Missionare für das Judentum

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Gast
Die Unklarheit der These fängt aber schon bei der Frage an, wo sich das "Herz Afrikas" befindet.

Dass die Juden Missionare überhaupt irgendwohin schickten ist eine ziemlich steile These.
Es gab es zwar nur Zeit im gesamten Mittelmeerraum jüdische Proselyten und sogenannten "Gottesfürchtige", aber diese neuen Juden stießen bei den etablierten jüdischen Eliten zumeist auf Ablehnung.

Die wichtigste Quelle für ein frühes Judentum in Afrika ist ausgerechnet die Apostelgeschichte im Neuen Testament. Dort wird ein Eunuch aus "Äthiopien" beschrieben, der nach Jerusalem pilgert um Gott anzubeten. (Diese sogenannte "Äthiopien" lag aber im heutigen Sudan.)
 
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Meine Frage lautet:
Wisst ihr als historisch und nicht nur philosophisch und in Sachen Science-Fiction gebildete etwas über die Missionierung?

Vor gut 10 Jahren hat der israelische Historiker Shlomo Sand für Aufsehen mit seinem Buch Die Erfindung des jüdischen Volkes – Wikipedia gesorgt.

Das wurde auch schon in diesem Thread thematisiert: Gab es eigentlich die Diaspora 70 n.Chr. in der tradierten Form? (Vorschlag meinerseits: diese Threads zusammenzulegen)

Dass die Juden Missionare überhaupt irgendwohin schickten ist eine ziemlich steile These.

Da wäre die Frage, ob diese These richtig ist oder nicht. Gibt es denn Quellen für Missionierung bzw. Missionierungsverbot in der Antike?
 
Man wird die Formulierung "die Juden" hinterfragen müssen, weil nicht "die Juden" Missionare entsandt haben würden. Anders als im Christentum und dem Islam spielte die aktive Missionierung im Judentum auch bis zu deren faktischer Aufgabe eine untergeordnete Rolle. Trotz entsprechender Beispiele im alten Testament (bspw. Ruth) bezweifelten orthodoxe Strömungen sogar immer wieder, dass man zum Judentum übertreten könne, wie auch heute noch von Extremisten bezweifelt wird, dass die äthiopischen Falaschen "echte" Juden seien.

Der (gemäßigt orthodoxe) Historiker Shaul Stampfer vertrat 2013 in den 'Jewish Social Studies' die Auffassung, dass die Chasaren niemals wirklich zum Judentum konvertiert sind, da sie in den verlässlichsten zeitgenössischen Quellen niemals als Juden bezeichnet worden seien und es an archäologischen Beweisen fehle. Er geht vielmehr davon aus, dass die Chasaren nach Art der Sabbatianer einzelne jüdische Bräuche übernommen haben könnten. Konvertierungen seien nur bei Einzelpersonen vorgekommen, und zwar aufgrund persönlicher Kontakte (wie Ehen oder Handelsbeziehungen). Ihm zufolge gibt es keine Belege für in der posttestamentarischen Zeit erfolgte Missionierungsbestrebungen jüdischer Gemeinwesen. Spätestens durch ein Edikt Kaiser Hadrians seien Missionierungen überhaupt zum Erliegen gekommen, außerdem habe sich das Judentum unter dem Eindruck der Verfolgung durch die Römer und Konflikte mit griechischen Gemeinden immer mehr abgeschottet.

Demgemäß würde ich annehmen, dass solche Afrika-Missionare – in Ermangelung eines besseren Wortes – allenfalls Privatpersonen gewesen sein könnten, die aus eigenem Antrieb Menschen zur Konvertierung ermunterten. Es ist in diesem Zusammenhang auch festzuhalten, dass das Judentum eine ausgesprochene Erlösungsreligion ist. Der Jude geht einen Bund mit Gott ein, es wird also eine aktive Hinwendung verlangt. Der ideale Konvertit aus jüdischer Sicht handelt aus eigenem Antrieb, nicht auf das Einwirken durch Dritte hin.
 
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Mit den "echten Juden" ist heute in der Regel das Rabbinische Judentum gemeint.

Das äthiopischen Judentum, unterscheidet sich kulturell und religiös sehr deutlich vom rabbinischen Judentum. Talmud und Mischna waren in Äthiopien unbekannt. Die Thora wurde in alttäthiopischer Sprache und Schrift gelesen - in weitgehender Übereinstimmung mit der Schriftkultur der äthiopischen Christen.
Eine weitere Übereinstimmung ist, dass auch die äthiopischen Christen die Legende pflegen, ihre Könige würden vom jüdischen König Salomon und der Königin von Saba abstammen

Die Rabbinische Tradition mit Mischna und Talmud enstand in der Spätantike.
Das altäthiopische Reich Aksum beherrschte im 6. Jahrhundert auch Teile des Jemen, trotzdem gibt es kaum Gemeinsamkeiten zwischen dem Rabbinischen Judentum im Jemen und dem sehr speziellen Judentum in Äthiopien.

Dass die äthiopischen Falaschen aus einer Splittergruppe der äthiopischen Christen hervorgegangen sein könnten, halte ich für recht wahrscheinlich.
In einem christlichen Umfeld lässt sich eine jüdische Religion leicht aus dem Alten Testament rekonstuieren, die nachchristlichen Weiterentwicklungen bleiben so aber unbekannt.

Das Grundproblem ist, dass es für die frühe Geschichte des Judentums in Äthiopien kaum Quellen gibt.
 
Ein weitere erstaunliche Besonderheit war die Existenz jüdischer Mönche und jüdische Klöster in Äthiopien.
Äthiopische Legenden kennen christliche Mönche, die zum Judentum übergetreten sind.
Jüdische Missionare gibt es in den Legenden nicht, stattdessen werden christliche Missionare zum Judentum bekehrt. Der Ursprung der Juden in Äthiopien wird in diesen Legenden nicht erklärt.

Das jüdische Mönchtum wurde laut jüdischer Legende von dem christlichen Mönch Abba Sabra im 14. Jahrhundert begründet. Abba Sabra wollte eigentlich die Juden zum Christentum bekehren, aber es kam dann genau umgekehrt. Der Mönch wurde Jude und begründete das jüdische Mönchstum.
Nach einer anderen Legende war Abba Sabra jedoch von Beginn an Jude und seine Begründung des Mönchtum habe keine Beziehung zum Christentum gehabt. (Da sich die äthiopischen Christen traditionell ebenfalls für einen Teil des jüdischen Volkes halten, ergibt diese Trennung allerdings wenig Sinn.)

Die christliche Legende kennt hingegen einen Mönch namens Qozmos. Aufgrund eines theologisches Streit verließ dieser Mönch das Christentum und schloss sich den äthiopischen Juden. Erst Qozmos soll diesen Juden die Thora vermittelt haben, sie waren aber schon vorher Juden.

Die jüdische Kultur in Äthiopien wurde vor allem von Mönchen in Klöster getragen - völlig untypisch für die jüdische Religion. Die jüdische Mönchstradition endete erst im späten 19. Jahrhundert aufgrund von Hungersnöten, Seuchen und Kriegen.
In wie weit die Legenden über die Entstehung des Mönchtum historisch sind, bleibt dahingestellt. Die enge Beziehung zwischen christlicher und jüdischer Religion in Äthiopien ist jedenfalls all zu offensichtlich.

Interessanter Link zum Thema:
https://www.jewseast.org/single-post/2016/08/02/the-bete-israel-monastery-of-amba-gualit
 
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Vor gut 10 Jahren hat der israelische Historiker Shlomo Sand für Aufsehen mit seinem Buch Die Erfindung des jüdischen Volkes – Wikipedia gesorgt.

Interessanter Link.
Dort steht:

"Christian Weber wertete in der Süddeutschen Zeitung Forschungsergebnisse eines Forscherteams um den Genetiker Harry Ostrer von der School of Medicine der New York University als Widerlegung Sands. Es veröffentlichte im Juni 2010 eine Studie, wonach die verschiedenen Gruppen der Diasporajuden gemeinsame genetische Merkmale aufweisen."

Falls es wirklich so sein sollte, dass man populationsgenetisch eine Verwandschaft feststellen kann, dann widerlegt das die Missionierungshypothese zwar nicht vollständig, aber die These, dass die nach Zerstörung des Tempels Vertriebenen aus Palästina nur eine marginale Gruppe waren und die Mehrheit Konvertiten, scheint mir damit auf dünnen Eis zu stehen.
Sonst müsste man annehmen, dass diese Gruppe ihre Gene aber sehr effizient verbreitet habe.

Was jetzt leider den Spezialfall Afrika nicht beantwortet.
 
(...) die These, dass die nach Zerstörung des Tempels Vertriebenen aus Palästina nur eine marginale Gruppe waren und die Mehrheit Konvertiten, scheint mir damit auf dünnen Eis zu stehen.

Was genaues weiß man nicht, aber ein paar Indizien:
1. Direkte Vertreibung war - besonders im östlichen Reichsteil - eigentlich nicht "römische Art" und es gibt keinerlei Anzeichen für eine Vertreibung aus Palästina - dies mit Bezugnahme auf Sand, Die Erfindung..., Teil III,1.
2. Schon vor dem "Jüdischen Krieg" gab es größere jüdische Gemeinden außerhalb Palästinas: Zeugnis davon gibt zumindest das Progrom in Alexandria, 38 n.Chr.; auch die jüdische Gemeinde in Mesopotamien sei hier erwähnt.
3. Der "zweite jüdische Aufstand" fand ausschließlich außerhalb Palästinas in nordafrikanischen römischen Provinzen statt (ca. 115 n.Chr.). Diese Aufständischen könnten zwar theoretisch seit dem Jüdischen Krieg schon dorthin ausgewandert gewesen sein, allerdings fand knapp 20 Jahre später (diesmal wieder in Palästina) der dritte Kampf/Aufstand statt - also doch noch eine Menge Zurückgebliebener.
4. Schon Caesar verkündete spezielle Rechte für jüdische Gemeinden in Rom - dürften also schon damals keine Seltenheit gewesen sein (Juden in Rom – Wikipedia )
5. Bevölkerungszahlen wie tw. angegeben (etwa hier: History of the Jews in the Roman Empire - Wikipedia ) von rd 7 Mio. Juden im römischen Reich (dav. 2,5 in Palästina) im ersten nachchristlichen Jahrhundert sind zwar wahrscheinlich übertrieben, zeigen aber, daß wahrscheinlich schon damals jüdisch-gläubige Bevölkerung schon weit über die Grenzen Palästinas hinaus verbreitet war.
6. Ob sich das alles alleine durch natürlichen Bevölkerungszuwachs erklärt, oder ob und in welchen Umfang zusätzlich Konvertierung angenommen werden muss, ist natürlich weiter umstritten. (Persönlich neige ich - ohne handfeste Beweise als Laie - zur zweiten Ansicht). Genetisch handelt es sich - mit oder Konvertiten - allsamt um Menschen vorwiegend aus dem östlichen Mittelmeerraum. Eine genetische Verwandtschaft ihrer Nachkommen würde mich - in diesem Sinne - nicht sehr wundern.
7. Die angeführte genetische Studie war vor allem ein Einwand/eine Widerlegung gegen die sog. "Chasaren"-Theorie (urspr.: A. Koestler, "Der dreizehnte Stamm"). Inwieweit die Ergebnisse heute noch als valid gelten (kann mich noch an eine "Widerlegung der Widerlegung" und an eine "Widerlegung der Widerlegung der Widerlegung "erinnern, hab das aber nicht weiterverfolgt), weiß ich nicht.
 
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