Das ist eine deutliche "Untertreibung" der politische Realität im DR. Im Prinzip wies das Deutsche Reich Züge eines absolutitischen Regimes auf.
Das deutsche Reich war absolut kein demokratischer Rechtsstaat, wenn es auch Elemente davon aufwies.
Dieses wird besonders deutlich an der Rolle der Armee, die als repressives Instrument im Kampf gegen die zunehmende Bedrohung einer anwachsenden Arbeiterbewegung.
Und diese Armee ist auch zum Einsatz gekommen gegen streikende Arbeiter (vgl. W. Deist: Militär, Staat und Gesellschaft).
Die Entscheidung zum Einsatz ging dabei vom Monarchen aus, der als Oberbefehlhaber die Armee für die Bekämpfung der Arbeiterschaft einsetzen konnte.
Dieses muss natürlich im Kontext der "Sozialistengesetze" gesehen werden, die der politischen Aktionsfreiheit der SPD oder der Gewerkschaften deutliche Beschränkungen auferlegt haben.
Diese Elemente der gezielten politischen Unterdrückung gehören strukturell entweder zu besonders repressiven absolutistischen Regimen wie der russischen Zarenherrschaft oder sie gehören in das Umfeld von Diktaturen.
Deshalb: Das Deutsche Reich war absolut kein demokratischer Rechtsstaat!
Ich stimme dir absolut zu, dass das Deutsche Reich kein demokratischer Rechtsstaat war. Militarismus und Untertanengeist ist aber, meiner Meinung nach nur eine Facette des Deutschen Reichs. Die Sozialgesetzgebung war fortschrittlich, und sie wurde vielfach kopiert. Deutschland war nach den USA die dynamischste Industrienationen, die über die am besten organisierte Arbeiterbewegung verfügte. Der wirtschaftliche Aufschwung ging auch an den Arbeitern nicht spurlos vorbei, die Wilhelm II. bei seinem Antritt als "Vierten Stand" noch einbinden wollte.
Die Medienlandschaft Deutschlands war recht heterogen und sehr pluralistisch. Trotz "Majestätsbeleidigungsparagraphen" war die Presse doch recht frei, und wenn das Kaiserreich auch kein demokratischer Rechtsstaat gewesen sein mag, war es ein bürgerlicher Rechtsstaat, der seinen Bürgern durchaus ein relativ hohes Maß an Freiheiten der Presse, der Meinung und der Lehre und gewährte und Rechtssicherheit garantierte. Die Arbeitslosenquote war niedriger, als die in Frankreich und Großbritannien.
Im Vergleich was den Schutz von ethnischen Minderheiten betrifft, schnitt das Kaiserreich trotz der Zabernaffäre 1913, trotz weit verbreitetem Antisemitismus und Germanisierungsdruck in polnischsprachigen Gebieten gar nicht so schlecht ab. 1871 brachte den Juden die Emanzipation, und nicht wenige jüdische Deutsche waren glühende Patrioten, die sich mit dem Kaiserreich identifizierten. In Justiz und Medizin, in der Medienlandschaft und im Kulturbetrieb machten Juden Gebrauch von der Emanzipation, und sie waren in den freien Berufen stark vertreten.
Die gezielte Unterdrückung von Minderheiten würde ich strukturell nicht nur bei absolutistischen Regimen verorten. Irland verlor im 19. Jahrhundert ein Drittel seiner Einwohner durch Hungertod und Emmigration.
Dabei hätte die Grüne Insel ihre Bewohner ernähren können, auf dem Höhepunkt der großen Hungersnot Ende der 1840er Jahre liefen Exporte von Agrarprodukten und Lebensmitteln nach GB weiter. Die Laissez faire-Politik der britischen Regierung und die mit großer Härte durchgeführten Vertreibungen irischer Pächter wirkten sich traumatisierend auf die irisch-britischen Beziehungen aus und belasteten sie auf Generationen.
Die Nachwirkungen des Sepoy- Aufstands (oder des 1.indischen Unabhängigkeitskampfes) zwangen GB die Administration selbst in die Hand zu nehmen und sie der East India Company zu entziehen. Es entstanden Universitäten und Hochschulen nach britischem Vorbild, und Rudyard Kipling schwärmte vom Kulturauftrag der Briten und von "The white man´s burden", doch von einer Gleichberechtigung von Indern konnte keine Rede sein. Mahatma Gandhi machte als junger Anwalt in Südafrika Bekanntschaft mit der dortigen Rassentrennung.