Sicht der Zeitgenossen auf das HRR im 17./18. Jh.

1.
Pufendorf verglich das Reich mit den Staatsformen der Staatsformenlehre und dem Souveränitätsbegriff von Bodin. Dabei wies er nach, dass sich das Reich keiner Staatsform zuordnen liess und auch mit der Souveränitätslehre von Bodin (es kann nur einen Souverän geben) nicht vereinbar war. Mit der Bezeichnung "irreguläres Monstrum" ist im Grunde nur die andere Seite von Einzigartigkeit/Staat sui generis/ etc. umschrieben. Aber der polemische Begriff liess sich eben auch als einen Angriff auf die Legitimtät des Reiches verstehen und so zog sich Pufendorf den Zorn der Wiener Hofkanzlei zu.
2.
Im Reich wurde die Souveränität gemeinsam vom Kaiser und den Ständen ausgeübt. Wahrscheinlich ist das mit "Mitglied" gemeint.
3.
Montesquieu sah hierin ein Prinzip der vertikalen Gewaltenteilung verwirklicht. Im Esprit des Lois bezeichnet er das Reich ausdrücklich als République fédérative d’Allemagne.
1.
Das mit der Hofkanzlei finde ich ja interessant. Generell finde ich es faszinierend wie unterschiedlich die Haltung gegenüber dem Reich sein kann. Heute wird ja gern der "Absolutismus" verteufelt.
Freilich findet man eine Kritik daran schon bei Mirabeau, wobei bei ihm zwischen Absolutismus und Despotismus schwer zu unterscheiden ist.
Könnte man sagen, dass Pufendorf aber eben der Absolutismus sozusagen als Ideal vorschwebte? Das macht ja gerade einleuchtend, dass just das aufstrebende Kurbrandenburg, wo der Große Kurfürst nach damaligen Maßstäben den Absolutismus durchgesetzt hatte, den Staatsrechtler an sich zog.
Kennt man genaue Aussagen der Hofkanzlei als Illustration dazu, was man sich unter "Zorn" vorstellen darf?

2.
Das meint man wohl mit dem Passus "Kaiser und Reich".
Bei allen Partizipationsmöglichkeiten der reichsständischen Untertanen, lag doch in erster Linie der Zugriff auf die Souveränität des Reiches - kann man das so nennen ? - bei den Kurfürsten, gefolgt von den geistlichen und weltlichen Reichsfürsten. Bei allen Zugeständnissen an dieselben, spielten die Reichsstädte von der politischen Einflussmöglichkeit doch nur eine ganz kleine Nebenrolle zur Betrachtungszeit (und zuvor eine noch geringere).

3.
War das Werk dann im HRR darum eher geduldet oder wurde es dennoch als Teufelszeug angesehen.
Mit der Bezeichnung "République fédérative d’Allemagne" liegt ja Montesqieu auch nicht soweit weg von der heutigen Einordnung als Adelsrepublik.
 
1.
Das mit der Hofkanzlei finde ich ja interessant. Generell finde ich es faszinierend wie unterschiedlich die Haltung gegenüber dem Reich sein kann. Heute wird ja gern der "Absolutismus" verteufelt.
Freilich findet man eine Kritik daran schon bei Mirabeau, wobei bei ihm zwischen Absolutismus und Despotismus schwer zu unterscheiden ist.
Könnte man sagen, dass Pufendorf aber eben der Absolutismus sozusagen als Ideal vorschwebte? Das macht ja gerade einleuchtend, dass just das aufstrebende Kurbrandenburg, wo der Große Kurfürst nach damaligen Maßstäben den Absolutismus durchgesetzt hatte, den Staatsrechtler an sich zog.
Kennt man genaue Aussagen der Hofkanzlei als Illustration dazu, was man sich unter "Zorn" vorstellen darf?
Kaiserliche Zensur und wehe, wenn kaisertreue Obrigkeiten Pufendorf in die Finger bekommen hätten...

Der "Zorn" war vorhersehbar. Deshalb veröffentlichte Pufendorf sein Buch "De statu imperii germanici ad Laelium fratrem, dominum Trezolani, liber unus" unter dem Pseudonym "Severinus de Monzambano". Obgleich er die Gunst des pfälzischen Kurfürsten im allgemeinen und im besonderen im Hinblick auf die Veröffentlichung dieses Buches genoss, musste er es im Ausland verlegen lassen. Es war einfach zu heikel, dieses Buch mit offenen Visier im HRR zu veröffentlichen.

Pufendorf ging in diesem Buch auf die verkommenen und verlotterten Zustände des HRR ein und zeriss die hohlen Phrasen, mit der die damalige Reichspublicistik versuchte, diese Zustände zu überdecken. Dabei wies er nach, dass das HRR weder eine Demokratie, noch eine Aristokratie, noch eine Monarchie sei, daß es auch keine gemischte Staatsform im Sinne der aristotelischen Politik oder neuerer Schriftsteller besitze, sondern daß es ein unregelmäßiges Staatsgebilde sei, wie es auf Erden kein zweites gebe – ein "corpus tantum non monstro simile". In diesem Zusammenhang kritiserte er auch die Hausmachtpolitik der Habsurger und deren Streben, das HRR in eine Erbmonarchie zu verwandeln. Am Schluss seines Buches stellte er die "Heilmittel" für die "Krankheiten Deutschlands" vor. Ehe er aber seine eigenen Heilmittel vorstellte, setzte er sich mit denen des "Hippolithus a Lapide" auseinander, die dieser in seinem Buch "Dissertatio de ratione status" empfohlen hatte. Bei diesem Buch handelte es sich um eine heftige Anklage gegen das Haus Österreich, die wohl von Bogislaw Philipp von Chemnitz am Ende des 30jährigen Krieges geschrieben wurde und mit der dem Kaiser die Souveränität abgesprochen und diese bei den Reichsständen verortet wurde. Im kaiserlichen Einflussgebiet war der "Hippolithus" verboten. Monzambano skizzierte sechs Vorschläge des Hippolithus. Eines der "Heilmittel" des Hippolathus lautete "das Haus Oesterreich gänzlich vernichten und seinen Besitz confisciren". Monzambano distanzierte sich von diesem Vorschlag, aber eher aus praktischen Gründen (wegen der Schwierigkeit der Durchführung und den Folgeproblemen). Er stellte dann seine eigenen "Heilmittel" dar, denen gemein war, dass mit ihnen eine föderale Politik betrieben und die kaiserliche Macht eingeschränkt werden sollte. Insbesondere sollte dem Kaiser ein "ständiger Bundesrath" zur Seite gestellt werden, der die Bundesgenossen repräsentiert und die laufenden Verwaltungsgeschäfte (auch die auswärtigen Angelegenheiten) nach zuvor gemeinsam festgelegten Grundsätzen und Beschlüssen besorgt. "Freilich ist wenig Hoffnung", so Monzambano, "daß Oesterreich in die Errichtung eines solchen Rathes willigen wird, da es jeder Beschränkung seiner Macht, selbst einer mäßigen, abhold ist. Und doch ist es für Deutschland eine Unmöglichkeit, so lange die männliche Linie des Habsburgischen Hauses fortbesteht, die Kaiserwürde einem anderen Geschlechte zu übertragen. Es wird also nichts anderes übrig bleiben, als auf gütlichem Wege von Oesterreich die Selbstbeschränkung zu verlangen, daß es wenigstens mit seiner jetzigen Macht zufrieden sein und nicht nach einer Erweiterung derselben auf Kosten der Stände streben möge. Die Aufgabe der Stände aber wird es sein, alle Versuche gegen ihre Sicherheit und Libertät entschlossen und einmüthig entgegen zu treten" (Hervorhebung durch Gandolf). Man kann sich leicht vorstellen, wie sich in Wien beim Lesen dieser Zeilen Rauchschwaden bildeten und aufstiegen.

Pufendorf und Absolutismus: der nach Glück und Geselligkeit strebende Einzelne unterwarf sich im Naturzustand per Vertrag der Staatsmacht, die das friedliche Streben nach Glück und Geselligkeit der Vielen fördern und durch rechtliche Formen sichern musste. Der Absolutismus war insoweit zweckgebunden. Hier öffnete sich das Tor für die Menschenrechte und die von Pufendorf verfochtene Würde des Menschen.
 
Man kann sich leicht vorstellen, wie sich in Wien beim Lesen dieser Zeilen Rauchschwaden bildeten und aufstiegen.
Wobei ich mich frage, wie man das hätte nennen sollen, was damit Pufendorf vorschwebte? Entscheidungen wären ja noch weniger zu treffen gewesen. Die kaiserliche Macht war ja ohnehin nur geringfügig. Der Kaiser hatte ja ohnehin im Grunde keine Entscheidungsbefugnisse. Selbst im Ernstfall musste er erstmal beim Reichstag anfragen, bspw. wenn es um die Erklärung zum Reichskrieg ging. Die einzige deutlich für mich erkennbare Befugnis des Kaisers liegt für mich innerhalb der Rechtssprechung, indem er auf den Reichshofrat m.E. einen direkteren Einfluss ausübte.

Wie beurteilst Du Pufendorfs Werk?
 
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