Ohne den von Dog-Soup erwähnten Artikel zu kennen, fand ich die Behauptung, "Terrorismus" sei eine Eurozentristische Kategorie für nicht akzeptabel. .... Ich könnte Dog Soups "pregnante Zusammenfassung" eventuell akzeptieren, wenn Sie nicht selbst vorher eine m.E. unbrauchbare Definition vorausgeschickt hätte.
Point taken. Was ich absolut akzeptieren kann ist die Kritik, dass ich erst eine Definition angeführt habe, der ich dann selbst widersprochen habe. Also hiermit offiziell: die Definition, die ich in meinem ersten Beitrag angeführt habe, ist bullshit. Ich habe sie relativ leichtfertig ins Spiel gebracht weil ich grundsätzlich nicht glaube, dass irgendeine Terrorismusdefinition überhaupt funktionieren kann - deswegen erschien es mir relativ schnuppe, welche ich jetzt als Beispiel benutze. Meiner Meinung nach sind sie alle gleich bullshitty.
Dass das unsere Diskussion hier deutlich verkompliziert weil andere Mitdiskutanten durchaus an die Definierbarkeit von Terrorismus glauben, hatte ich in meinem ersten Beitrag nicht ausreichend mitgedacht. Von daher, akzeptier ruhig meine "prägnante Definition" von "Terrorismus als unsaubere Kategorie" als meine Meinung. Die andere Terrorismusdefinition, die du zu Recht kritisierst, ist kein Diskussionsbeitrag, den ich verteidigen werde. Danke aber, dass du mich hier dazu bringst, mich klarer zu positionieren. Du hast recht, das war im Licht meiner vorherigen Beiträge nötig.
Ich verstehe, dass der Vorwurf von Eurozentrismus dich provoziert, das heißt aber nicht, dass absolut alles, was ich angeführt habe, auf diesen Vorwurf zurückzuführen ist. Gage hat damit schon mal gar nichts zu tun. Sie argumentiert gar nicht mit diesem Begriff. Der von mir zitierte Artikel ist folgender:
Gage, Beverly. 2011. “Terrorism and the American Experience: A State of the Field.” The Journal of American History June 2011. 73-94.
Es geht in ihm nicht um eurozentrisch oder nicht eurozentrisch, sondern darum, wie der Begriff Terrorismus im westlichen (und, wie vom Titel her ersichtlich ist, vor allem amerikanischen) Diskurs überhaupt verwendet worden ist. Es ist eine Übersicht von Bedeutungsverschiebungen v.a. im 20. Jahrhundert, meiner Ansicht nach sehr schlüssig argumentiert und gut recherchiert - und ich ziehe ihn auch dem von dir verlinkten Artikel in der Le Monde Diplomatique vor, weil dieser Artikel nun wirklich einen gewagten Sprung zwischen "zwei Formen von Fanatismus" von damals und heute macht. So sind sie nun mal, diese "Terroristen unterscheiden sich von allen anderern in erster Linie durch ihre untereinander austauschbare Tätermotivation"-Haudegen... ich kann mich irgendwie nie dazu hinreißen, diesen Sprung ganz mitzumachen.
Übrigens habe ich nicht gesagt, Terrorismus sei grundsätzlich, immer und per Definition eine eurozentrische Kategorie, obwohl es mich diskursgeschichtlich weißgott nicht überraschen würde. Aber dazu habe ich mich nicht geäußert. Ich habe gesagt, dass *mir* (nicht Gage) *dein* Ansatz etwas eurozentrisch vorkommt. Und zwar habe ich mich explizit und ausschließlich auf meinen Eindruck bezogen, dass deine Terrorismusdefinition von einem westlichen, institutionalisierten Rechtsstaat als normativem "Gegenspieler" ausgeht, aus dem sich die Definition von Terrorismus letztendlich speist. Und das wäre eurozentristisch, weil jede andere Art von politischer Organisation automatisch zu einem ausgewachsenen Definitionsproblem führt. Siehe low intensity conflicts, beispielsweise. Du sagst selbst, dass es hier sehr schwierig wird, überhaupt von Terrorismus zu sprechen - und ich würde sehr stark vermuten, dass der Grund dafür ist, als wessen Gegenspieler der "Terrorist" üblicherweise vordefiniert wird.
Hier kommen wir gleich zu deinem nächsten Kritikpunkt:
Nein, da die Gewalt im Rechtstaaat nur als Mittel (im Idealfall als ultima Ratio) angewendet wird und nicht als "Erziehungsmittel" selbst. Die BRD hängt niemanden mehr auf öffentlichen Plätzen. Die Abschreckung die früher ein erklärtes Ziel des Strafvollzuges war, ist es heute nicht mehr. Dein Vergleich ist übrigens polemisch und weit unter dem Rest deiner Argumentation.
Yo. Du hast meinen Vergleich einfach falsch verstanden. Ich habe mich nicht darauf bezogen, dass die Methoden des Strafens für spezifische Verbrechen sich geändert haben oder eben nicht. Wenn mein Argument gewesen wäre, dass die BRD auf
genau auf die gleiche Weise "abschreckt" (ein Wort, das ich selbst gar nicht verwendet habe) wie die mittelalterliche Zuschaustellung auf dem Marktplatz, würde ich dir zustimmen - der Vergleich der BRD mit mittelalterlichem oder frühneuzeitlichem Strafmaß wäre polemisch und käme relativ aprupt und unerklärlich aus dem argumentativen Nirgendwo. Aber ich meine etwas anderes.
Ich bin, was die Frage von Rechtsstaat und Gewalt angeht, ein Fan von Robert Cover, vor allem seinem Essay "Violence and the Word." Ich beziehe mich vor allem hierauf, wenn ich sage, dass auch der Rechtsstaat auf Gewalt basiert, da auch der rationalste Schiedsspruch gewaltsam durchgesetzt werden muss, weil der Verurteilte zB tatsächlich von Polizisten gegriffen und ins Gefängnis gesteckt wird. Das ist nicht nur rein theoretisch - es ist gewalttätig, auch wenn es eine Gewalt ist, die sich rühmt, ein besonderes Talent für legitimes Augenmaß zu haben. Andererseits, tun sie das nicht alle? Und genau das war, was mein Betrag oben argumentiert hat: dass beide einen Anspruch auf legitime Gewaltanwendung formulieren, und dass die Gewalt sich unterschiedlich präsentiert weil der Legitimitätsanspruch unterschiedlich ist.
Der Punkt ist eben genau dieser: Rechtsstaatliche Gewalt - ebenso wie die spektakuläre Gewalt der Abschreckung - nimmt für sich in Anspruch, legitim zu sein. Verschiedene Ordnungen begründen diese Legitimität auf unterschiedlichen Parametern - zB die Abschreckungsgewalt auf die Wahrung der Integrität der göttlichen Weltordnung, die "eindämmende" Gewalt des modernen Rechtsstaats auf der Prämisse rationaler Entscheidungsfindung - aber beides ist Gewalt, die vom Herrschenden auf den Beherrschten ausgeübt wird. Und ich würde im Fall des Rechtsstaats auch jede "formende" Gewalt, zum Beispiel den Zwang, sich institutionell einzubinden (was ja auch mit Sanktionen verbunden ist, wenn nicht), hinzuzählen, da genau diese Zwangsmaßnahmen (zB Schulpflicht, Versicherungspflicht, bis vor einiger Zeit Wehrpflicht...)* sehr stark dazu beitragen, dass das Spektakel der öffentlichen Hinrichtung in seiner erzieherischen Funktion so überflüssig werden konnte.
Formende, "erziehende" Gewalt wird in beiden Fällen, wenn auch auf konkret unterschiedliche Weise, gegen tatsächliche und potenzielle Widerstände durchgesetzt. Nur weil du und ich die moderne Form legitimer finden als die mittelalterliche heißt das nicht, dass der
Anspruch auf legitime Gewaltanwendung ein qualitativ großartig anderer ist.
Warum bringe ich diesen Punkt überhaupt in die Diskussion ein? Eben weil ich der Meinung bin, dass Terrorismus keine saubere analytische Kategorie ist. Warum ist sie es nicht? Weil sie sich direkt aus genau solchen Legitimitätskonstruktionen von "guter" Gewalt ableitet, und sich hier auf speziell westlich-moderne Konstruktionen davon beruft. Der Vorwurf von Terrorismus ist vor allem der Vorwurf, illegitime Gewalt auszuüben - die Annahme des Terrorismus als "last resort" des Freiheitskampfes (oder was auch immer) ist eher eine Resignification dieses Illegitimitätsvorwurfs als jetzt ein methodisches Statement. Ich weiß, du siehst das genau andersherum, aber das können wir ja immer noch ausfechten. Hier will ich erstmal nur meine Position klarstellen.
Ich glaube wir können uns einig sein, dass der Begriff politisch verwendet wird und gerade deshalb eine klare Definition nicht erwünscht wird, weil es die Einordnung bestimmter Gruppierungen verhindert. .... Das es keine klaren Grenzen gibt, den Stimme ich zu. Der Begriff hat aber seit Kropotkin und der "Propaganda der Tat" eine eindeutige Bedeutung. Dass er inflationär verwendet wird mag sein, das rechtfertigt aber nicht, dass man diese noch verschlimmert in dem man den eigene unklare Definitionen nach Gutdünken beiträgt.
OK, zum letzten Seitenhieb hatte ich ja schon einleitend was gesagt - kommen wir zu den eigentlichen Aussagen. Du sagst, die "Propaganda der Tat" sei die Kerndefinition des Terrorismus. Das sei "eindeutig," aber nicht unumstritten - denn eine "klare Definition" sei "nicht erwünscht," und der "inflationären Verwendung" des Begriffs stimmst du auch zu. Also, was ich hier herauslese ist: Du bist dir sicher, was Terrorismus ist, weil du dich unter all den vorhandenen Definitionen für eine entschieden hast, die dich überzeugt. Das ist schön. Da sind wir schon zwei. Nur haben wir unterschiedliche Definitionen, die uns überzeugen: du hast "Terrorismus ist eine Methodik die durch 'Propaganda der Tat' umrissen wird" und ich habe "Terrorismus ist eine unsaubere analytische Kategorie."
Was mir bisher nicht ganz klar geworden ist, ist die Bedeutung, die du der Tätermotivation zuschreibst. Ich habe den Eindruck, dass die Motivation der "Terroristen" für dich entscheidend ist, aber vielleicht kannst du das nochmal genauer ausführen. Wie oben angedeutet, sehe ich hier großes Potenzial weiterzustreiten.
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*Zwangsmaßnahme ist hier neutral gemeint.