Oikos

Und sie waren stolz auf ihren Staat, daß sie , als Volk, ihren König verjagt hatten.
Die Athener haben ihren König nicht verjagt, zumindest nicht ihrer Überlieferung nach. Der sagenhafte letzte König Kodros fiel im Kampf - nicht gegen sein eigenes Volk, sondern gegen einen äußeren Feind. Nach seinem Tod wurde die Monarchie abgeschafft und durch das Amt des Archon ersetzt, der aber anfangs noch lebenslänglich regierte. Später wurden aus lebenslänglich zehn Jahre, dann ein Jahr. Die Entwicklung hin zur Demokratie war in Athen ein langer Prozess ohne große Revolution, wenn man einmal von Errichtung und Sturz der Tyrannis zwischendurch absieht.

Anderen (zum Teil? weiß nicht, ob bei allen) haben sie nicht erlaubt eine Demokratie zu gründen, sondern sie unter ihre Herrschaft gezwungen.
Falls Du Dich auf die Mitglieder des Attischen Seebundes beziehst: Im Gegenteil, die Athener waren stolz darauf, ihren Vasallen die Demokratie gebracht zu haben. (Dass sie, falls in einem Mitgliedsstaat Personen an die Macht kamen, die offen gegen Athen agitierten, dagegen einschritten, steht auf einem anderen Blatt.)

@ esm95:
Falls Du jetzt etwas verwirrt bist:
Die Athener waren sehr stolz auf ihre Demokratie - aber freilich nicht alle. Wie Rephaim schon richtig angedeutet hat, gab es vor allem in der Oberschicht Demokratiegegner, da die Demokratie vor allem dem kleinen Mann zugute kam. Außerdem gab es Leute, die der Ansicht waren, der "kleine Mann" sei zu blöd, zu ungebildet, zu uninformiert, zu leicht beeinflussbar, was auch immer, um regieren zu können, daher sollten das lieber die Gebildeten (die oft zur Oberschicht gehörten) übernehmen. (Aber auch in der Oberschicht hatte die Demokratie trotzdem viele Anhänger.) Aber die Demokratieanhänger waren vor allem stolz darauf, dass sich Athen aus eigener Kraft zur Demokratie entwickelt hatte (und diese Regierungsform nicht etwa aufgezwungen bekommen hatte) und damit in Griechenland zu den Pionieren und Vorbildern gehörte.
Unter Demokratie verstanden sie die Herrschaft des Volkes. Dass Frauen, Sklaven und Metöken (in Athen wohnende Ausländer) davon ausgeschlossen waren, war für die Athener Männer eine Selbstverständlichkeit, keine bewusste Diskriminierung. (Die Vorstellung, einer Frau oder einem Sklaven das Wahlrecht zu geben, wäre einem Athener Mann wahrscheinlich ebenso absurd erschienen wie wenn heutzutage jemand fordern würde, einem 5-jährigen Kind das Wahlrecht zu geben.) Nach heutigem Verständnis litt die Athener Demokratie unter dem Mangel, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung politische Rechte hatte, aber nach Athener Verständnis hatten sehr wohl alle dafür in Frage kommenden Personen politische Rechte.
 
Hmm, komisch. Woran erinnert mich das nur:

"Die Athener waren stolz darauf, dass sie ihre Vasallen in die Demokratie gebracht haben"??

Komm nicht drauf ...
 
Eine Geschichte ist in meinen Augen viel zu wenig bekannt:
Bei uns gelten die alten Griechen als Erfinder der Demokratie.

Aber Herodot schreibt, dass die Perser schon fast zwei Generationen früher, nachdem der legitime Herrscher ohne Nachfolger verstorben war, darüber diskutiert haben, welche Regierungsform am sinnvollsten wäre. Zur Wahl standen Oligarchie, Demokratie (!) und erbliche Monarchie. Man entschied sich für ein neues, erbliches Monarchengeschlecht, mit einer interessanten Begründung:

... bei einer Demokratie dürfen alle mitreden ...

... aber niemand ist bereit, die Verantwortung zu übernehmen.

Also: Die Vorgänger der Türken als eigentliche Erfinder der Demokratie?? Es gibt schlechtere Geschichten ...
 
Zuletzt bearbeitet:
Den Beitrag von Rephaim halte ich nicht für sehr "zielführend" ...

aber, mein lieber hijwen,

"Nun, Oikos gehört zu den griechischen Begriffen, die so herrlich viel umfassen können."

Wie wäre es denn, wenn du uns in einem neuen Thread einmal erklären würdest, was ein "demos" war, was "kratein" eigentlich bedeutete (weiss ich wirklich selbst nicht) und warum wir also in einer "Demo-kratie" leben. Oder besser: Woher der Begriff stammt und was dazu gehören sollte, wenn ein Staat sich so bezeichnet?

Es gibt schliesslich auch eine "Demokratische Republik Kongo".
 
Samos wurde nach der Befreiung von der Perserherrschaft Mitglied des Attisch-Delischen Bundes. Regiert wurde es zunächst oligarchisch. 440 v. Chr. kam es zu einem Streit zwischen Samos und Milet, in den Athen eingriff und in Samos die Demokratie einführte. In die Stadt wurde eine athenische Garnison gelegt und einige Dutzend vornehme Samier als Geiseln nach Lemnos verschleppt. Es kam aber bald zu einer Verschwörung der verbliebenen entmachteten Aristokraten, die 700 Söldner anheuerten und mit ihnen die athenische Garnison überwältigten und die Geiseln befreiten. Athen schlug aber zurück und eroberte Samos, wo es die Demokratie wiedererrichtete. Während des Peloponnesischen Krieges, nachdem Athen durch sein Debakel auf Sizilien nachhaltig geschwächt worden war, kam es auf Samos erneut zu einer Aristokratenverschwörung, die aber aufflog und von den samischen Demokraten und den Athenern niedergeschlagen wurde. Als in Athen vorübergehend eine Oligarchie eingeführt wurde, gehörte Samos zu den Rückzugsgebieten der Athener Demokraten.

Eine Geschichte ist in meinen Augen viel zu wenig bekannt:
Bei uns gelten die alten Griechen als Erfinder der Demokratie.

Aber Herodot schreibt, dass die Perser schon fast zwei Generationen früher, nachdem der legitime Herrscher ohne Nachfolger verstorben war, darüber diskutiert haben, welche Regierungsform am sinnvollsten wäre. Zur Wahl standen Oligarchie, Demokratie (!) und erbliche Monarchie. Man entschied sich für ein neues, erbliches Monarchengeschlecht, mit einer interessanten Begründung:

... bei einer Demokratie dürfen alle mitreden ...

... aber niemand ist bereit, die Verantwortung zu übernehmen.
Die Historizität dieser Geschichte sei einmal dahingestellt. Es ist schon auffällig, dass die Perser ausgerechnet über die drei typischen Regierungsformen der Griechen diskutiert haben sollen, obwohl bei ihnen selbst nur die Monarchie Tradition hatte.

Und was die Erfindung der Demokratie betrifft: Da ist ohnehin schwierig zu sagen, ab wann man von einer Demokratie sprechen kann. Vor allem der Übergang zwischen Oligarchie und Demokratie ist fließend.
 
aber, mein lieber hijwen,

"Nun, Oikos gehört zu den griechischen Begriffen, die so herrlich viel umfassen können."

Wie wäre es denn, wenn du uns in einem neuen Thread einmal erklären würdest, was ein "demos" war, was "kratein" eigentlich bedeutete (weiss ich wirklich selbst nicht) und warum wir also in einer "Demo-kratie" leben. Oder besser: Woher der Begriff stammt und was dazu gehören sollte, wenn ein Staat sich so bezeichnet?

Es gibt schliesslich auch eine "Demokratische Republik Kongo".

So direkt angesprochen, muß ich ja gleich antworten. Ist denn der Begriff Demokratie nicht in vielen Beiträgen hier schon besprochen worden? Auch in diesem Thread hat Ravenik schon wesentliche Eckpunkte benannt.
Wir können ja gern einen Thread eröffnen zum Thema "Der Demokratiebegriff in der griechischen Antike", wenn wir aber fragen, warum wir in einer Demokratie (zu leben glauben), kommen wir doch gefährlich nahe an tagespolitische Grenzen, was man ja nicht soll.

PS. Wie hast Du denn den Sprung vom Oikos zur Demokratie gemacht?
 
Tja, da kuckst du.
Ich bin Europäer, ich springe von überall in die Demokratie.
Verzeihung.

Oikos-Demos-Polis
 
Nun, ich kann ja mal noch einige Gedanken in den Raum werfen, aber um eine Geschichte des Demokratiebegriffs zu entwerfen, bin ich bei weitem nicht kompetent genug.

Die antike griechische Demokratie hat sich in einem Stadtstaat entwickelt. Sie war eine direkte Demokratie, weswegen ich auch den Geschichten über persische Demokratiegedanken skeptisch gegenüberstehe, denn wie hätte das in einem Flächenstaat funktionieren sollen? Direkte Demokratie heißt aktive Teilnahme aller Angehörigen des Staatsvolkes, also des Demos, und wie Ravenik ja schon zurecht gesagt hat, umfaßt der Demos alle freigeborenen attischen Männer, also aus heutiger Sicht nur eines Teils der Gesellschaft. Damit die direkte Demokratie aber funktionieren kann, also die Teilnahme an der Volksversammlung mit Stimm- und Rederecht, die Möglichkeit, als Richter ausgelost zu werden oder aber in den jährlichen Wahlen oder im Laufe des 5. Jhs. v. Chr. auch zu den Losverfahren zum Rat der 500 zugelassen zu sein, muß das teilnahmerecht restriktiv behandelt werden, es muß also eine klar definierte Gruppe sein.

Der Oikos im Sinne des Haushaltes ist die Grundstruktur, die unterste Ebene, die Keimzelle der Stadt. Im antiken Sinne ist die Stadt die Summe der Bewohner bzw. der Bürger, deshalb sage ich im Altgriechischen nicht "ich gehe nach Athen" sondern "ich gehe zu den Athenern", während wir ja heute die Stadt erstmal als bebautes Areal verstehen.
Das heißt, die direkte und aktive Demokratie funktioniert nur, wenn sie sich auf den Oikos stützen kann. So muß zum Beispiel ein Jüngling, wenn er in die Bürgerschaftslisten eingetragen werden soll, zwei Zeugen aufbieten, die erklären, daß er wirklich Sohn eines attischen Bürgers ist. Die Leute müssen sich also untereinander kennen.

Ein weiterer Aspekt zeigt sich in der Hausarchitektur. Eine Folge der demokratischen Isonomia, der Gleichheit aller vor dem Gesetz, ist die Entsteheung von Planstädten, wie man sie im Piräus, aber auch in Priene oder Olynth sehr schön nachvollziehen kann. Reihenhäuser werden gebaut, alle mit der gleichen Grundfläche, gleichen Raumaufteilung, soweit es geht mit der gleichen Ausrichtung. Und hier kann man mit unserem Grundbegriff auch noch einmal schön hantieren. Der Oikos ist nämlich der private Teil des Hauses, den ein Fremder nicht betreten sollte, er ist auch räumlich klar abgegrenzt im hinteren bereich zu finden. Weit vorn, meist in einem separaten Raum direkt vom Hof aus zu erreichen, befindet sich das Andron, der Männerraum, bestückt mit drei Klinen. Hier findet das Gastmahl statt, das Symposium, wo die Ehefrau nicht vorkommen soll. Nun dient dieser Raum aber nicht nur, wie es zahllose Vasenbilder berichten, dem hemmungslosen Weingenuß oder dazu, mit einer Hetaire alle Freuden der körperlichen Liebe auszukosten, sondern ebenfalls als kleinste Zelle der Demokratie, denn hier wird besprochen, wie es ebenfalls die Literatur zeigen kann, was am nächsten Tag oder am vorherigen Tag in der Volksversammlung beschlossen werden wird oder wurde. Eine Zusammenkunft von mehreren tausend Menschen ist der Argumentation nicht dienlich, insofern ist die Demokratie ein Wechselspiel zwischen den kleinen Zirkeln, wo Ideen geboren werden, und den großen Rahmen, wo sie umgesetzt werden.

Das vielleicht als Anregung, um über den Demokratiebegriff und den Oikos weiter zu diskutieren.
 
Zurück
Oben