muck
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Hallo zusammen!
Zweifellos ist jedem Mittelalter-Enthusiasten bereits der Wandel aufgefallen, den die Kreuzzüge ins Heilige Land im Laufe der Zeit durchlebt haben. Galten die Feldzüge unter dem Kreuz bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als weitgehend positive Ereignisse, als Projektionsfläche für Abenteuerphantasien und edle Taten im Namen des Glaubens, so scheint mir heutzutage eine negative Betrachtung zu überwiegen. Vor allem in der Populärwissenschaft wird die Grausamkeit jener Kriege betont und ihre Berechtigung in Zweifel gezogen.
Ich würde gerne erörtern, wie es dazu kam. Denn meines Kenntnisstandes nach sind die folgenden Aspekte bar jedes Zweifels:
- Kriege des Mittelalters waren grundsätzlich, aus heutiger Sicht, grausame Angelegenheiten. Die Tötung gefangener Kombattanten und Zivilisten war ebenso wie die Schindung der Zivilbevölkerung an der Tagesordnung. Die Bestrafung Widerstand leistender Städte oder die Tötung der hörigen Landbevölkerung, bspw. um Versorgungsengpässe zu erzwingen, galten als akzeptable Mittel der Kriegsführung. Nur in einer Minderzahl der Kriege wurden nur vereinzelt Anstrengungen unternommen, um unnötiges Blutvergießen zu verhindern, und dies meist auf persönlichen Einsatz charismatischer Anführer und Bezugspersonen hin, oder zur Schonung begehrter Objekte oder von Arbeitskräften, oder um Verbündete nicht zu verärgern. Besonders im Verlauf langer und verlustreicher Kriege drohte jederzeit die Verrohung besonders des gemeinen Kriegsvolks, mit entsprechenden Volken selbst für Landsleute (bspw. bei der Rückeroberung des frankreichtreuen Soissons durch die Franzosen im Hundertjährigen Krieg). Ich kann nicht erkennen, dass selbst das Massaker von Jerusalem ein Ereignis von unerhörter Einzigartigkeit in dieser Ära gewesen wäre – nicht in Europa, und erst recht nicht im vorderen Asien, wo keine theologischen Verrenkungen notwendig waren, um Gewalt zu rechtfertigen.
- Ein christlicher Angriff auf die Geburtsstätte des Islam wäre selbstredend mit einer moslemischen Gegenoffensive beantwortet worden; mir ist unverständlich, wie man in Abrede stellen kann, dass die schiere Herrschaft einer anderen Religion über die heiligen Stätten des Christentums als im Sinne der Zeit akzeptabler, ja zwingender Casus Belli anzusehen ist. Daran ändert auch der zeitliche Abstand zwischen der Eroberung Jerusalems durch den Islam und der Rückeroberung nichts.
- Dass die angeblichen Grausamkeiten der moslemischen Herren Palästinas gegen christliche Einwohner und Pilger aufgebauscht wurden, ändert nichts an der wohl dokumentierten Tatsache, dass Letztere als Menschen zweiter Klasse galten, mit Sondersteuern belegt wurden, im Zweifelsfall keine Rechtssicherheit genossen und Glaubenseiferern als meist straflos zu misshandelndes Ziel galten, nicht unähnlich dem Judentum in Europa.
Mein Beitrag zur Diskussion, warum aus Richard Löwenherz und seiensgleichen Schurken geworden sein könnten:
- Der Lebensstil des liberal geprägten Menschen der Postmoderne verbietet es, jemandem allein aufgrund von dessen Religion feindlich gegenüberzutreten. Schon der Gewaltanwendung zu anderen Zwecken als der (wenigstens präventiven) Verteidigung steht er kritisch gegenüber.
- Mit der Erosion des christlichen Einflusses in Europa wächst das Befremden gegenüber jeglicher Glaubensorthodoxie, und speziell gegenüber des Kampfes für den Glauben.
- Religiös aufgeladene Kriege und Terrorangriffe seit der Gründung des Staates Israel mehren das Unbehagen gegenüber der Vorstellung, auf ähnlicher Stufe wie die heutigen Glaubenskrieger gestanden zu haben oder irgendwie für all dies mitverantwortlich zu sein.
- Die Grausamkeiten im Kreuzzug stehen konträr zur Romantisierung des Rittertums.
- Geschichtlich gebilderte Menschen könnte die Vorgeschichte der Kreuzzüge stören, die von, gelinde gesagt, pragmatischen Erwägungen geprägt war (Machtzuwachs der Kirche, Befriedung Europas durch Ablenkung etc.etc.etc.)
- Religiös geprägte Menschen könnte der Widerspruch zwischen der friedlichen Botschaft Jesu und Kriegen in Jesu Namen sauer aufstoßen.
- Natürlich rein subjektiv ist, zu guter Letzt, mein Eindruck, dass möglicherweise auch spezifisch westliche Denkmuster der jüngeren Zeit diesen Sinneswandel bedingen. Blickt man beispielsweise auf die Bewertung der Kriege des Westens seit Vietnam, könnte man gar auf die Idee kommen, von einer Art Invertrassismus zu sprechen: Kommen in irgendeinem vergessenen Bürgerkrieg Tausende ums Leben, ist das keine Schlagzeile wert, tötet aber eine verirrte deutsche Granate drei Afghanen in einem Auto, weckt das Empörung und Entsetzen. Es ist beinahe so, als wäre diese Empörung zu übersetzen in: Wir sind aufgefklärte Europäer, wir müssen besser sein als das!
Wie seht Ihr das? Verdienen die Kreuzzüge eine Sonderstellung in der Galerie der mittelalterlichen Konflikte als besonders ruchlose Taten? Und was hat Eurer Auffassung nach den Sinneswandel ausgelöst, der aus den Helden früherer Generationen Bösewichte werden lässt?
Zweifellos ist jedem Mittelalter-Enthusiasten bereits der Wandel aufgefallen, den die Kreuzzüge ins Heilige Land im Laufe der Zeit durchlebt haben. Galten die Feldzüge unter dem Kreuz bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als weitgehend positive Ereignisse, als Projektionsfläche für Abenteuerphantasien und edle Taten im Namen des Glaubens, so scheint mir heutzutage eine negative Betrachtung zu überwiegen. Vor allem in der Populärwissenschaft wird die Grausamkeit jener Kriege betont und ihre Berechtigung in Zweifel gezogen.
Ich würde gerne erörtern, wie es dazu kam. Denn meines Kenntnisstandes nach sind die folgenden Aspekte bar jedes Zweifels:
- Kriege des Mittelalters waren grundsätzlich, aus heutiger Sicht, grausame Angelegenheiten. Die Tötung gefangener Kombattanten und Zivilisten war ebenso wie die Schindung der Zivilbevölkerung an der Tagesordnung. Die Bestrafung Widerstand leistender Städte oder die Tötung der hörigen Landbevölkerung, bspw. um Versorgungsengpässe zu erzwingen, galten als akzeptable Mittel der Kriegsführung. Nur in einer Minderzahl der Kriege wurden nur vereinzelt Anstrengungen unternommen, um unnötiges Blutvergießen zu verhindern, und dies meist auf persönlichen Einsatz charismatischer Anführer und Bezugspersonen hin, oder zur Schonung begehrter Objekte oder von Arbeitskräften, oder um Verbündete nicht zu verärgern. Besonders im Verlauf langer und verlustreicher Kriege drohte jederzeit die Verrohung besonders des gemeinen Kriegsvolks, mit entsprechenden Volken selbst für Landsleute (bspw. bei der Rückeroberung des frankreichtreuen Soissons durch die Franzosen im Hundertjährigen Krieg). Ich kann nicht erkennen, dass selbst das Massaker von Jerusalem ein Ereignis von unerhörter Einzigartigkeit in dieser Ära gewesen wäre – nicht in Europa, und erst recht nicht im vorderen Asien, wo keine theologischen Verrenkungen notwendig waren, um Gewalt zu rechtfertigen.
- Ein christlicher Angriff auf die Geburtsstätte des Islam wäre selbstredend mit einer moslemischen Gegenoffensive beantwortet worden; mir ist unverständlich, wie man in Abrede stellen kann, dass die schiere Herrschaft einer anderen Religion über die heiligen Stätten des Christentums als im Sinne der Zeit akzeptabler, ja zwingender Casus Belli anzusehen ist. Daran ändert auch der zeitliche Abstand zwischen der Eroberung Jerusalems durch den Islam und der Rückeroberung nichts.
- Dass die angeblichen Grausamkeiten der moslemischen Herren Palästinas gegen christliche Einwohner und Pilger aufgebauscht wurden, ändert nichts an der wohl dokumentierten Tatsache, dass Letztere als Menschen zweiter Klasse galten, mit Sondersteuern belegt wurden, im Zweifelsfall keine Rechtssicherheit genossen und Glaubenseiferern als meist straflos zu misshandelndes Ziel galten, nicht unähnlich dem Judentum in Europa.
Mein Beitrag zur Diskussion, warum aus Richard Löwenherz und seiensgleichen Schurken geworden sein könnten:
- Der Lebensstil des liberal geprägten Menschen der Postmoderne verbietet es, jemandem allein aufgrund von dessen Religion feindlich gegenüberzutreten. Schon der Gewaltanwendung zu anderen Zwecken als der (wenigstens präventiven) Verteidigung steht er kritisch gegenüber.
- Mit der Erosion des christlichen Einflusses in Europa wächst das Befremden gegenüber jeglicher Glaubensorthodoxie, und speziell gegenüber des Kampfes für den Glauben.
- Religiös aufgeladene Kriege und Terrorangriffe seit der Gründung des Staates Israel mehren das Unbehagen gegenüber der Vorstellung, auf ähnlicher Stufe wie die heutigen Glaubenskrieger gestanden zu haben oder irgendwie für all dies mitverantwortlich zu sein.
- Die Grausamkeiten im Kreuzzug stehen konträr zur Romantisierung des Rittertums.
- Geschichtlich gebilderte Menschen könnte die Vorgeschichte der Kreuzzüge stören, die von, gelinde gesagt, pragmatischen Erwägungen geprägt war (Machtzuwachs der Kirche, Befriedung Europas durch Ablenkung etc.etc.etc.)
- Religiös geprägte Menschen könnte der Widerspruch zwischen der friedlichen Botschaft Jesu und Kriegen in Jesu Namen sauer aufstoßen.
- Natürlich rein subjektiv ist, zu guter Letzt, mein Eindruck, dass möglicherweise auch spezifisch westliche Denkmuster der jüngeren Zeit diesen Sinneswandel bedingen. Blickt man beispielsweise auf die Bewertung der Kriege des Westens seit Vietnam, könnte man gar auf die Idee kommen, von einer Art Invertrassismus zu sprechen: Kommen in irgendeinem vergessenen Bürgerkrieg Tausende ums Leben, ist das keine Schlagzeile wert, tötet aber eine verirrte deutsche Granate drei Afghanen in einem Auto, weckt das Empörung und Entsetzen. Es ist beinahe so, als wäre diese Empörung zu übersetzen in: Wir sind aufgefklärte Europäer, wir müssen besser sein als das!
Wie seht Ihr das? Verdienen die Kreuzzüge eine Sonderstellung in der Galerie der mittelalterlichen Konflikte als besonders ruchlose Taten? Und was hat Eurer Auffassung nach den Sinneswandel ausgelöst, der aus den Helden früherer Generationen Bösewichte werden lässt?