Männer (und Frauen) machen Geschichte

Ich habe mir eben einen Artikel von Wood zu einem anderen Thema durchgelesen, in einer amerikanischen Zeitschrift für Populärwissenschaft (Popular Science Monthly 84, April 1914): The racial origin of usccesful Americans. Er unterteilt dort - anhand ihrer Nachnamen - erfolgreiche Amerikaner des Jahres 1912/13 aus dem Who is Who in America ein ihre "rassische" Herkunft (Engländer, Schotten, Iren und Deutsche bzw. Juden) und zieht aus dem Who is who in America die Schlussfolgerung, dass die Angelsachsen allen anderen "Rassen" überlegen seien*. Dem Melting Pot erteilt er eine Absage, weil dieser nur das Blut verschlechtern würde.** Wood steht damit voll im rassistischen Kurs jener Zeit, aber der Text spiegelt doch seine Denkweise recht gut wieder. Was man in diesem Artikel lesen kann, unterscheidet sich nicht großartig von dem, was Hitler in Mein Kampf schreibt. Nein - das ist weder eine reductio ad Hitlerum noch fulfilling Godwin's Law. Nun muss man sich das Buch über die Monarchen mal genau und gesondert ansehen, aber bei Wikisource sind auch einige Artikel von Wood (ebenfalls in Popular Science Monthly (61 - 63, 1902/3) abgedruckt, die sich mit Mental and Moral Heredity in Royalty befassen (9 Artikel unter diesem Titel) sowie The Correlation Between Mental and Moral Qualities. Es ist wohl zu unterstellen, dass in diesen 10 Artikeln bereits umrissen ist, was Wood dann zehn Jahre später in Buchform veröffentlicht.



*The truth of the matter is that all the stocks that have come into America in recent years since 1830 have been very inferior to those already here in the seventeenth and eighteenth centuries; and in general they have been getting worse and worse. There have been a few notable exceptions, but broadly speaking all our very capable men of the present day have been engendered from the Anglo-Saxon element already here before the beginning of the nineteenth century.
**We have heard a great deal about the Melting-Pot, but no one as far as I know has brought forward any proof that there is a Melting-Pot in true biological sense, i, e., that there is any genuine mingling of blood sufficient to overcome the natural tendency that all species and varieties have to grow apart and become more dissimilar in course of time. If there had been a thorough mingling of the races in this country, there would have already been a decline in natural ability, but the tendency of like to mate with like, the natural tendency of the most successful to mate among themselves, works in the opposite direction.
 
Woods hat wohl geschaut, ob die Quellen die Herrscher für schlau gehalten haben.
Da habe ich schon so meine Probleme mit... Also zum einen sind mir nur wenige mittelalterliche Quellen bekannt, welche die geistigen Qualitäten der Monarchen bewerten. Eine wäre etwa Einhard in seiner Vita Caroli Magni. Nun will ich überhaupt nicht den Anspruch erheben, dass ich einen Überblick über alle mittelalterlichen Quellen hätte, oder dass ich die Quellen, die ich kenne immer so detailgenau kennte, als dass ich behaupten könnte, eine solche Bewertung käme nicht vor. Aber mittelalterliche Quellen sind doch - zumindest meinem subjektivem Gefühl nach - in der Herrscherbewertung eher moralisch (simplifiziert: gut//böse) als auf die geistigen Fähigkeiten hin (simplifiziert: klug/geschickt//dumm/ungeschickt) gewichtet.

Hinzu kommt folgende Problematik: Es gibt das Bonmot Der Sieger schreibt die Geschichte - und es gibt hunderte von Beispielen, wo genau das stimmt. Es gibt aber auch die gegenteiligen Beispiele, wo Verlierer die Geschichte schreiben. Oder auch Unbeteiligte, die von "ferne" beobachten.
Bleiben wir aber beim Bonmot, dass der Sieger die Geschichte schreibt. Das ist ja nun oft bestellte Geschichtsschreibung bzw. es gibt einen gewissen Rechtfertigungsdruck. Wenn etwa ein Henry einen Richard auf dem Schlachtfeld besiegt und alle Anhänger Richards wegen Hochverrat enthaupten lässt, weil dieser Henry einfach seine Erhebung zum König einige Tage vorverlegen lässt. Was machen wir mit Peter dem Grausamen? Seinen Namen erhielt er von seinem Halbbruder und dessen Verbündeten. Angeblich soll der gefangene Peter in einem Zelt versucht haben, seinen Bruder zu erdolchen, Heinrich (Enrique de Trastámara) habe ihn aber im Ringkampf besiegt und dann - gewissermaßen in Notwehr - erdolcht. Zeugen? Keine. Nur die Aussage des illegitimen Bruders, der zunächst gegen seinen legitimen Halbbruder Krieg führte und dann auch beerbte. Ein Indiz, aber in einem "Strafprozess" zu wenig, um Heinrich der Lüge zu überführen.
Was ich damit sagen will: Insbesondere nach Usurpationen und anderen Formen des nicht konfliktfreien Herrscherwechsels müssen wir mit einer schlechten Presse für den Vorgänger rechnen und dürfen da nicht jede geäußerte Bewertung für bare Münze nehmen. Die Bewertung dass ein Herrscher moralisch verkommen gewesen sein soll, ist letztlich die Rechtfertigung für die Usurpation.
 
Zum einen, waren territoriale Zuwächse oder Verluste, ja historisch sehr oft Produkt biologischer Zufälle (Zuwächse durch Erbfall) oder dynastischer Händel (z.B. Abtretung von Territorien als Gegenleistung für Eheverbindungen etc.).
Auch kam es ja vor, dass Territorien auf Grund finanzieller Miseren der jeweiligen Herrscher verpfändet oder verkauft werden mussten, um Schulden zu bedienen oder zu konsolidieren nur mussten diese Kalamitäten ja nicht unbedingt durch den aktuellen Herrscher verursacht gewesen sein.



Sind territoriale Zugewinne denn zwangsläufig als etwas vorteilhaftes zu betrachten? In den meisten Fällen wird es so sein, es gibt aber auch Fälle, in denen territoriale Zugewinne zur Destabilisierung des Gesamtkomplexes führten.



Wie geht man eigentlich mit Herrschern um, die durch die Verfasstheit ihres Landes/Reiches im Treffen persönlicher Entscheidungen sehr eingeschränkt waren und bei denen zumindest der Adel ein erhebliches Wort mitzureden hatte, was elementare Entscheidungen betraf?
Die Einwände treffen auf Einzelfälle sicher zu. Zuwächse waren oft zufällig, manche territoriale Zuwächse waren gar kein Erfolg, manche Herrscher hatten gar keinen großen Einfluss. Deshalb braucht man eine größere Zahl von Beobachtungen, um den zu testenden Zusammenhang (hier mit dem Inzestparameter des Herrschers) herausfiltern zu können. Das Ergebnis der statistischen Auswertung wird nur dann in Frage gestellt, wenn die Störeinflüsse systematisch sind, wenn also beispielsweise Territorialzuwächse nicht nur im Einzelfall, sondern generell keine Zeichen einer erfolgreichen Regierung wären.
Übrigens zeigt der Artikel auch, dass der Zusammenhang zwischen Inzestparameter und Regierungserfolg dann schwächer ist, wenn der Herscher weniger autokratisch regieren kann, was ja sehr plausibel ist.
Was man in diesem Artikel lesen kann, unterscheidet sich nicht großartig von dem, was Hitler in Mein Kampf schreibt.
Das ist natürlich nicht schön, für die Beurteilung des Artikels von Ottinger und Voigtländer aber erst mal nicht von Belang. Die Autoren argumentieren sogar, dass sie zu Ergebnissen kommen, die Woods Überzeugungen widersprechen würden:
"Woods’ (1913) hypothesis was that moral and intellectual ability is inheritable, so that kin marriage among successful dynasties would produce better rulers. This introduces a bias against our findings."
Insbesondere nach Usurpationen und anderen Formen des nicht konfliktfreien Herrscherwechsels müssen wir mit einer schlechten Presse für den Vorgänger rechnen und dürfen da nicht jede geäußerte Bewertung für bare Münze nehmen. Die Bewertung dass ein Herrscher moralisch verkommen gewesen sein soll, ist letztlich die Rechtfertigung für die Usurpation.
Das ist ein wesentlicher Grund dafür, warum die Autoren nicht direkt von der überlieferten Fähigkeit des Herrschers auf seinen Erfolg schließen, sondern von der Fähigkeit, auf die man aufgrund des Inzestparameters schließen würde. Es findet sich eben ein negativer Zusammenhang zwischen Höhe des Inzestparameters und Beurteilung der Herrscherfähigkeit und dann auch ein deutlicher negativer Zusammenhang zwischen der aufgrund des Inzestparameters zu vermutenden Herrscherfähigkeit und dem Herrschaftserfolg. Dieses Vorgehen wird Instrumentenansatz genannt: Das Instrument für die Herrscherfähigkeit ist der Inzestparameter, und es hat den Vorteil, dass es nicht durch die Wirkung des Erfolgs oder Misserfolgs auf die Einschätzung der Fähigkeiten eines Herrschers beeinflusst wird.
 
Die Einwände treffen auf Einzelfälle sicher zu. [...]
Sagen wir es so: Wenn du den Einwand, das Territorialgewinne möglicherweise nicht immer einen Vorteil bedeuten, als ein Argument betrachten möchtest, dass lediglich Einzelfälle betrifft, dann bin ich bereit das Argument fallen zu lassen, denn damit hast du durchaus einen Punkt.

Das aber Territorialveränderungen im Kontext von Erbgängen und Anbahnungen dynastischer Bündnisse und Eheverbindungen lediglich statistisch unbedeutende Einzelfälle gewesen wären, da würde ich dir, jedenfalls über die Länge des Betrachtungszeitraus von 1200-1800 nicht zustimmen.

Das wird vielleicht im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert, als sich die Unteilbarkeit der jeweiligen Erblande der Fürstendynastien langsam überall durchgesetzt hatte eher zur Ausnahme, aber im ausgeheden Mittelalter und am Beginn der Neuzeit sind das doch recht häufig anzutreffende Dinge.


Beim Argument dahingehend, wie viel die jeweiligen nominellen Herrscher überhaupt zu melden hatten, wird es knifflig.
Weil man durchaus argumentieren kann, dass das im Europäischen Vergleich eher wenige Personen waren. Gleichwohl kann man aber auch argumentieren, dass in Ländern, die eben so verfasst waren, dass der Monarch relativ wenig zu sagen hatte, z.B. eben in Polen-Litauen oder im England nach den Stuart-Königen, es eben keine Ausnahme darstellte.


Ein anderer Störfaktor, den ich nochmal betonen möchte, ist das Thema Kolonien.
Da die Europäer spätestens seit der FNZ den meisten außereuropäischen Gesellschaften waffentechnisch und seefahrerisch überlegen waren, wuchsen seit Etablierung der europäischen Kolonialreiche die Territorien über die europäische Monarchen die Oberherrschaft hatten im Prinzip beständig vor allem, wenn man sie nicht daran misst, was beansprucht, aber nicht effektiv kontrolliert wurde, sondern daran, was effektiv kontrolliert wurde, ohne das die Herrscher selbst zwangsläufig besonders viel dazu beitragen mussten.
Denn viele Kolonialunternehmungen standen zwar offiziell unter der Protktion der jweiligen Herrscher, die in den Kolonien dann auch als Oberherrscher anerkannt wurden, so dass diese Territorien am Ende irgendwie zur jeweiligen Krone dazu gehörten, de facto war ein Großteil der Kolonialgründungen aber auf Initiativen privater Interessenten zurückgegangen, die sich irgendwo schnellen Profit versprachen, während die von der jeweiligen Krone selbst aufgewendeten Mittel dafür in der Regel eher bescheiden waren.

Auf diese Weise konnte selbst ein eher ungeschickt agierender Herrscher, der in Europa vielleicht sogar einiges an Territorien verlor unterm Strich noch immer am Ende mit einem Reich darstehen, dass rein von der Ausdehung her größer war als beim Antritt der Herrschaft, wenn eben die Kolonien in entsprechendem maße wuchsen.
Und das Kolonien hinzugewonnen wurden und wuchsen, ist mindestens im Bezug auf Westeuropa jetzt auch nicht unbedingt ein Umstand, der sich unter minderbedeutenden Einzelfällen subsummieren lässt.
 
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Das ist natürlich nicht schön,...
Ja, und dem ist hinzuzufügen: natürlich kann man Woods Buch nicht nach dem populärwissenschaftlichen Artikel zu einem anderen Thema bewerten. Das schrieb ich ja. Allerdings tritt er hier wie dort ja als Biologe auf. Und zu fragen ist halt, ob er sauber gearbeitet hat, also ob die Datengrundlage, auf die sich die jetzigen Autoren beziehen, die Woods geschaffen hat, nicht nach Vorurteilen hinterfragt werden muss.
 
Sagen wir es so: Wenn du den Einwand, das Territorialgewinne möglicherweise nicht immer einen Vorteil bedeuten, als ein Argument betrachten möchtest, dass lediglich Einzelfälle betrifft, dann bin ich bereit das Argument fallen zu lassen, denn damit hast du durchaus einen Punkt.

Das aber Territorialveränderungen im Kontext von Erbgängen und Anbahnungen dynastischer Bündnisse und Eheverbindungen lediglich statistisch unbedeutende Einzelfälle gewesen wären, da würde ich dir, jedenfalls über die Länge des Betrachtungszeitraus von 1200-1800 nicht zustimmen.

Das wird vielleicht im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert, als sich die Unteilbarkeit der jeweiligen Erblande der Fürstendynastien langsam überall durchgesetzt hatte eher zur Ausnahme, aber im ausgeheden Mittelalter und am Beginn der Neuzeit sind das doch recht häufig anzutreffende Dinge.


Beim Argument dahingehend, wie viel die jeweiligen nominellen Herrscher überhaupt zu melden hatten, wird es knifflig.
Weil man durchaus argumentieren kann, dass das im Europäischen Vergleich eher wenige Personen waren. Gleichwohl kann man aber auch argumentieren, dass in Ländern, die eben so verfasst waren, dass der Monarch relativ wenig zu sagen hatte, z.B. eben in Polen-Litauen oder im England nach den Stuart-Königen, es eben keine Ausnahme darstellte.
Zu den Einzelfällen: Eigentlich ist es nicht so wichtig, wie häufig zufällige Territorialvergrößerungen oder einflusslose Herrscher waren. Auch wenn beides mehr die Regel als die Ausnahme war, könnte die Methode von Öttinger und Voigtländer den prinzipiellen Zusammenhang zwischen Inzestparameter und Herrschaftserfolg aufdecken, er würde dann alledings einen kleineres Teil der Variation des Herrschaftserfolgs erklären können, weil in dem Fall meist (aber nicht immer) andere Einflussgrößen ausschlaggebend waren.
 
Und zu fragen ist halt, ob er sauber gearbeitet hat, also ob die Datengrundlage, auf die sich die jetzigen Autoren beziehen, die Woods geschaffen hat, nicht nach Vorurteilen hinterfragt werden muss.
Das ist schon wahr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Autoren da viel überprüft haben, das ist sicher nicht ihre Hauptkompetenz. Und ich könnte mir vorstellen, dass man eine Menge historische Abschlussarbeiten darauf verwenden könnte, die Ergebnisse von Woods zu überprüfen und dann zu schauen, ob sich die Öttinger-Ergebnisse mit verbesserter Datengrundlage ändern.
 
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