In einer Reihe von Punkten würde ich den aktuellen Stand in der Forschung anders bewerten.
Der VV ist durch Zeitgenosse, wie Keynes kritisiert worden. Diese Kritik findet sich in der aktuellen Forschung bei Marks oder MacMillan oder Sharp auch wieder. Insgesamt kann man sagen, dass der Vertrag nicht hart genug war, um abzuschrecken und nicht ausreichend kompromissorientiert, um einen Neuanfang in Europa zu ermöglichen. Und darunter litt die Periode bis zum WW2 in den außenpolitischen Beziehungen der ehemaligen Konfliktparteien.
Auch wenn die Weimarer Republik nicht untergegangen wäre, hätte sich Berlin früher oder später von diesen Bedingungen gelöst.
Das ist sicherlich ein wichtiger Punkt, der den Grad der Normalisierung zutreffend beschreibt. In den 30er Jahren – als kontrafaktischer Beitrag – hätte sich die Situation in Europa eher beruhigt als dass sie eskaliert wäre. Zum Nutzen aller Beteiligter.
Generell muss man jedoch die dem Deutschen Reich auferlegte Rüstungsbeschränkungen kritisch hinterfragen. Gerne vergessen wird heute in der Wissensvermittlung, dass diese Rüstungsbeschränkungen ja durch die Siegermächte argumentativ begründet worden waren. Demnach sollte die Abrüstung der Mittelmächte eine eigene Abrüstung ermöglichen. An diese Absichtserklärung erinnerte die demokratischen Regierungen der Weimarer Republik die Briten und Franzosen wiederholt. Nur interessierte man sich in London und Paris nicht für sein Geschwätz von gestern.
Das ist m.E. eine Vereinfachung, in mehrer Hinsicht.
1. Die Rüstungsbeschränkungen sollten vor allem den legitimen Sicherheitsbedürfnissen Frankreichs gerecht werden. Die Nichteinlösung der Beistandszusagen durch die USA und dann in der Folge durch GB an Frankreich verschärften das Problem der Sicherheit für Frankreich. (vgl. Link zur 3. Republik und die ausführlich literaturgestützte Darstellung)
2. Die Art der Rüstung in Frankreich und GB veränderte sich strukturell und quantitativ. Im Fall von Frankreich wurde sich defensiv und zunehmend immobil. Im Fall von GB rüstete man ab und hatte in den dreißiger Jahren ein so niedriges Niveau erreicht, dass es seiner Funktion als europäische Großmacht nicht mehr gerecht werden konnte (Vgl. Stresa etc.) Zur europäischen Rüstungspolitik ist nach wie vor Maiolo zu empfehlen.
3. Ansonsten übersieht diese Sicht die zunehmenden und tiefen Konflikte zwischen F und GB in Bezug auf die durch Wilson geschaffenen neuen Formen der Diplomatie. Die Beiträge in Sharp und Stone (2002) verdeutlichen die Intensität der Rivalität und den Grad des beiderseitigen Mißtrauens zwischen GB und F. Und erklären, dass der Völkerbund aufgrund dieser Rivalität nie die Rolle spielen konnte, die Wilson ihm eigentlich hatte zubilligen wollen.
Das hätte sich m. E. einfach schon durch die massive Aufrüstung Stalins ab den 30er Jahren ergeben.
Das ist eine verkürzte Sicht auf dieses komplexe Thema. Es berücksichtigt nicht in der sehr kurzen Form der Darstellung die zunehmende aggressive Haltung von Japan in Fernost gegenüber der SU (Mukden-Zwischenfall etc.). Und diese Art der Bedrohung war die Initialzündung für eine deutlich verstärkte - zumindest auf dem Papier - Rüstung in der SU Anfang der dreißiger Jahre. Zu diesem Zeitpunkt war diese Aufrüstung noch ein Gegengewicht primär gegen Japan und in der Person von Litvinov (Außenminister) stand man noch dem System der kollektiven Sicherheit näher (vg. die entsprechenden 3 Links zu dem Thema)
Relevante Literatur zu dem Thema:
Carr, Edward Hallett (1964): The twenty years' crisis, 1919-1939;. An introduction to the study of international relations. 2d ed. New York: Harper & Row (Harper torchbooks, 1122).
MacMillan, Margaret (2003, c2002): Paris 1919. Six months that changed the world. Random House trade paperback ed. New York: Random House.
Maiolo, Joseph A. (2010): Cry Havoc: How the Arms Race Drove the World to War, 1931-1941: Basic Books.
Marks, Sally (2003): The illusion of peace. International relations in Europe, 1918-1933. 2nd ed. Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York: Palgrave Macmillan (Making of the 20th century).
Sharp, Alan (1991): The Versailles settlement. Peacemaking in Paris, 1919. New York: St. Martin's Press (The Making of the 20th century).
Sharp, Alan; Stone, Glyn (2002): Anglo-French relations in the twentieth century. Rivalry and cooperation. London, New York: Routledge.
Steiner, Zara (2005): The lights that failed. European international history, 1919-1933. Oxford, New York: Oxford University Press (Oxford history of modern Europe).
Tooze, J. Adam (2015): The deluge. The Great War and the remaking of global order 1916-1931. London: Penguin Books.
3. Republik
http://www.geschichtsforum.de/f67/frankreichs-weg-den-zweiten-weltkrieg-50401/
UdSSR
http://www.geschichtsforum.de/f67/die-au-en-und-sicherheitspolitik-der-udssr-von-1927-bis-1938-a-39517/
http://www.geschichtsforum.de/f67/die-strategische-konzeption-und-die-r-stungspolitik-der-udssr-1927-bis-1937-a-39596/
http://www.geschichtsforum.de/f67/ideologie-parteitage-und-konflikte-der-udssr-zwischen-1927-und-1938-a-39718/