TV-Tipps - Dokumentarfilme zu historischen Themen

- 800 Jahre convivencia sind Blödsinn. Es gibt ja Historiker, welche - aus politischen Motivationen heraus - die Convivencia ganz in Abrede stellen. Sie streichen dann ganz gerne Ereignisse des 11. bis 13. Jhdts. heraus (1066 antijüdische Pogrom in Granada, 1090 - 1145 Almoraviden 1146 - 1212 Almohaden).
- es wird in der Doku behauptet, dass es von der Flucht 'Abd ar-Raḥmans einen von diesem selbst geschrieben Bericht gäbe. Mir ist ein solcher nicht bekannt. In der Recherche komme ich auf al-Maqqarī, das war ein algerischer Historiker des 17. Jhdts., der ziemlich viele Texte kompilierte. Ich habe die ÜS von Gayangos (1843) vor langer Zeit mal gelesen (vor etwa 20 Jahren), ich will nicht ausschließen, dass hier ein von 'Abd ar-Raḥman selbst verfasster Text eingeflossen ist, ich kann mich nicht erinnern. Aber das ist mir noch nie untergekommen und auch eine Recherche nach einem solchen Bericht aus der Ich-Perspektive hat sich als ergebnislos erwiesen. Aus dem 11. Jhdt. gibt es den Bericht von 'Abdallāh ibn Buluggīn aus der Ich-Perspektive. Der ist interessant, aber hat natürlich mit den Ereignissen 350 Jahre zuvor in Syrien nichts zu tun.
- Bilder: in den Animationen sieht man Kakteen. Das ist eine Pflanze, die erst im 15./16. Jhdt. den Sprung von den Amerikas in die alte Welt schaffte
- María Rosa Menocal behauptet, 'Abd ar-Raḥman habe sich als den rechtmäßigen Kalifen gesehen. Nun, er war vor 750 nur einer von vielen Umayyadenprinzen, nicht der Kronprinz. Er hat sich auch nie als Kalif aufrufen lassen, erst 'Abd ar-Raḥman III. Tat dies 927, also 180 Jahre später.
- unwichtig, aber: beim Animationsfilm Gebet in der Moschee von Córdoba sind die Säulenstruktur und die Gebetsrichtung falsch dargestellt. Die durch die Doppelbögen gebildeten Säulen laufen auf die qibla zu. Die Gläubigen im Animationsfilm beten also nicht in Richtung der qibla, sondern 90° dazu verdreht.
Das ist das, was mir bis Minute 16 aufgefallen ist. Später mehr.
 
Danke für die erste Einschätzung.

- 800 Jahre convivencia sind Blödsinn. Es gibt ja Historiker, welche - aus politischen Motivationen heraus - die Convivencia ganz in Abrede stellen. Sie streichen dann ganz gerne Ereignisse des 11. bis 13. Jhdts. heraus (1066 antijüdische Pogrom in Granada, 1090 - 1145 Almoraviden 1146 - 1212 Almohaden).

Genau das, antijüdische Pogrome und Almoraviden sowie Almohaden, wird aber später in der Doku noch thematisiert, genauso wir die Ausrufung des Kalifats von Cordoba 929.
 
Ich bin jetzt bei der fitna barbariyya. Minute 29.
Animationsszenen (weiter vorne): außer Kakteen sind auch Bananen zu sehen und das Klischee orientalischer Bewaffnung: Krummsäbel. Andalusische Schwerter sind gerade.
Das meiste ist im Wesentlichen richtig dargestellt, manche Dinge etwas verkürzt.
Almanzor (al-Manṣūr) riss tatsächlich mit Hilfe von Subh, der Mutter Hišāms die Macht an sich. Onkels und Cousins von Hišām brachte er um, denn Primogenitur war nicht das Nachfokgekonzept. Almanzor hatte zwei Söhne, der erste hielt es, wie der Vater und tastete das Kalifat nicht an. Es war der jüngere, der Hišām zwang, ihn zu seinem Nachfolger zu proklamieren.
Die Berber waren schon seit Jahrzehnten angeworben worden. Nicht erst von Almanzor, wie dargestellt.

Als 'Abd ar-Raḥman, der jüngere Sohn von Almanzor, genannt Šanǧūl nach seinem Großvater, dem König von Navarra (Almanzor unterhielt also eine diplomatische Ehe mit einer Christin), nun als Anwärter auf das Kalifenamt seine Truppen sammelte, um gegen einen seiner christlichen Cousins zu ziehen (im Übrigen auch Söldner aus Katalonien in seinem Heer), revoltierte Córdoba. Der Film folgt hier der Darstellung von Ibn Ḥazm. Für Ibn Ḥazm waren die Berber die Übeltäter, deshalb auch fitna barbariyya. Das ist in der Geschichtsschreibung bis in die 1990er Jahre trotz dem widersprechender Quellen unwidersprochen hingenommen worden. Seit ungefähr 20 Jahren gibt es mehr Stimmen, die die Widersprüche sehen. Der Film ist hier also auf einem Forschungsstand, der schon 1995 im Prinzip problematisch war.

Schaut man in die Chronologie der Ereignisse, dann stellt es sich so dar:
  • 'Abd ar-Raḥman Šanǧūl zieht als designierter Kalif gen Norden, die Berber bilden die zentrale Stütze seines Heeres
  • Córdoba rebelliert.
  • Das Heer bekommt Nachricht, vor allem sollen die Córdobeser die Familien der Berber massakriert und die Töchter in ein dār al-banāt gesteckt haben. Ich denke, es war Scales (The Fall of the Caliphate. Berbers and Andalusies in Conflict 1994), der dieses Haus der Töchter als euphemistischer Umschreibung für ein Bordell interpretierte.
  • Die Berber kehren um und da die Stadttore verbarrikadiert sind, leiten sie ihre Wut auf die Palaststadt um.
Obwohl die Quellen zu diesen Sachverhalten alle proarabisch und antiberberisch sind, kann man aus diesen Quellen diese Chronologie der Ereignisse rekonstruieren.
Zudem werden Charakterzüge der ǧihādistischen Almoraviden und Almohaden auf die berberischen Söldner des 10./11. Jhdts. übertragen.

Auf Almanzors Erweiterung der Moschee von Córdoba wird nur in einem Satz eingegangen, es war die größte Erweiterung, aber der Wechsel von Kalkstein und Ziegel (der den Impact von Erdbebenstößen auf die Moschee dämpfen soll) ist hier aufgehoben, die Ziegelsteine nur noch gemalt. Zur Erdbebendämpfung hat man zwischen Kapitelle und Säulen Bleischeiben gelegt. Auch sind die Säulen nicht mehr perfekt rund. Nun wurde ja am Anfang gesagt, dass 'Abd ar-Raḥman die Moschee mit Säulen aus Tuinen (Spolien) errichten ließ. Seine Nachfolger aber ließen Säulen herstellen. Wer mal dort ist, kann die Bauphasen an den Säulen nachvollziehen.

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Auch wenn das jetzt vielleicht extrem kritisch wirkt: im Große und Ganzen ist die Doku bis Minute 29 ganz ordentlich gemacht.

Edit: ibn Hayyān durch ibn Ḥazm ersetzt. Ibn Hayyān erlebte die fitna barbariyya nicht mehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mich würde stark interessieren wie @ElQuijote die Doku einschätzt. Ich bin Laie - mir hat sie gut gefallen und ich fand sie aufschlussreich.
Im Großen und Ganzen war sie ganz gut. Inhaltliche Kritik habe ich insgesamt wenig zu äußern (dies schon in den vorherigen Beiträgen getan), die Bildauswahl fand ich tw. ein bisschen seltsam. Sowohl die Animationsszenen als auch die abgedrehten Bilder von Bauwerken, da wurden dann Bauwerke zusammengeschnitten. Es war mal von Granada die Rede und es wurde irgendeine Burg gezeigt, die definitiv nicht die Alhambra oder eine der Burgen in der relativ näheren Umgebung war. Es könnte die Alcazaba de Antequera gewesen sein.
Ah ja, inhaltliche Kritik hätte ich doch noch an einer Stelle. Der Film stellte es so dar, als hätten Isabell und Ferdinand geheiratet, um Granada militärisch zu besiegen. Das ist doch sehr verkürzt auf al-Andalus dargestellt. Als Fernando und Isabel heirateten, taten sie das heimlich. Fernando kam als Maultierknecht fahrender Händler (seine Leibwache) nach Vallodolid, um die Prinzessin zu heiraten, die ihr Bruder an den König von Portugal vergeben wollte. Als Enrique dann starb, war keineswegs klar, dass Isabel den Thron erben würde, sie musste sich erst ihrer Nichte (politisch) entledigen, deren Legitimität als zweifelhaft galt (sie ist als la Beltraneja in die Geschichte eingegangen, weil man meinte, dass nicht Enrique IV., sondern Beltrán de la Cueva ihr Vater war). Isabel wollte natürlich den Thron, davon kann man ausgehen, aber sie musste sich auf ein Wiederaufflammen des Bürgerkrieges, den ihre Brüder miteinander ausgefochten hatten, einstellen. Die Königreiche Aragón-Katalonien und Kastilien-León blieben eigenständig. Als Isabel 1506 starb, beerbte sie nicht nicht ihr Ehemann, sondern ihre Tochter mit ihrem Schwiegersohn, Johanna die Wahnsinnige und der Habsburger Philipp der Schöne (von Burgund).
 
Vorgestern sah ich auf Arte in der Sendereihe „Square für Künstler“ den Autor Peter Prange über Selenskyj, Nazizeit, 1920er Jahre, Fall des Eisernen Vorhangs, Irakkrieg (1991) und anderes sprechen. In Vielem bin ich mit ihm einer Meinung, einiges könnte sogar von mir sein. Aber ich kann nicht so gut formulieren wie er – auch deswegen ecken ich hier öfters an. :D

Hier der Link zur Mediathek: Square für Künstler - Peter Prange, Schrifsteller | ARTE

PS: Über Selenskyj spricht er nur in den ersten 2 Minuten, die übrigen 23 Minuten sind mMn auf jeden Fall sehenswert.
 
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