Luftkrieg: Flächenbombardements der Roten Armee?

saxo

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Wenn man von Bombardements auf deutsche Städte list, dann sind es immer britische oder amerikanische Bomber gewesen. Selbst bis weit in den Osten Deutschlands hinein. Nun meine Fragen:
Gab es sowjetische Flächenbombardements?
Wenn ja, im Zusammenhang mit Vorbereitungen zum Sturm oder eher "wahllos" irgendwo in Deutschland? Welche Städte sind bekannt, die durch sowjerische Bombardierung schwer zerstört wurden? Gab es eine Westgrenze dieser Bombenziele?
Wenn nein, warum nicht? Gab es keine Bomberflotte? Gehörte Bombenkrieg nicht zur traditionellen Kriegsführung? Waren die Entfernungen zu groß oder die Ziele zu unbedeutend?
Ich meine wirklich Bombardierungen, keinen Artilleriebeschuß.
 
Die Sowjetunion versuchte einen strategischen Luftkrieg gegen Deutschland zu führen.
Auch die Sowjets bombardierten Städte. Stalin bat Churchill wiederholt seinen Dank für dei Zerstörung deutscher Städte und Arbeiterviertel zu übermitteln und zeigte sich sehr interessiert an Luftaufnahmen von verwüsteten deutschen Wohngebieten.

Es waren vor allem zwei Gründe ganz sachlicher Art, die einer anhaltenden strategischen Bomberoffensive der Roten Armee im Wege standen. Es fehlte an den nötigen modernen Großbombern (die Bomberprduktion wurde weitgehend zugunsten der Fertigung taktischer Flugzeuge eingestellt), an der Ausrüstung und an für den Fernluftkrieg entsprechend ausgebildeten Besatzungen. Darüber hinaus mußten auch die sowjetischen Lufttheoretiker zur Kenntnis nehmen, das die Sowjetunion in erster Linie eine Landmacht mit langen Grenzen war und deshalb auf eine enge Zusammenarbeit mit den Landstreitkräften festgelegt war.

Als Antwort auf die deutschen Luftangriffe auf Moskau, die in der nacht vom 21./22:juli begannen, flogen sowjetische Marinebomber in der Zeit vom 07./08.August bis 03./04.September 1941 insgesamt sieben Nachtangriffe von der Insel Ösel vornehmlich auf Berlin und warfen dabei mehr als 30t Bomben auch auf Orte in Nordeutshland.

Ab März 1943 wurden im Rücken der Wehrmacht der Eisenbahnverkehr mit über 10 000 eingesetzten Flugzeugen bombardiert. Dazu wurden im April in Ostpreußen Bombenangriffen auf rüstungs- und Verwaltungsbezirke geführt, wobei 920 Flugzeuge 700 t Bomben abwarfen, darunter auf Königsberg eine 5000 kg Bombe, die schwerste russische des Krieges. Über 100 weitere Angriffe galten 1943 anderen strategischen Objekten. Es sollte auch die Illusion des sicheren Luftschutzkellers im Osten Deutschlands zerstören. (Quelle: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg 7)

Grüße
Amicus
 
Dass die Sowjets nicht wie die Briten und Amerikaner einen strategischen Bombenkrieg geführt haben, hat auch politische Gründe. Die Briten und Amerikaner haben auf den Bombenkrieg gesetzt, um ihre eigene Bevölkerung zu schonen und die Zahl der Kriegstoten in den eigenen Reihen möglichst gering zu halten. Das hat ganz wesentlich damit zu tun, dass England und die USA demokratisch verfasst sind. Jeder tote Soldat hinterlässt Familie und Freunde, und die überlegen sich natürlich genau, ob sie Politiker (wieder)wählen sollen, die ihre Söhne, Ehemänner oder Freunde als Kanonenfutter verheizen.
In der Wissenschaft werden die modernen westlichen Gesellschaften außerdem als "postheroisch" bezeichnet. Das bedeutet, dass Werte wie Kampfgeist, Opferbereitschaft und Ehre in diesen Gesellschaften keine wichtige Rolle mehr spielen. Dementsprechend zeigt eine postheroische Bevölkerung keine große Lust, aktiv an einem Krieg teilzunehmen. (Deshalb investieren auch die heutigen Gesellschaften des Westens Milliardenbeträge in Cruise Missiles und Tarnkappenbomber, mit denen man den Gegener aus der Distanz bekämpfen kann.)
Ganz anders verhält es sich bei den Sowjets. Inwieweit in der russischen Bevölkerung seinerzeit heroische oder postheroische Mentalitäten verbreitet waren, lässt sich natürlich schwer sagen. Aber dadurch, dass Russland eine totalitäre Diktatur war, bestand für Stalin schlicht nicht die Notwendigkeit, einen teuren strategischen Bombenkrieg zu etablieren. Stalin musste sich nicht zur Wahl stellen und sich von seiner Bevölkerung legitimieren lassen. Dementsprechend musste er keine große Rücksicht auf die Befindlichkeit seines Volkes nehmen und konnte Millionen Rotarmisten ins Feuer schicken, ohne dafür die politischen Kosten tragen zu müssen.
 
Hallo Wale,

die britische Konzeption eines strategischen Bombenkrieges mit Flächenbombardements geht m.W. auf Vorkriegsüberlegungen der 30er Jahre zurück, die wiederum (mit ersten Ansätzen bereits seit 1918) auf Erfahrungen des I. Weltkrieges beruhen. Die Zielsetzung dieser ersten Überlegungen waren die Vermeidung des Graben- und Stellungskrieges. Man wollte die Moral, Arbeitskraft und Produktionsleistung des Kriegsgegners treffen, in der Annahme, im Landkrieg keine Entscheidung mehr erzwingen zu können.

Dementsprechend wurde der Auftrag für den Aufbau der strategischen Bomberflotte erteilt. Die britische Bomberflotte war bei Kriegsbeginn allenfalls zu taktischen Unterstützungsleistungen in der Lage, Anzahl und geeignete Typen für den strategischen Luftkrieg fehlten.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass in den ersten Jahren des Krieges die Luftangriffe für Großbritannien eine Möglichkeit darstellten, Deutschland überhaupt anzugreifen. Zum Teil hatte das in den Anfänge kaum mehr als symbolische Wirkung, man denke an den Luftangriff auf Berlin während des Molotow-Besuches im Nov.40, wo sich die Herren zeitweilig wohl in den Luftschutzbunker begaben.

Grüße
Thomas
 
Dass die Sowjets nicht wie die Briten und Amerikaner einen strategischen Bombenkrieg geführt haben, hat auch politische Gründe..


Also ich bin ganz sicher: Wenn die Sowjets eine nennenswerte Bomberflotte gehabt hätten, dann hätten sie sie auch gegen Deutschland eingesetzt. Politisch-ideologische Gründe hin oder her, es ging schließlich um den Sieg!
 
Also ich bin ganz sicher: Wenn die Sowjets eine nennenswerte Bomberflotte gehabt hätten, dann hätten sie sie auch gegen Deutschland eingesetzt. Politisch-ideologische Gründe hin oder her, es ging schließlich um den Sieg!

Kann man vermutlich schon so sehen.
Die Russen brauchten ihre Luftwaffe als fliegende Artillerie, wie die Deutschen.

Abgesehen davon, es hätte ja auch keinen Sinn gemacht. Den Westalliierten sind ja irgendwann die Ziele auch ausgegangen.

Grüße Repo
 
Hallo Wale,

die britische Konzeption eines strategischen Bombenkrieges mit Flächenbombardements geht m.W. auf Vorkriegsüberlegungen der 30er Jahre zurück, die wiederum (mit ersten Ansätzen bereits seit 1918) auf Erfahrungen des I. Weltkrieges beruhen. Die Zielsetzung dieser ersten Überlegungen waren die Vermeidung des Graben- und Stellungskrieges. Man wollte die Moral, Arbeitskraft und Produktionsleistung des Kriegsgegners treffen, in der Annahme, im Landkrieg keine Entscheidung mehr erzwingen zu können.
Ja, die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges haben bei der Ausbildung einer postheroischen Mentalität und bei der Konzeption des strategischen Bombenkriegs sicher eine große Rolle gespielt. Nach den Blutorgien an der Somme und in Verdun war es den freien Völkern des Westens wohl kaum zu vermitteln, dass gegen Hitler ein ähnlich schwerer Krieg bevorstand. Nicht umsonst gibt es zu Beginn des 2. Weltkrieges keine Jubelbilder wie 1914.
Offenbar (und verständlicherweise) ist die Opferbereitschaft der Bevölkerung nach dem Schock des 1. Weltkrieges erheblich zurückgegangen. Das ist ja ein Trend, der sich fortgesetzt hat. Im jüngsten Irak-Krieg sind insgesamt so viele US-Soldaten ums Leben gekommen wie in einer Weltkriegsschlacht vielleicht in ein oder zwei Stunden. Trotzdem erwächst dadurch ein ganz erheblicher Druck auf die amerikanische Regierung in Sachen Truppenabzug.
Heute wie damals schon besteht und bestand die Reaktion der demokratischen Regierungen darin, technisch aufzurüsten und strategisch umzudenken, sodass die eigene Bevölkerung möglichst geschont wird. Geschaffen wird so eine asymmetische technische Überlegenheit gegenüber dem Gegener. Für demokratische/postheroische Gesellschaften ist das anscheinend die einzige Möglichkeit, kriegsführungsfähig zu bleiben, wenn die Bevölkerung nicht mehr in Massen ins Feld ziehen will.

Wale
 
Offenbar (und verständlicherweise) ist die Opferbereitschaft der Bevölkerung nach dem Schock des 1. Weltkrieges erheblich zurückgegangen.

Hallo Wale,

läßt sich das vor dem Hintergrund der Leiden der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg wirklich sagen? Wobei nicht von ...bereitschaft geredet werden kann, besser wäre wohl "ertragen".

Grüße
Thomas
 
Naja, die ausgebombte Bevölkerung wird ja nicht gefragt, ob sie sich ausbomben lassen möchte. Wenn ich hier von abnehmender Opferbereitschaft spreche, dann meine ich den Willen der Bevölkerung, aktiv in den Kampf zu gehen, um zu töten und sich ggf. auch selbst töten zu lassen.
Dass die Technisierung des Krieges durch die asymmetrisch überlegene Seite, z.B. in Form des strategischen Bombenkrieges, auf der Gegenseite großes Leiden verursacht, dürfte den Machern durchaus bewusst sein. Umgekehrt können diejenigen, die den strategischen Bombenkrieg einsetzen, dadurch ihre eigenen Opferzahlen minimieren. Soweit ich weiß, ist z.B. im Kosovo-Krieg gegen Serbien kein einziger Nato-Soldat bei den Kampfhandlungen ums Leben gekommen.

Die Opfer des Bombenkrieges sind da zunächst mal in einer ziemlich wehrlosen Lage. Schließlich ist der Angreifer tendenziell unerreichbar und der Angriff kann konventionell kaum ausgekontert werden.
Die Handlungsoption der Angegriffenen besteht in dem Fall in einer Asymmetrierung von unten, dh. es werden Kampfformen etabliert, in denen es keine direkte KOnfrontation der militärischen Kräfte mehr gibt: Partisanenkriegführung, Guerillataktik und Terrorismus.
Wale
 
Ganz anders verhält es sich bei den Sowjets. Inwieweit in der russischen Bevölkerung seinerzeit heroische oder postheroische Mentalitäten verbreitet waren, lässt sich natürlich schwer sagen. Aber dadurch, dass Russland eine totalitäre Diktatur war, bestand für Stalin schlicht nicht die Notwendigkeit, einen teuren strategischen Bombenkrieg zu etablieren. Stalin musste sich nicht zur Wahl stellen und sich von seiner Bevölkerung legitimieren lassen. Dementsprechend musste er keine große Rücksicht auf die Befindlichkeit seines Volkes nehmen und konnte Millionen Rotarmisten ins Feuer schicken, ohne dafür die politischen Kosten tragen zu müssen.
Natürlich bestand seinerzeits beim Einmarsch der deutschen Truppen so etwas wie heroische Mentalität. Hitler hatte den Nichtangriffspakt gebrochen und somit die Russen heraus gefordert. Der Patriotismus foderte das von den russischen Bürgern. Als allerdings unendliche viele Russen dafür mit dem Leben bezahlten, rückte der Patriotismus in weite Ferne. Für Stalin waren die Soldaten tatsächlich nur Kanonenfutter und ihm war jedes mittel recht diesen Krieg zu gewinnen. Ich denke das er, wenn er diese Möglichkeit gehabt hätte, den Krieg mit Bomben aus der Luft geführt hätte.
 
Hallo,

ohne Beteiligung der Roten Armee, aber mit logistischer Unterstützung wurde das sog. shuttle bombing versucht.

Am 21.06.44 haben 163 B-17 und die begleitenden P-51 die Raffinerie Schwarzheide angegriffen, und landeten dann in der Ukraine, die B-17 in Poltawa und Mirgorod, die P-51 in Pirjatjin. Die Bomber in Poltawa wurden dann Ziele eines Gegenschlages deutscher Kampfflugzeuge, so dass die Aktion nicht wiederholt wurde.

Das Krieg im Osten wurde von beiden Diktatoren mit allen verfügbaren Mitteln geführt. Wieso sollte das den Bombenkrieg ausschließen, wenn die Möglichkeiten verfügbar gewesen wären (was bei der russischen Luftwaffe - die auf die taktische Unterstützung der Armee ausgerichtet und gegliedert war - nicht der Fall war) ?

Grüße
Thomas
 
Grundsätzlich muss gesagt werden, das der Luftkrieg von allen Beteiligten, unabhängig vom politischen System, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geführt wurde. Die unterschiedlichen Luftkriegsdoktrien entschieden aber darüber ob massenhafte Flächenbombadements geplant und durchgeführt wurden oder nicht. Schon während des ersten Weltkrieges entwichelte sich in Großbritanien, unter maßgeblichen Einfluß des Chief of Air Staff, Lord Trenchard, die Theorie heraus, nach der die moralische Wirkung strategischer Bombadements ungleich höher zu bewerten sei wie die materielle. In den 1920er und 1930er-Jahren schlossen sich auch die führenden Vertreten des italienischen und französischen Generalstabes dieser Theorie an. Von Anfang des Krieges an, spielte das "Moral Bombing" eine zentrale Rolle bei den Überlegungen der Royal Airforce. Die von der deutschen Luftwaffe aufgezwungene "Luftschlacht um England" verhinderte ein frühes umsetzen dieser Strategie. Die amerikanische Doktrin setzte andere Schwerpunkte. Ziel der amerikanischen Doktrin war es ebenfalls, wichtige zivile Bereiche im Land des Feindes auszuschalten, allerdings mit der Zielsetzung, das wirtschaftlich-industrielle Netz des Gegners zu zerschlagen und nicht die Zivilbevölkerung zu demoralisieren. Die bekannte, ungenügende Präzision der Navigations- und Bombenzielgeräte, besonders in der Nacht, und die damit verbundenen Opfer unter der Zivilbevölkerung, wurden aber billigend in Kauf genommen. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs führten diese unterschiedlichen Doktrien immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Verbündeten.
Die Deutschen (vorallem ab 1936 unter dem neuen Generalstabechef der LW, Kesselring) und Sowjets verfolgten eine andere Doktrin. Ihnen ging es um die Erlangung der Luftüberlegenheit, die Unterstützung des Heeres und der Marine sowie die Bekämpfung der Kraftquellen des Feindes (auch hier wurden Opfer unter der Zivilbevölkerung billigend in Kauf genommen), wobei den beiden ersten Zielen, allein aus geostrategischen Gesichtspunkten, das Hauptaugenmerk galt.
Aus diesen unterschiedlichen Doktrien läßt sich nun sehr gut ableiten, warum die sowj. Luftstreitkräfte kaum Flächenbombardements durchführten. Der Schwerpunkt in der Entwicklung und im Bau von Flugzeugen wurde, entsprechend der eigenen Doktrien, nicht auf strategische Bomber gesetzt, sondern auf taktische Bomber, Jagdbomber und Jagdflugzeuge.
Mit abstrichen wurden die vor dem Krieg in den jeweiligen Ländern entwickelten Doktrien, auch während des Krieges weiter verfolgt. Allerdings kam es im Kriegsverlauf zu einer deutlichen Verschärfung, was dazu führte, das auch von der deutschen Luftwaffe und die USAF das "Moral Bombing" angewand wurde.
 
Als Antwort auf die deutschen Luftangriffe auf Moskau, die in der nacht vom 21./22:juli begannen, flogen sowjetische Marinebomber in der Zeit vom 07./08.August bis 03./04.September 1941 insgesamt sieben Nachtangriffe von der Insel Ösel vornehmlich auf Berlin und warfen dabei mehr als 30t Bomben auch auf Orte in Nordeutshland.

Grüße
Amicus

Die Bomberstaffel der Roten Armee befand sich mit der Insel Ösel (Saaremaa)auf annektiertem Gebiet (Estland).
Neben Berlin wurde auf der Route entlang der Ostsee auch Kolberg, Stettin, Neubrandenburg und Oranienburg bombardiert. Allerdings sind diese Bombardements in nichts mit den Flächenbombardements der Briten zu vergleichen. Zumal im September 1941 höchste Zeit war, von Ösel zu verschwinden, weil die Deutsche Wehrmacht anrückte.
Diese angesprochene Aktion 1941 war eine strategisch-taktische Maßnahme um die Rüstungsindustrie gezielt zu treffen (Neubrandenburg besaß/besitzt einen Militärflughafen, Torpedoversuchsstation, Rüstungswerke en gros im Norden und Süden der Stadt).
Das Equipment ganze Städte wahllos von vorn bis hinten in Schutt und Asche zu verwandeln, hatte die Rote Armee 1941 wie auch 1945 nicht.
 
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