Wie beurteilt Ihr den Akademiebetrieb in Spanien (Politikabhängigkeit, Franco-Aufbereitung notwendig oder gar Stillstand wg. Geldmangel)?
Natürlich ist in Spanien immer noch die Aufbereitung der Franco-Diktatur notwendig, allerdings nicht so sehr von den Seiten der Historiker als von Seiten der Justiz (siehe Baltazar Garzón). Denn die Freiheit der Wissenschaft gilt in Spanien genau so wie hier und von Historikerseite ist die Franco-Diktatur mittlerweile gut aufbereitet. Aber wie wir aus eigener Erfahrung wissen, heißt gut aufbereitet nicht, dass es nicht trotzdem noch jede Menge Forschungsbedarf gibt.
Was nun Isabel Álvarez angeht, so hat diese ganz sicher ihre Verdienste und ich will auch kein Urteil über ihr historisches Gesamtwerk fällen. Aber ein Buch, in dem sie sowohl die Bibel (Tarschisch-Erwähnung) als auch den Atlantis-Mythos mit einbezieht, in dem sie wider besseren Wissens den Cid-Epos für ihre Argumentation heranzieht, weil dort die Mauren von "allén mar" kommen - quasi von jenseits des Meeres und es in Amerika im 17. Jhdt. einen Punkt gab, den die Spanier Punta allende ("entferntes Kap" nannten) oder weil die Spanier Tempel der Indios als
mezquitas bezeichneten (der früheste Beleg dafür findet sich im Übrigen bei Hernán Cortés ("no hay año en que no maten y sacrifiquen cincuenta ánimas en cada mezquita" - es gibt kein Jahr, in dem sie [die Azteken] nicht 50 Seelen in jeder Moschee töten und opfern)), eben weil für sie Moschee gleichbedeutend mit "Heidentempel" war, kann man nicht wirklich ernst nehmen.
Ein weiteres Argument sind Ortsnamen in Kolumbien, wie Cartago, Palmira oder Antioquia. Sie argumentiert, dass das alles Namen von Orten aus dem muslimischen Machtbereich gewesen seien.
Nun, für die Muslime wäre Karthago Qarṭāǧ gewesen und würde heute - aus dem Arabischen übernommen - im Spanischen
Gardaje,
Gardaja oder
Gardajo lauten, da das arabische qāf regelmäßig zu /g/ wird, ṭā' regelmäßig zu /d/ und ǧīm zu <j> /χ/. Nebenbei hatte Karthago für die Muslime nahezu keine Bedeutung mehr.
Für die Christen aber war Karthago noch immer ein Nominalbistum und mit der römische-punischen Geschichte eng verbunden.
Palmira - oder Palmyra - ist ein Dorf bzw. eine Ruinenstadt in der syrischen Wüste. Es ist nicht einzusehen, warum westafrikanische Seefahrer einen Ort in Kolumbien nach einer antiken Stadt in der Wüste benennen sollten, zumal der Ort auf arabisch Tadmur heißt. In der spanischen Historiographie war Palmyra durchaus noch in Erinnerung: Antonio de Nebrija nannte
Palmyra urbs in seiner
Traducción de Introductiones latinae von 1481 und Alonso de Villegas meinte 1594, dass der Alexandergeneral Lysomachos in Palmyra mit der Christenverfolgung begonnen habe:
"Llegó Lisímaco con su gente a una región de Mesopotamia dicha
Palmira, donde començó la persecución contra el nombre de Cristo, matando a unos a hierro y a otros, a fuego."
Man mag sich über diesen Anachronismus wundern, Tatsache ist aber auch hier, dass, sollte das kolmbianische Palmira nicht von einem indianischen Topo- oder Ethnonym abstammen, der Name eher im spanischen, als im Arabischen erinnert wurde (zumal es im Arabischen kein /p/ gibt - naja gut, Francisco Corriente, eine Koryphäe auf dem Gebiet des Hispanoarabischen ist der Auffassung, dass es im Hispanoarabischen Laute gab, die es in anderen arabischen Dialekten nicht gibt, u.a. glaubt er das /p/ rekonstruieren zu können, ich halte das für unplausibel, will das aber der argumentativen Sauberkeit halber nicht unter den Tisch fallen lassen).
Kommen wir zu Antioquia. Hört sich tatsächlich beinahe an, wie Antiochia, auf spanisch Antioquía. Nun, ich will keine Argumentation auf dem einen Akzent auf dem <i>, der in der spanischen Fassung von Antiochia da ist, beim kolumbianischen Antioquia aber fehlt aufbauen. Nun ist es aber so, dass für das kolumbianische Antioquia eine indianische Etymologie angegeben wird, nämlich Goldberg.
Das heute türkischen Antakya heißt auf arabisch Anṭākiya (wo wir gerade beim Akzent waren, der beim kolumbianischen Antioquia fehlt: Gerade dann, wenn der kolumbianische Name auf einem entsprechenden arabischen Namen basieren würde, wäre das Fehlen des Akzentes zumindest als verwunderlich zu bemerken). Hier wäre zu fragen, wie das -io- wieder in das Wort kommt und warum das ṭā' nicht wiederum zum /d/ umgelautet wurde. Und selbst wenn die indianische Etymologie nicht stimmen sollte, wieso sollte es so unwahrscheinlich sein, dass Spanier einen Ortsnamen, der in den christlichen Legenden eng mit dem Namen Petrus verbunden ist, für eine Neugründung wählen?