Varus, Germanicus, Tiberius: 3 Konzepte?

Das ist ein sehr wichtiges Stichwort. Um die ging es nicht nur nebenbei, was vielleicht in der traditionellen deutschen Fixierung auf den Superhelden Arminius übersehen wird. Aus römischer Perspektive war der primäre Gegner in Mitteleuropa nämlich das Markomannenreich unter Marbod. Velleius streicht das ausführlich heraus: Das sei der einzige unbesiegte Gegner in Germanien gewesen; mit seinem durchtrainierten und disziplinierten Heer aus 70.000 Fußsoldaten und 4.000 Reitern und der relativen Nähe seines Reiches zu den Alpenpässen sei er eine ernste Bedrohung für Rom gewesen. 6 n. Chr. sollte ein großangelegter Feldzug unter Tiberius' Oberkommando diesen Gegner in die Zange nehmen, doch da kam der Pannonische Aufstand dazwischen, und nach dessen Niederschlagung das Varus-Debakel.
Bei all den Maßnahmen, die in dessen Folge ergriffen wurden, wird Tiberius nie das Reich Marbods aus dem Auge gelassen haben. Er wird sich darüber im klaren gewesen sein, dass ein Sieg über die Cherusker keineswegs die endgültige Beherrschung Germaniens zur automatischen Folge gehabt hätte. Vielmehr musste er mit der Möglichkeit rechnen, dass der Rest der Arminius-Koalition dadurch erst recht in die Arme Marbods getrieben würde.
Tacitus kritisiert Tiberius dafür, dass er die Truppen hinter den Rhein zurückbeordert hat, aber so dumm war die Strategie nicht. Er konnte in Ruhe zuschauen, wie sich alsbald Arminius und Marbod gegenseitig beharkten. Wenige Jahre später war dann Arminius von seinen eigenen Leuten ermordet worden, und Marbod saß als Flüchtling in Ravenna.
Ich bezweifle aber dass Rom einen wirklichen Grund hatte eine Bedrohung durch die Markomannen zu fürchten. Marbod schien nie ein Interesse daran gehabt zu haben die Römer zu bekämpfen. Im Gegenteil! Er wollte sich lediglich als in Macht, Ansehen und Stärke seinen Leuten gegenüber Rom ebenbürtig, b.z.w. auf gleicher Augenhöhe präsentieren. Die Römer wiederum betrachteten alles was potentiell als Gefahr und jede dahinter stehende Macht als Feind. Schließlich konnten die Römer ja nicht kontrollieren was passieren würde wenn diese Macht einmal außer Kontrolle gerät.
 
Marbod dachte strategisch, war darin den Römern ähnlich, und diese Denkweise machte ihn für Rom zu einem erkennbar gefährlichen Gegner.

Wie beim Schachspiel war er in einer geographisch zentralen Position, in räumlicher und raumgreifender Nähe zu Donau, Elbe und Oder: eine Position, in der Rom gerne selber den ganzen Ostseeraum militärisch, in erster Linie aber wirtschaftlich kontrolliert hätte.
 
Marbod dachte strategisch, war darin den Römern ähnlich, und diese Denkweise machte ihn für Rom zu einem erkennbar gefährlichen Gegner.

Wie beim Schachspiel war er in einer geographisch zentralen Position, in räumlicher und raumgreifender Nähe zu Donau, Elbe und Oder: eine Position, in der Rom gerne selber den ganzen Ostseeraum militärisch, in erster Linie aber wirtschaftlich kontrolliert hätte.
Ja, richtig. Die Römer mussten sich vergeweissern dass ihre Macht bei einem solchen potentiellen Gegner gesichert bleibt. Aber daraus kann man nicht schließen dass Marbod auch wirklich angegriffen hätte.
 
Ich bezweifle aber dass Rom einen wirklichen Grund hatte eine Bedrohung durch die Markomannen zu fürchten. Marbod schien nie ein Interesse daran gehabt zu haben die Römer zu bekämpfen.

Marbod hatte sich einen größeren Herrschaftskomplex aufgebaut und es war kaum abzusehen, wie weit desen Ausdehnung möglicherweise noch gegangen wäre, wenn man ihn auf die Dauer hätte gewähren lassen?

Warum einen potentiellen Konkurrenten groß werden lassen, wenn man ihn ausschalten kann, so lange er noch einigermaßen kontrollierbar ist.

Marbod hatte vielleicht nie ein Interesse daran, sich mit Rom anzulegen, aber hätte man das (zumal wenn er sein Herrschaftsgebiet noch weiter hätte ausdehnen können), auch für seine (potentiellen) Nachfolger im Vorhinein unterstellen wollen?
 
die räumliche Nähe der Donau zum ganzen Ostseeraum leuchtet mir auf den ersten Blick noch nicht ein.
Elbe und Oder, auch schon ihre Nebenflüsse; sind schiffbar. Und dies weitaus besser als Mosel und Lippe, die sowohl für Kelten (bei der Mosel) als auch für Römer gut erschlossene und genutzte Verkehrsachsen waren.

Das Herrschaftsgebiet Marbods war ein dicht besiedelter Raum, mit weit gespannten Handelsbeziehungen (z.B. Zinn) schon zur Bronzezeit. Ohne diese über reine Subsistenzwirtschaft hinausgehende Ertragslage hätte er auch nicht eine solche militärische Macht gehabt.
Und die Ostsee war den Römern schon lange bekannt.

Wir denken bei Germanien nur an das uns vertraute Westdeutschland. Die römische ausgebaute Infrastruktur (also z.B. mit Bädern und Luxus ausgestattete Militärlager) ging aber später bis in das südliche Mähren, bis südlich von Brünn.

Wenn man römische Spuren sucht, wird man sie immer in den Landbrücken zwischen den Flusssystemen finden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Unter Landbrücken zwischen den Flusssystemen kann ich mir nichts vorstellen.
Kannst Du bitte zum besseren Verständnis ein Beispiel nennen?
 
Landbrücke ist der falsche Begriff, Landverbindung ist gemeint.
Paderborn z.B., also als kurze Wegstrecke zwischen Lippe und Weser.

Nicht nachgewiesen, aber möglich, die Verbindungen zwischen den Nebenflüssen von Weser und Ems.

In der Schweiz die Verbindung zwischen Walensee und Zürisee über die Nebenflüsse der Linth.
 
Zuletzt bearbeitet:
Elbe und Oder, auch schon ihre Nebenflüsse; sind schiffbar.
Und die Ostsee war den Römern schon lange bekannt
...so weit mir bekannt, ankerte kein römisches Kriegsschiff und kein römisches Handelsschiff jemals an den Gestanden von Oder, Elbe und Ostsee. Und da können wir auch die Weichsel hinzufügen. Dem Namen nach bekannt waren diese Gewässer den Römern, viel mehr aber auch nicht: wie gut die sich als Wasserstraßen eignen, wusste man wohl nicht.
Als Handelsweg von der Ostsee gen Südwesten fällt mir nur das Wegebündel Bernsteinstraße ein.

Weiter im Südosten (Böhmen, Marbod-Territorium) relative Nähe zur Donau - zwar hatten die Römer hydrologisch korrekt (!) die Moldau als Oberlauf der Elbe angesehen, aber die Moldau war bestenfalls im ab Prag schiffbar. Wie es dort um Handelswege bestellt war, weiß ich nicht.

Was wussten die Römer denn sicher über das Gebiet, das Marbod beherrschte?
 
...so weit mir bekannt, ankerte kein römisches Kriegsschiff und kein römisches Handelsschiff jemals an den Gestanden von Oder, Elbe und Ostsee.
An der Elbe schon, da war sogar mal eine Flotte unterwegs. Vielleicht wird eines Tages die Archäologie dazu Auskünfte geben:
Landeplatz der römischen Flotte 5. n.Chr.

zwar hatten die Römer hydrologisch korrekt (!) die Moldau als Oberlauf der Elbe angesehen
Das halte ich für sehr unplausibel. Mir ist auch kein handfestes Argument bekannt, das diese Vermutung stützen könnte.
 
@Sepiola "hydrologisch" ist es wohl korrekt: die Moldau ist bis Melnyk länger und wasserreicher - aber dass die Römer die Moldau als den Oberlauf der Elbe gesehen haben sollen, ist mir vor Jahren mal nebenbei beim rumlesen über den Weg gelaufen. Worauf sich das stützt (handfester Nachweis), weiß ich nicht und beim herumgoogeln habe ich nichts gefunden.
Der mögliche Landeplatz an der Elbe bei Altenzaun ist interessant, denn von Cuxhaven bis dahin sind es rund 300km Flusslauf.
 
ist mir vor Jahren mal nebenbei beim rumlesen über den Weg gelaufen.

Schon klar:
Ich habe irgendwo gelesen, dass die Römer die Moldau für den Oberlauf der Elbe gehalten haben (was hydrologisch richtig sein soll; sozusagen fließt die Elbe durch Prag, was freilich den Titel der berühmtesten Komposition von Smetana problematisch macht...)

Das habe ich auch schon oft gelesen.

Was ich noch nie gelesen habe, ist eine nachvollziehbare Begründung für den Namenswechsel. Wann soll der erfolgt sein, durch wen und warum?

Diskutiert haben wir hier schon darüber:

L Domitius Ahenobarbus' Zug über die Elbe - noch von der Donau o. bereits vom Rhein?

Hätte ja sein können, dass irgendwo eine nachvollziehbare Begründung herumschwirrt. Scheint aber nicht der Fall zu sein. Was Wiki dazu schreibt, ist jedenfalls Stuss.
 
Ganz ketzerisch gesagt: wenn die Römer zuerst an der Moldau waren und flussabwärts schipperten, dann war's für sie von der Quelle bis zum barbarischen Hamburg die Elbe...
 
Zurück
Oben