Taufe Clodwigs

Und ob Fried selbst die Realität besser trifft, wenn er Quellenaussagen für nichtig erklärt und durch eigene Hypothesen ersetzt, wage ich zu bezweifeln.
Der "gute Johannes Fried" ja nicht der erste, der den Bericht Gregors in Zweifel zieht. Wenn ich mich recht erinnere :scheinheilig:, hat das vor mehr als einem Jahrhundert z.B. Wilhelm Levison getan und ist zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.

Wenn ich Dich richtig verstehe, siehst Du das Problem weniger beim "für nichtig erklären" der - aus welchen Gründen auch immer - liebgewordenen Annahme, Chlodwig habe sich im Jahre x taufen lassen, sondern beim Dagegenstellen eigener Hypothesen, die Fried für besser fundiert hält. Ich kann das nicht beurteilen und halte mich insoweit an Frieds Postulat [S. 335), wonach "die Klärungspflicht, auf welche von Gregors Aussagen Verlaß sei, ... nicht bei den Zweiflern (liegt), sondern bei denen, die sich auf den Geschichtsschreiber berufen und stützen". Diese Pflicht gilt natürlich auch in Bezug auf Frieds eigene Hypothesen.

(Durchaus zutreffende Grundmomente) sind eben verformt, weil die Erinnerungen, deren Gregor sich bediente, verfomt waren. Und diese These find ich sehr logisch.
Finde ich auch.:rotwerd: Vielleicht haben wir gelegentlich die Möglichkeit, die Sache mit der Memorik genauer zu betrachten, auch im Zusammenhang mit "verwandten" Ansätzen wie der Theorie der Erinnerung von Harald Welzer.
 
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Finde ich auch.:rotwerd: Vielleicht haben wir gelegentlich die Möglichkeit, die Sache mit der Memorik genauer zu betrachten, auch im Zusammenhang mit "verwandten" Ansätzen wie der Theorie der Erinnerung von Harald Welzer.
Also die Theorie der historischen Memorik, so wie Fried sie in "Der Schleier der Erinnerung" vorstellt, finde ich aus fachlicher Warte nicht überzeugend, ganz im Gegenteil. Es ist zwar schon einige Zeit her, das ich "Der Schleier der Erinnerung" sowie "Geschichte und Gehirn" gelesen habe, einem Vergleich mit einem Ansatz eines Fachmanns wie Welzer hält beides aber sicher nicht Stand. Wir können uns dem aber gerne dezidierter in einem eigenen Thread zuwenden.
 
Ich will mich hier nicht in die interessante wissenschaftstheoretische Diskussion über die Memorik einmischen, nur einen quellenkritischen Aspekt benennen:
Viele der Ereignisse, welche in den Quellen als >>spontan<< dargestellt werden - also z.B. auch Chlodwigs Taufe - sind es eben nicht. Sie sind diplomatisch vorbereitet, worüber die historiographischen Quellen häufig schweigen, wenn man dann aber andere Quellen heranzieht, z.B. Briefe, die im Gegensatz zu den aus der Rückschau berichtenden historiographischen Quellen eben unmittelbar sind, dann kann man etwas von dieser diplomatischen Vorbereitung erfahren. Ein ähnliches Beispiel wie die Taufe Chlodwigs ist z.B. der Kreuzzugsaufruf Urbans II. Die gängige Darstellung ist nach wie vor, dass Urban sich in Clermont auf's Feld gestellt hätte und in einer flammenden Rede die anwesenden Adeligen von der Notwendigkeit des Kreuzzuges überzeugt habe, bis diese spontan riefen "Deus lo vult!" Wir wissen heute jedoch, dass es zur Synode einen etwa einjährigen diplomatischen Vorlauf gegeben hat. Und wenn man - nun also zurückkehrend zu Chlodwigs Taufe und Gregors Decem libri - sich das ganze mal kritisch anschaut, dann wird man zwei Dinge feststellen: Zum einen ist der Taufbericht fast schon als Wunder dargstellt, zum anderen finden wir die allmähliche Christianisierung Chlodwigs als länger dauernden Konflikt mit Chrodigilde dargestellt. Desweiteren ist zu fragen, ob Chlodwig nicht vielleicht schon Christ war, nur eben der "falschen" Konfession anhängig: "Conversa est enim et alia soror eius Lantechildis nomen, quae in haeresim Arrianorum dilapsa fuerat,..."
 
Ich habe ja auch nicht gesagt, dass man den Inhalt der Quellen ablehnen soll.

Ich habe ja auch nicht gesagt, dass du das gesagt hast. Nur Johannes Fried betreibt das mehr oder weniger so.

Ich habe nur gesagt, dass man sich nicht nur auf eine einzige Quellen stützen sollte, sondern eben alle lesen und gegeneinander aufwiegen sollte.

Das haben Menschen vor Johannes Fried auch schon getan. Man nennt sie "Historiker". Übrigens habe ich in meinem Beitrag nichts anderes gesagt.

Fried hat sich ja mit den Quellen (die sich laut meiner Erinnerung nicht nur auf zwei Briefe von Avitus von Vienne und Nicetus von Trier beschränken, es gibt auch noch weitere Schriftstücke!)...

Die anderen Quellen sind aber noch viel später entstanden. Avitus ist zeitgenössisch, Nicetius hat seinen Brief etwa zur Zeit Gregors verfasst. Die nächste Quelle, die von der Taufe berichtet, dürften schon Fredegar oder die Historia Francorum sein, die ich wegen der späten Niederschrift (7./8. Jh., wenn ich mich nicht irre) nicht zurate ziehen würde.

Und er meinte ja auch nicht, wie ich oben vergessen habe zu erwähnen, dass alles komplett falsch ist, was Gregor sagt, sondern dass es durchaus zutreffende Grundmomente enthält, die sich aber verformt und verändert haben, sodass wir heute ein falsches Bild von den Geschehnissen rund um die Taufe haben. Sie sind eben verformt, weil die Erinnerungen, deren Gregor sich bediente, verfomt waren. Und diese These find ich sehr logisch.

Natürlich ist das logisch, alle Erinnerungen sind verformt, das gilt nicht nur für Gregor, sondern für jede Quelle, die wir aus der Vergangenheit haben. Und das zu berücksichtigen ist Grundvoraussetzung einer jeden historischen Arbeit, da hat Fried entgegen seiner eigenen Meinung rein gar nichts revolutioniert. Verstehe mich nicht falsch: Man kann die Quellen deuten wie man will, nur einzelne Aussagen einer bestimmten Quelle grundsätzlich anzuzweifeln, weil die Erinnerungen die tatsächlichen Ereignisse verformt haben, halte ich für quatsch. Wie gesagt, so gesehen könnte man die komplette Vergangenheit anzweifeln, weil alle Erinnerungen verformt und verändert sind. Das reicht als Argument einfach nicht aus.

Der "gute Johannes Fried" ja nicht der erste, der den Bericht Gregors in Zweifel zieht.

Habe nie was anderes behauptet.

Wenn ich Dich richtig verstehe, siehst Du das Problem weniger beim "für nichtig erklären" der - aus welchen Gründen auch immer - liebgewordenen Annahme, Chlodwig habe sich im Jahre x taufen lassen...

Die Gründe für die liebgewonnene Annahme, dass sich Chlodwig hat taufen lassen, kann ich dir liefern: Ein zeitgenössischer Brief des Avitus von Vienne, in dem er Chlodwig zur Taufe gratuliert und seine eigene Abwesenheit entschuldigt. Das genaue Datum ist in der Forschung umstritten. Die Taufe selbst zweifelt Fried ja auch gar nicht an, sondern die bei Gregor überlieferten Umstände.

... sondern beim Dagegenstellen eigener Hypothesen, die Fried für besser fundiert hält.

Und genau das halte ich für das Problem: Frieds eigene Hypothesen sind nicht fundierter. Im Gegenteil. Man hat den Bericht Gregors. Von mir aus kann man ihn anzweifeln. Wenn man sie aber durch eine eigene, in den Quellen nirgends zu findende Annahme ersetzt, dann ist das Fantasie, mehr nicht. Vielleicht hat Fried ja so viel Glück und seine Hypothesen treffen zu, dann lässt sich das aber nicht überprüfen (es ist gewissermaßen eine Art Glaubenssache). Und bevor ich die Gschicht von der wuiden Sau erzähle, würde ich vorziehen zu sagen: "Die genauen Umstände kennen wir nicht, Gregor von Tours sagt aber... usw."

Ich kann das nicht beurteilen und halte mich insoweit an Frieds Postulat [S. 335), wonach "die Klärungspflicht, auf welche von Gregors Aussagen Verlaß sei, ... nicht bei den Zweiflern (liegt), sondern bei denen, die sich auf den Geschichtsschreiber berufen und stützen". Diese Pflicht gilt natürlich auch in Bezug auf Frieds eigene Hypothesen.

Ja, dem würde ich prinzipiell auch zustimmen. Nur ist das Problem, dass sich alles anzweifeln lässt. Und damit kommt man auch nicht weiter.

Zu El Quijote: Ja, selbstverständlich handelt es sich bei vielen Ereignissen, die aus dem Mittelalter überliefert sind, um inszenierte Rituale. Und die Taufe Chlodwigs wird nichts anderes gewesen sein. Dennoch können wir den genauen Prozess seiner Christwerdung mangels Quellen nicht nachvollziehen. Wir wissen es einfach nicht. Daran kann auch Fried nichts ändern.
 
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