Scorpio
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Ich bin begeistert. Vielen Dank für die vielen Antworten. Auf "Woher hast du diese These?" möchte ich auf das Buch "New York liegt im Neandertal" von E.W. verweisen. Dort steht im Kapitel "Der Palazzo" über die Kultur der Renaissance folgendes auf S. 199:
>>Vergleicht man das Zeitalter des Perikles in Griechenland in Griechenland mit dem Italien des 15. Jahrhunderts, so fallen eine große Anzahl von Gemeinsamkeiten auf. Ist das Zufall?
In Florenz und Athen war die Kunst eine alles umfassende lebenswichtige Funktion des Alltags. Sowohl um die Griechen als auch um die italienischen Renaissancemenschen lag eine rätselhafte Aura von Genialität, die jeden begabten Menschen zu höchster schöpferischer Leistung anspornte. Zu keiner Zeit gab es so viele Genies. Ein Gebildeter war mindestens Wissenschaftler, Musiker, Kunstsachverständiger, Philosoph, geschulter Redner und fast immer auch ein hervorragender Sportler. Leonardo da Vinci bot dem Mailänder Herzog Sforza seine Dienste an und zählte in einem Bewerbungsbrief seine Fähigkeiten in dieser Reihenfolge auf: Er könne transportable Brücken, Belagerungsmaschinen und Schleudergeschütze konstruieren. Er sei im der Lage, Kriegsschiffe und Minen zu bauen. Außerdem hätte er neue Kampfwagen und Kanonen erfunden. In Friedenszeiten sei er fähig, jede gewünschte Architektur zu entwerfen, Wasserleitungen zu legen und Tunnel zu bohren. Er könne auch Skulpturen in Marmor, Bronze und Ton herstellen und verstünde zu malen.
Verrochio war Maler, Bildhauer, Goldschmied, Möbelschreiner und Dekorateur. Er lieferte auf Wunsch Heiligenbilder, Möbel, silbernes Geschirr, Modeentwürfe und kunstvolle Kaltbuffets.
Der Spezialist galt bei den Griechen als Banausse und in Oberitalien als Prolet. Es ist überhaupt eine bemerkenswerte Tatsache, dass man in Zeiten hoher künstlerischer Aktivität eine große Vielseitigkeit bei allen begabten Menschen antrifft, während der Spezialist immer nur in kulturarmen Perioden auftaucht. Ähnliche Abhängigkeiten gibt es zur politischen Einheit. Sowohl im Italien des 15. Jahrhunderts als auch im Griechenland des Perikles war das Land politisch uneinig und zerrissen. Es gab eine Vielzahl von kleinen Stadtwesen, die sich alle untereinander in offenen Fehden oder durch diplomatische Intrigen bekämpften. Es wird häufig übersehen, dass politisch uneinige Kleinstaaten größere schöpferische Impulse entwickeln als Weltreiche. Das antike Rom war zur Zeit seiner Weltherrschaft eine kulturelle Sonnenfinsternis, das spanische Weltreich Philipp II. eine bigotte Totengruft und das Empire der Queen Victoria eine spießbürgerliche Plüschkultur. Man könnte das bunte Bild der griechischen und oberitalienischen Stadtstaaten mit dem heutigen Europa vergleichen. Nirgendwo sonst auf der Erde gibt es so viele eigenständige Nationen, so eng zusammengedrängt wie auf dem halbinselähnlichen Zipfel des asiatischen Kontinents, den wir Europa nennen. Auf einer Fläche so groß wie die arabische Wüste liegen an die dreißig Länder. Trotz ihrer Kleinheit haben diese Zwergstaaten die Welt verändert wie keine Macht vor ihnen. <<
In Anfällen intellektueller Selbstüberschätzung schraube ich zur Zeit an einem Essay rum, in dem ich unter anderem diese Thesen verwurste. Den Beispielen der kulturell trägen Imperien habe ich noch das Osmanische Reich hinzugefügt.
Ich halte es durchaus nicht für intellektuelle Selbstüberschätzung, sich an einem geschichtsphilosophischen Werk zu versuchen. Es gibt mit Oswald Spenglers "Der Untergang des Abendlandes " und Arnold Toynbees "A Study of history" namhafte Vorbilder und Friedrich Nietzsche äußerte sich ähnlich zum II. deutschen Kaiserreich, wo- wie er konstatierte Die Einigung des Deutschen Reiches zu Lasten des deutschen Geistes ging.
Es lesen sich sich solche Thesen oft recht leicht, und die Frage, ob politisch zersplitterte Landschaften eher dazu neigen, kulturelle Blüten hervorzubringen, als mächtige Großreiche wird man zumindest diskutieren können.
Es gibt Indizien dafür und Indizien dagegen.
Was meiner Meinung nach bei dem von dir zitierten Autor deutlich zu kurz kommt, ist die historische Objektivität und die verflachende Verallgemeinerung, mit der er das Zeitalter Ludwig XIV. als "Goldbrokat"- und das der Queen Victoria als "Plüschkultur" charakterisiert, was stilistisch vielleicht originell und geistreich klingt, historisch aber ebenso flach wie unzutreffend ist, da die Etikettierung des Zeitalters Philipps II. Louis XIV. oder Victorias nur eine winzige Facette der Wirklichkeit erfasst.
Voltaire war einer der ersten Autoren, der in seiner historischen Schrift "Le Siecle de Louis le Grand" als einer der ersten sich vor allem auf kulturelle Errungenschaften der Epoche konzentrierte und dieser Periode als eine Blütezeit der französischen Kultur kennzeichnet.
Das Zeitalter des Augustus