War das Problem nicht auch, dass die Außenpolitik und Bündnissysteme nur Stabilität bedeuteten, wenn es überall einzelne beständige Stabilitätsanker gab, wie die Saturiertheit Deutschlands und den Friedenswillen Englands zugunsten des Status Quo, die dann aber mit den Politikern verschwanden?
Der wichtigste Stabilitätsanker für Europa bestand eigentlich darin, dass bis 1905 Russland wenn es seine Interessen in Europa nicht durchsetzen konnte, sich Kompensation dafür in Asien verschaffen konnte und für St. Petersburg in diesem Sinne keine Notwendigkeit bestand zwecks Steigerung der eigenen Macht Interessen in Europa mit gewalt duchzuboxen und entsprechende Positionen einzunhnehmen.
Paradoxerweise findet ein großer Teil der Destabilisierung des europäischen Systems gar nicht in Europa statt, sondern im Fernen Osten durch den Russisch-Japanischen Krieg 1904 und 1905 so wie das britisch-japanische Bündnis.
Durch die Niederlage gegen Japan musste man in Russland zu der Erkenntnis kommen, dass weitere Expansion nach Osten bis auf weiteres, da von Japan blockiert nicht mehr möglich sein würde und die folgenden Verständigungen mit den Briten über Persien, Afghanistan und Tibet verbauten für Russland auch die Möglichkeit weiter in Richtung des indischen Ozeans und nach Südasien vorzustoßen.
Damit blieb für Russland nur noch das Osmanische Reich, bzw. der Balkan um seine Macht weiter auszubauen, entsprechend musste sich seine Position in Fragen, die diese Region betrafen drastisch verhärten, außerdem musste der russische Fokus nun in Europa liegen.
Wichtig für die Europäische Stbilität vorher war aber, dass sich Russland und Großbritannien in den 1880er Jahren auch Frankreich vorweigend außerhalb Europas beschäftigten, so dass insgesamt für die innereuropäischen Fragen weniger Energie aufgewendet werden musste/konnte, wodurch die Konflikte nicht über die Maßen eskalierten.
Auch die Entwicklung der Bündnissysteme selbst, ist zu einem nicht unwesentlichen Teil Produkt der Ereignisse in Asien.
Es war nicht zuletzt die Schwächung Russlands, durch die militärische Niederlage gegen Japan und die Revolution von 1905 und die Problemee die der 2. Burenkrieg in Südafrika offenglegt hatte, die Großbritannien dazu veranlasste sich wesentlich enger an Frankreich zu binden und eine Einigung mit Russland zu suchen.
Man muss sich vor Augenführen, dass dadurch, dass Russland 1905 durch militärische Niederlage und Revolution auf einige Zeit de facto handlungsunfähig war, was die europäische Politik angeht und in dieser Zeit Frankreich, relativ ungeschützt einem deutlich mächtigeren Deutschland gegenüberstand.
Mit anderen Worten die russische Niederlage im Fernen Osten hatte das Europäische Gleichgewicht gerade zu Gunsten Deutschlands gekippt, dass diesen Umstand jetzt hätte nutzen können um durch einen Krieg gegen Frankreich oder Russland aus seiner "halbhegemonialen Stellung" in Europa eine hegemoniale zu machen.
In diesem Augenblick band sich Großbritannien an Frankreich um dem entgegen zu wirken und das deutsche Übergechicht auszugleichen, damit kam dem europäischen System allerdings sein "Schiedsrichter" abhanden, der traditionell zwischen den Blöcken stand und vermitteln konnte.
Im Grunde genommen ging es seit diesem Zeitpunkt bergab, weil sich das tendenzielle Gleichgewicht zuvor nicht mehr herstellen ließ.
Die Erholung Russlands kehrte das Übergewicht der Zentralmächte in ein Übergewicht der Entente um und das unter der Prämisse, dass Russlands Aktionsradius durch Japan und die Einigungen mit Großbritannien in Asien auf den Balkan beschränkt wurde, wo es um so engstirniger agieren musste.
Das erhöhte die Gefahr eines europäischen Krieges strukturell drastisch, unabhängig davon, welche Politiker das Ruder in der Hand hatten.
Frankreich wollte eine 'Korrektur'. Oder mehr?
Berechtigte Frage und schwer zu beurteilen.
Allerdings hatte keine französische Regierung seit 1871 ernsthaft in Betracht gezogen einen Revanchekrieg zu beginnen um das herbei zu führen.
Italien lavierte, um das Bestmögliche aus dem offensichtlich erwarteten Konflikt zu erhalten?
Ja, aber zu beiden Seiten hin, jedenfalls gab es in Italien Strömungen, die gerne von beiden Blöcken etwas gehabt hätten.
Von Österreich: Das Trentino, Korrekturen am Isonzo, ggf. Teile von Istrien und Stützpunkte in Dalmatien, so wie freie Hand in Albanien.
Zielsetzung: Italienische Minderheiten (vor allem Trentino) nach Italien holen, darüber hinaus das adriatsiche Meer zur weitghend italienischen Einflusszone machen (Straße von Ottranto kontrollieren) und damit auch die Donaumonarchie handelspolitisch stärker in Abhängigkeit von Italien zu bringen, so wie Einfluss auf dem Balkan aufzubauen.
Von Frankreich und Großbritannien: Korsika, Tunesien, Malta, in geringerem Maße Savoyen und Nizza.
Zielsetzung: Italienische Minderheiten (vor allem Korsika) nach Italien holen, das Thyrrenische Meer zur italienischen Einflusszone machen und über Sizilien, Malta und Tunesien die Durchfahrt durch das zentrale Mittelmeer kontrollieren, was vor allem den britischen und den französischen Asien- und Ostafrikahandel betroffen hätte.
Von dem her war von Italien durch keine Seite Loyalität zu erwarten, sondern eine abwartende Haltung, die darauf hinaus lief im richtigen Moment das Zünglein an der Wage in einem Konflikt spielen und jedenfalls eines dieser Szenarien realisieren oder teilrealisieren zu können.
Das machte Italien allerdings berechenbar. Es würde nicht selbst als Antreiber auftreten, aber sein möglichstes dafür tun eine Lokalisierung eines Konflikts zu blockieren, weil Rom für die Realisierung seiner Interessen die große Auseinandersetzung brauchte zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien brauchte.
Russland, wenn ich es verstanden habe, strebte weiterhin nach Gebietserwerb?
Nicht zwangsläufig, jedenfalls nicht auf dem Balkan, da wäre seit der Gründung und Eigenständigkeit Rumäniens auch keine Landverbindung da gewesen.
Das Interesse am Balkan lag mehr auf Einfluss auf die sich herausbilenden Balkanstaaten, wenn Territorialwünsche bestanden, dann direkt an den Meerengen oder in Anatolien ggf. Mesopotamien.