Besonders verräterisch war die beliebte Formulierung von den Verbrechen, die "im deutschen Namen" begangen worden seien. Nein, sie wurden von Deutschen begangen und nicht von irgendwelchen Aliens, die dafür den guten deutschen Namen missbrauchten.
In einem relativierenden Zusammenhang ist mir diese Formulierung noch nie untergekommen; im Gegenteil, meist dient sie als Brandmauer gegen Relativierungsversuche, die Verantwortung für Holocaust und Vernichtungskrieg bei den unmittelbar Beteiligten abzuladen, und für sich selbst aufgrund räumlicher und zeitlicher Distanz eine weiße Weste zu reklamieren. Sie tritt auch der Legende entgegen, dass sich die Nazis Deutschland aufgezwungen hätten, denn natürlich handelte Hitler "im Namen" Deutschlands.
Um übrigens des Teufels Advokaten zu spielen; das Nicht-dazugehört-haben-Wollen der Nachkriegsjahre könnte man auch als Argument für die Gutgläubigkeit der eingangs zitierten Aussagen deuten, sprich, dass es durchaus vergleichsweise wenige überzeugte Nazis gab (, wohl aber viele Mitläufer). Es hat mich immer bitter amüsiert, wie diese Art der Distanzierung (woran natürlich auch das Konzept des Entnazifizierungsverfahrens seinen Anteil hatte) von allen Seiten als Unschuldserweis gesehen wurde und wird.
Denn wie der erhalten gebliebene offizielle Schriftverkehr jener Zeit zeigte, brauchte es durchaus keine Parteimitgliedschaft, kein "gefestigtes nationalsozialistisches Weltbild", um den Abzug zu betätigen. Wir finden sogar Täter, besonders in der Wehrmacht, die für ihr Desinteresse an der Nazi-Ideologie gerügt wurden. Eine große Zahl, vielleicht sogar eine deutliche Mehrheit der ausführenden Täter waren wahrscheinlich keine Nazis im engeren Sinne, und das macht jene furchtbaren zwölf Jahre in meinen Augen nur noch schlimmer.
Für Regime wie Opfer änderte es zwar nichts am Ergebnis, ob der Scherge, der das Gas einleitete, nun Napola-Absolvent oder doch "nur" apolitischer Antisemit war; ob er vom Ersten Weltkrieg verroht war, stumpf propagandahörig, dem Gruppenzwang nachgab, oder von einem krankhaften preußischen Pflichtbewusstsein vorangetrieben wurde. Allerdings wirft es ein Schlaglicht auf die Unfähigkeit der Gesellschaft der Weimarer Republik, den Aufstieg des Extremismus – der definitionsgemäß nicht aus eigener Kraft mehrheitsfähig ist – zu stoppen, bzw. auf die Fähigkeit der Nazis, das Schlechteste im Deutschen hervorzubringen.
Bemerkenswert scheint mir jedoch auch, dass man eine Reflexion wie die der Deutschen nach 1968 – die übrigens keineswegs so vollständig und gutgläubig ist, wie wir gerne glauben –, global fast vergeblich sucht.
Der Franquismus und seine Verbrechen sind in Spanien bis heute nicht wirklich aufgearbeitet; die Ereignisse des Jahres 1943 ersparten es den Italienern, sich mit ihren Verbrechen auf dem Balkan und in Ostafrika auseinanderzusetzen; die Österreicher haben sich bis zuletzt darin gefallen, sie seien Hitlers "erstes Opfer" gewesen; in Japan und Serbien lässt man Massenmörder bis heute hochleben; und Maoismus und Stalinismus erleben sogar ein schamloses Revival, von Moskau derzeit bis zum Äußersten getrieben.
Woher also dieser deutsche Sinneswandel?
In diesem Zusammenhang könnte man darauf zu sprechen kommen, dass die Welt alles über den Holocaust weiß, aber bspw. die japanischen Kriegsverbrechen – von manchen Autoren als "Holocaust Asiens" betitelt –, außerhalb Ostasiens keine besondere Rolle im Bewusstsein der Öffentlichkeit spielen. Das hat natürlich auch mit dem Kalten Krieg zu tun ("Rotchina" durfte nicht Opfer des nunmehrigen Verbündeten Japan sein), sowie mit der Masse an erhaltenen Bild- und Filmaufnahmen aus Europa.
Allein, die alliierte Propaganda der Zeit scheint die Barbarei der Japaner als weniger verwunderlich zu betrachten. Das ließe sich auf zweierlei Weise erklären: Entweder glaubte man nicht, dass wirklich jeder einzelne Deutsche ein Nazi war, oder die "gelben Horden" – wie es zeitgenössisch hieß – erschienen dem Rassismus der 1940er als für die Barbarenrolle prädestinierter denn das das Volk der "Dichter und Denker", von dem die die britischen Könige und die relative Mehrheit aller weißen Amerikaner abstammten. In jedem Falle ist es Wasser auf die Mühlen der Floskeln der Wirtschaftswunderjahre.