Thusnelda

vindus

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Über Thusnelda wurde hier bisher eher weniger gesprochen scheint mir. Mich würde interessieren wie wohl die Verhältnisse zwischen den Chatten und Cheruskern waren und ob Thusnelda tatsächlich einem Chattenfürsten anverlobt war?
Und auch der gesamte Geschichtliche Ablauf zwischen Arminius und Thusnelda ist trotz lebhafter Darstellung ziemlich undurchsichtig/oberflächlich. Hat Arminius Thusnelda wirklich geliebt und hat er sie mit ihrem Einverständnis mitgenommen? Oder hat er sich ausschließlich politische Vorteile erhofft und sie gezwungen? Ist sie vielleicht nur itgegangen um ihrem Vater zu entkommen und hat Arminius wiederum jemanden auspielen wollen?
Was ist mit der Deutung ihres Namens? Jakob Grimm deutet ihn als Thursinhildja was mir etwas an den Haaren herbei gezogen erscheint. Was ist von Grimms Interpretationen da aus fachlicher Sicht allgemein zu halten?
Ich habe mich da mal auch an anderen Deutungen versucht indem ich Gerhard Köblers Übersetzungen zur Hand genommen habe. Wenn man den Namen nicht verändert und keine Verhörung unterstellt (und grundlose Unterstellungen fand ich sollte man erst mal sein lassen) kommen für „thu“ verschiedene Überstezungen in Frage: „Du“, „beschützend“, „schwellen“, „ausdehnen“ und „ausstrecken.

Für „snelda“ habe ich „Snella“ gefunden. Da man früher viele Worte, welche heute mit Doppelkonsonanten vorkommen, anders sprach/schrieb (auch wenn die Germanen keine echte Schrift hatten) könnte snella die modernere Form von snelda sein (siehe Kummer=Kumber, Nummer=Number. Hier finde ich: „frisch“, „tapfer“, „klug“, „behende“, „tatkräftig, „lebhaftigkeit/Wilder Charakter“, usw..
Also so etwas wie „Du schnelle“, „schnell ausdehnende“, „kraftvoll schützende“.. etc... Ist natürlich alles eine rein spekulative Auflistung von Möglichkeiten, aber ist mir irgendwie lieber als „Thursinhilda“.

Was ist von der Gleichsetzung des Hagen von Tronje mit Adgandestrius zu halten? Könnte nicht gerade die Tatsache dass dieser Name angeblich weit verbreitet war dafür sprechen dass es keinen Zusammenhang mit dem Adgandestrius gibt? Schließlich heißen heute ja auch viele Paul, Peter, Marcel, Müller, Meyer, etc... ohne dass man daraus unbedingt was schließen könnte. Andererseits muss ich gestehen inspirieren manche Überseinstimmungen mit der Nibelungensage dazu sich zu fragen ob da nicht doch was dran ist.
 
Wenn ich diesen Namen „Thusnelda“ höre denke ich auch an Heinrich von Kleist (geb. Frankfurt/Oder, verst. Stolper Loch, heutiger Kleiner Wannsee).

Heinrich von Kleist – Die Hermannsschlacht - Drama in 5 Akten.
Verfasst 1808, gedruckt 1821, erstmalig aufgeführt 1839

2. Akt, 7. Auftritt – Thusnelda Frau des Fürsten der Cherusker...

Thusnelda mit einer Laute, Ventidius (Legat von Rom) und Gertrud (eine Frau von Thusnelda) hören zu.
„Ein Knabe sah den Mondenschein
In eines Teiches Becken;
Er faßte mit der Hand hinein,
Den Schimmer einzustecken;
Da trübte sich des Wassers Rand,
Das glänzge Mondesbild verschwand,
Und seine Hand war –
Ventidius steht auf und Thusnelda hört auf zu singen.
 
Und auch der gesamte Geschichtliche Ablauf zwischen Arminius und Thusnelda ist trotz lebhafter Darstellung ziemlich undurchsichtig/oberflächlich. Hat Arminius Thusnelda wirklich geliebt und hat er sie mit ihrem Einverständnis mitgenommen? Oder hat er sich ausschließlich politische Vorteile erhofft und sie gezwungen? Ist sie vielleicht nur itgegangen um ihrem Vater zu entkommen und hat Arminius wiederum jemanden auspielen wollen?
Lauter faktisch unbeantwortbare Fragen. Wir haben über Thusnelda nur ein paar vage Informationen aus römischen Quellen, vor allem Tacitus. Im günstigsten Fall gehen sie auf Aussagen Thusneldas in ihrer Gefangenschaft (oder von Flavus) zurück, die dennoch nicht stimmen müssen. Im weniger günstigen Fall handelt es sich überhaupt nur um irgendwelches Hörensagen. Nähere Details kennen wir ohnehin nicht.

Was ist mit der Deutung ihres Namens?
Bei allen Deutungsversuchen sollte man nicht vergessen, dass wir ihren Namen nur so vorliegen haben, wie ihn die Römer in ihrer Sprache und Schrift wiedergaben. Wie originalgetreu diese Wiedergabe ist, wissen wir nicht.

Was ist von der Gleichsetzung des Hagen von Tronje mit Adgandestrius zu halten?
Eigentlich nichts. Das ergibt ohnehin nur in Zusammenhang mit der völlig spekulativen Gleichsetzung Arminius=Siegfried Sinn. Doch selbst wenn: Hagen ermordete Siegfried, Adgandestrius Arminius nicht. Außerdem ermordete Hagen Siegfried gewaltsam, Adgandestrius hingegen wollte zu Gift greifen. Die Germanen selbst wussten möglicherweise nicht einmal etwas von seinem Angebot an die Römer. Hätten sie es gewusst, hätten sie ihn vermutlich verabscheut, während Hagen trotz seines hinterhältigen Mordes irgendwie ein Held ist (im Waltharius und natürlich im Kampf gegen die Hunnen). (Hagen war zwar ein Mörder, aber er hat sich nicht den Feinden Siegfrieds angebiedert, und er hat keinen Giftmord verübt.) Die beiden haben nichts gemein.
 
und ob Thusnelda tatsächlich einem Chattenfürsten anverlobt war?
Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln. Für die Darstellung‘ Tacitus ist das irrelevant, dass er es am Rande erwähnt, ist ohne weitere Bedeutung für den Rest seiner Darstellung.

Und auch der gesamte Geschichtliche Ablauf zwischen Arminius und Thusnelda ist trotz lebhafter Darstellung ziemlich undurchsichtig/oberflächlich. Hat Arminius Thusnelda wirklich geliebt
Das wird sich ohne Zeitmaschine nicht klären lassen. Und selbst dann, vor dem Gehirn ist die Stirn. Musste also noch einen Elektroenzephalografen in den Kofferraum deiner Zeitmaschine packen.

und hat er sie mit ihrem Einverständnis mitgenommen?
Das entspräche zumindest der Darstellung des Tacitus. Tacitus‘ Segestes versucht seinen Sohn zu entschuldigen („jugendlicher Übermut“), das kurze Schlaglicht, das Tacitus auf Thusnelda wirft, schildert diese überhaupt nicht als kooperativ mit den Römern, eher widerwillig und damit wohl auch nicht mit der deditio ihres Vaters einverstanden. Sie wird auch, anders als ihr Vater, als Kriegsbeute behandelt. Zumindest ist ihr Vater keine offensichtliche Kriegsbeute, er wird aber dadurch öffentlich gedemütigt, dass er seine Kinder im Triumphzug vorgeführt sehen muss, während er selbst auf der Ehrentribüne saß; für seinen Sohn wird das den Tod bedeutet haben.
 
Da hat sicher unser Freund >Stilicho< nicht ganz unrecht.

Ich würde den Faden mit Heinrich von Kleist aufnehmen und verfolgen.

Da gibt es z.B. eine Hausarbeit von Karolin Kreutzer zum Thema: Die Rolle der Thusnelda in Heinrich von Kleists „Hermannsschlacht“.

Ein Auszug dazu bitte hier:

Die Rolle der Thusnelda in Heinrich von Kleists "Hermannsschlacht" - Hausarbeiten.de

Und dann würde ich mir auch durchlesen was zur Biografie von Thusnelda geschrieben wurde:

Deutsche Biographie - Thusnelda (deutsche-biographie.de)

Und dann vielleicht auch „Who is Who“:

Who is Who der Antike: Thusnelda » Antikes Wissen » SciLogs - Wissenschaftsblogs (spektrum.de)

Vielleicht bringt auch F.G. Klopstocks (1724 – 1803) „Hermanns Schlacht“ zum Thema etwas.

Ich meine hier Kapitel 3 „Die Germanen“ und davon speziell Abschnitt 3.2.5. „Der Cheruskerfürst Hermann und seine Frau Thusnelda“.
 
@Ralf.M ich glaube nicht, dass Klopstock und Kleist (trotz ihrer unbestreitbaren literarischen Qualität) die historischen Kenntnisse über Thusnelda, Arminius etc erweitern ;)
 
@Ralf.M ich glaube nicht, dass Klopstock und Kleist (trotz ihrer unbestreitbaren literarischen Qualität) die historischen Kenntnisse über Thusnelda, Arminius etc erweitern ;)


Ich habe diese nur deshalb hier erwähnt weil ich meine, die haben nicht „Tagträumerisch“ da etwas verfasst.
Ich meine auch damals gab es ein kritisches Publikum und Fachleute die sich mit der Materie auskannten und das wussten sie sicher.
 
ob Thusnelda tatsächlich einem Chattenfürsten anverlobt war?
Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln. Für die Darstellung‘ Tacitus ist das irrelevant, dass er es am Rande erwähnt, ist ohne weitere Bedeutung für den Rest seiner Darstellung.
Das steht doch nirgendwo, oder?
In Tacitus, Annales 1,55 ("Segestes, quamquam consensu gentis in bellum tractus, discors manebat, auctis privatim odiis, quod Arminius filiam eius alii pactam rapuerat") lese ich nur, dass sie "einem anderen verlobt" war, aber nicht, wem.
Wird nicht nur aus der Vermutung, Adgandestrius habe den Römern sein Mordangebot aus persönlichem Hass auf Arminius unterbreitet, geschlossen, er sei der übergangene Verlobte gewesen?
Über Adgandestrius' Motiv wissen wir in Wahrheit doch gar nichts, und selbst wenn er einen persönlichen Hass empfunden haben sollte, bedeutet das nicht zwingend, dass er der Verlobte war.
Oder übersehe ich etwas?
 
Ich habe diese nur deshalb hier erwähnt weil ich meine, die haben nicht „Tagträumerisch“ da etwas verfasst.
Ich meine auch damals gab es ein kritisches Publikum und Fachleute die sich mit der Materie auskannten und das wussten sie sicher.

Die Werke von Kleist und Klopstock sind literarische Bearbeitungen. Historische Genauigkeit hat da keine Priorität.

Ich habe mir mal den Text in Wikipedia zu Kleists Hermannsschlacht durchgelesen und abgesehen von einigen Namen und dass die Cherusker die Römer besiegt haben, stimmt da kaum etwas mit den historischen Quellen überein.

In Wikipedia wird auch erwähnt, dass das Stück wohl in erster Linie als Anspielung auf die historische Situation in Deutschland zur Zeit der Verfassung nach der Niederlage gegen Napoleon 1807 zu sehen ist, mit den Franzosen als Römern, den Cheruskern als Preußen und den Sueben als Österreichern. Das funktionierte wohl nur, weil Kleist die Überlieferung sehr frei interpretierte und zurecht bog.

Die Hermannsschlacht (Kleist) – Wikipedia
 
Ich habe diese nur deshalb hier erwähnt weil ich meine, die haben nicht „Tagträumerisch“ da etwas verfasst.
Ich meine auch damals gab es ein kritisches Publikum und Fachleute die sich mit der Materie auskannten und das wussten sie sicher.
Thusnelda wurde in der Neuzeit, insbesondere im 19. Jhdt., zum Prototyp der idealen "deutschen" Frau stilisiert. Man sah in ihr, was man in ihr sehen wollte. Wie sie wirklich war, interessierte weniger.
Kleist & Co. schrieben außerdem keine wissenschaftlichen Abhandlungen für ein Fachpublikum. Kleist verfolgte mit seinem Stück konkrete propagandistische Ziele für seine Gegenwart. Die "Hermannsschlacht" war nur das Vehikel, in das er seine Botschaft verpackte. Historische Fakten waren Nebensache.
 
Das entspräche zumindest der Darstellung des Tacitus. Tacitus‘ Segestes versucht seinen Sohn zu entschuldigen („jugendlicher Übermut“), das kurze Schlaglicht, das Tacitus auf Thusnelda wirft, schildert diese überhaupt nicht als kooperativ mit den Römern, eher widerwillig und damit wohl auch nicht mit der deditio ihres Vaters einverstanden. Sie wird auch, anders als ihr Vater, als Kriegsbeute behandelt. Zumindest ist ihr Vater keine offensichtliche Kriegsbeute, er wird aber dadurch öffentlich gedemütigt, dass er seine Kinder im Triumphzug vorgeführt sehen muss, während er selbst auf der Ehrentribüne saß; für seinen Sohn wird das den Tod bedeutet haben.
Aus juristischer Sicht der Römer hatte Thusnelda mit Segestes nichts mehr zu tun. Durch die Heirat ging sie für die Römer in die "patria potestas" des Segimer über. Mal die wenig gewagte Spekulation vorausgesetzt, dass der Vater des Segimer da nicht mehr lebte. Da Tacitus und Cassius Dio von Segimer in Bezug auf die Feldzüge des Germanicus nicht mehr berichten, dürfte für die Römer zur Zeit der Germanicus-Feldzüge Arminius die "patria potestas" über Thusnelda gehabt haben.

Daher war die Gefangenschaft der Thusnelda de jure keine Demütigung des Segestes. Anders sieht es da bei dessen Sohn Segimundus aus. Da Segimundes der "patria potestas" des Segestes unterstand, war dies sicherlich auch aus römischer Sichtweise eine Demütigung für Segestes. Das hat EQ ja schon erwähnt.

In einer juristischen Diskussion könnte man natürlich noch anführen, dass Segestes der Ehe zwischen Arminius und Thusnelda nicht zugestimmt habe und diese Ehe daher ungültig gewesen war. Ob sich darauf aber Germanicus oder Augustus eingelassen haben, kann man angesichts der Fakten (Teilnahme am Triumphzug) verneinen. Da Segestes selbst seine Tochter dem Germanicus übergeben hatte, wäre ein solcher juristischer Einwand auch merkwürdig gewesen.
 
Die juristische Sicht ist die eine Seite. Thusnelda ist immer noch die Tochter von Segestes und so werden es auch die Menschen auf der Straße gesehen haben.
 
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