Ich möchte das im Titel angegebene Thema zur Diskussion stellen. Da es viele Facetten und einen weitreichenden traditionsgeschichtlichen Kontext hat, meine ich, dass es einen eigenen Thread verdient.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat der Verfasser der Offb niemals psychodelische Mittel verwendet, da dies mit seiner puristischen Haltung nicht vereinbar gewesen wäre und die Verwendung von Drogen darüber hinaus ein Merkmal der römischen Kultur war, das Johannes (= J) mit Sicherheit abgelehnt hat. Es ist meines Wissens in der Geschichte des Juden- und des Christentums auch anderweitig kein Fall drogeninduzierter Visionen bekannt. Die ´Visionen´ des J müssen und können anders erklärt werden.
Die Breite möglicher Interpretationsansätze reicht von einer literalen Interpretation (d.h. der Text ist wörtlich zu nehmen und der Autor hat alles genau so visioniert, wie er es schildert) bis zur literarischen Interpretation (d.h. der Autor fingiert eine Vision, die er literarisch konstruiert hat).
In der Mitte zwischen diesen Polen liegt die Interpretation der Offb als Mix aus Vision und Literatur (d.h. der Autor hat authentisch Visioniertes mit Angelesenem literarisch kombiniert).
Näher an der literarischen Interpretation liegt die Auffassung, dass der Autor zwar über ekstatische Erfahrungen (ASC) verfügte, diese konkret-inhaltlich aber nichts oder kaum etwas mit seinem Text zu tun haben, sondern ihn lediglich im Gefühl bestärkten, ein ´Erwählter´ zu sein mit dem Recht, seiner religiösen Botschaft in der Tradition der jüdisch-prophetisch/apokalyptischen Literatur (Ezechiel, Daniel, Henoch usw.) die hochkünstlerische Form einer ´Vision´ zu geben. Ich persönlich halte es mit dieser Interpretation und werde sie am Schluss begründen.
Einige Forscher (z.B. Felicitas D. Goodman 1990, Ioan P. Culiano 199, Offb-Experte Leonard Thompson 1996 und B. J. Malina/J. J. Pilch 2000 ) glauben wesentliche Parallelen zwischen einer schamanischen Geistreise und den ´Visionen´ der Offb erkennen zu können. Ich meine, dass solche Parallelen zwar vorhanden sind, aber nicht die Annahme hinreichend begründen, der Autor habe tatsächlich eine Geistreise erlebt, die einer schamanischen Erfahrung vergleichbar wäre.
Im folgenden stelle ich ausführlich Argumente für eine schamanisch-visionäre Deutung vor, die ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann, ohne sie als zwingend anzuerkennen. Zu viel spricht meines Erachtens für eine weitgehend literarische Konstruktion des Inhaltes der Offb.
Zur pro-visionären Argumentation:
Sie stützt sich in hohem Maße auf die Formel "Ich war im Geist", die zumindest in Offb 4,2 vermeintlich auf eine OBE (Out-of-Body-Experience) hinweist. Sie erscheint zwei Mal, und zwar bei 1,10 und 4,2. Die Stellen lauten in der Luther-Übersetzung:
Offb 1:
Die Ruach ist also eine übernatürliche Kraft, welche die Gesetze von Raum und Zeit aufhebt und das Bewusstsein Dinge erleben lässt, die in der alltäglichen Welt undenkbar sind. Für das jüdische und christliche Denken ist diese Kraft Ausdruck eines personalen Gottes, sie ist der “Geist Gottes”.
Zweifelhaft ist hinsichtlich 1,10 und 4,2 allerdings, ob die Im-Geist-Formel in beiden Fällen den gleichen Vorgang beschreibt. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten, die Formel zu interpretieren:
(1) “Im Geist sein” bedeutet einen subjektiven Bewusstseinzustand des J (= Trance), der ihn zu höherer Wahrnehmung befähigt. Dabei verharrt J´s Psyche (ich ziehe diesen Begriff der ´Seele´ vor) im Körper.
(2) “Im Geist sein” verweist ein objektives Ereignis hin, das mit einer Out-of-Body-Experience (= OBE) verbunden ist: J´s Psyche wird in eine göttliche Sphäre versetzt.
In Paulus´ Schilderung seiner Initiation (2 Kor 12,1-4) wird diese Unterscheidung angesprochen. Der Autor zeigt sich so unsicher in der Frage, ob er "vor vierzehn Jahren" bei seiner Himmelsreise inner- oder außerhalb seines Körpers war, dass er diesen Zweifel in wenigen Sätzen sogar zwei Mal zum Ausdruck bringt:
Der Unterschied zwischen 1,10 und 4,2 besteht zunächst in der Ausgangssituation des Protagonisten.
In 1,10 befindet sich J in einem alltäglichen Umfeld, genauer: auf Patmos am ´Tag des Herrn´, als der Geist-Effekt einsetzt. J wird von einer übernatürlichen Gestalt heimgesucht (Christus), die inmitten von sieben Leuchtern steht und die ihm Briefe diktiert (wobei die Briefpassagen möglicherweise eine nachträgliche Einfügung sind). Ohne die Leuchter könnte man die Szene als Eintritt des Christus in die natürliche Welt deuten. Ihre Präsenz signalisiert aber, dass umgekehrt J in einen übernatürlichen Raum eingetreten ist, wo er Christus gegenübersteht.
Ganz anders ist die Situation in 4,2, wo J, noch situiert in der übernatürlichen Szene 1,10-3,22, eine Tür ´im Himmel´ wahrnimmt, durch welche er auf Aufforderung von Christus die himmlische Sphäre betritt. Die Wiederholung des ´Ich war im Geist´ an dieser Stelle macht nur Sinn, wenn sie eine Steigerung des vorherigen Im-Geist-Seins impliziert, da sie andernfalls überflüssig wäre, denn dass J ´im Geist´ ist, weiß der Leser bereits seit 1,10.
Die Frage bleibt, wo die übernatürliche Szene 1,10-3,22 im Universum der Offb zu verorten ist. Da J erst ab 4,2 Zugang zum Himmel erhält und in der Offb Christus im Himmel explizit nur als Lamm erscheint, scheidet der Himmel als Location jener Szene definitiv aus, was eine Deutung der Szene im Sinne von oben (1) nahelegt: Christus offenbart sich – in Analogie zu diversen Traumszenen im Tanach – im subjektiven Bewusstsein von J. Die einzige und nicht unproblematische Alternative wäre eine Sphäre, die weder dem irdischen noch dem himmlischen Bereich zuzuordnen ist, was meines Erachtens nicht in Frage kommt.
Man kann also festhalten:
Wenn es sich – entgegen meiner Meinung – bei 1,10 ff. und 4,2 ff. tatsächlich um Berichte übernatürlicher Erfahrungen handelt, dann geht es in der ersten Sequenz um eine bewusstseinsinterne Trance (ohne OBE) und in der zweiten Sequenz entweder ebenfalls um eine bewusstseinsinterne Trance mit gesteigerten Visionen oder aber um einen Transfer von J´s Psyche (OBE) an einen Ort, den J als ´Himmel´ (οὐρανος) bezeichnet. Ein Indiz, wenn auch kein Beleg, für OBE ist die Aufforderung "Steig her" in 4,1 durch die gleiche Stimme, die J zuvor in seiner Trance angesprochen hat und nun vom ´Himmel´ herab erklingt.
+++
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat der Verfasser der Offb niemals psychodelische Mittel verwendet, da dies mit seiner puristischen Haltung nicht vereinbar gewesen wäre und die Verwendung von Drogen darüber hinaus ein Merkmal der römischen Kultur war, das Johannes (= J) mit Sicherheit abgelehnt hat. Es ist meines Wissens in der Geschichte des Juden- und des Christentums auch anderweitig kein Fall drogeninduzierter Visionen bekannt. Die ´Visionen´ des J müssen und können anders erklärt werden.
Die Breite möglicher Interpretationsansätze reicht von einer literalen Interpretation (d.h. der Text ist wörtlich zu nehmen und der Autor hat alles genau so visioniert, wie er es schildert) bis zur literarischen Interpretation (d.h. der Autor fingiert eine Vision, die er literarisch konstruiert hat).
In der Mitte zwischen diesen Polen liegt die Interpretation der Offb als Mix aus Vision und Literatur (d.h. der Autor hat authentisch Visioniertes mit Angelesenem literarisch kombiniert).
Näher an der literarischen Interpretation liegt die Auffassung, dass der Autor zwar über ekstatische Erfahrungen (ASC) verfügte, diese konkret-inhaltlich aber nichts oder kaum etwas mit seinem Text zu tun haben, sondern ihn lediglich im Gefühl bestärkten, ein ´Erwählter´ zu sein mit dem Recht, seiner religiösen Botschaft in der Tradition der jüdisch-prophetisch/apokalyptischen Literatur (Ezechiel, Daniel, Henoch usw.) die hochkünstlerische Form einer ´Vision´ zu geben. Ich persönlich halte es mit dieser Interpretation und werde sie am Schluss begründen.
Einige Forscher (z.B. Felicitas D. Goodman 1990, Ioan P. Culiano 199, Offb-Experte Leonard Thompson 1996 und B. J. Malina/J. J. Pilch 2000 ) glauben wesentliche Parallelen zwischen einer schamanischen Geistreise und den ´Visionen´ der Offb erkennen zu können. Ich meine, dass solche Parallelen zwar vorhanden sind, aber nicht die Annahme hinreichend begründen, der Autor habe tatsächlich eine Geistreise erlebt, die einer schamanischen Erfahrung vergleichbar wäre.
Im folgenden stelle ich ausführlich Argumente für eine schamanisch-visionäre Deutung vor, die ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann, ohne sie als zwingend anzuerkennen. Zu viel spricht meines Erachtens für eine weitgehend literarische Konstruktion des Inhaltes der Offb.
Zur pro-visionären Argumentation:
Sie stützt sich in hohem Maße auf die Formel "Ich war im Geist", die zumindest in Offb 4,2 vermeintlich auf eine OBE (Out-of-Body-Experience) hinweist. Sie erscheint zwei Mal, und zwar bei 1,10 und 4,2. Die Stellen lauten in der Luther-Übersetzung:
Offb 1:
Offb 4:10. Ich war im Geist an des Herrn Tag, und hörte hinter mir eine
große Stimme als einer Posaune,
11. die sprach: Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte;
und was du siehest, das schreibe in ein Buch (...)
"Pneuma", das griechische Wort für ´Geist´ im Sinne des englischen ´spirit´, entspricht dem jüdischen ´ruach´ (gramm. feminin), was ´Gottesatem´ bedeutet und mit ´Wind´ konnotiert ist. Unzweifelhaft hat ´ruach´ auch die Konnotation weiblicher Gebärfähigkeit, wie Gen 1,2 zeigt, wo die ´ruach´ über dem tiefen Wasser ´brütet´ (hebr. מְרַחֶ֖פֶת = = meraschäpät), was alternativ mit ´flatternd´ übersetzt werden kann im Sinne des Flatterns einer Vogelmutter über ihren Eiern. Im Neuplatonismus entspricht der Ruach die ´Weltseele´ mit ihrer vermittelnden Stellung zwischen dem göttlichen Nous (= platonische Ideen) und dem Materiellen, was das Christentum zu seiner Konzeption des trinitarischen Heiligen Geistes angeregt hat, der die verdrängte Mutter(-göttin) der klassischen Triade Vater-Mutter-Sohn – z.B. Osiris-Isis-Horus – substituiert (vgl. das oben erwähnte Brüten der femininen ruach bei Gen 1,2). Bei Lukas ist die Ruach der “heilige Geist“, der über Maria „kommen wird“ und mit der „Kraft des Höchsten“ identisch ist (Lk 1,35). Bei Ezechiel erscheint die Ruach als Wind, der ihn von Babylon nach Jerusalem versetzt, wo er apokalyptische übernatürliche Ereignisse ´beobachtet´.1. Darnach sah ich, und siehe, eine Tür war aufgetan im Himmel;
und die erste Stimme, die ich gehöret hatte mit mir reden als eine
Posaune, die sprach: Steig her, ich will dir zeigen, was nach diesem
geschehen soll.
2. Und alsobald war ich im Geist. Und siehe, ein Stuhl war gesetzt im
Himmel, und auf dem Stuhl sass einer;
3. und der da saß, war gleich anzusehen wie der Stein Jaspis und
Sarder (…)
Die Ruach ist also eine übernatürliche Kraft, welche die Gesetze von Raum und Zeit aufhebt und das Bewusstsein Dinge erleben lässt, die in der alltäglichen Welt undenkbar sind. Für das jüdische und christliche Denken ist diese Kraft Ausdruck eines personalen Gottes, sie ist der “Geist Gottes”.
Zweifelhaft ist hinsichtlich 1,10 und 4,2 allerdings, ob die Im-Geist-Formel in beiden Fällen den gleichen Vorgang beschreibt. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten, die Formel zu interpretieren:
(1) “Im Geist sein” bedeutet einen subjektiven Bewusstseinzustand des J (= Trance), der ihn zu höherer Wahrnehmung befähigt. Dabei verharrt J´s Psyche (ich ziehe diesen Begriff der ´Seele´ vor) im Körper.
(2) “Im Geist sein” verweist ein objektives Ereignis hin, das mit einer Out-of-Body-Experience (= OBE) verbunden ist: J´s Psyche wird in eine göttliche Sphäre versetzt.
In Paulus´ Schilderung seiner Initiation (2 Kor 12,1-4) wird diese Unterscheidung angesprochen. Der Autor zeigt sich so unsicher in der Frage, ob er "vor vierzehn Jahren" bei seiner Himmelsreise inner- oder außerhalb seines Körpers war, dass er diesen Zweifel in wenigen Sätzen sogar zwei Mal zum Ausdruck bringt:
Zurück zur Johannesoffenbarung.1 Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze; doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarung des HERRN. 2 Ich kenne einen Menschen in Christo; vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leibe gewesen, so weiß ich's nicht; oder ist er außer dem Leibe gewesen, so weiß ich's nicht; Gott weiß es) ward derselbe entzückt bis in den dritten Himmel. 3 Und ich kenne denselben Menschen (ob er im Leibe oder außer dem Leibe gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es); 4 der ward entzückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann.
Der Unterschied zwischen 1,10 und 4,2 besteht zunächst in der Ausgangssituation des Protagonisten.
In 1,10 befindet sich J in einem alltäglichen Umfeld, genauer: auf Patmos am ´Tag des Herrn´, als der Geist-Effekt einsetzt. J wird von einer übernatürlichen Gestalt heimgesucht (Christus), die inmitten von sieben Leuchtern steht und die ihm Briefe diktiert (wobei die Briefpassagen möglicherweise eine nachträgliche Einfügung sind). Ohne die Leuchter könnte man die Szene als Eintritt des Christus in die natürliche Welt deuten. Ihre Präsenz signalisiert aber, dass umgekehrt J in einen übernatürlichen Raum eingetreten ist, wo er Christus gegenübersteht.
Ganz anders ist die Situation in 4,2, wo J, noch situiert in der übernatürlichen Szene 1,10-3,22, eine Tür ´im Himmel´ wahrnimmt, durch welche er auf Aufforderung von Christus die himmlische Sphäre betritt. Die Wiederholung des ´Ich war im Geist´ an dieser Stelle macht nur Sinn, wenn sie eine Steigerung des vorherigen Im-Geist-Seins impliziert, da sie andernfalls überflüssig wäre, denn dass J ´im Geist´ ist, weiß der Leser bereits seit 1,10.
Die Frage bleibt, wo die übernatürliche Szene 1,10-3,22 im Universum der Offb zu verorten ist. Da J erst ab 4,2 Zugang zum Himmel erhält und in der Offb Christus im Himmel explizit nur als Lamm erscheint, scheidet der Himmel als Location jener Szene definitiv aus, was eine Deutung der Szene im Sinne von oben (1) nahelegt: Christus offenbart sich – in Analogie zu diversen Traumszenen im Tanach – im subjektiven Bewusstsein von J. Die einzige und nicht unproblematische Alternative wäre eine Sphäre, die weder dem irdischen noch dem himmlischen Bereich zuzuordnen ist, was meines Erachtens nicht in Frage kommt.
Man kann also festhalten:
Wenn es sich – entgegen meiner Meinung – bei 1,10 ff. und 4,2 ff. tatsächlich um Berichte übernatürlicher Erfahrungen handelt, dann geht es in der ersten Sequenz um eine bewusstseinsinterne Trance (ohne OBE) und in der zweiten Sequenz entweder ebenfalls um eine bewusstseinsinterne Trance mit gesteigerten Visionen oder aber um einen Transfer von J´s Psyche (OBE) an einen Ort, den J als ´Himmel´ (οὐρανος) bezeichnet. Ein Indiz, wenn auch kein Beleg, für OBE ist die Aufforderung "Steig her" in 4,1 durch die gleiche Stimme, die J zuvor in seiner Trance angesprochen hat und nun vom ´Himmel´ herab erklingt.
+++
(Fortsetzung im nächsten Beitrag)
Zuletzt bearbeitet: