Parallelen Edda-Rotkäppchen

Dieter schrieb:
Die Brüder Grimm haben sehr schön nachgewiesen, dass es sich bei einigen Märchenfiguren um abgesunkene germanische Götter handelt. Ein Beispiel ist die liebe Frau Holle, die ihre Betten ausschüttelt, und auf die Einhaltung hausfraulicher Pflichten achtet. Ihre Schwester, die in Süddeutschland mehr verbreitete Hulda, fährt zudem in einem Wagen mit einem Katzengespann.

Grimm setzen die Holle/Hulda mit der Göttin Freia (Freyja) gleich. Ihr Wagen wird ebenfalls von Katzen gezogen, doch sind viele ihrer ursprünglich archaischen Züge (Genossin bei der Wilden Jagd Wotans/Odins, Zauberei, Fruchtbarkeit) im Märchen ins Lieblich-konventionelle übertragen.
Na ja, ob das, was die Grimms vorgelegt haben, heute noch als Beweis durchgehen würde, wage ich zu bezweifeln. Vielmehr gibt es eine aus der Romantik stammende Forschertradition, alles am liebsten irgendwie auf die Steinzeit zurückzuführen. Alt = ehrwürdig = kulturell hochstehnd, weil ursprünglich. Das war halt die Zeit der Romantik. Da reichte es schon, wenn ein Apfel vorkam, dass die Wurzel der Geschichte bei Idunn gefunden wurde.
Am längsten halten sich merkwürdigerweise Namen. Das mit dem Katzen hingegen ist ein Topos. In der Grönländersaga tritt eine Seherin auf, bei der besonders betont wird, dass sie Katzenfell trug. Es gibt auch andere Völker der Antike, die völlig unverdächtig sind, etwas mit Freya am Hut zu haben, und bei denen die Katzen heilig sind. Dass also zwei Frauen auf von Katzen gezogenen Wagen fahren, muss keinen Überlieferungsstrang belegen. Das Motiv kann auch unabhängig voneinander entstanden sein.
Außerdem ist die Kraftumkehrung in magischen Zusammenhang nichts ungewöhnliches: Kätzchen ziehen einen schweren Wagen mit einer Frau drauf, Spinnweben als unzerreißbare Fesseln usw.
 
Dieter schrieb:
Lieber fingalo, mit unserer "Frau Holle" habe ich ein ganz konkretes Beispiel genannt, das sich durch weitere Beispiele vertiefen lässt. Gerade die Figur der "Frau Holle" entstammt durchaus einer vorchristlichen Welt.

Im übrigen folge ich bei dieser Thematik gern den Grimms, deren ausführliche Untersuchungen hierzu auch heute noch gültig sind.
Darfst Du ja, nur ich erlaube mir, das nicht zu tun.
Wir haben keine einwandfrei heidnischen Texte. Die wären aber nötig, um durch Vergleich eine Zuordnung machen zu können. Ohne heidnisches Vergleichsmaterial ist das reine (romantische) Spekulation. Wir haben die Merseburger Zaubesprüche und das Hildebrandslied. Das ist zu wenig. Bei der Edda lässt sich christliche Kontamination nachweisen, aber leider nicht abgenzen. Ähnliches gilt für den Beowulf. Sie wurden eben nicht von Heiden verschriftlicht.
Eine mündliche Tradierung eines Stoffes vom 8. Jh (oder früher) bis zur Zeit der Gebr. Grimm wird heute von keinem seriösen Forscher für irgendeinen Stoff akzeptiert - aber viele glauben halt fest daran. Das gilt nicht nur für Frau Holle, das gilt auch für den Rattenfänger von Hameln.
Und ich habe keine Lust, irgendjemand von seinem Glauben abzubringen. Wenn er schon Berge versetzen kann, warum soll er dann nicht mündliche Überlieferung über 1000 Jahre erzeugen können? :D
 
Im Vorwort zur "Deutschen Mythologie" von Jacob Grimm heißt es in einer Einleitung von Leopold Kretzenbacher (1967):
"In jenen an aussagekräftigen Quellen so armen Zeiten ... , in diesen sogenannten dunklen Jahrhunderten zwischen Spätantike und Frühmittelalter also, da muss sich gleichwohl religiöses Leben abgespielt haben ... Aus diesen Zeitschichten aber fließen auch die primären Quellen für die Mythologie eines Jacob Grimm und für all jene, die ihm als Forscher im Bereich der germanischen Religionswissenschaft folgen. Jene mannigfaltigen, sehr unterschiedlich reich, rein oder offensichtlich getrübt sich darbietende Zeugnisse zum religiös-brauchtümlichen Leben der späten Germanen aufzuspüren, sie kritisch nach den Gesetzen der ... Sprachwissenschaft zu edieren, das war die Zielsetzung für eine germanisch-deutsche Mythologie."

Grimm selbst sagt in seiner "Vorrede" z.B.: "Auch in den Märchen treiben Zwerge und Riesen ihr Wesen, Schneeweißchen und Dornröschen sind Schwanenefrau und Walkure, die Drei Spinnerinnen sind Nornen; der Schemelwurf vom himmlischen Sitz, die Gevatterschaft des Todes, der Würfel des Spielers, der Spielhansel reichen in das Heidentum; Märchen, nicht Volkssagen, ist eine Fülle von Verwandlungen mit den Göttermythen gemein."

An vielen Stellen weist Grimm vor allem sprachwissenschaftlich nach, wie weit die Namen von Göttern, Fabelwese, Dämonen, Geistern usw. in germanische Zeit hinabreichen, und er stellt das Ganze anhand eines unerschöpflichen Fundmaterials dar. Alles ist gut belegt, einsichtig und in sich logisch aufgebaut.

Wenn Märchen also Archetypen präsentieren, so ist das sicherlich richtig. Bezüge ins hohe und frühe Mittelater sind aber bei einigen Märchen ebenso vorhanden, was Grimm schlüssig nachweist.
 
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Dieter schrieb:
Wenn Märchen also Archetypen präsentieren, so ist das sicherlich richtig. Bezüge ins hohe und frühe Mittelater sind aber bei einigen Märchen ebenso vorhanden, was Grimm schlüssig nachweist.

Grimms Mythologie ist bestes 19. Jh., beweist nichts.
Kretzenbacher (1967) ist nicht Stand der Forschung.
 
Dieter schrieb:
An vielen Stellen weist Grimm vor allem sprachwissenschaftlich nach, wie weit die Namen von Göttern, Fabelwese, Dämonen, Geistern usw. in germanische Zeit hinabreichen, und er stellt das Ganze anhand eines unerschöpflichen Fundmaterials dar. Alles ist gut belegt, einsichtig und in sich logisch aufgebaut.
Dass die Namen sehr alt sind und bis in die germanische Zeit zurückreichen, schrieb ich schon. Aber die Geschichten, die mit den Namen verbunden werden, reichen nicht so weit.[/quote]
Zum Komplex siehe recht instruktiv:
http://de.wikipedia.org/wiki/Nordische_Mythologie#Quellen_für_die_Götternamen
http://de.wikipedia.org/wiki/Nordische_Mythologie#Alter_der_Mythen

(Trotz Überarbeitungsbaustein geben diese beiden Abschnitte ziemlich zuverlässig den heutigen Stand wieder).
 
@ Mercy

Dass Grimm "bestes 19. Jh." ist, muss hier nicht eigens erwähnt werden. Die Frage ist, welche Thesen noch Gültigkeit besitzen. Ferner: Wer repräsentiert den zitierten "aktuellen Stand" der Forschung - was als Totschlagargument gern ins Feld geführt wird - und was wird dort gerade über unser Thema ausgesagt? Wikipedia kann's ja wohl kaum sein!
 
Gerade die Verehrung Gestalt der Frau Holle (Hulda, Perchta usw) in ländlichen Gebieten wird in vielen mittelalterlichen Chroniken als lebhaftes Zeichen für das alte Heidentum bzw Aberglauben oft angemahnt.
Zum Beispiel, das "Bauernweiber" immer noch bei persönlicher Not die "Frau Hollen" um Rat fragen.

Hier im südniedersächsischen Bereich taucht Frau Holle oft in Volkssagen wahlweise als Hexe oder als Heilerin und Beschützerin auf. Es gibt auch eine Sage aus Zeit der Hexenverbrennungen in der die Bezeichnung "dort lebte eine Frau Holle" direkt als Synoym für Hexe gebraucht wird.

Ob Holle nun für Freya steht oder die Totengöttin Hel ist eigentlich egal, da beide im archetypischen wie auch im mythologischen Sinn nur zwei Aspekte der selben Gottheit bzw Archtyps sind. Ähnlich wie im Indischen das Paar Devi und Kali oder in Hellas Demeter und Persephone. Leben und Tod, wer sich an die Regeln beider "Götter" bzw "Prinzipien hält wie ein glückliches Leben führen können. *Bäumchen rüttel dich, werf Gold und Silber über mich*
 
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