Rezensionen zum Dritten Reich

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Katholische Kirche und Nationalsozialismus 1930-1945

Autor: Christian Schmidtmann
Datum: 16.10.2006
Subject: Rez. NS: H. Gruber: Katholische Kirche und
Nationalsozialismus 1930-1945

H-Soz-u-Kult

Der hier vorgelegte Band bündelt 254 Dokumente zum Thema „Katholische Kirche und Nationalsozialismus“, laut Vorwort von Heinz Hürten, zu einem „Kernbestand von Quellen, der bei jeder Beschäftigung mit diesem Thema sich als hilfreich erweisen wird“ (S. XI). Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind die hier abgedruckten Dokumente schon zuvor ediert und der interessierten wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Allerdings dürften diesen Zugang nur Spezialisten mit dem Willen, diesem Forschungszweig über Jahrzehnte hinweg einen erklecklichen Anteil ihrer Aufmerksamkeit und ihres Bibliotheksetats zu opfern, gehabt haben. Für Forscher/innen und Lehrende, die sich nur gelegentlich mit dem Thema befassen, ist die vorliegende Sammlung jedoch eine große Hilfe, hat Gruber doch mit sicherem Gespür eine Fülle aussagekräftiger Texte ausgewählt.

Bei der Zusammenstellung folgt er dabei jenem Narrativ, der sich nach jahrzehntelanger Forschung als bestimmend durchgesetzt hat und vor allem im Umfeld der katholischen „Kommission für Zeitgeschichte“ vertreten
wird: Ausgegangen wird von letztlich unvereinbaren Positionen von Kirche und Regime, wobei die Beziehung aber durchaus unterschiedliche Phasen durchlief. Demnach folgte auf eine weltanschaulich begründete Ablehnung des Nationalsozialismus durch die kirchliche Hierarchie nach dessen Regierungsübernahme eine Phase der „Unsicherheit und Anpassung“ (S. 41), in der von Teilen des Episkopats und der katholischen Verbände durchaus „Hoffnungen auf Anteil am Dritten Reich“ (S. 115) artikuliert wurden.
Angesichts des nationalsozialistischen Alltags seien diese „anfänglichen Euphorien und Illusionen“ rasch verschwunden (S. XV) und einer zunehmenden Gegnerschaft gewichen, die auf Grund interner Differenzen in der Bischofskonferenz aber nur von Einzelpersonen öffentlich artikuliert wurde. Neben der Berücksichtigung der absoluten Standardquellen wie der Regierungserklärung Hitlers, diverser Hirtenbriefe, der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ und der Predigten Graf Galens setzt Gruber durchaus kritische Akzente, etwa wenn er die Reaktion des Kartellverbandes katholischer deutscher Studentenverbindungen auf die Machtübernahme oder die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Fuldaer Bischofskonferenz ausführlich dokumentiert. Durch die Aufnahme von Berichten staatlicher Stellen in die Quellensammlung bekommt man auch einen guten Eindruck von deren Wahrnehmung kirchlichen Lebens und den alltäglichen Auseinandersetzungen auf der lokalen Ebene.

Bei allen Qualitäten spiegelt Grubers „Bericht in Quellen“ jedoch zugleich die Schwächen weiter Teile der bisherigen Forschung.
Beunruhigenden Fragen, wie etwa eine möglicherweise vorhandene partielle Überschneidung von „katholischen“ Denkmustern und nationalsozialistischer Ideologie, wird kaum nachgegangen. Im Vordergrund stehen die Auseinandersetzungen der kirchlichen Hierarchie mit der nationalsozialistischen Partei und den staatlichen Stellen, was deutlich an der zahlenmäßigen Verteilung der ausgewählten Quellen ablesbar ist. Fast die Hälfte der Dokumente sind der kirchlichen Hierarchie zuzuordnen, nur wenig geringer ist der Anteil der Quellen aus staatlicher Provenienz. Texte, die das Verhalten und die Wahrnehmung der Verbände dokumentieren und besonders Einschätzungen einzelner katholischer Intellektueller und Laien sind demgegenüber deutlich unterrepräsentiert. Fast gänzlich fehlen Ego-Dokumente und andere Quellen, die Einblicke in Selbstwahrnehmung, Alltagshandeln und Identitätswandel von Katholiken/innen in Krieg und Nationalsozialismus geben könnten. Auch ist die Konzentration auf die katholische Kirche zu bedauern, hätte sich meines Erachtens doch gerade für eine derartige Auswahledition ein überkonfessioneller Ansatz angeboten.

Gemessen am bisherigen Stand der Forschungen zu katholischer Kirche und Nationalsozialismus hat Gruber eine überaus gelungene Auswahl von Quellen vorgelegt, die gerade für universitäre und schulische Lehrzusammenhänge unverzichtbar erscheint. Sie sollte in keinem historischen und theologischen Seminar, in keiner Lehrerausbildungsstätte und in keiner weiterführenden Schule fehlen.
Neue Impulse und die Möglichkeit zur Beantwortung bisher kaum verfolgter Fragestellungen darf man sich von seiner Edition allerdings nicht erwarten.
 
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