Unternehmen Herkules/Luftlandeoperation gg. Malta 1942 - Gründe für die Absage

Zechi

Mitglied
Im Rahmen eines "playtests" für ein Computerspiel beschäftigen wir uns gerade mit der Frage, ob das geplante Unternehmen Herkules (Luftlandeoperation gg. Malta 1942) Erfolg haben konnte oder nicht. Diese "Was wäre wenn Frage", will ich (weil eher unhistorisch) nicht zwingend thematisieren.

Mich interessieren in diesem Zusammenhang, aber die historischen Gründe, warum die Operation abgeblasen wurde. Diesbezüglich habe ich den englisch- und deutschsprachigen Wikipedia Artikel gelesen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen_Herkules#Die_Absage

http://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Herkules#Fate

Hierbei finde ich die Gründe in den beiden Artikel etwas widersprüchlich. Im deutschen Artikel heißt es:

Aber auch nach den geforderten Erfolgen der deutschen Sommeroffensive gegen die 8. britische Armee in Libyen und der Eroberung Tobruks am 21. Juni 1942 gab Hitler keine Zustimmung zur Auslösung der Operation Herkules. Zum einen zögerte Hitler sicherlich wegen der bitteren Erfahrungen des Unternehmens Merkur - der Landung auf Kreta -, zum anderen misstraute er wohl der zugesagten italienischen Einsatzbereitschaft. Mit dem Hinweis auf Rommels Versicherung, den Vorstoß zum Nil auch trotz britischer Bedrohung durch Malta im Rücken aus bewältigen zu können, hatte Hitler schließlich die Vorbereitungen zu "Herkules" bis auf weiteres gestoppt. Die für Herkules vorgesehenen Luftlandeverbände wurden ab Mitte Juli 1942 nach Afrika verlegt, um die Verluste Rommels während der Ersten Schlacht von El Alamein auszugleichen. Die endgültige Absage erfolgte aber erst nach der Landung der Alliierten auf Sizilien, die damit alle diesbezüglichen Überlegungen hinfällig machte.

Im englischen Artikel dagegen:

Field Marshal Erwin Rommel supported the idea of seizing Malta, to the point that he personally asked Hitler to allow him to command the invasion forces. His reasons for supporting an invasion were to hinder the Allied troops fighting in Africa, as well as remove the threat to the convoys heading to Rommel with supplies, oil, and men, of all which he was desperately low on. He put the emphasis on the attack to such an extreme that he was willing to move units from his front for the attack. The head of the German Luftwaffe, Hermann Goering, opposed the invasion, fearing it would turn into another near-disaster for his paratroops, as had happened on Crete.
General Field Marshal Albert Kesselring tirelessly promoted Operation Herkules but even he was eventually dissuaded when it became apparent that too many air and ground units had been siphoned off to support Rommel's drive into Egypt, thereby significantly diminishing any chance of Herkules' success. This, along with Hitler's lack of faith in the paratrooper divisions as a result of the Invasion of Crete and in the Italian Navy's ability to protect the invasion fleet from British naval attacks, led to scrapping of the plan.

Im deutschen Artikel wird dagegen der Eindruck erweckt, dass Rommel das Unternehmen aufgrund des günstigen Kriegsverlaufs Anfang 1942 in Nordafrika nicht mehr als zwingend nötig ansah. Das sei einer der Gründe Im englischen Artikel wird dagegen suggeriert, dass Rommel unbedingt die Durchführung von Unternehmen Herkules wollte.

Was ist richtig?

Sind die anderen genannten Gründe richtig (Mangelndes Vertrauen in die Regia Marina, befürchtete hohe Verluste der Fallschirmjäger, Abzug der eingeplanten Truppen um Verluste Rommels zu ersetzen)?
 
Mich interessieren in diesem Zusammenhang, aber die historischen Gründe, warum die Operation abgeblasen wurde. ...

Im deutschen Artikel wird dagegen der Eindruck erweckt, dass Rommel das Unternehmen aufgrund des günstigen Kriegsverlaufs Anfang 1942 in Nordafrika nicht mehr als zwingend nötig ansah. Das sei einer der Gründe Im englischen Artikel wird dagegen suggeriert, dass Rommel unbedingt die Durchführung von Unternehmen Herkules wollte.

Wie weitgesteckt Rommels Ziele im Frühjahr wirklich waren, wäre zu diskutieren. Jedenfalls wurde die Malta-Aktion diskutiert, da man die negativen Versorgungs-Erfahrungen von 1941 nicht wiederholen wollte.

Jedenfalls war die Luftwaffe bis Mai 1942 versammelt, um Malta (vorübergehend) auszuschalten. Die Konzentration an deutschen Flugzeugen war jedoch von Beginn an temporär ausgelegt:

a) wegen der anschließenden Verlegung eines Teiles nach Nordafrika, um dort die Bodenkämpfe zu unterstützen und ein Gegengewicht zur RAF für die Offensive zu bilden (Sizilien/Malta und Libyen/Ägypten sind hier wegen der Reichweite zu unterscheiden)
b) wegen der anschließenden Verlegung des Hauptteils nach Südrußland, für die ab Mai anlaufende/geplante Sommeroffensive.

Wie auch immer man die Sache dreht und wendet: ab Juni 1942 würde von Sizilien aus keine nennenswerte Kampfkraft der Luftwaffe für einige Monate zur Verfügung stehen. Die britische Seite würde umgekehrt die niedergerungenen Luftstreitkräfte auf Malta schnell wieder verstärken und auch die unter Druck abgezogenen Seestreitkräfte zurück verlegen.

Damit sind die Malta-Pläne für den Sommer wohl lediglich "Planspiele" gewesen, die Vorbereitungen eine Aktion "für alle Fälle". Der Mehrfrontenkrieg ließ der Luftwaffe keine Ressourcen für die Aktion. Die italienischen Kräfte allein waren im Mittelmeer unterlegen.

So ungefähr ist das auch im anderen Thema, mit mehr Details, diskutiert worden.

Sehr zu empfehlen ist immer noch der Klassiker von Baum/Weichold, hier auch zur Frage Tobruk/Malta/Alexandria 1942: Der Krieg der "Achsenmächte" im Mittelmeer-Raum, Studien und Dokumente zur Geschichte des 2. WK, Bd. 14
http://books.google.de/books/about/...im_Mittelmee.html?id=WONmAAAAMAAJ&redir_esc=y
 
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Vielen Dank für die Antworten. Der verlinkte Thread von thanepower ist sehr erhellend.

Dennoch würde mich ein Punkt interessieren. Ist die Aussage aus dem deutschen Wirkipedia Artikel richtig (die dort leider nicht belegt wird und auch unklar ist, wann diese erfolgt sein soll):

Mit dem Hinweis auf Rommels Versicherung, den Vorstoß zum Nil auch trotz britischer Bedrohung durch Malta im Rücken aus bewältigen zu können, hatte Hitler schließlich die Vorbereitungen zu "Herkules" bis auf weiteres gestoppt.

Das würde ja bedeuten, dass Rommel Hitler quasi empfohlen hat, eine Invasion Maltas nicht durchzuführen, weil er damit rechnete tatsächlich die 8. Armee in Ägypten zu schlagen und zum Suezkanal durchzubrechen. Sollte Rommel diese Empfehlung tatsächlich ausgesprochen haben, so würde ich daraus zwei Schlußfolgerungen ziehen:

1. Rommel unterlag einer groben Fehleinschätzung, denn zum einen gelang es nicht die 8. Armee zu schlagen. Zum anderen lag das unter anderem an den unsicheren Versorgungswegen (wobei es natürlich Spekulation ist, ob die Invasion Maltas etwas am Ausgang des Feldzugs in Libyen/Ägypten geändert hätte).

2. Man kann Hitler eigentlich keinen Vorwurf machen (unter militärischen Gesichtspunkten), dass er die Invasion nicht angeordnet hat, schließlich hat ihm sein "fähigster" Feldherr versichert, dies sei gar nicht nötig. Dann ist auch logisch, dass die dafür zusammengezogenen Kräfte an anderer Stelle eingesetzt wurden (Fall Blau und Nordafrika).

Gibt es daher eine Quelle für den Hinweis von Rommel?

Gruß Zechi
 
Man muss hier die verschiedenen Akteure und Bereiche unterscheiden, denn das Thema "Malta" lief 1942 parallel.

1. Die Seekriegsleitung hatte sich stets (implizit bereits im Juli 1940, auch fortgesetzt im Jodl-Plan des OKW) für die Offensive im Mittelmeer ausgesprochen, und verlangte die Invasion von Malta. So auch im Frühjahr 1942, vor dem Hintergrund der vorherigen Transportkrisen und Verluste auf dem Nachwegschub nach Nordafrika.

2. CS bereitete ebenfalls im Frühjahr 1942 die Planung für die Invasion vor. Die deutsche Luftwaffe und das OKW, dazu die deutschen Stäbe in Italien ebenfalls. Letzter Stand war, dass nach Rommels Mai-Offensive die Luftwaffeneinheiten von Nordafrika nach Sizilien zurückverlegt werden sollten (bedeutet umgekehrt: erst Malta, dann Suez).

3. Die deutschen Planungen liefen in dem Vortrag bei Hitler am 21.5.1942 zusammen, als dieser befahl "die Landung nur noch geistig vorzubereiten", und damit faktisch absagte. Hintergrund dürfte Hitlers Interesse an der Offensive an der Ostfront gewesen sein. Damit war die Landung 1942 abgesagt, die Verlegungen liefen an.

4. Die Schwierigkeiten von Rommels Offensive (Bir Hakeim) sorgten im Juni 1942 dafür, dass CS den Abbruch der Offensive empfahl, um wieder gegen Malta vorzugehen. Rommel lehnte diesen Vorschlag ab! Darauf bezieht sich mglw. der Hinweis, er habe sich gegen die Invasion Maltas gestellt (was so eben nicht zutrifft). Rommel verlangte:
"...das Unternehmen Herkules ... mit Rücksicht auf die Verlängerung der Kämpfe in Libyen zwangsläufig um drei oder vier Wochen ... [zu verschieben]." [*]

5. Am 11.6.1942 fiel Bir Hakeim. 10 Tage später verfügte die RAF auf Malta wieder über >100 Jagdflugzeuge, die angreifenden Kräfte der dt. und ital. Luftwaffe waren wieder deutlich unterlegen. Mussolini äußerte sich besorgt bei Hitler, indirekt an die Absprachen zur Invasion Maltas vom April 1942 erinnernd. Zeitgleich erreichte Rommels Offensive den Höhepunkt, Tobruk fiel am 21.6.1942. Rommel war von Feindlagenachrichten und der Annahme geblendet, zwischen der ägyptischen Grenze und Suez lägen nur noch in Auflösung befindliche britische Kräfte der 8. Armee und glaubte nun, seinen schon 1941 geäußerten Plan der Eroberung Ägyptens in die Tat umsetzen zu können. Ausgehend vom Fehlschluss, die britischen Landstreitkräfte seien geschlagen, musste nun Malta nur noch sekundäre Bedeutung nachkommen (bei Einnahme von Alexandria würde die britische Flotte aus dem östlichen und mittleren Mittelmeer wirksam vertrieben werden). Ein Zögern - zugunsten Maltas - würde nun sogar der brit. 8. Armee die Möglichkeit geben, sich neu zu formieren. CS hatte Rommel außerdem bestärkt, dass erst die Nutzung der Häfen von Tobruk und Marsa Matruh die Versorgung in Nordafrika sichern würde (beide hatten bekanntermaßen allerdings geringe Kapazität). Die Einnahme von Alexandria würde dagegen alle Nachschubprobleme - Malta hin oder her - endgültig lösen. Alles auf eine Karte.

6. Dies erklärt Rommels Funkspruch an OKW und Mussolini vom 22.6.1942, alles hinter dem Vormarsch auf Alexandria zurückzustellen. Die Eroberung Maltas sei "jetzt nicht mehr nötig." Die italienische Seite sah das auch jetzt anders, und drängte unvermindert auf Umsteuerung gegen Malta (und Verlegung der deutschen Luftstreitkräfte von Nordafrika nach Sizilien).

Wie gesagt, für Hitler war das Unternehmen Hercules 4 Wochen zuvor für 1942 faktisch gestorben. Es bedurfte nicht der Überzeugungsarbeit Rommels.

Quelle: Reuth, Entscheidung im Mittelmeer, Die südliche Peripherie Europas in der deutschen Strategie des Zweiten Weltkrieges 1940-1942, S. 171-193.

[*] BAMA RH 2 v 462, 11.6.1942.
 
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@Silesia
Vielen Dank für deine erhellende Antwort.

Ist es deine Annahme (oder Rommels), dass mit der Einnahme Alexandrias die Royal Navy aus dem östlichen und mittleren Mittelmeer vertrieben werde? Diese Behauptung liest man zwar häufiger, aber de facto ständen den Briten doch noch weiter Häfen/Basen zur Verfügung, z.B. Zypern, Port Said und Beirut.

Im mittleren Mittelmeer wäre weiterhin Malta als einsame Festung vorhanden.

Daher wäre das eine eher optimistische Einschätzung oder nicht?
 
Ist es (... Rommels Annahme), dass mit der Einnahme Alexandrias die Royal Navy aus dem östlichen und mittleren Mittelmeer vertrieben werde?
Daher wäre das eine eher optimistische Einschätzung oder nicht?

Laut Reith und Weichold ist das in den Einschätzungen von Rommel wiedergegeben. Gleicher Meinung war die Seekriegsleitung (Skl) und der Verbindungsstab bei der Italienischen Marine.

Sicherlich hatte die RN auch weitere Hafenzugänge im östlichen Mittelmeer.
Hintergrund ist aber die gesamt Logistik des Stützpunktes in seiner Größe, Dockmöglichkeiten etc. Das war mit den Ausweichgelegenheiten nicht vergleichbar, insbesondere für Großkampfschiffe. Da außerdem
a) von Alexandria direkte Versorgung Maltas erfolgte
b) von Alexandria synchronisiert West-Ost-Versorgung von Malta erfolgte (abgestimmte Aktionen zur Zerteilung der italienisch-deutschen Streitkräfte)

ging man auch von der entscheidenden Schwächung Maltas bei Fall von Alexandria aus. Die Einschätzung des Rückzuges der Royal Navy aus dem östlichen Mittelmeer bei Fall von Alexandria ist daher gut nachvollziehbar. Die britische Seite hat das mE ähnlich bewertet, aber da schlage ich nochmal nach.
 
Laut Reith und Weichold ist das in den Einschätzungen von Rommel wiedergegeben. Gleicher Meinung war die Seekriegsleitung (Skl) und der Verbindungsstab bei der Italienischen Marine.
Sicherlich hatte die RN auch weitere Hafenzugänge im östlichen Mittelmeer.
Hintergrund ist aber die gesamt Logistik des Stützpunktes in seiner Größe, Dockmöglichkeiten etc. Das war mit den Ausweichgelegenheiten nicht vergleichbar, insbesondere für Großkampfschiffe. Da außerdem
a) von Alexandria direkte Versorgung Maltas erfolgte
b) von Alexandria synchronisiert West-Ost-Versorgung von Malta erfolgte (abgestimmte Aktionen zur Zerteilung der italienisch-deutschen Streitkräfte)
ging man auch von der entscheidenden Schwächung Maltas bei Fall von Alexandria aus. Die Einschätzung des Rückzuges der Royal Navy aus dem östlichen Mittelmeer bei Fall von Alexandria ist daher gut nachvollziehbar. Die britische Seite hat das mE ähnlich bewertet, aber da schlage ich nochmal nach.
Danke für die Klarifizierung. Wäre interessant zu wissen, was die Pläne der Briten waren, wäre Rommel der Durchbruch bei El Alamein geglückt und Alexandria eingenommen. Häufig liest man ja, dass dann das Tor zum Suez Kanal oer gar der gesamte Nahe Osten offen gewesen wäre. Das ist aus meiner Sicht aber zweifelhaft, da sowohl das Nil-Delta als auch der Suez Kanal selbst exzellente Verteidigungspositionen bilden. Soweit also die Briten nicht völlig aufgerieben worden wären, hätten Sie ihre Verteidigungslinie einfach weiter ostwärts erneuert.

Sollte es aber stimmen, dass die Royal Navy plante, dass östliche Mittelmeer zu räumen, wenn Alexandria fällt, dann wäre ein weitere Vorstoß Rommels und der Italiener vielleicht doch realistisch, da die Regia Marina dann freie Hand gehabt hätte.
 
Sollte es aber stimmen, dass die Royal Navy plante, dass östliche Mittelmeer zu räumen, wenn Alexandria fällt, dann wäre ein weitere Vorstoß Rommels und der Italiener vielleicht doch realistisch, da die Regia Marina dann freie Hand gehabt hätte.

Playfair und Roskill ergeben Folgendes:

Das einzige "Capital Ship" (die reparierte HMS Queen Elizabeth) wurde im Zuge der Räumung Alexandrias Ende Juni 1942 nach Süden durch den Suezkanal nach Port Sudan verlegt, zusammen mit einem halben Dutzend Zerstörer, Troßschiffen etc.

Die 1st Submarine Flottilla ging nach Beirut, die verbliebenen Kreuzer und Zerstörer wurden als Küsten-Bombardierungsgruppen hälftig zwischen Haifa und Port Said aufgeteilt.

Sieht also so aus, dass man die Räumung des östlichen Mittelmeeres zumindest in Teilen betrieb, als Alexandria bereits in die kritische Luftwaffenreichweite geriet.

Roskill II, S. 74
Playfair III, S. 338.
 
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Danke für die Antwort. Hatten die Briten keine Flugzeuträger im östlichen Mittelmeer oder wurden diese auch evakuiert?
 
Der Einfachheit halber, schau mal hier:
Mediterranean Fleet, Admiralty War Diary 1942

Aktiv waren nur USS Wasp und HMS Eagle von Gibraltar aus zur Versorgung von Malta. Die später im August bei Operation Pedestal beteiligten Träger kamen erst nach dem Juni ins Mittelmeer (auch hier über Gibraltar, HMS Argus, Victorious, Indomitable).

Der link bringt auch etwas zur Operation DISCRETION (N), der Räumung, Sprengung und Verminung des Hafens von Alexandria ab 27.6.1942.
 
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