Eigentlich gehts ja hier um die Frage, ob eine provinzialisierung der norddeutschen Tiefebene für das Imperium Romanum lohnend gewesen wäre.
Also selbst heute gibts hier nix, was die Römer nicht auch in Italien hätten. Von dem Unwillen der Eingeborenen mal abgesehen, sich von irgendwem beherrschen zu lassen.
Da besteht wohl zwischen Dir, Biturigos und mir weitgehender Konsens. Lediglich beim Silber (ausser Iberien war übrigens auch Illyrien für die Römer wichtig - Srebrenica hiess früher Argentaria) würde ich Abstriche machen. Wenn man sich ansieht, wie viel Silber im Mittelalter aus Harz, Erzgebirge und Böhmen rausgeholt wurde, hätte die Römer da sicher nicht "Nein" gesagt - sie wussten halt nur nicht, wie viel in Germanien potentiell zu holen war.
Eisen an sich war für die Römer keine Mangelware. Der steirische (norische) Erzberg gilt als grösste Siderit-Lagerstätte der Welt, und wird heute noch abgebaut. Auch an diversen anderen Ecken des Reiches gab und gibt es ausbeutbare Lagerstätten. Germanisches Eisen wäre bestenfalls ganz nett gewesen, hätte vielleicht aber auch unwillkommene Konkurrenz bedeutet. So ziemlich das letzte, was Rom nach dem Pannonischen Aufstand gebrauchen konnte, war Aufruhr unter um ihren Eisenabsatz fürchtenden Norikern.
Mir war aber wichtig, zu zeigen, dass auch in
Germanien keinesfalls Eisenmangel herrschte. Auch wenn meine überschlägige Abschätzung Ausbeuten, vielleicht auch die Mächtigkeit von Raseneisenerz-Schichten überschätzte - selbst unter konservativeren Annanhmen (25 cm Mächtigkeit, 20% Ausbeute, s. Link) sind immer noch etwa 150kg Eisen aus einem Quadratmeter Raseneisenstein-Sode zu gewinnen. Sogar bei nur 10% Ausbeute reicht immer noch ein Quadratkilometer, um mit Populonia bzw. Elba etwa gleichzuziehen (75.000 t).
Die "Minderwertigkeit" (geringerer Eisengehalt) relativiert sich durch einfachen Abbau und flächendeckende Verfügbarkeit - da entfiel aufwendiger Erztransport, etwa per Schiff von Elba rüber zur toskanischen Küste nach Populonia. Das Problem ist auch weniger das Eisenerz, als die Holzkohlebeschaffung - da mag dezentrales Klein-Klein unter Transportaspekten effizienter sein, als Kohle aus dem halben Ostalpenraum zum norischen Erzberg, oder aus der halben Toskana nach Populonia zu karren.
Eisenverhüttung- praehistorische-archaeologie.de
Was die landwirtschaftliche Produktion und das Eisenhüttenwesen angeht, die schließen sich in Norddeutschland schlicht gegenseitig aus.
Im Gegenteil! Der Raseneisenstein fördert Staunässe, macht die darüber liegenden Flächen also für Ackerbau kaum nutzbar. Oberboden abtragen, Raseneisenstein raus, und das Land kann wieder bewirtschaftet werden. Ob der Boden dann wieder auf die alte Fläche augebracht wurde, oder als Plaggendüngung anderswohin verbracht wurde, ist kurzfristig zweitrangig (langfristig nicht, da war Plaggendüngung eine mittlere ökologische Katastrophe). Die in Massen benötigte Holzkohle hinterlässt einige Asche, die den Boden düngt. Bisschen Schlacke zerbröseln und verteilen ist der Bodenmineralisierung sicherlich auch nicht abträglich. [
Mein Link zu SH im vorherigen Post erwähnt Nachweise, dass in Angeln schon in der vorrömischen Eisenzeit Mineraldünger genutzt wurde - ob dies Schlacke einbezog, oder sich v.a. um Muschelschalen (Kalk), vielleicht auch Kalisalze (Segeberger "Kalkberg" etc.) handelte, steht dort leider nicht]. Winter sind an der Küste spät und kurz (und um Christi Geburt war es noch etwas wärmer als heute) - von ein, zwei Ausnahmen wie vorletztes Jahr abgesehen, liegt bei uns selten länger als eine Woche am Stück Schnee. Da bleibt nach der Ernte allemal genug Zeit, noch Raseneisenstein auszubuddeln. Das Thema Rennofenüberdachung wird diskutiert und mit mehreren Beispielen belegt in der im Vorpost verlinkten Heek-Nienborg-Studie der Uni Münster.
Anders gesagt - Raseneisenerzverhüttung ist geradezu ideal zur
Aufwertung der Geest, und hat vermutlich maßgeblich dazu beigetragen, dass dort jahrhundertelang zwar (im Vergleich zur Börde) keine berauschenden, aber durchaus auskömmliche Getreideerträge erzielt wurden. Das überschwemmungsgefährdete Tiefland dient als Viehweide (Kühe oder Schafe) - die werden, damals wie heute, dort schön fett und geben ordentlich Milch (googelt mal nach "Schwarzbunte" bzw. "Holstein-Friesen"), ihre Salzversorgung regelt die Natur noch ganz nebenbei. Die etwas erhöht liegenden Teile der Urstromtäler und der Marschen sind extrem fruchtbar und stehen den Börden kaum nach. Aus den Mooren gabs u.a. Torf zum Heizen, Reet zum Dachdecken, Weidenruten für Wände und Körbe, Birkenpech, und Kräuter fürs Bierbrauen. Das maritime Klima ist ideal für Obstbau (das Alte Land ist immer noch Europas grösstes zusammenhängendes Obstbaugebiet). Also noch ein paar Apfelbäume und Haselsträucher um den Hof, die Felder mit Schlehen, Brombeeren, Holunder und Hagebutten vor Viehverbiss schützen, und es lässt sich in der norddeutschen Tiefebene ganz ordentlich leben (von dem, was aus Nord- und Ostsee neben Bernstein so zu holen ist, ganz zu schweigen).
Eine interessante Frage ist, wie die
germanische Eisenverhüttung eigentlich organisiert war. Die Ausgrabung aus Wittenborn/SE (vier Rennöfen auf vier Höfe) legt nahe, dass, wo Raseneisenstein anstand, fast jedes Dorf zwischendurch mal etwas Eisen zur Selbstversorgung produzierte. Da Verhüttung und Schmieden einige Fachkunde erfordert, dürften hier, zumindest anfänglich, Wanderschmiede im Spiel gewesen sein, die von Dorf zu Dorf zogen und dort - wohl gegen freie Kost und Logis, vielleicht auch selbstgestrickte Socken, eine neue Lederschürze, oder Schinken für den weiteren Weg - in ein, zwei Wochen mal eben Eisen verhütteten und alles, was so gebraucht wurde, vor Ort schmiedeten. Ein ähnliches Szenario wird ja auch schon für jungsteinzeitliche Töpferei in Betracht gezogen (Herstellung meist aus lokalen Tonen, aber weite geographische Ausdehnung fast identischer Formen und Dekorationen), für Dolmen/ Hünengräber sowieso ("Bautrupp-Theorie").
Ich weiss nicht, wie weit das römische staatliche bzw.
kaiserliche Metallmonopol auch Eisen umfasste. Falls ja, wird solch ein germanisches Wanderschmied-System natürlich zum administrativen Alptraum. Sollte Varus hier versucht haben, "römische Prinzipien" durchzusetzen, erklärte dies allein schon sein Scheitern. [
Bereits der Versuch, das kaiserliche Salzmonopol am Hellweg durchzusetzen, dürfte konfliktträchtig genug gewesen sein].
Neben dieser "Selbstversorgung" gab es aber offenbar auch
spezialiserte Verhüttungszentren mit zumindest regionaler Versorgungsfunktion. Solche Zentren bestanden scheinbar bereits während der vorrömischen Eisenzeit. Die Studie zu Angeln diskutiert beispielsweise ausführlich die unterschiedliche Verteilung eisenzeitlicher Verhüttungs- und Schmiedeschlacken - erstere fanden sich gehäuft um Tarp, letztere in fast jedem Dorf. Verhüttung und Endverarbeitung erfolgten also offenbar räumlich getrennt. Da sich ja Raseneisenstein beileibe nicht flächendeckend, v.a. nicht unter fruchtbaren Lössböden, bildet, ist eigentlich davon auszugehen, dass einige, potentiell reiche Regionen bereits in der Eisenzeit Eisen bzw. Eisenwaren extern bezogen.
Mein "großzügiger Umgang mit Jahreszahlen" ist vielfach der Quellenlage geschuldet (vgl. dazu u.a. die Haak-Nienborg-Studie); C14-Datierung von Schlacken ist ja erst seit kurzem üblich und keineswegs flächendeckend erfolgt. Als Beispiel für die unklare Zeitstellung der Quellen, sowie möglichen Beginn spezialisierter Eisenverhüttung bereits in vorrömischer Zeit, hier folgender Kurzbericht (S. 34, Unterstreichung durch mich):
http://www.nihk.de//downloads/315/nachrichtenheft48_2011.pdf
Ganderkesee, Gde. Ganderkesee, Ldkr. Oldenburg, FStNr. 132-134 Kaiserzeitlicher Verhüttungsplatz:
Durch drei Prospektionen innerhalb eines rund 36 ha großen geplanten Gewerbegebietes wurden 2010 drei neue Fundstellen der Eisenzeit und Kaiserzeit erfasst.
Im Nordwesten wurde das Prospektionsareal von etwa 2 ha vollständig von einem Verhüttungsplatz (FStNr. 132) eingenommen. Hochgerechnet dürften hier mindestens 200 Renneisenöfen liegen. Hinzu kommen noch etliche Gräben, Gruben und Pfostengruben. Eine der untersuchten Gruben enthielt Keramik der vorrömischen Eisenzeit.
(..) Im Zentrum des geplanten Gewerbegebietes wurden innerhalb des gut 7 ha großen Prospektionsareals wiederum neben etlichen Gruben einige Renneisenöfen und zusätzlich zwei Meilergruben freigelegt (FStNr. 134). Somit dürften die FStNr. 132 und 134 einen mindestens 9 ha großen Verhüttungsplatz mit mehreren hundert Renneisenöfen umfassen.
Solche Spezialisierung nahm scheinbar während der römischen Kaiserzeit zu (hier hat aber vermutlich auch der Ausfall des Siegerlands als wohl überregionalem Versorgungszentrum eine Rolle gespielt), wie das Beispiel Joldelund zeigt. [
Danke für das Zitat, Biturigos - meine Ironie war offenbar nicht ganz unberechtigt.] Die kartierte Schlackenhäufung auf dem Flensburger
Stadtgebiet rund um den heutigen Hafen sollte man vielleicht auch mal C14-datieren - da scheint mir Verkehrsgunst eine wichtigere Rolle als örtliche Erzverfügbarkeit gespielt zu haben. Ähnliches könnte für das Verhüttungsareal bei Hamburg-
Iserbrook/ Pinneberg gelten, vielleicht auch für jenes an der mittleren Alster um Hamburg-Fuhlsbüttel.
Göhlen/ Ludwigslust ist sicher vorslawisch. Der weitgehende Bevölkerungsabriss der Völkerwanderungszeit östlich von Schwentine/ Trave/Bille/ Ilmenau datiert in die zweite Hälfte des 5.Jahrhunderts, die slawische Besiedlung Westmecklenburgs und Ostholsteins begann um die Mitte des siebten Jahrhunderts.
http://de.wikipedia.org/wiki/Mecklenburg_(Burg)
Aufgrund des quantitativ und qualitativ unbefriediegenden Forsschungsstands kursieren zur Entwicklung der germanischen Eisenverarbeitung verscheidene Theorien, die folgende Arbeit (S. 143 ff) ausführlich für die jüngere sowie ältere Kaiserzeit, leider jedoch nicht für die vorrömische Eisenzeit, diskutiert.
http://hss.ulb.uni-bonn.de/2014/3684/3684.pdf
Grundsätzlich muss wohl von einem
regional differenzierten Bild ausgegangen werden:
- Das Kielzer Bergland (Góry Swietokrzyskie) nördlich Krakaus (übrigens belegter keltischer Siedlungsraum ab dem 3. Jh. v. Chr.) , mit insgesamt 420.000 Öfen in 6.000 Batterien, diente eindeutig schon ab der frühen Kaiserzeit der überregionalen Versorgung. Setzt man 20kg Eisenausbeute je Ofen an, wurden dort über 8.000 t produziert, im Schnitt also so knapp-20 t/Jahr. Teilweise wird sogar Export ins römische Reich für möglich gehalten. Nach Jöns betrug der Eisenbedarf eines Gehöfts 5-10 kg/ Jahr. Rechnet man, grob vereinfacht, mit 1kg/Kopf und 6 Millionen Einwohnern der Germania Magna, ergibt sich jedoch ein Jahresbedarf von 6.000 t. Da sind die 20t aus dem Kielcer Bergland zwar ganz nett, aber auch nicht so relevant, wie vielfach vermutet wird.
- Im norddeutschen Tiefland ist von weitgehender Eigenversorgung während der frühen Kaiserzeit auszugehen, einige Autoren sehen jedoch auch Importbedarf aus dem Kielcer Bergland [hat hier schon mal wer nach Schweden geguckt?]. Für die späte Kaiserzeit wird Überschussproduktion mit z.T. überregionaler Bedeutung angenommen (selbst die Feddersen Wierde produzierte über den Eigenbedarf hinaus).
- Die früher verbreitete These des Eisenarmut Westfalens und des mittel- und süddeutschen Raums ist wohl kaum noch haltbar, jedoch scheint die Region tendenziell schlechter versorgt als das norddeutsche Tiefland. Für die frühe Kaiserzeit wird weitgehende Eigenversorgung angenommen, in der späten Kaiserzeit treten Importe von Erz (Roteisensteinfunde im Verhüttungsrevier von Castrop-Rauxel) Luppen, und Eisenschrott aus dem römischen Reich hinzu. Schrott, vielleicht auch Plündergut, aus rechtsrheinischem Gebiet spielten jedoch wohl eine deutlich geringere Rolle, und auch nur im grenznahen Bereich, als früher vermutet wurde.
- Eine (regioal unvollständige) Kartierung von Schniedeplätzen zeigt für die Kaiserzeit eine Konzentration zwischen Werra und Unstrut, was wohl als Indioz für Fertigwarenproduktion (Waffen?) für überregionalen Handel gedeutet werden kann. Zum Ende der Kaiserzeit hin und in der Völkerwanderungszeit verschiebt sich der Schwerpunkt auf die Höhenzüge längs des Limes. Wieweit hierfür Absatz- oder Versorgungsaspekte auschlaggebend waren (und ob letztere mit Produktionssteigerung oder Beschaffungsproblemen zusammenhingen), bleibt unklar.
- Hier auch interessant die Kartierung für Buntmetallverarbeitung (S.171): Durchgängig ab der älteren Kaiserzeit Schwerpunkte an Rhein/Ruhr/Lippe, Wesermündung und um den Harz, in der späten Kaiserzeit treten die Spree südl. Berlin, Südwest-Thüringen, und das obere/mittlere Maintal hinzu, während Verarbeitung bei Lübeck und in Ostwestfalen erliegt. Für Rhein/ Ruhr/ Lippe, wohl auch die Wesermündung, kann man römischen Einfluss annehmen; Harz, und später Spreewald und Thüringen dürften autochton sein.
Kamen-Westick tritt als Zentralort mit Fernhandelsfunktion und fast provinzialrömischem Fundgut hervor. [Wenn ich dann noch an Oberaden, und mögliche Wege des Briloner Bleis zum Rhein denke, kriege ich so eine Idee, wo die Römer nach Waldgirmes ihre nächste Stadtgründung östlich des Rheins geplant haben könnten].
Euch allen wünsche ich Guten Rutsch und ein Frohes Neues Jahr, und habt Dank für die vielen Infos und anregende Diskussion (on und off topic).