"Ostsemester" 1933-1939

silesia

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In einem Buch zur deutschen Rußlandforschung im Dritten Reich bin ich auf den Begriff Ostsemester speziell für Studenten der Geschichtswissenschaft gestoßen.

Damit war wohl eine Art "Front"semester an der Universität Breslau, Königsberg oder später Wien gemeint, bei dem die Studenten ideologisch über den Volkskampf mit den Slawen (in der Terminologie des Dritten Reichs) vorbereitet werden sollten.

Was ist darüber bekannt? Den Begriff habe ich mit der Suchfunktion hier im Forum nicht gefunden. Wikipedia gibt nichts her, google books u.a. Folgendes:

Dein Ostsemester in Breslau - Google Bcher
Preussens Osten--Polens Westen: das ... - Google Bcher

Kann jemand etwas zu diesem Buch sagen:
Fr Volk und deutschen Osten: der ... - Google Bcher
 
In einem Buch zur deutschen Rußlandforschung im Dritten Reich bin ich auf den Begriff Ostsemester speziell für Studenten der Geschichtswissenschaft gestoßen.
Welches Buch?
Den längsten zusammenhängenden Text, den ich auf die Schnelle gefunden habe, fand ich hier http://www.google.de/url?sa=t&sourc...mester&usg=AFQjCNHI7WiY9lV0mmaoeCgk3msFkvDd9g auf S. 43.
Offenbar handelte es sich anfangs um eine Initiative "national gesinnter" Kreise, zu der es sicher noch mehr Literatur gibt.
 
Offenbar handelte es sich anfangs um eine Initiative "national gesinnter" Kreise, zu der es sicher noch mehr Literatur gibt.

Ich habe auch mal gesucht, bin aber auf weiterführende Literatur bislang nicht gestoßen. Vielleicht haben wir es ja mit einer Forschungslücke zu tun?

Ein interessantes Thema ist es allemal - spannend wäre unter anderem, den Bedeutungswandel des "Ostsemesters" während der NS-Zeit zu untersuchen - ebenso wie dessen Gegenwartsbedeutung. Exemplarisch sei auf die Website des "Hallenser Wingolf" verwiesen, der noch heute die Tradition der
Philistern der Ostverbindungen
die Fahne hält. Dort heißt es u.a.:
In der Weimarer Republik gelangt der Wingolf zu neuer Blüte. Neben dem, in dieser Zeit stark ausgeprägtem, christlich, sittlichem Zusammenleben, wird das Bundesleben durch Sportveranstaltungen, Wandertouren und die ab 1920 obligatorischen Ostsemester an den Universitäten in Königsberg und Danzig geprägt.
Die Hallenser mussten laut eigener Aussage ihre Aktivitäten aufgrund von Differenzen mit dem NS-Regime einstellen. Am 3. November wurde der Wingolf "zwangsvertagt".

Vgl. Hallenser Wingolf :: Geschichte
 
Vielen Dank für die Antworten bis dahin ;)

@jschmidt:
sorry, Hinweis vergessen:
Gabiele Camphausen: Die wissenschaftliche historische Russlandforschung im Dritten Reich 1933-1945

Vermutlich ist dieses "Ostsemester" einerseits mit den Personen in der universitären Geschichte eng verbunden, die Lehrstühle für Rußlandforschung besetzten. Zu den Lehrinhalten liegt ja die zitierte Schrift vor.

Andererseits müßte diese Idee - recht frühzeitig und vielleicht eine Facette des "Raum im Osten" - von oben stammen.
 
Die Hallenser mussten laut eigener Aussage ihre Aktivitäten aufgrund von Differenzen mit dem NS-Regime einstellen. Am 3. November wurde der Wingolf "zwangsvertagt".

Studentenverbindungen -insbesondere die konfessionellen - widersprachen dem nationalsozialistischen Streben nach der Volksgemeinschaft. Abgesehen davon waren sie gewissermaßen eine Konkurrenz zum ns-eigenen Studentenbund.
 
Gabiele Camphausen: Die wissenschaftliche historische Russlandforschung im Dritten Reich 1933-1945
Dem Namen nach bekannt; dem zitierten Band ging ein anderer voraus, der sich mit der Rußlandforschung 1892-1933 befasste.

Vermutlich ist dieses "Ostsemester" einerseits mit den Personen in der universitären Geschichte eng verbunden, die Lehrstühle für Rußlandforschung besetzten.
Ich gehe von der Darstellung aus, die Ingo Haar gegeben hat. [1] Bezugspunkt derjenigen, die nach 1919 eine Revision der deutschen Ostgrenzen anstrebten, war das sog. Volks- und Kulturboden-Theorem, welches besagte, dass (1) als Volksboden "das deutsche Volk jenen Raum für sich als Staatsgebiet beanspruchen könne, den es aufgrund seiner Siedlungstätigkeit erschlossen und durch seine politische Vormachtstellung erobert habe", und dass (2) als deutscher Kulturboden jene Gebiete gälten, "die aufgrund der Kulturüberlegenheit der 'Deutschen' so stark vereinnahmt worden waren, daß ihre Vormachtstellung von den anderen Völkern nicht mehr bestrtitten werden konnte" (S. 30). [2]

Gerade die kulturelle Dimension bzw. der Glaube an die deutsche "Mission" im Osten könnte schon sehr früh die "Ostsemester"-Initiative kreiert haben, verbunden mit dem Gedanken, die diesseits und jenseits der neuen Grenzen lebenden Deutschen durch Verstärkung der "physischen Präsenz" von Angehörigen der "kulturellen Elite" zu unterstützen.

Andererseits müßte diese Idee - recht frühzeitig und vielleicht eine Facette des "Raum im Osten" - von oben stammen.
Beim Querlesen des Haar-Buchs habe ich keinen Hinweis auf die Ostsemester gefunden. Ich gehe davon aus, dass dieser Gedanke zunächst bei Studentenverbindungen/Burschenschaften - siehe Floxx78' Beispiel - in die Tat umgesetzt wurde, vielleicht sogar für deren Mitglieder obligatorisch war. Die "neuen Ostforscher", die ab Mitte der 20er Jahre Lehrstühle besetzten und sich untereinander vernetzten, unterfütterten das mit ihren Forschungsaktivitäten.

Ob später noch vom Freiwilligkeitsprinzip beim Ostsemester abgerückt wurde, überblicke ich derzeit nicht.



[1] Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der "Volkstumskampf" im Osten, Göttingen 2000. Unterstützt z. B. von Götz Aly, waren seine auf Hans Rothfels und andere gemünzten Thesen das Skandalon auf dem Historikertag 1998.
[2] Für beides zusammen passen sicher der Begriff "Raum im Osten" und die Assoziationen zu Hans Grimm und Karl Haushofer.
 
Ob später noch vom Freiwilligkeitsprinzip beim Ostsemester abgerückt wurde, überblicke ich derzeit nicht.

@jschmidt: vielen Dank für die weiteren Infos.

Die Freiwilligkeit wäre eine Frage.

Mich würden allerdings auch die Inhalte interessieren, diese müßten sich doch ggü. den vagen Bestrebungen in der Republik deutlich verschärft haben. Von dem Sendungsbewußtsein für den Osten bis zum "Frontsemster" ist es doch vermutlich ein weiterer Schritt.
 
Mich würden allerdings auch die Inhalte interessieren, diese müßten sich doch ggü. den vagen Bestrebungen in der Republik deutlich verschärft haben. Von dem Sendungsbewußtsein für den Osten bis zum "Frontsemster" ist es doch vermutlich ein weiterer Schritt.
Ab 1933 haben sich die Inhalte sicherlich verändert, nicht nur in der Geschichtswissenschaft. (Vorher stand dem auch der Föderalismus im Wege.) Das ergab sich zum einen, gleichsam naturwüchsig, aus der "Blut-und-Boden"-Ideologie der Nazis und zum zweiten aus der gezielten finanziellen Förderung von Inhalten und Lehrstühlen, die sich - z. T. ja von sich aus - in die neue Ideologie einpassten bzw. sich sogar an die (wissenschaftliche) Spitze stellten.

Man kann das institutionell-fachlich belegen am Beispiel der beiden "Grenzlanduniversitäten" Breslau und Königsberg [1], wo man z. B. "eine Verknüpfung von Rassenkunde, Siedlungsgeschichte und Prähistorie" anstrebte bzw. realisierte (Haar, S. 155).

Personell kann man das noch eindeutiger belegen an Figuren wie Franz ("Bauern-Franz") und Günther ("Rassen-Günther") [2], aber auch an vielen anderen - auch an der Westgrenze! -, die eine mehr oder weniger offene Zusammenarbeit mit der Partei und ihren Gliederungen, auch dem RSHA, der SS usw. pflogen und finanziell großzügig gefördert wurden.


[1] Es gab noch andere "G.", z. B. Kiel, später auch Straßburg u. a. Den rechtwissenschaftlichen Fakultäten in Kiel und in Breslau verlieh schon früh man den "ehrenden" Beinamen "Stoßtruppfakultät".
[2] Siehe zu beiden, vor allem zu Franz, den Beitrag von Wolfgang Behringer in: Schulze/Oexle (Hrsg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt 1999, S. 114-141
 
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