Staatsform des Dritten Reichs?

Wobei der Begriff Faschismus in Italien - wo er geboren wurde - tatsächlich auch in die Staatsorganisation überging.

Grand Council of Fascism - Wikipedia, the free encyclopedia

Aus diesem Grund hätte wohl ein deutscher Beamter der 1930er Jahre das Dritte Reich nicht als "faschistischen Staat" bezeichnet. Ein zweiter Grund könnte auch gewesen sein, dass "Faschismus" bereits damals als Kampfbegriff der Nazi-Gegner verwendet wurde (siehe etwa das Lied "Der heimliche Aufmarsch" von Ernst Busch, 1931).
 
Wenn wir schon bei dem Thema sind, was ist von Kühnls Bündnistheorie zu halten?

@ursi:
In dem von dir verlinkten Beitrag schreibst du
Im engeren Sinn bezeichnet Faschismus die von Mussolini gegründete Bewegung/Partei, ihre Ideologie sowie das von ihr in Italien errichtete Herrschaftssystem.
Beziehst du dich dabei allein auf die Partei und nicht auf den Staat(womit ja Herrschaftssystem=Staatssystem wäre)?
 
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Wenn wir schon bei dem Thema sind, was ist von Kühnls Bündnistheorie zu halten?

@ursi:
In dem von dir verlinkten Beitrag schreibst du
Beziehst du dich dabei allein auf die Partei und nicht auf den Staat(womit ja Herrschaftssystem=Staatssystem wäre)?

Die Partei hat das Herrschaftssystem in Italien aufgebaut. Faschismus ist eine politische Bewegung, die Ideologie des Faschismus führte zum Herrschaftsystem in Italien.


Was verstehst du unter Staatssystem? Nur damit man von gleichen spricht.
 
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Ich hoffe das jetzt zutreffend zusammenfassen zu können:

Kühnl betrachtet den italienischen und dt. Faschismus vorallem aus sozio-ökonomischer Perspektive. Die Massenbasis des Faschismus sieht er in den vom sozialen Abstieg und Proletarisierung bedrohten Kleinbürgertum( v.a. den Angestellten, Kleinhändlern und Kleinunternehmern). Die ideologischen Kernelemente des Faschismus beschreibt er wie folgt:extremen Nationalismus,Führerprinzip, Privateigentum, Antikapitalismus, Sündenbockphilosophie, Militarismus&Imperialismus.
Dabei erkennt er jeweils die besondere Intressenslage des Kleinbürgertums an diesen Ideologien.
Als Bedingungen für den Aufstieg des Faschismus führt er auf:
- sozial-ökonomischen Krisen
- die "Doppelfunktion" der Faschisten: Einerseits antikapitalistische Propaganda, andererseits strikte Festhaltung an der Eigentumsordnung/Verschleierung der Ursachen der Krise durch Ablenkung auf Minderheiten
-gespaltene Arbeiterbewegung
Gleichzeitig ginge der Faschismus, obwohl er zwar (schein-) antikapitalistische Versatzsücke beinhaltete, ein Bündnis mit den alten Eliten aus Großkapital und Militär ein. Gründe für das Bündnis waren:
- Errichtung einer starken Exekutive zur Überwindung der Krise
- Überwindung der Krise auf Kosten der breiten Massen, nicht der Unternehmen
- Wahrung der außenpolitischen Interessen
- Vernichtung der Demokratie (inkl. Gewerkschaften und Arbeiterorganisation)
 
Ich hoffe das jetzt zutreffend zusammenfassen zu können:

Kühnl betrachtet den italienischen und dt. Faschismus vorallem aus sozio-ökonomischer Perspektive. Die Massenbasis des Faschismus sieht er in den vom sozialen Abstieg und Proletarisierung bedrohten Kleinbürgertum( v.a. den Angestellten, Kleinhändlern und Kleinunternehmern). Die ideologischen Kernelemente des Faschismus beschreibt er wie folgt:extremen Nationalismus,Führerprinzip, Privateigentum, Antikapitalismus, Sündenbockphilosophie, Militarismus&Imperialismus.
Dabei erkennt er jeweils die besondere Intressenslage des Kleinbürgertums an diesen Ideologien.
Als Bedingungen für den Aufstieg des Faschismus führt er auf:
- sozial-ökonomischen Krisen
- die "Doppelfunktion" der Faschisten: Einerseits antikapitalistische Propaganda, andererseits strikte Festhaltung an der Eigentumsordnung/Verschleierung der Ursachen der Krise durch Ablenkung auf Minderheiten
-gespaltene Arbeiterbewegung
Gleichzeitig ginge der Faschismus, obwohl er zwar (schein-) antikapitalistische Versatzsücke beinhaltete, ein Bündnis mit den alten Eliten aus Großkapital und Militär ein. Gründe für das Bündnis waren:
- Errichtung einer starken Exekutive zur Überwindung der Krise
- Überwindung der Krise auf Kosten der breiten Massen, nicht der Unternehmen
- Wahrung der außenpolitischen Interessen
- Vernichtung der Demokratie (inkl. Gewerkschaften und Arbeiterorganisation)

Dazu ist anzumerken, dass Kühnl ein ausgesprochener Neomarxist ist. Diese Ansätze waren ja in den 1970er/80er Jahren sehr en voque. Sie unterschätzten die nichtökonomischen Beweggründe für den Aufstieg des Faschismus und Nationalsozialismus und übertrieben die Rolle der Kapitalisten als Verursacher der Machtergreifung.
Ich finde hingegen den Ansatz von Götz Aly (Hitlers Volksstaat) überzeugender.
 
Als Bedingungen für den Aufstieg des Faschismus führt er [Kühnl] auf: ...
Dazu ist anzumerken, dass Kühnl ein ausgesprochener Neomarxist ist. ... Ich finde hingegen den Ansatz von Götz Aly (Hitlers Volksstaat) überzeugender.
Ich halte Simons Zusammenfassung für gut gelungen, und gegen die Etikettierung als Neomarxist würde Kühnl sich auch nicht unbedingt wehren.;)
Was die Phase des Aufstiegs des Faschismus betrifft, so finde ich den Unterschied zu Autoren wie Aly gar nicht so groß; grob gesagt gewichten Aly & Co. einige Faktoren anders und bewerten insbesondere das "Trauma von 1918" und dessen Nachgeschichte höher.

In Bezug auf die Herrschaftspraxis ab 1933 geht Aly deutlich über traditionelle Ansätze (einschließlich mancher marxistischer) hinaus, indem er eine sehr weitgehende Komplizenschaft zwischen Volk und Führer postuliert.

So interessant diese Aspekte auch sind, will ich aber "die Kurve kriegen" zur Ausgangsfrage nach der Staatsform. Wie schon mehrfach angemerkt wurde, passten die herkömmlichen Typologien für den NS-Staat nicht mehr - besser gesagt: sie durften nicht mehr passen. Am Merkmal des Staatsoberhaupts veranschaulicht:

  • Die Monarchie war verknüpft mit der 1918 ruhmlos untergegangenen Staatsform.
  • Die Republik war das verhasste "System" von Weimar (mit der einzigen Ausnahme des Ersatzkaisers Hindenburg).
Die Staatsrechtslehrer nach 1933 vermeiden daher beide Begriffe sorgsam bei der Beschreibung des "Dritten Reichs". Drei Beispiele:

  • Koellreutter (Deutsches Verfassungsrecht, 3/1938, S. 142) schreibt, dass die "Wesensunterschiede von Monarchie und Republik ihren Sinn (verlieren)" für "den deutschen Führerstaat".
  • Bei Huber (Verfassung, 1937) findet sich die Republik nicht einmal im Sachregister.
  • Stuckart/Schiedermair (Neues Staatsrecht I, 18/1943, S. 9) erwähnen die Republik ebenso wenig. Zwei Jahre vor dem Ende (!) schreiben sie, das Reich sei "noch im Aufbau begriffen. Seine Verfassung ist im Entstehen".
Unter den 14 von den Letzteren aufgeführten "Verfassungsgrundsätzen" scheinen in Bezug auf die Staatsform besonders wichtig (S. 11 f.):
(2) Die Volksgemeinschaft ist die Verfassung im eigentlichen und echten Sinne.
(3) Das von Gott geschaffene Volk [sic] ist ... Selbstzweck, der Staat ist Mittel zum Zweck.
(6) Das Reich muss ein Führerstaat sein.
(7) Das Reich muss ein Volksstaat sein.
(10) Die Partei ist die Trägerin des deutschen Staatsgedankens.
Man sieht, das hat mit der traditionellen Staatsformenlehre kaum mehr etwas zu tun - und man erkennt, dass Aly einen Begriff aufgenommen hat, der nach 1933 zentrale Bedeutung erlangt hatte.
 
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