Als Bestätigung der These, dass nicht Ideologie, sondern pragmatische Machtorientierung die Handlungsmaxime von Stalin waren, finden man beliebig viele Hinweise in den Stalin-Biographien.
Sehr deutlich wird das bei Wolkogonow "Stalin" wenn er schriebt "Stalin liebte nichts so wie die Macht" (S. 281). Und führt fort, dass er seine poltische Legitimation aus der Akklamation durch willfähriger Massen gezogen hat.
Zudem hatte er als Parteisekretar der KPdSU die Position als Herausgeber der Bände von Marx und Lenin inne. Und somit die Richtlinienkompetenz, ähnlich des Papstes, bei der Interpreation der beiden Theoretiker.
Das führte in der Praxis dazu, daß Stalin innerparteilichen Gegner vorhalten konnte, sie hätten Lenin nicht richtig verstanden.
Eine eigenständige Diskussion der Intelligensia, die auf eine eigenständige Interpration der ML-Ideologie abzielte und das Potential einer Weiterentwicklung gehabt hätte, war nicht vorhanden. Vielmehr schaltete Stalin diese Gruppe gleich. In der Praxis führte es dazu, dass sie "had to check carefully wheter in their latest works they were not in conflict with the leader`s last word." (Deutscher: Stalin, S. 365).
Betrachtet man relevante Ereignisse während der Herrschaft von Stalin, dann sind die Handlungen von einem Wille zum Überleben geprägt. Im persönlichen Sinne, im Sinne der KP und im Sinne der staatlichen Integrität der SU! Und folgen keinen zwingenden ideologischen Vorgaben.
1. Die Bodenreform und der Kampf gegen die "Kulaken" diente primär der Zerstörung des "intakten" ländlichen Milieus, das eine potentielle Bastion für die Konterrevolution hätte darstellen können. Hatte somit eine innenpoltische Funktion und war in gewisser Weise eine Verlängerung des Bürgerkriegs.
2. Als "Abfallprodukt" der Verfolgung der ländlichen Bevölkerung wurde durch das Abwandern der ländlichen Bevölkerung in die Städte das Potential für die brachiale Modernisierung bzw. Industrialisierung der SU-Industrie geschaffen.
Zudem erhöhte sich die Anzahl derer, die aufgrund von Verfolgung in die Gulags eingeliefert wurden und als billige Arbeitskräfte unter menschenverachtenden Bedingungen Projekte zur Industriealisierung der SU fertig stellen mußten. In diesem Zusammenhang erfand Stalin die interessante Wortkonstruktion einer "freiwilligen Zwangsarbeit".
Da die sowjetische Wirtschaft eine duale Struktur (Tiefenrüstung) aufwies, wie in keinem anderen Lande, und durch Konversion auf Kriegsproduktion umgestellt werden konnte, schuf Stalin die industriellen Voraussetzungen für die Verteidigungsfähigkeit der SU nach 41. Eine industriepolitische Zielsetzung, die er bereits 1931 als zwingende Vorgabe formuliert hatte, da er es für sehr wahrscheinlich hielt, dass es zu einem kriegerischen Konflikt in ca. 10 Jahren kommen wird.
Ein Aspekt, der in seiner Bedeutung als hoch eingeschätzt werden muss in der Erklärung für die Verklärung von Stalin als "Väterchen Stalin" und dazu führte, dass die eher distanzierte Position der KP und weiter Kreise der Bevölkerung vor 1941 sich während des "Großen Vaterländischen Krieges" aufeinander zubewegte.
Und erstaunlicherwise während des Krieges in vielen Bereichen der sowjetischen Gesellschaft, auch aufgrund der extremen Notsituation, die individuelle Leistungsfähigkeit und die individuellen Freiheiten sich stärker verbreiten konnten wie vor und auch nach dem WW2, z.B. in Leningrad aber auch in Moskau. Trotz des Terrors des NKWD.
3. Im Bereich der Außenpolitik verfolgte Stalin primär revisionistische Zielsetzungen - unterstützt durch eine ähnliche Sichtweise bei führenden Vertretern aus seinem Umfeld wie z.B. auch Schaposchnikow - , die auf eine sowjetische Variante der Monroe-Doktrin hinauslief. Aus der Sicht von Stalin zielten seine Handlungen zum einen auf die Wiederherstellung der Grenzen von 1914 ab, gleichzeitig wollte er das "Glacis" erweitern, um die zunehmende Bedrohung durch das 3. Reich möglichst früh an den Grenzen zu SU stoppen zu können.
Dass er dann in der Folge und als Konsequenz des WW2 den Osten Europas besetzte, was normalerweise als Beleg für die Bedeutung einer revolutinären Ideologie des Marxismus- Leninismus herangezogen wird, folgt auch eher den Regeln der Hegemonialpolitik rivalisierender Groß- bzw. Supermächte, als dem Imperativ der revolutionären Rolle der "Internationale".
Wie gesagt, Ideologie spielte dabei auch eine Rolle, aber lediglich in dem Sinne, dass sie als Legitimation die Umsetzung der Zielvorgaben durch Stalin sichergestellt hat. Aus ihr wurden aber keine materiellen Vorgaben für relevante politische innen- wie außenpolitische Projekte abgeleitet. Sie war lediglich "ideologische Begleitmusik".
So und jetzt ist es wieder an der Zeit, die "roten" zu verteilen für mein "Geschwätz" :rofl: