Wie kommst du zudem darauf, dass Sprache ein wichtiges Merkmal dafür sei? (Ja, ich weiß, ich hatte es auch formuliert, was aber geschah, um es nicht zu kompliziert zu machen.)
Es gibt Nationen mit mehreren Sprachen und Sprachen mit mehreren Nationen. Damit ist widerlegt, dass dies Kriterium zur Definition taugt.
Wie man das Phänomen der Abgrenzung menschlicher Gruppen definieren soll, wird immer noch diskutiert. Bisher gibt keine allgemein anerkannte Definition. Hinzu kommt, dass es historische Epochen gibt, in denen ausdrücklich von Völkern die Rede ist, wir aber nicht sagen können, wie die jeweilige Zeit dies genau definierte. Hierzu gehört schon das Mittelalter, wo zwar lateinische Ausdrücke übernommen wurden, wir aber nicht immer sagen können, welche Bedeutung damit verbunden war.
Die Minimaldefinition ist, dass eine Ethnie sich nach dem eigenen Selbstverständnis oder nach der Außensicht als Gruppe abgrenzen lässt. Wie dir sicher auffällt, wird hier kein Inhalt thematisiert. Es ist rein formal und damit für viele Fragen nicht befriedigend.
Wie ich schon geschrieben habe, wurde die Notwendigkeit gesehen eine Anzahl von Stämmen, die später als deutsch verstanden wurden, mit einer einheitlichen Bezeichnung zu versehen. Doch ist hier die Frage, ob dies negativ oder positiv geschah. Die Logik erklärt uns nun, dass nur positive Abgrenzungen zulässig sind. Wir wissen nun, dass die fragliche Abgrenzung am einen Ende negativ und am anderen positiv war. Irgendwo dazwischen hat es sich geändert. Anfang und Ende sind umstritten. (Siehe die erwähnte Diskussion, bei der thanepower und ich hier im Forum als Exponenten auftraten.) Ich sehe schon das Annolied als Zeugnis für das Ende. Auch über den Anfang lässt sich streiten, aber jenseits reiner Bezüge auf die Sprache mag hier meinetwegen Einhard genannt werden, der nicht nur die Sprache gegenüber stellte und später nationalistisch fehlinterpretiert wurde. Wer will kann auch das Auftreten der Begrifflichkeit 'theodiscus' (latinisiertes fränkisch), 'volkssprachig' (althochdeutsch: diutisc, woraus sich unser Wort deutsch entwickelte), als rein sprachliche Bezeichnung 786 in einem Bericht über eine Synode in England an den Papst als Anfangspunkt nehmen, bei dem ganz klar nicht von einer Ethnie die Rede ist. Mangels eindeutiger Quellen bleibt es Interpretation und Einschätzung. Es ist zwischen den zeitlichen Punkten, wie auch immer man sie wählt, unbekannt, ab wann von einer deutschen Ethnie geredet werden kann. Recht sicher ist aber, dass es um eine Entwicklung und nicht um einen Zeitpunkt geht. Daher ist sowieso von Entstehungsprozess und nicht von Geburt zu sprechen.
Es hängt also zunächst von dem gewählten Begriff aus dem Bereich Ethnie / Volk / Nation / etc. ab. Dann sind auch die Bezugspunkte nur durch Einschätzung zu wählen. Eine objektive Antwort gibt es also mit heutigen Begriffen nicht.
Und was die damaligen Begriffe angeht, sind diese nicht zufriedenstellend zu fassen. Sowohl was die Begriffe, als auch, was die Namen angeht. So lässt sich trefflich streiten ob mit 'teutonicus' und 'diutisc' dasselbe gemeint war. 'Teutonicus', Adjektiv zu den Teutonen, kann ob des bekannten 'theodiscus' im Ursprung einfach pejorativ sein, oder auf einer primitiven Etymologie aufgrund einer gewissen durch den Zusammenfall von 'eo' und 'eu' zu 'iu' im Althochdeutschen begründeten Ähnlichkeit der ersten Silbe zu 'diutisc' beruhen. Es kann aber auch eine unabhängige Bezeichnung sein, die zunächst evt. nur auf einen Teil der mit 'diutisc' bezeichneten Bevölkerung bezogen wurde. Als Wort lässt sich 'diutisc' erstmals in der Bibelübersetzung Wulfilas ('thiudisko') finden, wo es die heidnischen Völker im Gegensatz zu den gläubigen Juden bezeichnet. Im Sinne eines nicht pejorativen 'Barbaren' vielleicht. Aber letztendlich ist die ursprüngliche Bedeutung sowohl im Gotischen, als auch in den westgermanischen Sprachen unbekannt. Aber die Entwicklung zum Ethnonym nahm seinen Ausgangspunkt in der schlichten Bedeutung 'volkssprachig' für die westgermanischen Sprachen (einschließlich der nichtdeutschen Sprachen Englisch und Friesisch sowie des Altsächsischen, bei dem darüber diskutiert werden kann) im Gegensatz zum Lateinischen. Und in dieser Bedeutung ist das Wort erstmals 786 im Bericht zur Synode von Canterbury belegt, während es im Annolied der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts Franken, Bayern und Sachsen zusammenfasst. (Thüringen wurde damals oft zu Sachsen gerechnet und Schwaben sind nicht erwähnt.)
Und eine Quelle, der die zeitgenössische Bedeutung der beiden Namen sicher zu entnehmen ist, wirst du im 10. Jahrhundert (und nach meiner Auffassung bis zum Annolied) nicht finden. Ob es zur Zeit der Lechfeldschlacht ein Volk, eine Ethnie oder was auch immer der Deutschen gab, können wir nicht sagen. Weder, dass es es gab, noch, dass es es nicht gab. Deine Einschätzung musst du dir selbst bilden.