Wenn wir doch mal ehrlich sind, vor 10-15 Jahren hätte die Fachwelt, und nicht nur die, jeden ausgelacht, der mit dem "Weißbuch" unterm Arm aufgeschlagen wäre und der Welt verkündet hätte, dass die Geschichte des 1. Weltkriegs nunmehr umgeschrieben werden muss, dass es so zahlreiche Belege, alle beeidet, für die Existenz von Franctireurs gibt, dass der Volkskrieg nunmehr als erwiesen angesehen werden muss. Die Massaker von Leuven und Dinant müssten vor dem Hintergrund ausgedehnter Franctireur-Aktivitäten komplett neu bewertet werden.
Vor allem aber müsste endlich einmal Schluss sein muss mit dem deutschen Schuldkult, mit einer "politisch korrekten Geschichtsschreibung" . Es hätten sich die Deutschen viel zu lange schon darin eingerichtet.
Man hätte gesagt, ein solches Werk ist geschichtsrevisionistisch. Da nützt dann auch keine namhafte Koryphäe mehr, der das Vorwort schreibt.
Krummeich sagte mal, anlässlich einer Besprechung von Clarks Schlafwandlern, dass er auf seine alten Tage noch zum Fischerianer würde, wenn er sieht wie im Windschatten der Veröffentlichungen von Clark da ein Bedürfnis entstanden sei, Deutschland zu entlasten und freizusprechen. Krummeich selbst hat große Verdienste auf dem Gebiet der Völkerverständigung. Clark ist natürlich kein Revisionist, er ist amüsant, er kann sehr gut schreiben, und die Schlafwandler war auch eine große Fleißarbeit. Clark wird aber, auch im Forum gerne als Gewährsmann angeführt für Thesen, die sein Buch eigentlich gar nicht hergibt.
Von daher überrascht es schon, dass Krummeich das Vorwort für Kellers "Schuldfragen" geschrieben hat. Was Krummeich als Begründung anführt, wirkt nachvollziehbar. Kellers Buch kostet 45 Euro, da will man vielleicht auch nicht zugeben, dass das ein bisschen viel ist dafür, was einem da zugemutet wird.
Anscheinend trifft das Buch von Keller einen Nerv, und es gibt Leser, die das
glauben wollen, die den Volkskrieg von Franctireurs für
erwiesen halten wollen. Wenn es den massenhaften Einsatz von Franctireurs tatsächlich gab, dann war dieser natürlich ein massiver Verstoß gegen die HLKO, und wenn auch Massaker wie Leuven und Dinant nicht zu rechtfertigen sind, so wären aber selbst solche Exzesse, die Keller ja auch nicht bestreitet, zumindest teilweise zu entschuldigen und zu relativieren.
Sind aber Franctireur-Aktivitäten überhaupt nachgewiesen? Dass es stellenweise Franctireurs, Heckensschützen gab, ist unfraglich.
Beiträge hier im Thread, auch mit Bildmaterial zeigen, dass Angehörige der Force Civique für die Deutschen nicht ohne Weiteres auf den ersten Blick als reguläre Soldaten erkennbar waren-
- Franctireurs-Krieg hatte es im Deutsch-Französischen Krieg gegeben, man rechnete auch in Belgien damit. Franctireurs haben die Psyche der deutschen Armee stark beschäftigt. Man war besessen davon, und die belgische Bevölkerung wurde vielfach von Anfang an durch die Brille als potenzielle Franctireurs gesehen. Mit dem massiven Widerstand der belgischen Armee hatten die Deutschen nicht gerechnet.
Unter dem Eindruck eines unerwarteten Widerstands, auch unter dem Zeitdruck, unter den sich die Deutschen selbst mit den Schlieffenplan gestellt hatten, in der paranoiden Atmosphäre der ersten Kriegswochen und unter dem Eindruck von Milizen oder Landwehren, die keineswegs immer als reguläre Soldaten erkennbar waren, bin ich nachdem ich mich mit Dinant näher beschäftigt habe, davon überzeugt, dass die Deutschen fest an die Existenz von Franctireurs glaubten, dass sie das auf subjektiven Eindruck hin auch glauben konnten. Was sie von Franctireurs wussten oder zu wissen glaubten, schien mit den Beobachtungen übereinzustimmen, die sie in Belgien machten. Vielfach wurde aber von deutschen Offizieren generell die Legitimität des Widerstands Belgiens in Frage gestellt oder bestritten.
Die belgische Armee zeigte im Weltkrieg eine gesunde Skepsis, sich unkritisch an Himmelsfahrtsaktionen zu beteiligen.
@Ugh Valencia hat bereits auf die deutlich niedrigere Verlustzahlen hingewiesen. Da fällt es doch schwer, anzunehmen, dass man Franctireurs den Auftrag gab, sich von der Front überrollen zu lassen und Terrorakte zu begehen.
Den Franctireurs- Vorwürfen ist das Reichsarchiv sehr ausgiebig nachgegangen. Wenn die irgendwelche handfesten Beweise gefunden hätten für Franctireurs, wären sie damit auch an die Öffentlichkeit gegangen. Sie werden schon ihre Gründe gehabt haben, dass sie es nicht taten.
Es ist überhaupt nichts dagegen zu sagen, deutsche Quellen zu bearbeiten, es hat aber ein Geschmäckle wenn man den ungeliebten Kollegen mangelnde Objektivität und Methodik vorwirft, sich beim eigenen Opus Magnus aber ausschließlich auf Quellen stützt, die den Narrativ vom belgischen Volkskrieg der Franctireurs bestätigen und sich den auf deutsche Kriegspropaganda stützt, die wiederum, oh Wunder, den Narrativ vom Volkskrieg der Franctireurs vollauf bestätigt.
Das erinnert doch schon sehr, an "blaming the victim". Nach den Berichten im Weißbuch muss es in Dinant vor Franctireurs nur so gewimmelt haben, die Mönche eines Klosters sollen deutsche Soldaten beschossen haben.
Das Weißbuch wurde bereits während des Krieges herausgebracht. Der deutsche Militärhistoriker Bernhard Schwertfeger sagte vor dem Auswärtigem Amt, dass das Weißbuch der deutschen Sache nicht viel genutzt habe, habe das Graubuch der belgischen Regierung, das ausführliche Angaben zu den Opfern von Löwen, Dinant, Aershot, Andenne enthielt, weltweit großen Eindruck machte.