Zunächst möchte ich mich entschuldigen, einen alten Thread auszugraben. Aber da das ein Geschichtsforum ist, wird meine Tat hoffentlich kein großes Ungemach hervorrufen
feif:
Ist doch ein interessantes Thema, das sich kaum jemals erschöpfend behandeln lässt. :grübel:
Meine Fragen betreffen aber auch dieses Thema, weshalb Ostrom noch so lange Bestand hatte. Gut, Westrom war durch Bürgerkriege, schwache Kaiser und die Barbareneinfälle am Ende. Wirtschaftlich waren sie wahrscheinlich auch nicht auf der Höhe. Das Ostreich hingegen stand wirtschaftlich gut da (wie hier festgestellt wurde). Und ich habe hier gelesen, dass Ostrom die Barbarenstämme ableiten konnte?! Wie ist das gemeint, was ist damals geschehen?
Zunächst ist die unterschiedliche Wirtschaftskraft beider Reichsteile ein ganz entscheidender Faktor. Aufgrund seiner städtischen Struktur, seinem Bevölkerungsreichtum, seiner ausgedehnten Handelsaktivitäten und straffen Finanzpolitik verfügte Ostrom über ein vielfach höheres Steuereinkommen als der westliche Reichsteil, was sich im 5. Jh. dramatisch verschärfte. Die Scharen der Völkerwanderung brandeten vor allem gegen Westrom und entfremdeten wichtige Gebiete, während Ostrom davon nahezu unberührt blieb. Zwar tauchten immer wieder Goten oder Heruler vor den Mauern Konstantinopels auf, doch konnten sie gegen die stark befestigte Metropole wenig ausrichten.
Ein raffinierter Schachzug war zudem, dass Ostrom seine einstmalige gotische Geisel
Theoderich mit kaiserlichem Segen nach Italien schickte. Dadurch wurde das ostgotische Heer von Konstantinopel weg Richtung Italien geführt, wo der eine germanische Usurpator
Theoderich dem anderen, nämlich
Odoaker, den Garaus machte. So war Ostrom den einen gefährlichen Eroberer los und hatte die Option, sich des anderen, nämlich Theoderichs, im geeigneten Moment zu entledigen. So geschah es dann auch und Ostrom war schließlich der lachende Dritte - auch wenn Italien nicht lange gehalten werden konnte, da Ostrom seine Kräfte überspannt hatte.
Weiters stellt sich mir die Frage, ob die Zentrifugalkräfte im Osten schwächer waren als im Westen. Im Westen wurden Generäle von ihren Legionen zu Kaisern ausgerufen und sie sind dann auf Rom marschiert. Im Osten hingegen scheint es mir, als ob solche Taten nicht oder nur sehr vereinzelt stattgefunden haben. Es gab keine separatistischen Bewegungen. Und Umstürze waren "stets" (?) Palastrevolutionen, d.h. die Umstürzler befanden sich schon vorher im Umfeld zur absoluten Macht und kamen nicht erst aus fernen Schichten.
Man darf nicht vergessen, dass Ostrom seine vorderasiatischen Gebiete nur mit Mühe halten konnte. Unter Kaiser
Herakleios wurden die Schwächen des Reichs sichtbar: Die Perser unter Großkönig Chosrau durchbrachen 603 die Ostgrenze und eroberten Nordmesopotamien, Armenien und Teile Ostkleinasiens. Allerdings blieb der Kaiser letztlich Sieger, die Perser mussten 630 alle Gebiete zurückgeben. Ab 636, wo die Byzantiner am Fluss Yarmuk in Palästina ihre erste große Schlacht gegen die muslimischen Araber verloren, gingen freilich ganz Vorderasien und Nordafrika verloren.
Dass die die Bevölkerung Vorderasiens keine separatistischen Gelüste entwickelte, liegt vermutlich daran, dass sie immerhin bereits rund 500 Jahre zum zum Imperium Romanum gehörte und in dieser Zeit soweit romanisiert war, dass sie sich einen von Rom unabhängigen Staat nicht vorstellen konnte. Anders sah das im westlichen Reichsteil aus, wo seit dem Hunneneinbruch im Jahr 375 Goten, Vandalen, Sueben und Alanen das Reichsgebiet durchzogen und dadurch Wirtschaftskraft, Administration, Finanzen und Reichseinheit völlig destabilisierten.
Wie war überhaupt die Macht der Adeligen und der Bürger in Byzanz einzuschätzen? Hatten sie in Rom (frühe Kaiserzeit) mehr Macht als in Konstantinopel, wo der Kaiser ja alle Macht in seiner Person vereint hat?
Der Wille der Bürger artikulierte sich vielfach im Rahmen der so genannten "Zirkusparteien" (
demen) , der Blauen, Weißen, Roten und Grünen. Sie konnten neben ihrer eigentlichen Aufgabe im Bereich der Wagenrennen Zustimmung oder Ablehnung des Volks zum Ausdruck bringen. Als Vertreter des Volks wurden sie allmählich zu einer der drei Konstituenten kaiserlicher Macht (Senat, Heer, Volk) und spielten in Byzanz bei der Ausrufung dynastisch nicht legitimierter Kaiser eine Rolle. Seit dem 12. Jh. verlor sich aber ihre Macht.
Hinsichtlich seiner Herrscher hatte Byzanz das große Glück, dass es eine gewisse Kontinuität gab und vor allem immer wieder Kaiser an die Macht kamen, die politisch und militärisch begabt waren, und das Reich durch militärische, politische oder wirtschaftliche Erfoge und Reformen vor dem Untergang bewahrten. Das Elend der weströmischen Kinderkaiser, die von ihren Heerführern bevormundet wurden, gab es in Byzanz nur selten.
Das bringt mich zu einer ganz weit hergeholten Frage, die mir aber dennoch einen Gedanken wert scheint: Gab es Unterschiede in der früher römischen und später griechischen Mentalität?
Hier ist zu berücksichtigen, dass die militärische, politische und geografische Situation von Byzanz seit dem 7. Jh. mit der Zweifrontenlage - anstürmende muslimische Araber im Osten, expandierende slawische Völker im Westen - eine ganz andere war, als sie jemals im Weströmischen Reich bestand. Die Verluste und radikalen Veränderungen des Reichs in kurzer Zeit führten zu gewaltigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verwerfungen, deren genaues Ausmaß schwer abzuschätzen ist.
Mentalitätsgeschichtlich darf man wohl ein Gefühl tiefer Verunsicherung und eine eschatologische Endzeitstimmung annehmen. Die Rekonstruktion des Zeitabschnitts von der Mitte des 7. bis zum Beginn des 9. Jh. erweist sich auch deshalb als schwierig, weil für diese Zeit weitaus weniger Quellen vorliegen, als für die Zeit davor und danach.