Römerstraßen in der westfälischen Bucht?
Ab den Jahr 12 v. Chr. versuchte das Imperium Romanum, das von den Römern als Magna Germania bezeichnete Gebiet östlich des Rheins und nördlich der Donau unter seine Kontrolle zu bringen, als Grenzen wurden hierbei die Elbe im Osten und die Moldau im Südosten angestrebt.
Die römische Provinz Magna Germania war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht zusammenhängend, die Römer hatten Germanien nur gebietsweise unter ihre Kontrolle gebracht (Cassius Dio: "Die Römer besaßen zwar einige Teile dieses Landes, doch kein zusammenhängendes Gebiet, sondern wie sie es gerade zufällig erobert hatten...").
Ansonsten ist über die Provinz Magna Germania bisher wenig bekannt außer der Tatsache, dass die Provinz im Jahr 9 n. Chr. nach der Schlacht im Teutoburger Wald wieder aufgegeben wurde.
Da seit dem Beginn der Provinzialisierung mit Drusus Germanienfeldzügen im Jahr 12 v. Chr. aber über 20 Jahre Zeit für die Entwicklung der Provinz zur Verfügung standen, zumindest in den zuerst besetzten Gebieten (westfälische Bucht, Erschließung über die Lippe), muss es schon eine gewisse Infrastruktur (Wege, Ortschaften) gegeben haben. Die Dokumentation dieser Infrastruktur ermöglicht dann auch Rückschlüsse auf den Ort der Varusschlacht.
Das Hauptkriterium für die Suche nach römischen Straßen ist ein auf einer weiten Strecke linearer Verlauf heutiger Straßen, da die Römer wann immer es die Topographie des Geländes es zuließ die Straßen absolut linear verlaufend anlegten. Da vor der Neuzeit niemand in Deutschland über die Technik zum Vermessen von Straßen mit solch langen linearen Abschnitten verfügte, noch so etwas für notwendig erachtete, bleiben meines Erachtens nur die Römer als Erbauer einer solchen Straße übrig. Des Weiteren sollten diese linearen Straßen recht genau die Mittelpunkte von sehr alten Orten verbinden.
Die oben genannten Kriterien sind bei auf Römerstraßen basierenden heutigen Straßen in Frankreich auch erfüllt:
Screenshots - Google Maps
In der westfälischen Bucht findet man z. B. in der Soester Börde die gleichen Muster:
Screenshots - Google Maps
Außerhalb der Grenzen des ehemaligen römischen Reichs findet man solche Muster nicht, im Folgenden ein Vergleich mit einer topographisch ähnlichen Landschaft (Mageburger Börde), wo sich die Wege ausschließlich an natürlichen Gegebenheiten orientieren:
Screenshots - Google Maps
Die Römer orintierten sich beim Anlegen der Straßen an vorhandenen Handelswegen, diese dürften den Römern auch durch ihre Kaufleute bekannt gewesen sein.
Eine Hauptverbindung geht von Unna nach Osten in Richtung Paderborn und weiter Richtung Weserbergland (basierend auf der alten Handelstraße Westfälischer Hellweg, eine weitere Hauptverbindung biegt bei Erwitte in Richtung Bielefeld ab, wo ebenfalls das Weserbergland erreicht wird, und von wo aus es nicht mehr weit ist bis zu dem in Barkhausen / Porta Westfalica entdeckten Römerlager an der Weser. Von den Hauptrichtungen gehen Querstraßen ins Umland ab. Auch die Warburger Börde war durch eine Straße erschlossen.
Neben den ausgebauten Straßen nutzen die Römer auch weiterhin schon vorhandene Verkehrwege, z.B. den Haarweg.
Das römische Straßennetz in der westfälischen Bucht stellt sich (auszugsweise) wie folgt dar:
Westfälische Bucht linear - Google Maps
Bei den von ausgebauten Straßen handelt es sich sicherlich nicht um richtige (gepflasterte) Straßen, der Bau solcher war den Römern in der relativ kurzen Zeit der Provinzialisierung in Germania Magna von 12 v. Chr. bis 9 n. Chr. wahrscheinlich nicht möglich. Es handelt sich dabei aber um gerodete und planierte Wege, die einer Legion in den Sommermonaten ein schnelles Vorankommen ermöglichte. Archäologen der Ruhr-Universität Bochum ermittelten bei der Dokumentation einer römischen Straße bei Dorsten-Holsterhausen eine Breite von 40 m, mit 2 seitlichen Entwässerungsgräben (LWL Presse Info: Römische Marschlager).
Das Anlegen der Straßen diente zum einen der wirtschaflichen Erschließung der Provinz, Waren konnten so leichter transportiert werden.
Zum anderen hatte dies aber auch militärische Gründe, eine Legion konnte über eine gut ausgebaute Straße einfach verlegt werden. Eine Legion bestand zu Varus Zeit aus 6000 Legionären. Dazu kamen noch Hilfstruppen, und ein Tross aus Händlern, Handwerken, Frauen und Kindern. Bei der Verlegung von 3 Legionen, wie es ja bei Varus vor der Varusschlacht beim Marsch vom Sommerlager ins Winterlager der Fall war, laufen also gut und gerne 25 000 Menschen gleichzeitig durch die Gegend. Dies geschieht natürlich nicht über Waldwege, und aus Wald bestand Germanien zu dieser Zeit ja meistens noch. Man brauchte gut ausgebaute und auch relativ breite Wege (ca. 40 m, s.o.), um die Bewegung des Zuges durch Kurierreiter koordinieren zu können, und auch um einer Legion im Falle eines überraschenden Angriffs wenigstens ansatzweise die Chance zu geben, eine Kampfformation einzunehmen.
Hierbei muss man sich auch vor Augen führen, dass 30 000 Menschen zur damaligen Zeit der Einwohnerzahl einer Großstadt entsprach (Wikipedia: Einwohnerzahl von Köln im Jahr 50 n. Chr.). Die psychologische Wirkung der gleichzeitigen Verlegung von 25 000 Soldaten auf einen damaligen General war also in etwa die gleiche wie die auf einen heutigen General, der die gleichzeitige Verlegung von 100 000 oder mehr Soldaten durchzuführen hat. Dieser wird es sich auch gründlich überlegen, ehe er den Transport anders als per Eisenbahn durchführt. Die linear ausgebauten Straßen waren die Schienen der damaligen Zeit.
Und warum beginnen die Straßen dann nicht am Rhein? Von da kamen die Römer doch schließlich auch.
Mangels vorhandener Infrastruktur/Straßen in Germanien mussten die Römer auf natürliche Verkehrswege zurückgreifen, in erster Linie also auf Flüsse. Als für die Schifffahrt ausreichender Fluss bot sich die Lippe an.
Dass im Laufe der Zeit, keine größeren Straßen parallel zur Lippe oder entlang des alten Hellwegs quer durch das heutige Ruhrgebiet ausgebaut wurden, sondern die westfälische Bucht vorrangig erschlossen wurde, hatte wirtschaftliche Gründe: die westfälische Bucht besteht zum großen Teil aus landwirtschaftlich wertvollen Börde-Gebieten. Solche Gebiete warfen wahrscheinlich Gewinn und damit Steuern ab, eine schnelle Erschließung war daher wichtig. Auch die Erschließung Warburger Börde durch eine Straße hatte aufgrund der guten Böden wirtschaftliche Gründe.
Aber verlaufen die Straßen in Westfalen nicht eher von Kirchturm zu Kirchturm?
Die Theorie, dass die Straßen in Westfalen sich an Kirchtürmen orientieren, also 'von Kirchturm zu Kirchturm' angelegt wurden, ist nicht ganz richtig. Zwar stimmt es, dass die Straßen oft auf Kirchtürme zulaufen, z.B. zu sehen in Unna auf der Morgenstraße in Blickrichtung Stadtkirche Unna, aber schon 3 km weiter sieht man den Kirchtum nicht mehr, z.B. auf der B1 in Höhe Mühlhausen mit Blickrichtung Stadtkirche Unna. Andererseits befindet sich an markanten Stelle der Straße oftmals auch gar kein Kirchturm, an dem man sich hätte orientieren können, wie z.B. bei der Verlaufsänderung der B1 in Büderich.
Des Weiteren gibt es Beispiele von anderen Römerstraßen, die direkt auf eine Kirche zulaufen, wie z.B. die Römerstraße bei Lincoln in England, die sich auf einer Strecke von 40 km scheinbar geradewegs auf die Kathedrale von Lincoln zu orientiert:
Lincoln - Google Maps
Grund für die teilweise Ausrichtung der Straßen an Kirchtümen ist es wohl, dass die Straßen den ehemaligen Mittelpunkt des Ortes anvisieren, wo dann meistens eine Kirche entstand. Bzw. auch dass ein Ort inkl. der Kirche im Mittelpunkt sich um markante Punkte einer Straße herum entwickelte.