundliche Steuerung der Siedlungspolitik vorstellen könnte, findet sich im Wikipedia-Artikel über Kaiser Propbus. Dort heißt es:
Er (Probus) besiegte sie und nahm ihren Anführer Semnon gefangen, dem er aber die Freiheit schenkte. Im Gegenzug mussten sie wie auch die Franken in ihre Heimat zurückkehren, ihre Beute abgeben und die gefangenen Römer ausliefern.
Dabei dürfte es sich dem Kontext des Artikels nach, um ein Geschehen zwischen 277-279 n. Chr. handeln.
Wenn nun ein römischer Kaiser einen Anführer der Alemannen besiegt und ihn freilässt, dann wäre es gar nicht so undenkbar, dass dieser bzw. seine Gefolgschaft als Gegenreaktion auf die durchaus noble Geste zu einer romfreundlicheren Politik umschwenkten. Und da Rom zumindest in unmittelbarer Nähe zum "nassen Limes" noch durchaus schlagfähig war und 288 n.Chr. ja auch eine Offensive von Rätien aus gegen das angrenzende Germanien durchführte. Wenn wir annehmen, dass es (z.B. aufgrund der noblen Geste gegenüber Semnon) durchaus romfreundliche Alemannen gab, dann könnte die Offensive von 288, eine Reaktion auf einen germanischen Vorstoß von 285 durchaus den Sinn einer Lenkung der Besiedlung im Decumatland gehabt haben.

Mein bisheriges Bild der Lage baut übrigens auf der Zeittafel folgender Seite auf:
Zeittafel zur Geschichte der Alemannen
Der Zeittafel zufolge scheint es nach 298 n. Chr. erstmal eine Verschnaufpause an der römisch-alemannischen Grenze gegeben zu haben. Die zuvor erfolgten Kämpfe weisen römische Siege auf, die nicht in einer Rückeroberung des Decumatlandes münden. Dies könnte man meiner bisherigen Ansicht nach durchaus als Indiz dafür deuten, dass die Alemannen vor Ort nicht pauschal als Feinde Roms wahrgenommen wurden, sondern eine Stärkung romfreundlicherer Parteien in den verlorenen Gebieten bzw. eine selektive Bestrafung romfeindlicher Parteien angestrebt wurde.
 
Die Frage zwingt mich dazu etwas weiter auszuholen ohne eine gefestigte Antwort zu geben.

Zur Zeit der römischen Eroberung und der Errichtung des Limes stellten sich für Rom ähnliche Grenzprobleme, wie später nach Aufgabe der Länder östlich des Rheines. Wie hatte damals die Politik ausgesehen?

Die Römer hielten gerne unliebsame Grenzvölker von ihren Grenzen fern, drängten etwa die Markomannen nach Böhmen ab. Rom beanspruchte vor der Grenze meist ein (bevölkerungs)freies, militärisches nutzbares/sicheres Vorfeld, was durch vereinzelte, privilegiert angesiedelte Einheimische mit romfreundlicher Einstellung, zusätzlich abgesichert wurde. Dies entspräche einem römischen „Idealzustand“ in der frühen und hohen Kaiserzeit.

Eine solche Politik setzte ein deutliches römisches Übergewicht voraus. Dies war aber bei Aufgabe des Limes nicht länger generell gegeben. Die Aufgabe des Limes verlief ohnehin wohl nicht besonders kontrolliert, immerhin war ein fruchtbarer Teil des Reichsgebietes damit verloren gegangen! Also waren die Vorzeichen nun Andere geworden.
Rom hatte nicht mehr die Kraft eine Ansiedlung im Rechtsrheinischen kontrolliert durchzuführen. Das im Kontext mit Kaiser Probus genannte Beispiel einer „Verschonung gegen Wohlverhalten“ mag man also als einen Versuch aktiver Gestaltung interpretieren, doch wirkt dies nach den von mir oben erwähnten Sicherungsmaßnahmen im Vorfeld des Limes eher kraftlos. Rom schlägt einen Angriff zurück, erhält die Beute der Germanen zurück und akzeptiert im Gegenzug für die Verschonung den Status Quo. Vermutlich im Rahmen eines Vertrages mit den Alamannen in dem weiteres geregelt wurde. Rom hat Verträge dieser Art in der Folge noch oft abgeschlossen, doch ist dies in meinen Augen ein Abfinden mit der Realität und wenig Gestaltung. Zu wenig um Rom eine Art von „Geburtshilfe bei der Entstehung der Alamannen“ zuzubilligen.

Interessanter ist m.E. die Frage, inwieweit die ehemals römische Bevölkerung zwischen Limes und der neuen, nassen Grenze das Land zusammen mit den Truppen verlassen hatte. Rom besaß noch genug Land in Gallien um Siedlern ein Auskommen zu ermöglichen. Also wie viel Vorbevölkerung trafen die Landnehmenden Alamannen an? Gerne werden als Kerne für die Landnahme der späteren Alamannen Kriegerbünde angenommen. Dann fällt eine Vorbevölkerung im „Neuland“ besonders ins Gewicht, denn immerhin entstand das alamannische Volk wohl erst auf dem ehemaligen Boden des Römischen Reiches! Vor diesem Hintergrund können die vielen Berichte, in welchen Römer sich über die Verschleppung von Bürgern bei Plünderungszügen der Alamannen auslassen, einen entsprechenden Hintergrund haben! Wenn Rom aber kontrolliert Barbaren im ehemaligen Reichsgebiet angesiedelt hätte, dann würde es eher einen entsprechenden Foedus mit einem Volk abgeschlossen haben, das eben nicht diesen Menschenhunger an den Tag gelegt hätte (hätte legen müssen?).
 
Zurück
Oben