Vordatierung von NSDAP-Mitgliedschaften?

seiffus

Neues Mitglied
Liebes Forum,
ich werte zur Zeit die Entnazifizierungsakte unseres ehemaligen Bürgermeisters (1919 - 1945) in einer niederrheinischen Kleinstadt aus. Er gab im Entnazifierungsfragebogen 1945 an, dass er im Mai 1933 (= also kurz vor der vierjährigen Aufnahmesperre) der Partei beigetreten sei.
Dies hatte zur Folge, dass er (aufgrund des frühen Beitritts) in Kategorie IV eingeordnet wurde, was eine Fortsetzung seiner Bürgermeistertätigkeit unmöglich machte. Er schrieb dann an den zuständigen Ausschuss, dass er sich getäuscht habe: In Wahrheit sei er erst 1937 beigetreten (s. Originaltext unten).

Meine Frage: Kamen solche Rückdatierungen von NSDAP-Beitritten - ohne Zustimmung des Betroffenen - tatsächlich vor? Ich meine jetzt nicht Ausnahmefälle von "Promis", mit denen sich das Regime schmücken wollte.
Ich habe übrigens die NSDAP-Zentral- und Gaukarteikarte beim Bundesarchiv Berlin angefordert - die Mitgliedsnummer passt zum Jahr 1933.
Dankeschön für eure Hilfe und ein frohes Weihnachtsfest an alle Forenmitglieder!


Den Aufnahmeantrag an die Partei habe ich, wie ich erst
nachträglich ermitteln konnte, und wie ich hiermit
versichere, im Jahre 1937 gestellt. Wenn meinerseits als
Eintrittsdatum ‚Mai 1933’ angegeben ist, so ist dieser
Zeitpunkt der mir damals von der Partei schriftlich
mitgeteilte. Es gehörte damals anscheinend zu den
üblich gewordenen Gepflogenheiten, solche
Rückdatierungen des Eintrittszeitpunktes eigenmächtig
vorzunehmen. Wie ich aber ausdrücklich versichere, ist
eine solche Rückdatierung des Eintrittszeitpunktes
seinerzeit von mir nicht beantragt worden. Auch
lediglich die Tatsache, meine damals im Jahre 1937
schon mehr als 17 Jahre inne gehabte Stellung als
Bürgermeister der Gemeinde XXX weiter zu halten
und um damit meinen Lebensunterhalt zu sichern, hat
mich schliesslich notgedrungen zur Stellung des
Aufnahmeantrags gebracht. Bei Ausfüllung des
vorigjährigen Fragebogens war mir nicht in Erinnerung,
wann ich den Aufnahmeantrag gestellt hatte. Erst vor
wenigen Wochen ist es mir nun möglich gewesen,
wenigstens den Jahreszeitpunkt zu ermitteln, ich gebe
daher jetzt diese erläuternde Erklärung wahrheitsgemäss
und zusätzlich ab. Die Richtigkeit über diesen
meinen Eintritt im Jahre 1937 kann u.a. der Polizeileutnant
Strathmann in XXX bestätigen, der
auch, wie ich von diesem im Verlauf meiner
Ermittlungen jetzt erfahren habe, Einzelheiten über den
Aufnahmevorgang noch genau weiss.
 
Zuletzt bearbeitet:
Am ehesten kannst Du entsprechende Hinweise bei Falter u.a. finden. Die ersten Kapitel zur methodischen Bewertung der Mitgliederdaten können beispielsweise bei einem großen Online-Buchhändler direkt eingesehen werden. Es werden also die Themen behandelt, die Du auch berührst.

Bei Nichtbeantwortung, am besten direkt eine Mail an einen der Mitarbeiter von Falter schicken, da die sich mit dieser Problematik sicherlich ausführlich beschäftigt haben im Rahmen der Reliabilitätsprüfung der Mitgliederdaten in ihrer Datenbank.

Falter, Jürgen W. (Hg.) (2016): Junge Kämpfer, alte Opportunisten. Die Mitglieder der NSDAP 1919-1945. Unter Mitarbeit von Axel Böhm, Gerhard Botz, Benjamin Hertlein, Kristine Khachatryan, Jonas Meßner, Evelyn Otto et al. Frankfurt, New York: Campus Verlag.
 
Vielen Dank für den Tipp! Ich habe beim Querlesen zwar nicht die gesuchte Antwort gefunden, dafür aber eine Information, die meine Frage hinfällig gemacht hat: Falter schreibt, dass die "Märzgefallenen" (also die NSDAP-Neumitglieder nach den letzten Reichstagswahlen) ihre Ausweise teilweise erst 1936 erhielten, weil die Münchner Parteizentrale mit der Bearbeitung der Eintrittswelle heillos überfordert war. Das erklärt für meinen konkreten Fall so einiges... Super!
 
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