Carolus
Aktives Mitglied
Ich hab den Thread nicht gelesen, doch habe ich hier nicht das Wort "Konstantinopel" gelesen, und möchte kurz in der Halbzeitpause auf den immensen Bücherverlust nach dem Brand 473 hinweisen:
Anhang anzeigen 8894
größer:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1d/Bibsta4.jpg
aus:
Bücherverluste in der Spätantike ? Wikipedia
Imperial Library of Constantinople - Wikipedia, the free encyclopedia
List of larger libraries in the ancient world - Wikipedia, the free encyclopedia
Die Grafik in der Wikipedia gibt die überlieferten Buchmengen von einigen antiken Bibliotheken wieder. Das Problem ist, daß man nicht weiß, wann diese Bibliotheken unwiderruflich untergegangen sind. Daher weiß man auch nicht, warum sie untergegangen sind. Waren es wilde Germanen oder fanatische Christen oder nur der Zahn der Zeit? Die Epoche Spätantike / Frühmittelalter war ja eine ereignisreiche Zeit.
Alle Berechnungen, wieviel antike Literatur verloren ging, sind Makulatur. Schon die Antike hatte unwiederbringliche Verluste aus griechisch-hellenistischer Zeit durch den Brand der Bibliothek von Alexandria zu erdulden. Soweit ich die Zahlen noch richtig im Gedächtnis habe, sind heute ca. 700 antike Autoren namentlich bekannt, jedoch Werkauszüge - und wenn es nur ein Satz ist - sind nur von annähernd 180 Autoren überliefert.
Zum Thema "Verlustquote" der antiken Literatur, kann man nur auf Schätzungen mit einer der Schätzung innewohnenden Unsicherheit aufbauen, so von Bestandsmengen antiker Bibliotheken im Vergleich zu den Beständen, die wir heute haben, oder wie Du auch geschrieben hast von den Namen der Autoren.
Die These von den "unwiderbringlichen Verlusten" durch den Brand einzelner, wenngleich auch großer Bibliotheken bezweifle ich. Bedingt durch die antike Buchherstellung und -verbreitungkann eigentlich ein Buch mit einer gewissen Auflage nicht durch die Zerstörung einer einzelnen Bibliothek nicht verloren gehen. Schließlich war die antike Literatur nicht eine Sammlung von Unikaten. (Allerdings haben einige antike Werke bis zur Renaissance nur in jeweils einzigen, fragmentierten Werken bis zur Renaissance gerade noch überlebt, wie die Germania von Tacitus, aber das ist ein hochinteressantes Thema der Überlieferung der antiken Literatur während des Mittelalters.) Die antike Literatur war dezentral im Reich verteilt. Würde heute irgendwo eine Stadtbibliothek in Flammen aufgehen (ist ja im Zweiten Weltkrieg häufig genug passiert) oder z. B. eine Sammlung von Urschriften von Goethe ein Raub der Flammen werden, so wäre dadurch weder der Bestand an Literatur noch der einzelner Werke gefährdet. Die Zerstörung einzelner Bibliotheken kann nur in Kombination mit anderen Faktoren zu unwiderbringlichen Literaturverlusten geführt haben.
Soweit ich weiß, wurde insbesondere vom sog. Symmachuskreis in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s die damals vorhandene lateinische Literatur gesammelt und die Werke philologisch bearbeitet, um sie dann auf Pergament schreiben und zu Büchern (Codices) binden zu lassen. Diese Arbeit war wohl der "Schatz", aus dem die Kirche und insbesondere die Klöster des Mittelalters schöpften. Was nicht in der kirchlichen Handschriftenproduktion überliefert worden ist, ging verloren.
Der Symmachuskreis war zwischen Spätantike und frühen Mittelalter wichtig für die Weitergabe und Pflege der antiken Literatur. Hätte es ihn nicht gegeben, wäre wohl noch mehr verloren gegangen. Später ging dann diese Weitergabe an die Klosterbibliotheken über.
Für die griechische Literatur ist die Überlieferung schlechter, weil die Ostkirche rigoroser ausgesondert hat, aber auch der islamischen Eroberung viel zum Opfer fiel; andererseits hat der Islam auch viel gerettet und weiter tradiert, etwa Aristoteles. Ein Teil der griechischen Überlieferung kam insbesondere nach dem Untergang von Byzanz in den Westen und wurde vom Humanismus aufgegriffen.
Was heißt "rigoroser ausgesondert"? Wenn Du von Ostkirche und griechischer Literatur sprichst, dann vermute ich, daß du den Ostteil des Römischen Reiches (bzw. das sogenannte Byzantische Reich) meinst. Es gibt ja die Vermutung, daß gegen Ende des 4. Jhdt. unter Kaiser Theodosius mit der Einführung des katholischen Christentums als Staatsreligion die heidnisch geprägte (und sei sie auch nur von Heiden geschrieben worden) Literatur (und der heidnischen Kultur insgesamt) verfolgt worden (siehe dazu der im Beitrag #1 erwähnte Bergmeier).
Was die arabische Expansion betrifft, so befinden wir uns da schon im 7. Jhrdt. Unmittelbar betroffen sind der nahe Osten und Nordafrika, die seit Alexander des Großen griechisch geprägt waren. Die Zerstörung von Literatur (bzw. Bibliotheken) mag als Kollateralschaden im Krieg vorgekommen sein, aber ansonsten galten doch die Araber als tolerante Herren. Mit der Überlieferung griechischer Literatur durch Araber an den Schnittstellen zwischen Orient und Okzident (arabisches Spanien - Übersetzerschule in Toledo, Sizilen & Kreuzfahrerstaaten in den Zeiten zwischen den Schlachten) ist eine weitere Traditionslinie im Mittelalter. Dann natürlich noch die Tradition von Ostrom bzw. Konstantinopel (aber da sind wir auch schon im späten Mittelalter).
Gibt es denn eigentlich irgendwo eine Untersuchung darüber, wieviel wann über die einzelen Traditionslinien gerettet worden ist?