Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??

Wer sich weigerte wurde von denen erschossen, Kind hin oder her.
Selbst wenn noch eines dieser Kinder leben würde, wäre eine Anklage völlig unangebracht.
Denn was für eine Option hatten die Menschen denn damals? In einer brutalen Diktatur, in der jeder Widerstand und am Ende auch Verweigerung mit dem Tod bestraft wurde?
Zwar halte ich es prinzipiell für möglich, dass während der sog. Endphase auch Volkssturmmitglieder, die die Beteiligung an Verbrechen verweigerten, ermordet wurden (eine Handvoll entsprechender Fälle in der Wehrmacht und unter Beamten sind verbürgt, insofern wäre der Volkssturm eine bemerkenswerte Ausnahme).

Insgesamt ist aber festzuhalten – wie Browning in 'Ordinary Men' so beeindruckend herausgearbeitet hat –, dass die Teilnahme an Kriegsverbrechen im Dritten Reich in der weit überwiegenden Zahl der Fälle freiwillig erfolgte. Es sind sogar Fälle überliefert, bei denen die Teilnahme explizit freigestellt und versprochen wurde, dass den Betreffenden keine Nachteile drohten.

Gerade im Osten kam es sehr selten vor, dass verbrecherische Befehle verweigert wurden, und wenn, hielten sich die Folgen in Grenzen. Todesurteile oder Haftstrafen sind nur wenige verbürgt, etwas häufiger kam es zur strafweisen Versetzung zur "Bewährung", was oft (aber nicht immer) mit einer höheren Gefährdung verbunden sein konnte.

Zwar muss man meiner Ansicht nach in Rechnung stellen: Aus der Rückschau ist es einfach, Mut einzufordern; und natürlich muss man gar nicht jede Abweichung bestrafen, um eine Bevölkerung zu kontrollieren, es genügt, die bloße Möglichkeit der Bestrafung nicht in Vergessenheit fallen zu lassen. Trotzdem bleibt die traurige Wahrheit: Die Nazis mussten in der Regel zu nichts zwingen.

Der Gruppenzwang in der von ihnen gleichgeschalteten Gesellschaft genügte zumeist vollauf, um sich der Duldung oder Komplizenschaft der Männer sicher sein zu können. Dies war ja auch eines der Ziele der Nazis. Ich habe die genaue Fundstelle des Zitats vergessen, aber Goebbels sagte einmal, dass er die Deutschen alle zu Mittätern machen wolle; denn dann müssten sie alles für den Endsieg geben, weil sie andernfalls die Vergeltung der Sieger zu fürchten hätten. Eine Schicksalsgemeinschaft der Schuldigen.

Die soziale Bindung in den Einheiten erledigte den Rest. Es ist nicht so sehr der Krieg an sich, der den Soldaten verroht, sondern auch eine tragisch-simple Tatsache: Wenn man zum eigenen Überleben darauf angewiesen ist, dass die Kameraden alles für einen tun werden, will man naturgemäß nicht derjenige sein, der Zweifel daran aufkommen lässt, ob auch er bereit ist, für die Gemeinschaft alles zu tun. Es braucht deswegen in einer schlecht oder nach inhumanen Prinzipien geführten Einheit potentiell nur ein paar schwarze Schafe, die mit schlechtem Beispiel vorangehen, schon ist die Gefahr groß, dass der Rest mitzieht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Richtig. Allein schon die Empörung darüber, dass hypothetischer Weise "Mitglieder" des Volkssturms einen Gerichtsprozess zu erwarten hätten, ist absurd, weil die erzwungene "Mitgliedschaft" im Volkssturm eben kein Verbrechen darstellt.
Anders sieht es eben in dem Fall aus, wenn Mitglieder des Volkssturms zu Verbrechern wurden. Aber das dürfte kaum aktenkundig sein (es sei denn, es gäbe die Zeugenaussage vom Juni 1945, der Hitlerjunge XY sei im April/Mai 1945 sich daran beteiligt gewesen, den Bürgermeister AB, der die Hakenkreuzflagge eingezogen und aus dem Rathaus ein weißes Bettlaken gehängt habe, an selbiges zu hängen).
 
Muss man hier nicht vielleicht auch nach der Zeit differenzieren? In den letzten Kriegswochen machten sich doch eine Rechtlosigkeit und Willkür breit, die sogar den Zustand der Vorjahre übertraf. Also dass ein regulärer Wehrmachtssoldat 1943 konsequenzlos etwas verweigern können hätte, das zu verweigern für einen Volkssturmangehörigen im April 1945 sehr wohl letale Folgen hätte haben können?
 
Wie gesagt, für denkbar halte ich es durchaus. Ich bin beileibe kein Experte für die NS-Zeit, allerdings gibt es ja Beispiele solcher Fälle andere Organisationen des NS-Staates betreffend, warum also nicht auch beim Volkssturm. Allerdings glaube ich nicht, um zum Ursprungsthema zurückzukommen, dass Vierzehnjährige dabei eine nennenswerte Rolle spielten. Nicht dass nicht auch Kinder zu Mord und Totschlag fähig wären, aber ich würde annehmen, dass Entscheidungsträger, die Verbrechen zu begehen gedachten, sich nicht mit dem Unsicherheitsfaktor (aus ihrer Sicht) der kindlichen Natur aufgehalten haben würden. NS-Täter würde ich v.a. unter Männern wehrfähigen Alters suchen, und die sterben in der Tat gerade aus. Und die schlimmsten Verbrecher, die Entscheidungsträger, sind sowieso nicht mehr am Leben, denn als Stabs- oder Flaggoffiziere und höhere Beamte gehörten sie der Generation der zwischen ca. 1880 und 1910 Geborenen an.
 
Muss man hier nicht vielleicht auch nach der Zeit differenzieren? In den letzten Kriegswochen machten sich doch eine Rechtlosigkeit und Willkür breit, die sogar den Zustand der Vorjahre übertraf. Also dass ein regulärer Wehrmachtssoldat 1943 konsequenzlos etwas verweigern können hätte, das zu verweigern für einen Volkssturmangehörigen im April 1945 sehr wohl letale Folgen hätte haben können?

Da würde man wahrscheinlich dann grudsätzlich zwischen Osten und Westen unterscheiden müssen, im Westen kapitulierte ja nach dem Rheinübergang der alliierten Truppen eine Stadt nach der anderen, mehr oder minder Kampflos oder nach allefalls symbolischem Widerstand, die im Ruhrgebiet eingeschlossene Armee unter Model löste sich gaz einfach auf und die Soldaten sahen zu, dass sie irgendwo Zivilkleidung auftreiben und nach Hause gehen konnten.
In einem solchen Klima wird man sicherlich kaum vo Zwang unnd Gefahr für das eigene Leben im Fall von Verweigerungen verbrechersicher Befehle reden können.

Im Osten mag das etwas anders ausgesehen haben, aber da halte ich den Einwand:

Nicht dass nicht auch Kinder zu Mord und Totschlag fähig wären, aber ich würde annehmen, dass Entscheidungsträger, die Verbrechen zu begehen gedachten, sich nicht mit dem Unsicherheitsfaktor (aus ihrer Sicht) der kindlichen Natur aufgehalten haben würden.

halte ich für durchaus nicht unberechtigt.

Aus welchem Grund hätten für etwaige Morde (was anderes wäre ja heute überhaupt nicht mehr zu verhandeln), 14-jährige Jugendliche als "Vollstrecker" herangezogen werden sollen?


Allein schon die Empörung darüber, dass hypothetischer Weise "Mitglieder" des Volkssturms einen Gerichtsprozess zu erwarten hätten, ist absurd, weil die erzwungene "Mitgliedschaft" im Volkssturm eben kein Verbrechen darstellt.

Was ich in Sachen Empörung in diesen Dingen ja immer wieder erstaunlich finde, ist dass von der entsprechenden Seite dann so getan wird, als sollten heute Menschen für irgendwelche Banalitäten angeklagt werden, die in dieser Form entweder überhaupt keinen Straftatbestand darstellen oder ohnehin längst verjährt sind.

Sieht für mich verdächtig, nach framing aus, im Besonderen wenn von der gleichen Person in anderen Fäden dann noch Behauptungen vom Stapel gelassen werden, wie, dass am Aufstieg der NSDAP und Hitlers vor allem die anderen Parteien Schuld gehabt hätten etc.
Da fängt es dann für mich an doch etwas komisch zu werden.
 
Im Rahmen einer gerichtlichen Aufarbeitung wären die Einzelumstände auch entscheidend. Im Falle, dass ein 14-jähriger Hitlerjunge quasi von der Schulbank eingezogen worden wäre, dann auf Befehl eines alten Parteigenossen auf flüchtende KZ-Insassen zu schießen gehabt hätte, wären das alles Umstände, die zu berücksichtigen wäre.

Aber wir sprechen hier nur von hypothetischen Fällen: die letzten mir bekannten Verfahren gegen Personen, die an NS-Verbrechen beteiligt gewesen sind, betrafen doch alle nur Angehörige von KZ-Besatzungen, so wie Wachsoldaten (z. B. Oscar Gröning) oder zuletzt die Sekretärin in dem KZ Stutthof.
 
Aus welchem Grund hätten für etwaige Morde (was anderes wäre ja heute überhaupt nicht mehr zu verhandeln), 14-jährige Jugendliche als "Vollstrecker" herangezogen werden sollen?
Vielleicht aus demselben Grund, aus dem noch heute mancherorts Kindersoldaten beliebt sind. Auch sie werden mitunter ganz gezielt für verbrecherische Handlungen herangezogen, um sie zu verrohen und eine Rückkehr in ein normales Leben möglichst zu verunmöglichen.
 
Auch sie werden mitunter ganz gezielt für verbrecherische Handlungen herangezogen, um sie zu verrohen und eine Rückkehr in ein normales Leben möglichst zu verunmöglichen.
Mag sein, aber sie zu verrohen und ihnen eine Rückkehr in ein normales Leben zu verunmöglichen ergibt nur dann irgendeinen Sinn wenn überhaupt noch irgendeine zukunftsperspektive vorhanden ist, insbesondere eine, die weitere Instrumentalisierung ermöglicht (um in der verbrecherischen Logik zu bleiben).

Das war aber doch so in der Endphase des 2. Weltkriegs nicht mehr gegeben.

Es war klar, dass das Regime am Ende war und es war auch klar, dass ein paar dürftig ausgerüstete Jugendliche ohne militärische Ausbildung das nicht verhindern würden und dass davon auszugehen war, dass der Großteil davon den ersten Zusammestoß mit dem Feind nicht überlebt.
Angesichts der Zerstörungen und dem erwartbaren Rachebedürfnis der Sowjets dürfte die Perspektive eines normalen Lebens nach dem Krieg ohnehin eher nicht so aussichtsreich gewesen sein, was den Osten angeht und im Westen war die Stimmung ohnehin danach möglichst schnell die Waffen zu strecken und die Amerikaner und Briten durch zu lassen.
 
Insgesamt ist aber festzuhalten – wie Browning in 'Ordinary Men' so beeindruckend herausgearbeitet hat –, dass die Teilnahme an Kriegsverbrechen im Dritten Reich in der weit überwiegenden Zahl der Fälle freiwillig erfolgte.
Danke für diesen wirklich wichtigen Hinweis. Und auch für den Verweis auf Browning.
Ich hab ihn nicht gelesen, aber mir ein Interview von 1992 auf archive.org angeschaut.
Ordinary Men : Christopher R. Browning : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
Ich vermute, dass das eine knappe Zusammenfassung seiner Forschung ist.

Es ist so wichtig zu verstehen, dass man aus den meisten Menschen Mörder machen kann, wenn man den geeigneten Rahmen setzt.
 
Vielleicht aus demselben Grund, aus dem noch heute mancherorts Kindersoldaten beliebt sind. Auch sie werden mitunter ganz gezielt für verbrecherische Handlungen herangezogen, um sie zu verrohen und eine Rückkehr in ein normales Leben möglichst zu verunmöglichen.
Schwierige Frage. Organisationen und Armeen, die Kindersoldaten eingesetzt haben, unternahmen meist große Anstrengungen, sie zu manipulieren, damit sie überhaupt "brauchbar" wurden. Die Lord's Resistance Army etwa setzte Drogen ein und zwang Kinder, ihre eigenen Eltern zu ermorden. Die iranischen Bassidsch zwangen Mütter, ihre eigenen Söhne (als menschlichen Minenpflug) in den Tod zu schicken. Hatten die Nazis 1945 überhaupt noch Zeit und Muße, Vierzehnjährige derart zu bearbeiten?
Danke für diesen wirklich wichtigen Hinweis. Und auch für den Verweis auf Browning.
Ich hab ihn nicht gelesen, aber mir ein Interview von 1992 auf archive.org angeschaut.
Ordinary Men : Christopher R. Browning : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
Ich vermute, dass das eine knappe Zusammenfassung seiner Forschung ist.

Das Buch sollte eine Pflichtlektüre an deutschen Schulen sein. Für mich gehört es zur Triade der drei absoluten, niederschmetternden Augenöffner über den Nationalsozialismus.

(Die anderen Eckpunkte der Triade: Wilhelm Stuckarts Insistieren, sein Vorschlag, die Juden "nur" zu sterilisieren, sei Ausdruck seiner humanitären Gesinnung gewesen; und Jordan Petersons* Vorlesung zur Psychologie nationalsozialistischer Täter, in denen er seine Studenten eindringlich vor Selbstbetrug warnt: "Don't kid yourself: Odds are you would've been a perpetrator."

*) Man mag von Petersons Haltung zu Genderdysphorie halten, was man will, aber seine Totalitarismus-Vorlesungen sind absolut zu empfehlen, eine furiose Warnung vor der Gefahr des Faschismus.)
Es ist so wichtig zu verstehen, dass man aus den meisten Menschen Mörder machen kann, wenn man den geeigneten Rahmen setzt.
Das ist leider nur allzu wahr.
Sieht für mich verdächtig, nach framing aus, im Besonderen wenn von der gleichen Person in anderen Fäden dann noch Behauptungen vom Stapel gelassen werden, wie, dass am Aufstieg der NSDAP und Hitlers vor allem die anderen Parteien Schuld gehabt hätten etc.
Da fängt es dann für mich an doch etwas komisch zu werden.
Keine Sorge, ich hatte die gleichen Zweifel.

Okay, man kann denen, die mit dieser Cousine der Schlussstrich-Debatte liebäugeln, noch zubilligen, dass die meisten Menschen ihr Wissen über Strafrecht aus dem 'Tatort' beziehen. Sie wissen nicht, was möglich ist, und die Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte (etwa die Herausarbeitung eines neuen Tatbeitragsbegriffs in der Rechtslehre) sind aus verständlichen Gründen an ihnen vorbeigegangen.

Bestes Beispiel: Auch der am meisten antifaschistisch eingestellte Richter hätte vor zwanzig Jahren die Stutthof-Sekretärin Irmgard F. nicht wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, die Grundlage dafür war noch nicht herausgearbeitet. Womöglich glaubt mancher auch deshalb an eine "politisch korrekte" Justiz, die Hundertjährige bis ins Grab verfolgt. Die jahrzehntelange Nichtverfolgung tut ihr Übriges.

Andererseits: Umso weiter man sich an die Ränder des politischen Spektrums bewegt, eine desto höhere Bereitschaft findet man nun mal, das eigene Gerechtigkeitsempfinden über das Gesetz zu stellen. Hat man schön bei den Corona-Leugnern gesehen, die allesamt nicht ahnten, dass die Verfassung, auf die sie sich beriefen, Grundrechtseinschränkungen zur Seuchenbekämpfung explizit vorsieht …
 
Hatten die Nazis 1945 überhaupt noch Zeit und Muße, Vierzehnjährige derart zu bearbeiten?
Da könnten einige Jahre HJ und Gleichschaltung in der Schule schon gereicht haben, sodass weiteres "bearbeiten" nicht nötig war. Die Nazis fingen '45 nicht bei null an mit der Hirnwäsche von Menschen und isb. Kindern und Jugendlichen.
 
Da könnten einige Jahre HJ und Gleichschaltung in der Schule schon gereicht haben, sodass weiteres "bearbeiten" nicht nötig war. Die Nazis fingen '45 nicht bei null an mit der Hirnwäsche von Menschen und isb. Kindern und Jugendlichen.

Die fing sicherlich nicht bei null an, der Umstand, dass etwa die "Organisation Werwolf" die ja explizit darauf abzielte auch auf den Fanatismus von Kindern und Jugendlichen aufzubauen und Terroristen zwecks asymetrischer Kriegsführung/Rache daraus zu machen, insgesamt ein grandioser Fehlschlag war, zeigt aber auch, dass die Gehirnwäsche durch die NS-Organisationen praktisch durchaus ihre Grenzen hatte.

Wäre das anders gewesen, hätte auf die Niederlage im konventionellen Krieg eigentlich ein Asymetrischer folgen müssen, aber der blieb aus.


Okay, man kann denen, die mit dieser Cousine der Schlussstrich-Debatte liebäugeln, noch zubilligen, dass die meisten Menschen ihr Wissen über Strafrecht aus dem 'Tatort' beziehen.
Das sieht bei mir ja nicht viel anders aus, im Hinblick auf Juristerei bin ich auch mehr oder weniger unbeschlagen und mein Verständnis für die ganze Sache wäre wahrscheilich auch sehr beschränkt, wenn nicht vor ein paar Jahren der Demjanjuk-Prozess entspechende Wellen geschlagen hätte.
Nun weiß ich bei einem Userprofil natürlich nicht, wer dahinter steckt und ob die Person möglicherweise einfach ein paar Jahre zu jung ist (der Demjanjuk-Fall ist ja nun doch auch schon ein paar Jahre her) um die Veränderung der Rechtsauslegung mitbekommen zu haben, oder dass das möglicherweise sonst wie nicht registriert wurde, weil interesse an historischen Sachverhalten oder der NS-Zeit, möglicherweise erst später aufgekommen oder nur oberflächlich/episodisch gegeben.

Womöglich glaubt mancher auch deshalb an eine "politisch korrekte" Justiz, die Hundertjährige bis ins Grab verfolgt. Die jahrzehntelange Nichtverfolgung tut ihr Übriges.
Naja, das Empfinden einer gewissen Ungerechtigkeit angesichts der Nichtverfolgung inzwischen längst verstorbener Täter, die deutlicher involviert waren, kann ich verstehen.

Ich würde dass auch gar nicht näher thematisiert haben, wenn es nicht mit etwas seltsamem Gebaren in den beiden anderen Diskussionen korrespondieren würde, denn was da postuliert wurde, lässt sich nun nicht mehr mit "juristisch unbedarft" erklären.

Wenn da auf der einen Seite Hinz und Kunz für den Aufstieg der Nazis verantwortlich gemacht werden, weil angeblich die anderen Parteien einfach abgehoben gewesen seien, schlechte Politik gemacht hätten und überhaupaut alle Angst vor den Kommunisten hatten, mit anderen Worten die Verantwortlichkeit der NS-Wählerschaft weitgehend negiert oder entschuldigt wird, dass mit in einem anderen Faden noch mit fragwürdigen Postulaten verbunden wird, nach denen die Zeiten halt einfach so waren und jeder "Bierkellerhassprediger" ohne weiteres Diktator hätte werden können, etc., dann noch Parallelen zwischen der Situation Anfang der 1930er und dem derzeitigen politischen Betrieb angestrengt werden um das Verhalten heutiger Wählergruppen zu erklären und zu entschuldigen und dann hier noch ein Popanz zur Schau gestellter Empörung inszeniert wird, als wen man heute noch Leute aus dem Seniorenheim karren und wegen irgendwelcher Bagatellen vor Gericht ziehen wollte (auch der juristisch Unbedarfte dürfte wissen, dass außer Mord und damit in Verbindung stehenden Tatbestäden mehr oder weniger alles sonst noch denkbare längst verjährt ist), naja, dann muss ich sagen, dass meine Bereitschaft an zufällige Unbedarftheiten in einzelnen Bereichen als ursächlich für diese Äußerungenn zu halten, allmählich zur Neige geht.

Andererseits: Umso weiter man sich an die Ränder des politischen Spektrums bewegt, eine desto höhere Bereitschaft findet man nun mal, das eigene Gerechtigkeitsempfinden über das Gesetz zu stellen.

Weiß ich nicht.
Ich denke, das die höhere Bereitschaft Gesetze aus Gründen des eigenen Gerechtigkeitsempfindens im Zweifel zu missachten bei den politischen Rändern vor allen Dingen deswegen öfter auftrtitt, weil sich wesentlich öfter als bei jemandem in der politischen Mitte überhaupt ein Konflikt zwischen Gesetz und Gerechtigkeitsvorstellungen ergibt.
Ohne damit diejenigen, die meinen ihre persönlichen Anschauungen über das Recht stellen zu können entschuldigen zu wollen.

Hat man schön bei den Corona-Leugnern gesehen, die allesamt nicht ahnten, dass die Verfassung, auf die sie sich beriefen, Grundrechtseinschränkungen zur Seuchenbekämpfung explizit vorsieht …

Ja, schönes Beispiel eigentlich.
Ich kann das nicht nachweisen, würde aber davon ausgehen, dass ein nicht geringer Teil derer, die die Pandemie durchaus ernst genommen haben, das auch nicht ahnte.
Bei denen lag allerdings, weil sie die Pandemie ernst nahmen und die Notwendigkeit von Maßnahmen verstanden haben, deutlich weniger Konfliktpotential gegenüber den regierungsseitigen Maßnahmen vor und zwar wahrscheinlich vollkommen unbeschadet dessen, ob für sie nachvollziehbar war wie weit diese Maßnahmen im Einzelnen nun durch die Verfassung gedeckt waren oder eben nicht.
Da wird für viele einfach "Not kennt kein Gebot" gegolten haben.

Ich würde mich durchaus nicht dafür verbürgen, dass wäre die Gesetzeslage eine andere gewesen und die Corona-Leugner hätten sich juristisch im Recht befunden, es nicht umgekehrt ein sehr großes Potential für Forderungen gegebenn hätte, entsprechende Maßnahmen trotzdem zu erlassen (sich da ggf. auf die Hamburger Sturmflut zu berufen) oder im Eilverfahren die juristische Grundlage zu schaffen um die Gesetze den eigenen politischen Bedürfnissen anzupassen.
Ich denke nicht, dass in einem solchen Fall diejenigen, die wegen Corona wirklich aufrichtig in Sorge waren und eher der politischen Mitte zuzuordnen sind, sich dann auf Grund der Gesetzeslage allein deswegen entsprechender Forderungen enthalten haben würde.

Ohne das in irgendeiner Form werten zu wollen, ich halte das Bild dass sich da ergibt, mehr für das Ergebniss unterschiedlich häufiger Gelegnheiten eines grundsätzlichen Dissens zwischen Rechtslage und persönlichen Moralvorstellungen, als für das Ergebnis einer bestimmten politischen Typologie, die bei den Rändern grundsätzlich anders wäre.

Ich denke, damit habe ich mich jetzt aber auch genug ins off-topic verrant.
 
Da könnten einige Jahre HJ und Gleichschaltung in der Schule schon gereicht haben, sodass weiteres "bearbeiten" nicht nötig war. Die Nazis fingen '45 nicht bei null an mit der Hirnwäsche von Menschen und isb. Kindern und Jugendlichen.
Auch im nationalsozialistischen Deutschland war Mord eine Straftat. Die Paragraphen im Strafgesetzbuch zu Mord und Totschlag sind heute noch die von 1941, weshalb Heiko Maaß, als er noch Justizminister war, eine Strafrechtsreform anstrebte. Es ist ja nicht so, dass im nationalsozialistischen Dtld. gänzlich andere Werte gegolten hätten.
 
Für den Thread spielt das alles keine Rolle.

Mord verjährt nicht und 14jährige sind strafmündig. Damit muss mit 92 gerechnet werden und nicht mit über hundert, was allen unter 23 Straffreiheit zubilligte. Wenn jemand noch die Einsichtsfähigkeit oder was auch immer gefehlt hat, hat das Gericht das zu berücksichtigen. Ansonsten hat ein Staatsanwalt da keine Wahl, wenn der Täter nicht gerade auf dem Sterbebett liegt.

Für den Volkssturm waren offiziell erst 16jährige vorgesehen, wir wissen aber, dass bei Volkssturm und auch in einigen normalen Einheiten 14jährige waren. Wahrscheinlich, wenn sie nicht anders waren als 14jährige in anderen Zeiten, waren viele eher freiwillig als gezwungen dabei.

Das hier einfach ausgeschlossen wird, dass einer aus diesem Kreis an Verbrechen beteiligt war, entsetzt mich ein wenig.
 
Die Paragraphen im Strafgesetzbuch zu Mord und Totschlag sind heute noch die von 1941, weshalb Heiko Maaß, als er noch Justizminister war, eine Strafrechtsreform anstrebte.
Wobei das schwachsinniger Aktionismus war … Die Tätertypenlehre mag ein Produkt des Nazismus sein, aber gerade der §§ 212, 211 StGB ist eine überaus handliche und rationale Regelung für die Konkurrenz zwischen vorsätzlicher und spontaner Tötung. Maaß wollte allen Ernstes einen neuen Tatbestand der "widerrechtlichen Tötung" einführen, zu ahnden mit Haft nicht unter fünf Jahren. Der reine Wahnsinn.
Es ist ja nicht so, dass im nationalsozialistischen Dtld. gänzlich andere Werte gegolten hätten.
Du meinst sicher: Gesetze. Die Werte waren eher andere. Übrigens sehe ich darin eine in Nürnberg verpasste Chance: Vielleicht hätten die Alliierten das Narrativ von der "Siegerjustiz" im Keim ersticken können, wenn sie die Täter, wann immer möglich, nach deutschem Recht abgeurteilt hätten. Um zu zeigen, dass die Nazis selbst nach deutschem Recht Verbrecher waren.
Das hier einfach ausgeschlossen wird, dass einer aus diesem Kreis an Verbrechen beteiligt war, entsetzt mich ein wenig.
Das muss es doch nicht? Ich glaube, niemand hier (außer vielleicht @BabylonDeutschland) hat wirklich komplett ausgeschlossen, dass auch vierzehnjährige Volkssturmmitglieder in Verbrechen verwickelt gewesen sein könnten. Der Konsens scheint nur dahin zu gehen: Es dürften Ausnahmefälle gewesen sein.

Dafür spricht schon, dass auch in totalitären Systemen Kinder eher nicht als Täter in Erscheinung treten; dafür spricht der Mangel an prägnanten Fallbeispielen (die zu Recht thematisiert worden wären).

Aber vor allem: Stelle Dir vor, Du seiest irgendein fanatischer SS-Scharführer im April 1945. Wem befiehlst Du, den entlaufenen Kriegsgefangenen zu ermorden, den Du "gestellt" hast: Deinem 50-jährigen Volkssturmmann, der wahrscheinlich auch noch ideologisch mit Dir übereinstimmt, oder einem Pimpf, der kaum seinen Karabiner gerade halten kann? Da fällt die Wahl doch eher auf den Erwachsenen.
 
Mord verjährt nicht und 14jährige sind strafmündig. Damit muss mit 92 gerechnet werden und nicht mit über hundert, was allen unter 23 Straffreiheit zubilligte.
Du missverstehst da etwas. Es geht nicht darum, irgendeinen Mord wegzureden oder nicht strafzuverfolgen. Es wurde so getan, als würden alle am Krieg beteiligten, einschließlich Volkssturmangehöriger, strafrechtlich verfolgt werden. Aber das ist ja nicht der Fall. Verfolgt werden Leute, die Straftaten begangen haben bzw. von denen man überzeugt ist, dass sie Straftaten begangen haben. Wenn das nicht bewiesen werden kann, werden sie freigesprochen.

Die Altersfrage spielt zunächst einmal nur in Bezug darauf, ob Erwachsenenstrafrecht oder Jugendstrafrecht angewandt wird, eine Rolle. Das ist der juristische Part.

Dass hier einfach ausgeschlossen wird, dass einer aus diesem Kreis an Verbrechen beteiligt war, entsetzt mich ein wenig.
Soweit ich das sehe, hat das niemand ausgeschlossen. Aber ich befürchte, du beziehst dich da auf Beiträge von mir. Ich schließe gar nichts aus. Ich denke nur, dass es von Einzelfällen fanatisierter Jugendlicher abgesehen, äußerst unwahrscheinlich ist, dass es hier großartig zu Verbrechen gekommen ist BZW.(!!!) dass eine Verbrechensbeteiligung quasi nicht dokumentiert ist. Ich will nicht ausschließen, dass ein fanatisierter Jugendlicher einen Kriegsgefangenen erschoss. Oder, dass es Anschläge gab, wie den auf den Aachener Bürgermeister Oppenhoff, an dem auch Jugendliche beteiligt waren (Ilse Hirsch, Moritz Morgenschweiß). Nur halte ich für sehr unwahrscheinlich, dass ein solcher Mord bzw. jugendliche Beteiligung daran aktenkundig ist, wie im Fall Oppenhoff. Es geht also nicht um einen generellen Freispruch oder darum, dass ich solche Morde ausschlösse, sondern um die Wahrscheinlichkeit a) einer Beteiligung Jugendlicher und b) die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas aufgrund Bekanntheit jugendlicher Beteiligung überhaupt verfolgt werden kann.
Ich halte es auch nicht für wahrscheinlich, dass in den Volkssturm eingezogene Jugendliche noch in Bezug auf die Shoa zu Tätern wurden. Ausschließen kann ich das nicht. Aber die Jugendlichen sind, was Mord anbelangt, eben nicht mit einem völlig anderen Wertecodex als wir aufgewachsen. Mord galt auch damals als Verbrechen. Die Heimtücke haben die Nazis in den Paragraphen gebracht.
Die Polizisten, Soldaten und SS-Leute, die am Holocaust beteiligt waren, alle nach NS-Recht aburteilen, waren auch nach NS-Recht alle Mörder.
 
Wobei das schwachsinniger Aktionismus war … Die Tätertypenlehre mag ein Produkt des Nazismus sein, aber gerade der §§ 212, 211 StGB ist eine überaus handliche und rationale Regelung für die Konkurrenz zwischen vorsätzlicher und spontaner Tötung. Maaß wollte allen Ernstes einen neuen Tatbestand der "widerrechtlichen Tötung" einführen, zu ahnden mit Haft nicht unter fünf Jahren. .
Darum ging's mir gar nicht. Ich wollte damit nur daran erinnern, dass wir in Bezug auf Mord immer noch nach demselben Recht urteilen und verurteilt werden, wie seit 1941.
 
Du meinst sicher: Gesetze. Die Werte waren eher andere. Übrigens sehe ich darin eine in Nürnberg verpasste Chance: Vielleicht hätten die Alliierten das Narrativ von der "Siegerjustiz" im Keim ersticken können, wenn sie die Täter, wann immer möglich, nach deutschem Recht abgeurteilt hätten. Um zu zeigen, dass die Nazis selbst nach deutschem Recht Verbrecher waren.

Sehe ich auch so.

Aber vor allem: Stelle Dir vor, Du seiest irgendein fanatischer SS-Scharführer im April 1945. Wem befiehlst Du, den entlaufenen Kriegsgefangenen zu ermorden, den Du "gestellt" hast: Deinem 50-jährigen Volkssturmmann, der wahrscheinlich auch noch ideologisch mit Dir übereinstimmt, oder einem Pimpf, der kaum seinen Karabiner gerade halten kann? Da fällt die Wahl doch eher auf den Erwachsenen.

Man könnte bei dem Gedenkenexperiment vielleicht noch anfügen, dass der 50-Jährige Volkssturmmann sehr wahrscheinlich mit dem Töten grundsätzlich weniger Probleme haben würde, weil er selbst vor 30 Jahren, als Infanterist an der Westfront reichlich Erfahrung mit dem Töten an und für sich sammeln konnnte, möglicherweise sogar noch auf kürzeste Distanz und äußerst hässliche Art mit dem Bajonet oder dem Spaten im Grabenkampf.


Ich halte es auch nicht für wahrscheinlich, dass in den Volkssturm eingezogene Jugendliche noch in Bezug auf die Shoa zu Tätern wurden. Ausschließen kann ich das nicht.
Das würde ich schon deswegen für unwahrschinlich halten, weil die Shoa ja vor allem an Gebieten und Einrichtungen stattfand, für die der Volkssturm nicht zuständig war.
Der fungierte ja vor allem mehr oder weniger als Garnisonstruppen um die letzten Reste des Feldheeres zu entlasten.

Im Hinblick auf die Shoa dürfte sich, wie ich das sehe, wenn, dann vor allem im Zuge der "Todesmärsche" bei der Auflösung und Räumung der KZs möglicherweise noch Gelegennheit für Mitwirkung gegeben habe.

Ein wesentlich größeres Potential sehe ich im Bezug auf möglicherweise geflohene oder in den letzten Tagen getötete Zwangsarbeiter in der Umgebung größerer Städte, wo der Volkssturm präsent war, so wie in kriegsrechtswidriger Behanndlung von in letzter Minute bei denn Kämpfenn um die eigenen Städte noch eingebrachten Kriegsgefangenen und bei kriegsrechtswidriger Tötung von Sanitätspersonal und ggf. Parlamentären, sofern diese die Aufgabe einer Stadt einforderten.
Was Verbrechen des Volkssturms an und für sich anngeht, würde ich da typische Bilder erwarten, gerade auch bei der Tötung von Kriegsgefangenen, für deren Bewachung und Verpflegung in den letzten Tagen des Krieges schlicht die Ressourcen ausgingen, was manchen Kommandeur möglicherweise noch in letzter Minute veranlasst haben könnte sich dieser Leute durch Tötung zu entledigen.

@muck folgend würde ich aber auch dann zumeist erwachsene Täter vermuten, die mit dem Töten bereits Erfahrung hattenn und möglicherweise dadurch eine niedrigere Hemmschwelle.

Ausschließen kann man die Beteiligung Jugendlicher natürlich nicht, aber wahrscheinlich wenn dann wird die wahrscheinlich eher im Bezug auf Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu vermuten sein, als dezidiert im Hinblick auf die Shoa.
 
@muck folgend würde ich aber auch dann zumeist erwachsene Täter vermuten, die mit dem Töten bereits Erfahrung hattenn und möglicherweise dadurch eine niedrigere Hemmschwelle.

Ausschließen kann man die Beteiligung Jugendlicher natürlich nicht, aber wahrscheinlich wenn dann wird die wahrscheinlich eher im Bezug auf Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu vermuten sein, als dezidiert im Hinblick auf die Shoa.

Der Regisseur und Autor Imo Moszkowicz berichtete mal in einem Interview an seine Erfahrungen. Moszkowicz wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und er gehörte zu den Überlebenden, die Ende Januar 1945 mit einem Todesmarsch evakuiert wurden. Moszkowicz berichtete, dass die zwei größten Totmacher auf diesem Todesmarsch zwei Jungen aus dem HJ-Streifendienst waren, die in großer Zahl und mit äußerster Brutalität alle Zurückbleibenden mit der MP erschossen.
 
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