Und musst du dich hier so über die Politik auslassen? Mich wunderts wie hier manchmal gegen Identitätspolitik/Feminismus/Genderstudies etc gewettert wird. Dabei sollen wir darüber doch nicht reden, oder?
Tagespolitik soll hier nicht diskutiert werden. Quellenkritik ist ein ganz anderes Thema. Wenn die Quelle ostentativ politisch argumentiert, kannst Du Dich damit natürlich auch politisch auseinandersetzen.
Ansonsten schreib mir ne persönliche Nachricht. Da ist das erlaubt, oder?
Dieser Strang hat ziemlich viele Leser gehabt, warum sollte die Diskussion versteckt werden?
Wenn mir mein Gedächtnis nicht Streiche spielt kommt das mit dem siebzehnten Jahrhundert ungefähr hin mit dem Abstieg der Osmanen. Allerdings hab ich auch mal gelesen, dass es nach Eugen von Savoyen etc noch ein paar Siege der "Türken" gab.
Der militärische Abstieg der Osmanen begann im Zuge des 5. Großen Türkenkriegs, das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass das Osmanische Reich seine vorherige Expansion seiner militärischen Macht verdankt hatte. Es profitierte dabei vor allem von seiner inneren Stabilität, wie man schon daran sieht, dass die Eroberung Konstantinopels und der Balkan-Halbinsel bis hinauf nach Ungarn erst erfolgreich in Angriff genommen werden konnte, als die Osmanen Anatolien und die Levante befriedet hatten.
Und die Timuriden, um die es hier ebenfalls ging, waren mit Sicherheit nicht den Europäern "kulturell, wirtschaftlich und politisch weit überlegen". Denn zwar ist das Bild, das die Nachwelt von Timur als ultimativem Bösewicht hat, einseitig; es gab tatsächlich so etwas wie eine timuridische Renaissance, die in Samarkand spektakuläre Bauwerke und blühendes geistiges Leben hervorbrachte.
Sie lässt sich aber mit "unserer" Renaissance insofern nicht vergleichen, als sie kein natürliches Gewächs war, kein Produkt aus Mäzenatentum (Bestenauslese) und gegenseitiger intellektueller Befruchtung vieler an einem Ort versammelter kluger, kreativer Köpfe. Timur raubte nicht nur die Reichtümer, mit denen er Samarkand zur Metropole machte, sondern auch die Ideen. Er ließ hunderte Künstler und Gelehrte aus aller Herren Länder an seinen Hof verschleppen. Das Schwert siegte, nicht die Feder.
Die "Rückständigkeit" des Okzidents gegenüber dem Orient ist ein Topos, der zwar – zeitweise – einen wahren Kern enthält, aber letztlich aus derselben überzeichnenden Feder stammt wie der des "dunklen" Mittelalters. Freely, Bachrach, Frangenberg und viele andere Autoren vieler Disziplinen haben gezeigt, dass längst nicht alles Wissen der Griechen und Römer erst im Zuge der Kreuzzüge neu entdeckt werden musste. Und, dass es schon im Hochmittelalter eine eigenständige okzidentalische Wissenschaft gab, und im 15. Jahrhundert der Wissenstransfer von Ost nach West durch ein Gleichgewicht abgelöst wurde.
Von einer "weiten" kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Überlegenheit des islamischen Kulturkreises bis ins 17. Jahrhundert zu sprechen, ist meines Erachtens falsch.
Aber selbst wenn Al-Abboud mit ihrer These Recht haben sollte – und spätestens hier fängt die Politik an –, heißt das noch lange nicht, dass ihre Schlussfolgerungen korrekt sind. Um, wie Al-Abboud behauptet, aus Neid anti-islamische Topoi zu verinnerlichen, hätten die Europäer mit dieser Überlegenheit des Orients überhaupt erst einmal in Kontakt kommen müssen. Und ein solcher Kontakt fand einfach nicht statt in einer Zeit, als die meisten Menschen in dem Haus starben, in dem sie geboren worden waren. Er beschränkte sich auf eine kulturschaffende Elite, die (siehe weiter unten) durchaus differenziert dachte.
Al-Abboud ignoriert auch eine sehr viel naheliegendere Erklärung für die von ihr ausgemachte Islamophobie mittelalterlicher und frühneuzeitlicher christlicher Quellen. Die Kontakte des Okzidents mit dem Orient waren meist kriegerischer Natur, und entsprechend fiel der Tenor aus. Umgekehrt funktionierte das genauso, wie Maalouf in 'Der Heilige Krieg der Barbaren' gezeigt hat. Die Muslime kannten die Christen ebenfalls v.a. aus kriegerischen Zusammenstößen, folglich äußerten sich ihre Chronisten nicht positiver über sie. Wie es scheint, taugen Kriege nicht als Mittel zur Völkerverständigung.
Und damit ist noch nichts gesagt über Al-Abbouds Ansinnen, eine bruchfreie Linie ziehen zu wollen von der Kreuzzugspropaganda eines Bernhard von Clairvaux zu der Zustimmung, die eine Marine Le Pen bei Wahlen erfährt. Das ist die identitätspolitische Komponente: das Bild des Weißen, der Rassist sein muss, ob er will oder nicht, ob er es bemerkt oder nicht, weil seine Kultur strukturell rassistisch sei. Wie kam es dann aber zu Phänomenen wie der Turquerie? Über Jahrhunderte war alles Orientalische in der Oberschicht v.a. Frankreichs und Englands positiv besetzt. Es herrschte eine regelrechte Begeisterung für den Orient. Man verschlang alles, was man an Literatur in die Finger bekam, erstand Möbel, Kunstwerke und Pflanzen, kleidete sich mitunter sogar orientalisch. Sieht so jahrhundertalte Islamophobie aus?