Gregor & die Legitimationsfrage der Merowinger
Gregor von Tours schreibt "..inzwischen aber verbreitete sich in diesen Gegenden der Ruf von der furchtbaren Macht der Franken und alle wünschten sehnlichst unter ihrer Herrschaft zu stehen..." (II.23), " Viele wünschten sich damals von ganzem Herzen die Franken zu Herren zu haben." (II.35)
Zu Chlodwigs Lebzeiten scheint eine sakrale oder Ahnenlegitimation nicht nötig gewesen zu sein. Ich deute G.´s Zitat so, daß viele vom stärksten regiert werden wollten.
zur Abstammung noch, Gregor bemüht sich einen frühen fränkischen König zu finden, legt sich aber nicht fest (II. 8-10; wörtliches Zitat hatte ich mir nicht rausgeschrieben)
Es wurde eingewendet, daß man Gregor in diesem Falle nicht trauen könne. Tatsächlich machte mich dieser Einwand etwas stutzig, weil meiner Ansicht nach Gregor von Tours ein höchst zuverlässiger Chronist war, der sehr klar zwischen Hörensagen, Wissen und Erfahrung unterschieden kann; aber ich hielt den Einwand zunächst für den Zusammenhang vertretbar.
Angesichts der Unstimmigkeiten im hiesigen Diskurs, habe ich mir mehr oder weniger Mühe gegeben, die angegebenen Stellen selbst nachzulesen. Beide zitierten Passagen bezüglich des Wunsches nach fränkischer Oberherrschaft stehen im Zusammenhang mit bischöflichen Angelegenheiten:
II 23 […] Inzwischen aber verbreitete sich schon überall in diesen Gegenden der Ruf der furchtbaren Franken, und alle wünschten sehnlichst unter ihrer Herrschaft zu stehen; deshalb hegten auch die Burgunder gegen den heiligen Aprunculus, der Bischof von Langres war, Verdacht. [...] Er konnte aber nach Clermont entfliehen.
II 35 Viele wünschten schon damals in allen gallischen Landen von ganzem Herzen, die Franken zu Herren zu haben.
II 36 So kam es, daß auch der Bischof von Rodez Quintianus um dieser Sache willen aus seiner Stadt vertrieben wurde.Man warf ihm nämlich vor, 'Du wünschest, daß die Franken dieses Land besitzen und darin herrschen.' Und wenige Tage danach erhob sich ein Streit zwischen ihm und den Bürgern der Stadt, und auch die Goten, die in der Stadt wohnten , schöpften Verdacht [...] Auch er konnte nach Clermont entkommen und dem Tod durch das Schwert entgehen.
Daraus wird ersichtlich, daß mit den Leuten, die also diesen Wunsch nach der fränkischen Oberherrschaft gemäß Gregor artikuliert haben sollten, eigentlich nur seine Standesgenossen, Angehörige des höheren Klerus, gemeint sein können. Das also als Hintergrund für die Entscheidung, ob die Idee eines Sakralkönigtums der Merowinger ersetzt werden kann durch militärische Vormacht.
Die Verdacht jedenfalls, daß Gregors universalhistorisch angelegtes Opus eine Art staatstheologische Legitimation darstellt, liegt nahe. Die Verdacht jedenfalls, daß Gregors universalhistorisch angelegtes Opus eine Art staatstheologische Legitimation darstellt, liegt nahe.
Daß er allerdings ebenso die origio regum der Merowingerdynastie tradiert, ist aber auch ein Anzeichen für seine Anerkennung ihres Geblütsrechts.
Als Realpolitischer bleibt ferner zu beachten, was sicherlich im Thread schon erwähnt wurde, nämlich die nominelle Anerkennung der fränkischen Herrschaft in Teilen Galliens seitens Konstantinopels: „Als 476 Odoaker, Sohn des Skirenfürsten und römischer Offizier, Kaiser Romulus Augustulus absetzte, hatte im Westen das Amt des Kaisers schon lange seine Bedeutung verloren, da es fast vollständig unter der Kontrolle barbarischer Könige stand, deren reale Machtfülle durch die römischen Titel, die ihnen die oströmischen Kaiser verliehen, unterstrichen wurde.“ (P. Geary,
Die Merowinger, 2004/2. Aufl., S.23)