Stasi-Ballade

Nun ja, über mich existiert garantiert eine Akte. Ich weiß, dass ein inzwischen verstorbener Kollege, mit dem ich an langen Winterabenden auf Hiddensee gemeinsam Hektoliter Bier getrunken habe, ein IM war. Aber, ehrlich gesagt, ich will die Details da drin gar nicht wissen. Ich weiß selbst am besten, was ich von dem Staat hielt oder mit welcher Frau ich gep... habe.
 
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Es ist offensichtlich das Merkmal totalitärer Systeme, dass der Nachbar den Nachbarn ausspioniert.
Der Freund den Freund, der Kollege den Kollegen, der Vater den Sohn.

Fällt mir Margarete Buber-Neumann ein, die zeitlebens überzeugt war, dass Herbert Wehner als Spitzel am Tod ihres Mannes Heinz Neumann, und ihrer eigenen Gulag und KZ-Zeit (Stalin lieferte sie Hitler aus) beteiligt war.
 
Hm - dann sind deine Akten wohl vernichtet worden oder die sind noch in den Säcken mit den Schnipseln, die sie im Laufe der Jahre wieder zusammen setzen wollen: Vernichtet, aber nicht verloren - Mühsam zusammengepuzzelte Frankfurter Stasi-Unterlagen enthalten brisantes Material*-*Märkische Allgemeine - Nachrichten für das Land Brandenburg

Und das kann noch sehr lange dauern. In den Jahren seit Entstehung der Behörde wurden die Sachen manuell zusammengepuzzlet. Der Ertrag war zwar durchaus bedeutsam, aber man hat errechnet, dass es auf diese Weise noch mehrere hundert Jahre dauern würde, bis alle Säcke bearbeitet wären. Neue Scanverfahren sollen den Prozess jetzt beschleunigen.
 
Es ist offensichtlich das Merkmal totalitärer Systeme, dass der Nachbar den Nachbarn ausspioniert.
Der Freund den Freund, der Kollege den Kollegen, der Vater den Sohn.
Das hat doch nichts mit einem totalitärem System zu tun.
Das liegt in der Natur des Menschen, sage ich mal.
Ich gucke auch in Nachbars Garten.
 
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Zitat:"In beiden Fällen halte ich aber die Formulierung "wieder in höchste Positionen" für sehr irreführend."

Ich dachte da an NS-Richter die Blut an den Händen hatten und in Deutschland bis zum MP gelangen konnten oder an ss- Sturmführer die Arbeitgeberpräsis werden konnten. Oder die Akte Waldheim in Österreich.
Soweit ich weiß, wurden zum Beipiel Richter, Polizeioffiziere nach 45 nur sehr selten durch neue unbelastete Kollegen ersetzt.
 
Das hat doch nichts mit einem totalitärem System zu tun.
Das liegt in der Natur des Menschen, sage ich mal.
Ich gucke auch in Nachbars Garten.

Ich schätze, Ihr redet diesbezüglich gerade aneinander vorbei...

Man darf dabei nicht zwei Dinge miteinander verwechseln oder gar gleichsetzen: einerseits jene menschlichen Charakterzüge wie z.B. aus eigenem Interesse den oder die Nachbarn zu beobachten oder auch jemanden zu denunzieren etc., andererseits einen Staat bzw. Staatsapparat, der solche Verhaltensweisen nicht nur unterstützt, sondern sich ihrer sogar bedient.

Oder hast Du von irgendwem den Auftrag bekommen, in den Garten Deines Nachbarn zu schauen? ;)



Ich dachte da an NS-Richter die Blut an den Händen hatten und in Deutschland bis zum MP gelangen konnten oder an ss- Sturmführer die Arbeitgeberpräsis werden konnten. Oder die Akte Waldheim in Österreich.
Soweit ich weiß, wurden zum Beipiel Richter, Polizeioffiziere nach 45 nur sehr selten durch neue unbelastete Kollegen ersetzt.

Ich stimme grundsätzlich zu - einmal abgesehen davon, daß dieses Thema einen eigenen Thread wert wäre bzw. in einem bereist bestehenden diesbezüglichen Thread diskutiert werden müßte -, daß die Entnazifizierung in Deutschland in nicht wenigen Fällen inkonsequent verlaufen ist. Und das gilt v.a. für die damaligen drei westlichen Besatzungszonen.
Siehe dazu bspw. Entnazifizierung oder Demokratisierung durch Entnazifizierung und Erziehung - Deutschland nach 1945

Allerdings dürfen wir nicht leichtfertig darüber hinwegsehen, daß auch in der SBZ die Entnazifierung nur an der Oberfläche und nach außen derart konsequent war wie es gemeinhin angenommen wird.
Ob man diesbezüglich Olaf Kappelt: Die Entnazifizierung in der SBZ folgen mag oder nicht, lasse ich an der Stelle dabei sogar unberücksichtigt. Ich erlaube mir dazu lediglich den Verweis auf die Gründungszeit der Nationalen Volksarmee: 1956 waren mehr als 25% der NVA Offiziere ehemalige Wehrmachtsangehörige, und in den höheren Kommandoposten lag deren Anteil sogar bei etwa 75%. Einer der Hauptautoren der Dienstvorschrift der NVA war Friedrich Paulus, Chef des Hauptstabes der NVA - und damit integrales Mitglied im Ministerium für Nationale Verteidigung - war Vincenz Müller (der damit übrigens in 4 deutschen Armeen als Offizier gedient hat: 1914/18 Leutnant in der kaiserlichen Armee, 1919/33 Aufstieg bis zum Major in der Reichswehr [er war also auch im Übergangsheer 1919/21], 1933/45 Aufstieg bis zum Generalleutnant in der Wehrmacht [seit dem 8. Juli 1944 freilich in sowjetischer Gefangenschaft], 1956/58 Generalstabschef in der NVA [und zuvor übrigens 1949/53 Chefinspekteur der Volkspolizei sowie 1953/56 Chef des Stabes der Kasernierten Volkspolizei]).
 
Ich schätze, Ihr redet diesbezüglich gerade aneinander vorbei...

Man darf dabei nicht zwei Dinge miteinander verwechseln oder gar gleichsetzen: einerseits jene menschlichen Charakterzüge wie z.B. aus eigenem Interesse den oder die Nachbarn zu beobachten oder auch jemanden zu denunzieren etc., andererseits einen Staat bzw. Staatsapparat, der solche Verhaltensweisen nicht nur unterstützt, sondern sich ihrer sogar bedient.

Ein wirklich schöner Satz. Musste ich auch 2 mal lesen.
Ich will keine Klausurarbeiten lesen, sondern Menschen, die dahinterstecken.
Könnt ihr nicht mal so schreiben, wie euch die Finger gewachsen sind?:motz:
 
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Ein wirklich schöner Satz. Musste ich auch 2 mal lesen.
Ich will keine Klausurarbeiten lesen, sondern Menschen, die dahinterstecken.
Könnt ihr nicht mal so schreiben, wie euch die Finger gewachsen sind?:motz:

Ich schreibe immer so :grübel:

Aber noch einmal in einfachen Sätzen: es sind zwei verschiedene Dinge, ob jemand seine Nachbarn beobachtet oder zu ihnen in den Garten o.ä. schaut ODER ob ein Staat sich so etwas zunutze macht. Erstgenanntes gab und gibt es tatsächlich immer - unabhängig von der Gesellschaftsordnung -, zweitgenanntes aber kennzeichnet eben durchaus Diktaturen, Autokratien u.ä. Systeme.
 
Wenn jemand in SS oder Gestapo eine hohe (oder gar höchste) Position hatte, dann konnte er froh sein, wenn er nicht hingerichtet wurde oder im Knast landete. Eine Karriere im Nachkriegsdeutschland war da völlig ausgeschlossen.

Wann und wo wurden denn SS- oder Gesatpo-Mitglieder nur für ihre Mitarbeit in besagten Organisationen bestraft, von Todesstrafe ganz zu schweigen?
 
Ich erlaube mir dazu lediglich den Verweis auf die Gründungszeit der Nationalen Volksarmee: 1956 waren mehr als 25% der NVA Offiziere ehemalige Wehrmachtsangehörige, und in den höheren Kommandoposten lag deren Anteil sogar bei etwa 75%.

Was ja gewissermaßen auch logisch und v.a. pragmatisch ist. Man baut eben leichter auf erfahrene Leute auf, als neue Leute anzulernen (wer soll auch das Anlernen der neuen Leute übernehmen, wenn nicht erfahrene alte?!
Natürlich ist es unschön, dass viele mittlere Nazigrößen ihre Karrieren nach dem Krieg weiterverfolgen oder wieder aufnehmen konnten. Was mich aber nervt ist dieses in der Tradition der Braunbücher geheuchelte "der böse Westen", wo es um den Osten in dieser Hinsicht nicht besser bestellt war.
 
Ich dachte Wehrmacht wäre nicht das Gleiche wie Nazis? :confused: Aber vielleicht geht diese Diskussion hier zu weit.

Was mich allerdings stört ist die Tatsache, dass ich immer noch gar nicht richtig kapiert habe, wie das mit den IMs funktioniert hat. Wie funktionierte das mit der Auftragsvergabe? Ich habe mal gehört, dass es verschiedene Gruppen gab, in die man als IM eingeliedert wurde, und man sollte (oder durfte?) dann nur zu diesem spezifischen Thema der Gruppe spitzeln, der man zugeteilt war und durfte auch von keiner anderen Gruppe mehr angeworben werden. Außerdem habe ich mal gehört, dass das MfS nach Fünfjahresplan arbeitete und so und so viele IMs nach Plan anwerben musste. Leider habe ich keinen Schimmer inwiefern diese Infos korrekt sind oder ob es sich nur um Halbwissen handelt, dass man im Laufe der Zeit gerüchtehalber aufgreift.
 
Ich dachte Wehrmacht wäre nicht das Gleiche wie Nazis? :confused: Aber vielleicht geht diese Diskussion hier zu weit.
Es war durchaus nicht das Gleiche. Wenn man eine bewaffnete Truppe mit der NSDAP gleichsetzen möchte, dann sollte man das mit der SS und der SA tun. dsa passt dann schon eher. Aber du hast recht, es gehört nicht hierher.

Was mich allerdings stört ist die Tatsache, dass ich immer noch gar nicht richtig kapiert habe, wie das mit den IMs funktioniert hat. Wie funktionierte das mit der Auftragsvergabe? Ich habe mal gehört, dass es verschiedene Gruppen gab, in die man als IM eingeliedert wurde, und man sollte (oder durfte?) dann nur zu diesem spezifischen Thema der Gruppe spitzeln, der man zugeteilt war und durfte auch von keiner anderen Gruppe mehr angeworben werden. Außerdem habe ich mal gehört, dass das MfS nach Fünfjahresplan arbeitete und so und so viele IMs nach Plan anwerben musste. Leider habe ich keinen Schimmer inwiefern diese Infos korrekt sind oder ob es sich nur um Halbwissen handelt, dass man im Laufe der Zeit gerüchtehalber aufgreift.

Nun ja - nhmen wir mal das Beispiel Guillaume:
Bei ihm können wir annehmen, daß er einzig auf Brandt angesetzt war, um alle erdenklichen Informationen zu erhalten. Eine Eigenheit eines solchen Auftrages war es also, jede Einzelheit detailliert zu dokumentieren und an das MfS zu übermitteln. Ein spezielles Thema konnte es daher gar nicht geben - außer der möglichst lückenlosen Überwachung.
 
Was mich allerdings stört ist die Tatsache, dass ich immer noch gar nicht richtig kapiert habe, wie das mit den IMs funktioniert hat. Wie funktionierte das mit der Auftragsvergabe? Ich habe mal gehört, dass es verschiedene Gruppen gab, in die man als IM eingeliedert wurde, und man sollte (oder durfte?) dann nur zu diesem spezifischen Thema der Gruppe spitzeln, der man zugeteilt war und durfte auch von keiner anderen Gruppe mehr angeworben werden. Außerdem habe ich mal gehört, dass das MfS nach Fünfjahresplan arbeitete und so und so viele IMs nach Plan anwerben musste.


Tja, Queenie , wie arbeitete ein Geheimdienst ?

Das MfS war ein Geheimdienst , der als militärische Einheit fungierte ,
daher hatten alle Angehörige einen militärischen Dienstgrad und
handelten innerhalb von Befehlsketten .
Allerdings traten sie nie öffentlich in Uniform auf , ausser ihre Generäle
bei Staatsfeierlichkeiten.
Lassen wir mal den MfS-Teil Auslandsgeheimdienst und andere Spezialisten wie Brief-; Paket - oder Telefonschnüffler weg.

Angenommen , das MfS erhielt einen Hinweis , das ein Bürger zB. aus der
DDR fliehen wollte , dann erhielt ein Offizier in der Kreisverwaltung den
Auftrag Beweise zu suchen.
Bei diesem Offizier liefen alle Informationen auf , er berichtete seinem Vorgesetzten im Haus - der wiederum seinem Vorgesetzten in der Bezirksverwaltung --dieser wiederum der Zentrale in Berlin.

Nun nutzte der Offizier seine Kollegen - in seinem Auftrag lud zB.der Verbindungsoffizier der Kreisverwaltung zum Volkspolzei-Kreisamt den Abschnittsbevollmächtigten zum Gespräch , in dessen Bereich der Verdächtige wohnte.
Der ABV musste nun alle Informationen sammeln , die er bekommen konnte und regelmässig melden.
Also auch , ob die Oma aus Berlin zu Besuch war oder ob es Ehekrach gab...
Genauso beauftragte der Offizier seine Kollegen in der Kreisverwaltung , welche IM in der Firma führten , in welcher der Verdächtige arbeitete.
Diese beauftragten nun Ihre Informanten in der Firma , zu beobachten und zu melden.
Und schliesslich wurden persönliche Bekannte des Verdächtigen gesucht , welche man ebenfalls zur Überwachung einsetzen konnte.
Weiterhin wurden die Spitzel in seinem Freizeit - und Interessenkreis mobil gemacht - ob er nun Angler war oder Fussballspieler -meist war überall ein IM so positioniert , das er beobachten und melden konnte .
War der Verdächtige enorm wichtig , so wurden geeignet erscheinende Personen als neue IM angeworben - so dass letztendlich ein
ganzes Netz von Spitzeln um die Verdachtsperson gruppiert war.
Natürlich wurden seine Telefonate und sein Postverkehr überwacht -
alle seine Freunde und Bekannten wurden durchleuchtet ...

So kam eine Menge Einzelheiten zusammen und letztendlich tappte der
Betreffende meist in eine Falle - sagte in Gegenwart von IM , was die Stasi
wissen wollte. Das wars dann.
Jemanden zur Aussage darüber zu bewegen ( meist nicht den IM selber )-
war dann keine schwere Sache und dann kam die Verhaftung , Vernehmung
und nach ein paar Wochen Einzelhaft redeten die meisten wie ein Buch.....

So , ich hoffe das gibt dir eine Vorstellung , Queenie...:devil:

5-Jahr-Pläne gab es in der Industrie - nicht beim MfS.
IMs wurden nach Bedarf und Nützlichkeit angeworben - nicht nach planmässiger Anzahl.
 
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Wann und wo wurden denn SS- oder Gesatpo-Mitglieder nur für ihre Mitarbeit in besagten Organisationen bestraft, von Todesstrafe ganz zu schweigen?

1946 bis 48 in Deutschland, etwa in Dachau oder Nuernberg. Die weitaus meisten der mehreren Hundert Todesurteile wurden in Landsberg am Lech vollstreckt. Natuerlich wurde niemand "nur fuer seine Mitarbeit" verurteilt, der Nachweis konkreter Verbrechen war in den Westzonen schon noetig.
 
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