Menschen und Ratten

Scorpio

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Das ist nicht ganz korrekt. Wir finden Ratten ekelig, weil wir sie mit Müll, Dreck und Kanalisation verbinden. Tatsächlich sind sie aber ein wichtiger ökologischer Faktor, der unseren Dreck tonnenweise vernichtet und uns somit sogar einen Dienst erweist.
.

Den ökologischen Nutzen der Wanderratte für Homo sapiens würde ich doch etwas kritischer sehen, als Kulturfolger schloss sich die Wanderratte eng an den Menschen an, und mit Homo sapiens gelangte sie auf alle Kontinente (Antarktika vielleicht ausgenommen), wo sie sich zu einem verheerenden Problem für die indigene Tierwelt, vor allem auf Insel-Populationen entwickelte.

Auch für den Menschen war/ist die Wanderratte keineswegs ungefährlich: Sie vernichten Ernten, sie verderben Lebensmittel, und als Überträger von Seuchen und Epidemien erwies sich in den Zeiten der Pest durchaus als Populationssenke für Homo Sapiens, einige Schätzungen gehen soweit, die Zahl der Pesttoten auf bis zu ein Viertel 25 % der Bevölkerung zu beziffern.

Im 1. Weltkrieg wurden Ratten nicht nur überaus lästig, sondern durchaus nicht ungefährlich für Schwerverwundete, die im Niemandsland liegen geblieben waren.

Auf einem Gebiet aber hat sich die Wanderratte tatsächlich Verdienste um den Menschen und die Menschheit erworben: Als Versuchstier. Ratten sind recht intelligent, Versuche in der Arzneimittel oder Verhaltensforschung lassen sich durchaus auf den Menschen übertragen. Man kann den Erkenntnisgewinn mancher Tierversuche sicher bezweifeln, auch aus ethischer Sicht kritisieren, grundsätzlich aber haben auch Tierversuche sicher eine Berechtigung, und bei der Erprobung von Medikamenten haben Labor-Ratten durchaus eine wichtige Rolle gespielt und zu Erkenntnisprozessen beigetragen.

Terrarienfreunde füttern ihre Boas am liebsten mit Ratten. In den 1980er Jahren tauchten, vor allem in der Punkszene, Ratten zuweilen als Haustiere auf.

Als "Schmusetier" sind Wanderratten auch recht beliebt bei manchen Gefangenen. Die älteren JVAs in der BR: sind inoffiziell berühmt-berüchtigt für ihre Rattenpopulationen, und Rattus norvegicus ist sehr stark vertreten und wächst z. B. in Kassel-Wehlheiden zu beachtlichen Exemplaren heran, und manche Gefangene-meistens langjährige Gäste, vollbringen durchaus beachtliche Leistungen und sind
echte Rattenflüsterer, die mit Glanzstücken der Dressur im Varieté auftreten könnten.

Die meisten Gefangenen fürchten aber die Ratten. In Kassel stellten die Meisten nachts gefüllte Wassereimer auf die Klobrille, da die Viecher vor allem über die Kanalisation reinkommen. Viel genützt hat es nichts! Man hörte sie trippeln, man hörte sie nagen, hin und versuchte, sie zu übersehen, was aber kaum möglich war- Die Viecher wissen dass ihnen keiner ernsthaft was tut- und sie wachsen zu erstaunlichen Größen heran: Ratten wie Meerschweinchen so groß!
 
Eklige Viecher.
Bei Ratten denke ich aber auch immer an den Rattenfänger in/aus Hameln (1284).
Und dann Goethes „Faust“:
„Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten Bedarf ich eines Rattenzahns“ (Studierzimmer nach dem Osterspaziergang“ .
Und dann Edgar Allen Poe „Die Grube und das Pendel“ von 1842.
Übrigens, einer der Lehrer von Edgar Allan Poe stammt aus Deutschland, genauer Thüringen/Bad Langensalza. Es handelt sich um Georg Blättermann (1782-1850). Er war Philologe und zeitweise Lehrer von E. A. Poe.

Und bei Ratten diverse andere, meist grusligen Erzählungen.
 
Und dann Goethes „Faust“:
„Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten Bedarf ich eines Rattenzahns“ (Studierzimmer nach dem Osterspaziergang“ .
@Ralf.M
Faust I - Auerbachs Keller: Branders Lied
"(...)
Brander (auf den Tisch schlagend):
Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
Ihr Herrn, gesteht, ich weiß zu leben
Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum besten geben.
Gebt acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
Und singt den Rundreim kräftig mit!

(Er singt.)

Es war eine Ratt im Kellernest,
Lebte nur von Fett und Butter,
Hatte sich ein Ränzlein angemäst’t,
Als wie der Doktor Luther.
Die Köchin hatt ihr Gift gestellt;
Da ward’s so eng ihr in der Welt,
Als hätte sie Lieb im Leibe.

Chorus (jauchzend):
Als hätte sie Lieb im Leibe.
(...)"
 
Ja der Geheimrat und der Luther. Sie waren zwar fast 300 Jahre altersmäßig auseinander, aber man sagt der Goethe war bibelfest.
Luther hatte wohl auch starken Einfluss auf Goethes Sprache - vom ‚Faust’ bis zum ‚West-östlicher Divan’.
 
Die Abneigung gegen Ratten ist eine besondere Eigenart der westlichen Kultur.

In Teilen Westafrikas, Ostasiens und Ozeaniens gilt Rattenfleisch traditionell als Delikatesse.
 
@Eumolp hat einen kleinen Ausschnitt von Heines Wanderratten zitiert - weil die so gelungen sind, hier komplett:
Heinrich Heine, Die Wanderratten

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.


Sie wandern viel tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.


Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die Lebenden lassen die Toten zurück.


Es haben diese Käuze
Gar fürchterliche Schnäuze;
Sie tragen die Köpfe geschoren egal,
Ganz radikal, ganz rattenkahl.


Die radikale Rotte
Weiß nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.


Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frisst,
Dass unsre Seele unsterblich ist.


So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs neue zu teilen die Welt.


Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen – die Zahl ist Legion.


O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiß Rat.


Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.


Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hohlwohlweise Senatsdekrete,
Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,
Sie helfen Euch heute, Ihr lieben Kinder!


Heut helfen Euch nicht die Wortgespinste
Der abgelebten Redekünste.
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.


Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
Begleitet mit Göttinger Wurst-Zitaten.


Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behaget den radikalen Rotten
Viel besser als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero.
 
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