Süddeutschland zum 1., zum 2. und...

Das, was wir heute als Korruption wahrnehmen ist in vergangenen Zeiten gar nicht unbedingt so wahrgenommen worden. In dem Wort Korruption steckt ja etwas von Zerstörung (rumpere, ruptus), sprich, es muss erst mal einen entsprechenden Sittenkodex geben, dass (ein) Recht (auf etwas) nicht käuflich ist, damit dieser zerstört werden kann.

Die Geldzuwendungen, die es z.B. im Rahmen der Wahl Karls V. zum König des HRR gegeben hat, wurden meines Wissens ziemlich öffentlich getätigt bzw. angenommen: Ein Unrechtsbewusstsein in dieser Richtung existierte - vorausgesetzt ich irre mich nicht, was die Öffentlichkeit der Zahlungen und Annahmen derselben angeht - also nicht.

Edit: Die Frage ist dementsprechend auch, ob die transtemporale Gleichsetzbarkeit der Geldbesitzerwechsel 1519 und 1800 +/- wirklich gegeben ist.


Ich hoffe, der Mod. hatte zwischenzeitlich Gelegenheit, in der „Goldenen Bulle“ die entspr. Passagen zu den Förmlichkeiten des Wahlverfahrens zu überprüfen.
Danach war es den Kurfürsten ausdrücklich untersagt, ihre Entscheidung von Belohnung, Entgelt oder sonstigen Versprechen abhängig zu machen.
Die Einhaltung dieser Verfahrensvorschrift wurde beeidet.

Daher kann für die betr. Wahl 1519 als unstreitig festgehalten werden:
Eindeutig rechtswidriges Handeln der betr. Kurfürsten (wie gesagt, nur diejenigen, die tatsächlich kassiert haben) nebst „Meineid“ - dazu braucht man nicht einmal zwei Semester Jura :D

Zum Gesamtzusammenhang (1519) hält Gerhard Ritter, Die Neugestaltung Deutschlands und Europas im 16. Jahrhundert, 1967, ND der Ausg. 1950, S. 99, die bezeichnende Beschreibung/Bewertung parat:

„Es begann eine Art von Wettlauf um die Kaiserkrone zwischen den großen nationalen Monarchien Westeuropas: Spanien und Frankreich, vorübergehend auch England. Die deutschen Kurfürsten, an der Spitze Friedrich v. Sachsen, sahen sich von ihnen eifrig umworben. Das Papstum aber wünschte so wenig wie in früheren Jahrhunderten ein Übergewicht des universalen Kaisertums. Spanien und Frankreich sollten sich, besonders auch im Interesse des italienischen Kirchenstaates, die Waage halten. So bot die Kurie alles auf, um entweder die Wahl des Franzosenkönigs, oder, wenn dies nicht durchzusetzen war, des politisch ungefährlichen Kurfürsten von Sachsen zuwege zu bringen.
Die diplomatischen Werbungen wurden in einem Umfang, der alles früher Dagewesene weit übertraf, durch Geldangebote unterstützt. Selbst der gewissenhafte Wettiner hat sich eine stattliche Kaufsumme zahlen lassen – nur freilich (abweichend von den anderen) in einer indirekten Form, die sich mit seinem strengen Rechtssinn vertrug. Im ganzen haben die Habsburger über 852.000 Gulden für Wahlzwecke ausgeben müssen, davon die Hälfte für reine Bestechungsgelder an die Kurfürsten und ihre Räte.“

Da sich das habsburger Bürschchen trotz der Bestechungsgelder aber immer noch nicht sicher war, ob der Kuhhandel auch wirklich für ihn ausgeht, gabs noch den Plan B (Gewaltandrohung):
„Und schließlich wusste man, daß der Habsburger nicht ohne einen blutigen Kampf einem andern Bewerber die Kaiserkrone lassen würde. In der Rheinebene nahe Frankfurt lagerten in den Wahltagen starke Soldtruppen, vom Schwäbischen Bund (einer Vereinigung südwestdeutscher Stände unter österreichischer Führung) den Habsburgern zur Verfügung gestellt und von den großen Bandenführern Frundsberg und Franz von Sickingen geführt.“ G. Ritter, a.a.O.,S. 100.

Um Wiederholungen o. Missverständnissen vorzubeugen:
Natürlich sind die verschiedenen Ereignisse (1519 - 1803ff.) nicht eins zu eins deckungsgleich.
Aber nicht nur wegen ihrer offensichtlichen Bedeutung für das HRR bzw. das Dt. Reich (heftige Einschnitte im politischen Leben bzw. künftige Entwicklung), sondern auch wegen der "Unmoral", die zur Erreichung machtpolitischer aber auch rein persönlicher Ziele bedenkenlos angewandt wurde.


Götz zum sonntäglichen Gruß
 

I) Dennoch ein berechtigter Einwand! Daher habe ich ein wenig „aufgerüstet“ [2], um meine offenkundigen Lücken etwas zu schließen.



II) „Dabei hatte es um die Jahrhundertwende eher düster für die Markgrafschaft ausgesehen: französische Truppen standen an der Grenze, die linksrheinischen Besitzungen waren verloren. Der frühe Sonderfrieden mit der Republik brachte keine greifbaren Vorteile, weckte aber das Misstrauen der alten Verbündeten. Doch besaß Baden mit Sigismund Freiherr von Reitzenstein einen außerordentlich fähigen Gesandten bei den Pariser Verhandlungen der Jahre 1801/02. Zudem setzte sich Zar Alexander – eben auf den Thron gekommen -, der mit einer badischen Prinzessin verheiratet war, nachdrücklich für die Gebietswünsche der verwandten Dynastie ein. Mit großem diplomatischen Geschick, hohen Bestechungsgeldern und gestärkt durch die russische Unterstützung erlangte Reitzenstein rechtsrheinische Entschädigungen, deren Umfang die verlorenen Landesteile bei weitem übertraf. 743 qkm musste die Markgrafschaft an Frankreich abtreten. Als am 25. Feb. 1803 der RDH die in Paris getroffenen Absprachen bestätigte, betrug die badische Kompensation 3400 qkm.“ [2/ Seite 89]

Zu Reitzenstein selbst heißt es:
„Sein Verhandlungsgeschick sicherte Baden die großen territorialen Entschädigungen … Die Schwierigkeiten bei diesem Länderschacher lagen weniger bei seinen franz. Verhandlungspartnern als bei Karl Friedrich und der markgräflichen Regierung. Karl Friedrich, der von den politischen und rechtlichen Strukturen des Reiches geprägt war, sperrte sich lange gegen eine Vergrößerung Badens auf Kosten anderer Reichsstände.“ [2/Seite 173]
Und in Bezug auf 1813:
„R. erreichte die Aufnahme Badens in das alliierte Bündnis, ohne den territorialen Bestand zu gefährden.“ [2/ Seite 173]

Damit relativiert sich das Bild des/der badischen Fürsten. Es bleibt, dass Baden mit oder ohne Bestechung alles richtig gemacht hatte, denn:

III) „Der RDH vom 25. Februar war einerseits der Versuch, das Reich angesichts der gewaltigen Umwälzungen infolge der letzten beiden Kriege gegen Frankreich von innen heraus zu reformieren, und er kennzeichnete auf der anderen Seite einen weiteren entscheidenden Schritt hin zu dessen Untergang. Denn mit den Regelungen des RDH wurde ein wesentlicher Grundsatz der Verfassungsordnung verletzt, der besagte, dass alle Reichsstände eine Daseinsberechtigung besaßen und nicht ohne weiteres von der Landkarte gestrichen werden konnten.“ [1/Seite 125]

IV) Zurück zur Korruption. Ich habe mir auch die Frage gestellt, warum in neuen Publikationen diese kaum mehr erwähnt wird. Auch bei Erbe findet sich kein Wort dazu. (Auch nicht in der fast eine Seite umfassenden Beurteilung Talleyrands!)
Wird ihre Bedeutung in der älteren Geschichtsschreibung überhöht, wird stärker als nötig moralisch geurteilt? Es scheint mir so, denn betrachten wir strategische franz. Interessen (große Mittelstaaten) dynastische Interessen (z.B. Alexander), dann wird wohl eher deutlich, dass Korruption nur unwesentlich auf das Ergebnis wirken konnte.

V) Und noch etwas fällt mir dazu ein: Talleyrand nahm auch dann noch Bestechungsgelder, wenn er wusste, dass der Wunsch des Gebers bereits beschlossen war.


Grüße
excideuil

[1] Erbe, Michael: Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht – Internationale Beziehungen 1785 – 1830, Ferdinand Schöningh, Paderborn – München – Wien – Zürich, 2004
[2] Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Ausstellungskatalog, Edition Cantz, Stuttgart, 1987, Bd. 1.1


I) Höchstens marginale Lücken - wenn überhaupt.
Gerade auf dem regionalen Gebiet erfahre ich durch die Beiträge/Fundstellen viele neue Einsichten :yes:

II) Also zu den Abläufen und dem "Innenverhältnis" zw. Monarch u. Minister R. liegen wir im Ergebnis gar nicht weit auseinander.
Der - wie gesagt - schon etwas betagte Markgraf hatte letztlich mit dem sog. "Tagesgeschäft" nicht mehr allzu viel am Hut - zumal er ja noch einer anderen Zeit entstammte und sich den traditionellen Prinzipien verpflichtet fühlte. Der "moderner" eingestellte Minister hatte da weniger Skrupel - und weil er in der Materie drin war, hat er mit Sicherheit auch viel eher und intensiver die polit. Sachzwänge erkannt (wo sich der Markgraf eher sträubte). Und wenn ich jetzt mal die "Badenser" mit den "Schwaben" vergleiche (bezogen auf die Liste in # 2), hat das Haus Württemberg ja ein Vielfaches an Herrn T. abgedrückt.
Wer war da wohl die bessere "schwäbische Hausfrau" ?

1813 musste v. Reitzenstein wohl die zauderliche Einstellung des neuen Ghz. "glattbügeln", damit Baden nicht ins Hintertreffen geriet.
Wäre zu dem Zeitpunkt ein weniger resoluter und erfahrener Beamter an den Schalthebeln gesessen, hätte das für Baden kein erfreuliches Ende nehmen können...

III) Mein Hinweis auf die damalige Rechtslage.
Die jedoch wegen der historischen Umwälzungen missachtet wurde und dementsprechend das "Recht des Stärkeren" galt.
Und bezogen auf den Zeitraum Ende 1803/Anfang 1804 hat auch die neue "Rechtslage" (basierend auf dem RDHS) keine Grundlage für die Landesfürsten geschaffen, die Reichsritter zu enteignen bzw. als rechtliche Organisationseinheiten einfach aufzulösen.

IV) Warum das Thema "Korruption" in den verschiednen Darstellungen immer weniger Beachtung findet (insbesondere bei neueren Publikationen), spricht m.E. dann vor allem nicht für die Sorgfalt/Qualität der betr. Autoren - außer es gibt von den Verlagen/Lektoren Anweisungen, vermeintlich unwichtige Stellen auszusparen (um damit Betriebskosten einzusparen). Eine Überhöhung in der älteren Literatur würde ich daher eher verneinen.

V) Da haben wir ja mit Herrn T. eine echte Reizfigur...:grübel:

Götz zum Gruß
 
Ein möglicher Grund liegt in früheren Vorkommnissen:

bei Kindle kostenlose Klassiker stieß ich auf
Heinrich von Treitschkes "Dt. Geschichte des 19 Jh."

Hier liefert sich eine mögliche Erklärung warum sich die Empörung über die Beschlüsse des RDHS in Grenzen hielt, wenn es gar vieleicht überhaupt keine gab, Zitat:

" Darum wurde schon in den ersten Jahren der Reformation, auf dem Reichstage von 1525, die Forderung laut, daß die geistlichen Gebiete heimgeramscht, den benachbarten weltlichen Fürsten unterworfen würden; und an allen großen Wendepunkten der Reichspolitik ist der notwendige Gedanke der Säkularisation seitdem regelmäßig wieder aufgetaucht, denn aus ihm sprach die Natur der Dinge. Aber das unheilvolle Gleichgewicht der Kräfte und der Gegenkräfte, das jede Bewegung des Reiches hemmte, vereitelte auch diese unabweisbare Folge der Reformation. Die Mehrzahl der geistlichen Fürsten blieb erhalten"

Es dürfte also schwierig sein kritische Zeitgenössische Beiträge zu finden

Mir zeigt es auf das ich um mich dem Zeitgeist um 1800 zu nähern
die Vorgeschichte intensiver betrachten muß.
Vielen Dank für eure Hilfe.
Grüsse Geschichteleser
 
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