Warum keine Neutralitätspolitik?

In Europa, vor allem in Frankreich, Deutschland und Großbritannien hatte man eine vollkommen übertriebene Vorstellung von der "gewaltigen, künftigen Stärke Russlands."
 
Dämlichkeit (O-Ton großer Reussen-Zar: "es hat keinen Sinn, Millionen Rubel im Boden zu verbuddeln, deshalb wird das gestoppt") nur halb fertig gebaut (ohne Panzerung, zu wenige Batterieblöcke usw)... aber stattdessen in Wladiwostok, wo nie was drohte, dann doch Millionen Rubel in Form von Beton verbuddeln....) - - - kurzum: im Zwist mit "Zwerg" Japan hat Russland eine mehr als nur peinliche Rolle gespielt.
Die Prioritätensetzung Wladiwostok finde ich grundsätzlich nachvollziehbar.
Schon weil sich Wladiwostok durch die direkte Kontrolle über das Hinterland , die bei Port Arthur nicht in der For gegeben war, besser als Basis für die Seestreitkräfte im Pazifik eignete.
Es war einfach bedingt durch die Geographie wesentlich weniger einfach abzuschneiden und erlaubte rein geographisch auch wesentlich eher maritime Aktionen gegen Japan.

Was es natürlich mindestens theoretisch auch zu einem stratgischen Ziel für Japan machen konnte..
 
Aber der entscheidende Punkt ist doch der ;), dass Deutschland gar nicht im Sinne hatte, ........., Neutralitätspolitik zu treiben.
Das ist auch mE der entscheidende Punkt.
Nicht die fehlende Machbarkeit einer solchen Politik stand im Vordergrund, sondern schlicht der fehlende Wille dazu.

Aber wir haben ja belesene Teilnehmer in der Diskussion und daher noch einmal meine Frage:
Wurde Neutralität im fraglichen Zeitraum diskutiert? Weiß jemand etwas dazu?
(Das wäre auch interessanter als allbekannte Einschätzungen erneut wiederzukäuen.)
Hat die Teilnahme am Imperialismus Deutschland am Ende geschadet..
Hast Du daran irgendwelche Zweifel?
 
@Turgot,

wie schätzt Du Bismarcks Bündnis-Politik ein? War das Neutralitätspolitik?
Das Drei-Kaiserabkommen war ja nur eine Zusicherung regelmäßiger Konsultationen zwischen den Partnern.
Und der Rückversicherungsvertrag mit Russland eine gegenseitige Neutralitätsverpflichtung für den Fall eines Angriffs von dritter Seite.

Gab es zu Bismarcks Zeiten als Reichskanzler Bündnisse mit militärischen Beistandsverpflichtungen?
 
Hast Du daran irgendwelche Zweifel?
Was Deutschlands strategische Situation angeht? Im Großen und Ganzen durchaus, weil sich aus den meisten Kolonien keine besonders großen Reibungsflächen ergaben.
Nur von den Südseeinseln hätte man aus strategischer Sicht die Finger lassen sollen, weil vorprogrammierter Ärger mit Japan, dass diese als seinen Hinterhof betrachten musste.

Die moralische Dimension ist natürlich ein anderes Thema.
 
Was die Nützlichkeit des Handelns angeht.
Falsch gewählte militärische Partner sind u. U. schlechter als keine.
Ich denke, das ist eine Frage des Zeitpunktes. Das Bündnis mit Österreich entwickelte sich um 1890 herum zu einer Hypothek, die man besser los geworden wäre, vorher hatte es 10 Jahre gute Dienste geleistet.
Bei Italien sehe ich das nach wie vor nicht.
 
Insofern es diese Option für Frankreich blockierte. Wenn Österreich-Ungarn qua Bündnis auf Deutschland als Partner festgelegt war, konnte nicht davon ausgegangen werden, dass man es gegen Deutschland würde einspannen können. Somit war es zunächst für Frankreich unattraktiv, auch wenn Deutschland keinen besonderen Nutzen davon hatte.

Der Gewinn bei einem Bündnis kann ja durchaus auch darin bestehen einfach einen potentiellen Gegenspieler aus dem Spiel zu nehmen.

Nur hätte man eben, als sich abzeichnete, dass die Interessen Russlands und Österreich-Ungarns in Zukunft nicht mehr vereinbar miteinander sein würden, vernünftiger Weise einsehen sollen, dass Russland der wichtigere Akteur war, zu dem gute Beziehungen wichtiger waren und dass eine Festlegung auf Österreich-Ungarn nicht nur zu notorischem Ärger mit Russland führen, sondern vor allem auch in St. Petersburg die Bereitschaft erhöhen würde sich mit der option eines französischen Bündnisses ernsthaft auseinander zu setzen.
 
Schauen wir einfach mal auf die geografisch-strategische Lage des Deurschen Reiches.

Im Westen Frankreich, der unversöhnliche Gegner. Ungeachtet des Verlustes von Elsass-Lothringen hatte es Jahrhunderte darum gerungen (politisch und militärisch) kein geeintes Deutschland als unmittelbaren Nachbarn zu haben. Wenn der Krieg 70/71 etwas gezeigt hatte, dann dass die französische Hegemonie vorbei war. Es musste, um gegen das neue Reich bestehen zu können, bedeutende Bündnispartner gewinnen.

Im Süden die Habsburger Doppelmonarchie, die sich gezwungernermaßen nicht mehr in Deutschland engagierte, sondern Richtung Balkan. Was die innere Zerissenheit noch verstärkte und den Ärger mit Russland heraufbeschwörte. Als Großmacht auf dem absteigenden Ast.

Im Osten Russland. Der polnische Reichsteil ragte wie eine Lanzenspitze Richtung preußisches Kernland. Aber es war, seit den Befreiuungskriegen, ein wohlwollender Nachbar, dynastisch mit den Hohenzollern verwoben.

Großbritannien eine Insel, in Europa nur noch mäßig engagiert. Solange die wirtschaftliche, koloniale und maritime Vormachtstellung ungefährdet blieb, war man darauf bedacht, das nach 1871 entstandene neue Gleichgewicht zu erhalten. Bei dessen Bedrohung, 1875 vom Deutschen Reich, 78 durch Russland, reichten diplomatische Mittel dafür aus.

Ein "wirklich" neutrales Deutsches Reich hätte sich deshalb auch derart hochrüsten müssen, dass ein Zweifrontenangriff Russlands und Frankreichs, wenn nicht schon hätte vermieden, dann wenigstens hätte abgewehrt werden können. Was eine Rüstungsspirale geführt hätte und irgendwann zu einem Präventivschlag.

Wobei ich auf das Konjunktiv verzichten könnte, letztendlich ist es ja genau dazu gekommen.
 
Das Bündnis mit Österreich entwickelte sich um 1890 herum zu einer Hypothek, die man besser los geworden wäre

Und was wäre die Alternative gewesen? Frankreich und Russland kamen ja nicht in Frage. Und hinsichtlich Großbritannien hatte sich kurz zuvor Bismarck vergeblich bemüht.
Bevor Bindungen kappt, sollte die Alternative bereitstehen.
Deutschland hätte sich den Bemühungen der Österreicher sich in Richtung Balkan ins Schlepptau nehmen zu lassen, entschiedener widersetzen müssen. Aber das war um 1890 noch nicht so gegeben. Die Probleme wurden ja erst brennend, wenn Russland auf dem Balkan aktiv wurde. Man nehme nur die Phase, in der Russland in Ostasien sein Besitzstand erweitert. Auf dem Balkan war Ruhe.
 
Nur hätte man eben, als sich abzeichnete, dass die Interessen Russlands und Österreich-Ungarns in Zukunft nicht mehr vereinbar miteinander sein würden, vernünftiger Weise einsehen sollen, dass Russland der wichtigere Akteur war, zu dem gute Beziehungen wichtiger waren und dass eine Festlegung auf Österreich-Ungarn nicht nur zu notorischem Ärger mit Russland führen, sondern vor allem auch in St. Petersburg die Bereitschaft erhöhen würde sich mit der option eines französischen Bündnisses ernsthaft auseinander zu setzen.

Bismarck war in der Lage dieses aber zu handhaben. Wenn seine Nachfolger allerdings mal eben den Rückversicherungsvertrag ohne jede Not über Bord werfen, weil ein Herr von Holstein es wünscht und sein prioritäres Ziel es war, Bismarcks Rückkehr zu verhindern, da kann man nur entsetzt den Kopf schütteln. Dieser Vertrag hat so lange der bestand, zumindest die Bindung Russlands an Frankreich verhindert.

Wilhelm II. hat erst zu spät bemerkt, was für ein idiotischen Rat das AA ihm gegeben hatte und sich nebenbei gleich von seinem neuen Reichskanzler erpressen lassen.
 
Und was wäre die Alternative gewesen? Frankreich und Russland kamen ja nicht in Frage. Und hinsichtlich Großbritannien hatte sich kurz zuvor Bismarck vergeblich bemüht.
Bevor Bindungen kappt, sollte die Alternative bereitstehen.
Deutschland hätte sich den Bemühungen der Österreicher sich in Richtung Balkan ins Schlepptau nehmen zu lassen, entschiedener widersetzen müssen. Aber das war um 1890 noch nicht so gegeben. Die Probleme wurden ja erst brennend, wenn Russland auf dem Balkan aktiv wurde. Man nehme nur die Phase, in der Russland in Ostasien sein Besitzstand erweitert. Auf dem Balkan war Ruhe.
Die Alternative wäre gewesen am Bündnis mit Italien festzuhalten und abzuwarten.
Da es zwischen Russland und Deutschland abgesehen von gelegentlichen Zolldisputen keine nennenswerten Probleme gab und auf beiden Seiten der Wille am polnischen Teilungskonsens festzuhalten vorhanden war, hätte dadurch das Bündnis mit Frankreich seinen Wert für Russland verloren.

Wenn Deutschland St. Petersburg nicht mehr durch das Bündnis mit Österreich bei seiner Balkanpolitik behindert hätte, welchen Wert hätte dann das französische Bündnis für Russland noch gehabt?
Immerhin die daraus resultierenden Verpflichtungen gegenüber Frankreich waren für Russland durchaus eine Belastung und wozu Belastungen auf sich nehmen, wenn man keine adäquate Gegenleistungenen bekommt?
Warum denn Mittel aufwenden, um den Franzosen bei ihrer Revanche zu helfen, wenn Paris einem nichts interessantes zu bieten hat und man sich den eigentlichen Zielen auch ohne dessen Hilfe annähern kann?

Bismarck war in der Lage dieses aber zu handhaben. Wenn seine Nachfolger allerdings mal eben den Rückversicherungsvertrag ohne jede Not über Bord werfen, weil ein Herr von Holstein es wünscht und sein prioritäres Ziel es war, Bismarcks Rückkehr zu verhindern, da kann man nur entsetzt den Kopf schütteln. Dieser Vertrag hat so lange der bestand, zumindest die Bindung Russlands an Frankreich verhindert.
Die Frage ist aber, hätte er das auch künftig getan und wäre er inhaltlich ausreichend gewesen?

Schauen wir uns Artikel II und Artikel III mal an:

"Art. II. Deutschland erkennt die geschichtlich erworbenen Rechte Rußlands auf der Balkanhalbinsel an und insbesondere die Rechtmäßigkeit seines vorwiegenden und entscheidenden Einflusses in Bulgarien und Ostrumelien***. Die beiden Höfe verpflichten sich, keine Änderung des territorialen status quo der genannten Halbinsel ohne vorheriges Einverständnis zuzulassen und sich gegebenenfalls jedem Versuche, diesem status quo Abbruch zu tun oder ihn ohne ihr Einverständnis abzuändern, zu widersetzen."

Dieser Artikel hätte von Russland verlangt, falls Deutschland dem nicht zustimmte, was es mit Rücksicht auf Österreich-Ungarn nie genkonnt hätte, gegen die Balkanstaaten vorzugehen, wenn sie ihre Territorien auf Kosten des Osmanischen Reiches arrondieren wollten.

D.h. dieser Artikel hätte einer Ausweitung russischen Einflusses am Balkan entgegengestanden und wäre wahrscheinlich spätestens 1904/1905, nach dem Russland für Expansion erstmal nur die Balkan-Schwarzmeer-Region blieb, völlig inakzeptabel geworden.

"Art. III. Die beiden Höfe erkennen den europäischen und gegenseitig bindenden Charakter des Grundsatzes der Schließung der Meerengen des Bosporus und der Dardanellen an, der begründet ist auf dem Völkerrechte, bestätigt durch die Verträge und zusammengefaßt in der Erklärung des zweiten Bevollmächtigten Rußlands in der Sitzung des Berliner Kongresses vom 12. Juli (Protokoll 19)."



Auch der Artikel wäre für Russland wahrscheinlich mittelfristig eher nicht mehr tragbar gewesen.


Ich denke, man wird sich ohne weiteres darauf einigen können, dass der Rückversicherungsvertrag ohnehin mittelfristig gänzlich neu verhandelt hätte werden müssen, weil er sonst spätestens nach 1904/1905 wegen der Balkanklausel von russischer Seite her kündigungsreif gewesen wäre.

Ob ein Bismarck dann noch weiter gewusst hätte, muss im Bereich des Ungewissen und der Spekulation bleiben. Allerdings halte ich es nach wie vor für etwas zu einfach seinen Nachfolgern einfach nur persönliche Motive zu unterstellen bzw. mangelnde Weitsicht.

Der Rückversicherungsvertrag war nicht besonders weitsichtig. Er war eine Hilfskrücke, die so lange einigermaßen funktionierte, wie die Situation auf dem Balkan stabil war. Wäre die aber istabil (und damit durfte durchaus gerechnet werden) geworden, hätte der Rückversicherungsvertrag immer das Risiko geborgen, an Artikel II zu scheitern.

Eine Alternative Regelung für den Balkan zu finden, um Artikel II beizeiten streichen zu können, hätte vorrausgesetzt Russland dort entweder völlig freie Hand zu lassen, was Österreich verprellt hätte oder aber Deutschland wesentlich tiefer in die Probleme des Balkans als Partei mit hinein zu ziehen. Also genau das, was Bismarck zu vermeiden gesucht hatte.
 
Die Alternative wäre gewesen am Bündnis mit Italien festzuhalten und abzuwarten.

Ausgerechnet Italien, welches nun vieles war, aber sicher kein zuverlässiger Bündnispartner, auf dem sich verlassen konnte.

Da es zwischen Russland und Deutschland abgesehen von gelegentlichen Zolldisputen keine nennenswerten Probleme gab und auf beiden Seiten der Wille am polnischen Teilungskonsens festzuhalten vorhanden war, hätte dadurch das Bündnis mit Frankreich seinen Wert für Russland verloren.

Russland benötigte dringend das französische Kapital.

Der Rückversicherungsvertrag hatte ja gerade den Zweck, es nicht zum casus foederis kommen zu lassen. Das Wichtigste daran wann unter dem Strich, das der Draht nach Russland nicht abgerissen und Frankreich weiterhin isoliert war. Die Russen waren 1890 überdies auch bereit gewesen, die Klauseln hinsichtlich Bulgariens fallen zu lassen und den Vertrag um. sechs, statt nur um drei Jahre zu verlängern.

Besser die "Hilfskrücke" oder das System der Aushilfen, als das was tatsächlich von der Wilhelmstr. getan wurde.
 
Ausgerechnet Italien, welches nun vieles war, aber sicher kein zuverlässiger Bündnispartner, auf dem sich verlassen konnte.
Ja, ausgerechnet Italien.
Ein Deutschland, dass keine Bündnispflichten gegenüber Österreich-Ungarn hatte wäre für Italien mit seinen Territorialwünschen im Trentino nämlich ein wesentlich interessanterer Verbündeter gewesen, als ein Deutschland, dass Verpflichtungen gegenüber Österreich hatte und diesen Wünschen also im Weg stehen musste.

Du übersiehst bei Italien immer, dass sich dessen Ambitionen gegen die Donaumonarchie, nicht gegen Deutschland richteten.

Russland benötigte dringend das französische Kapital.
Nein, Russland benötigte Kapital. ob das frannzösisch oder deutsch war, war von nachgeordneter Bedeutung, hier hätte man durchaus versuchen können deutsches Kapital und Kredite für Russland zu organisieren um die Französischen Abzulösen.

Außerdem, wofür benötigte es Kapital? Unter anderem für die Aufrüstungen und den Ausbau der strategischen Bahnen in Richtung deutsche Grenze. Also um seinen Bündnisverpflichtungen gegenüber Frankreich nachkommen zu können (= aus dem Bündnis entstandene Kosten für Russland)

Diese Projekte und die damit verbundenen Kosten hätte es aber im Fall einer Einigung mit Berlin und einer Kündigung des französischen Bündnisses einstampfen können, zumal wenn im Austausch Möglichkeiten auf dem Balkan dabei herausgesprungen wären.


Der Rückversicherungsvertrag hatte ja gerade den Zweck, es nicht zum casus foederis kommen zu lassen. Das Wichtigste daran wann unter dem Strich, das der Draht nach Russland nicht abgerissen und Frankreich weiterhin isoliert war. Die Russen waren 1890 überdies auch bereit gewesen, die Klauseln hinsichtlich Bulgariens fallen zu lassen und den Vertrag um. sechs, statt nur um drei Jahre zu verlängern.
Schau dir die Lage am Balkan ab der Bosnischen Annexionskrise und dem 1. Balkanrieg an.
Ein Fallenlassen der Bulgarien-Klausel hätte da nicht hingericht. Artikel II hätte von Russland verlangt allen Expansionswünschen Rumäniens, Bulgariens, Griechenlands, Serbiens und Montenegros bei Bedarf offen entgegen zu treten.

So lange das Osmanische Reich einigermaßen stabil war und diese Staaten ohnehin keine Gelegenheit hatten auf dessen Kosten zu expandieren, war das kein Problem, aber in dem Moment in dem das Osmanische Reich in schlimme innere Krisen geriet, musste die Frage akut werden.

Ebenso im Fall potentieller Aufstände. Der Vertag hätte Russland ja auch darauf verpflichtet dem Osmanischen Reich bei der Niederschlagung potentieller Aufstände zu helfen oder mindestens unbeteiligt zuzusehen, während andere dabei geholfen hätten.

Das aber, wie der ganze Vertrag überhaupt hatte das Potential innenpolitisch diversen Strömungen, von den Liberalen bis hin zu den Slawophilen/Panslawisten auf die Füße zu treten.
Das konnte man vielleicht 1890 noch machen, aber spätestens mit der Revolution von 1905, als sich diese Strömungen bemerkbar machten und anfingen politischen Einfluss einzufordern, wäre das schwierig geworden.
 
Ein Deutschland, dass keine Bündnispflichten gegenüber Österreich-Ungarn hatte wäre für Italien mit seinen Territorialwünschen im Trentino nämlich ein wesentlich interessanterer Verbündeter gewesen, als ein Deutschland, dass Verpflichtungen gegenüber Österreich hatte und diesen Wünschen also im Weg stehen musste.

Gar nicht. Italiens militärische Leistungsfähigkeit war sehr gering zu veranschlagen. Darüber hinaus, wie gesagt, die fehlende Zuverlässigkeit Italiens, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht möglich machten.

Du übersiehst bei Italien immer, dass sich dessen Ambitionen gegen die Donaumonarchie, nicht gegen Deutschland richteten.

Und du übersiehst vor allem, das dein Gedankenspiel überhaupt keine reale Grundlage hatte. Das Bündnis mit Österreich war in Deutschland tief verankert.

Das war auch schon ein starkes Stück, die Integrität des eigenen Verbündeten, der Rom in den kritischen Jahren Schutz geboten hatte und nun dessen territorial Integrität in Frage zu stellen.

Nein, Russland benötigte Kapital. ob das frannzösisch oder deutsch war, war von nachgeordneter Bedeutung, hier hätte man durchaus versuchen können deutsches Kapital und Kredite für Russland zu organisieren um die Französischen Abzulösen.

Und das wäre so einfach gewesen? Deutschland war nicht so kapitalkräftig wie Frankreich.

Russland benötige für vieles, beispielsweise die Maschinenbauindustrie, Kapital. Und außerdem hasste es Österreich-Ungarn und für einen Krieg waren schon gewisse Investitionen notwendig. Und wer weiß. ob es ohne Frankreich überhaupt zu den Ausgleich von 1907 gekommen wäre. Dann hätte man reichlich Kapital benötigt.
Schau dir die Lage am Balkan ab der Bosnischen Annexionskrise und dem 1. Balkanrieg an.
Ein Fallenlassen der Bulgarien-Klausel hätte da nicht hingericht. Artikel II hätte von Russland verlangt allen Expansionswünschen Rumäniens, Bulgariens, Griechenlands, Serbiens und Montenegros bei Bedarf offen entgegen zu treten.
Wer war denn der, der den Status Quo änderte bzw. ändern wollte? Nein, es war nicht Österreich-Ungarn, sondern Russland in Gestalt von Nicolaus Hartwig. Ergebnis in Folge des italienischen Abenteuers die beiden Balkankriege. Das Pulverfass musste nur noch angezündet werden.
o lange das Osmanische Reich einigermaßen stabil war und diese Staaten ohnehin keine Gelegenheit hatten auf dessen Kosten zu expandieren, war das kein Problem, aber in dem Moment in dem das Osmanische Reich in schlimme innere Krisen geriet, musste die Frage akut werden.

Bloß daran hatte die Russen eben kein Interesse. Wer versuchte denn gerade in Moment der Bedrängnis, Krieg mit Italien, die Meerengenfrage aufzurollen? Richtig, Russland!

Und wer hast sich nach dem Sieg des Balkanbundes engagiert für deren Interessen, also möglichst große Beute zu machen, eingesetzt? Richtig, wieder Russland!
 
Gar nicht. Italiens militärische Leistungsfähigkeit war sehr gering zu veranschlagen.
Und dennoch hätte es dadurch im Kriegsfall französische Truppen zu binden und Frankreich bei einem potentiellen Angriff zu zwingen seine Streitkräftee zu teilen von Nutzen sein können.

Darüber hinaus, wie gesagt, die fehlende Zuverlässigkeit Italiens, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht möglich machten.
Diese Meinung teile ich nicht. Diese Meinung teilte offenbar auch Berlin nicht oder man wäre nicht bereit gewesen den Dreibundvertrag zu verlängern.

Und du übersiehst vor allem, das dein Gedankenspiel überhaupt keine reale Grundlage hatte. Das Bündnis mit Österreich war in Deutschland tief verankert.
Ach bitte, es sind schon Dinge über Bord geworfen worden, die genau so tief oder tiefer verakert waren. Der Deutsche Bund von 1815 zum Beispiel.
Das wäre eine Frage der Einsicht und des politischen Willens gewesen. Nicht mehr und nicht weniger.

Das war auch schon ein starkes Stück, die Integrität des eigenen Verbündeten, der Rom in den kritischen Jahren Schutz geboten hatte und nun dessen territorial Integrität in Frage zu stellen.
Reden wir gerade von den Irredentisti oder von Conrad v. Hötzendorf, was das Infragestellen der (territorialen) Integrität des eigenen Verbündeten angeht?
Man sollte fairerweise schon konstatieren, dass es da auf beiden Seiten Leute gab, deren Verhalten der Zusammenarbeit nicht eben zuträglich waren.

Letztendlich ist das aber ein nachrangiges Thema. Die probleme zwischen Italien und Österreich waren nur so lange auch Probleme zwischen Italien und Deutschland so lange sie Berlin qua Bündnis mit Österreich dazu machte.

Und das wäre so einfach gewesen? Deutschland war nicht so kapitalkräftig wie Frankreich.
Deutschland war wirtschaftlich wesentlich potenter als Frankreich. Das bedeutet auch, dass in Deutschland wesentlich mehr Kapital zur Verfügung stand, dass allerdings in großen Teilen in der sich recht dynamisch entwickelnden Binnenwirtschaft reinvestiert wurde.
Kapital war grundsätzlich in ihnreichendem Maße vorhanden, einen gesetzlichen Rahmen um Auslandsinvestitionen, im Besonderen in Russland interessant zu machen und ein wenig von dem vorhandenen Kapital dahin umzuleiten, hätte man schaffen können.

Man hätte auch qua Steuererhöhungen (wir erinnern uns, dass es etwas wie eine Erbschaftssteuer etwa lange überhaupt nicht gab, da wäre also Potential gewesen) direkt Mittel beschaffen können um St. Petersburg vorzuschlagen in größerem Sitl gering verzinste russische Staatsanleihen zu erwerben um Russland die Ablösung höher verzinster Papiere in französischen Händen zu ermöglichen und Russland damit eine Umschuldung und eine Reduktion der laufenden Kosten in Aussicht zu stellen.

Bei Auflösung des deutsch-österreichischen, wie des französisch-russischen Zweibundes und einer Entspannung zwischen St. Petersburg und Berlin hätten auch beide ihre Rüstungsprogramme (vor allem Bahnen und Festungen) herunterfahren und dadurch weitere Einsparungen haben können.
Mit diesen Einsparungen längerfristigen Einsparungen als Argument wiederrum hätte man möglicherweise eine entsprechende Steuergesetzgebung durchbekommen.

Wer war denn der, der den Status Quo änderte bzw. ändern wollte? Nein, es war nicht Österreich-Ungarn, sondern Russland in Gestalt von Nicolaus Hartwig. Ergebnis in Folge des italienischen Abenteuers die beiden Balkankriege. Das Pulverfass musste nur noch angezündet werden.
Erstmal ist Nicolaus Hartwig nicht Russland. Er war Russischer Botschafter in Belgrad, nicht mehr.

Zweitens, ich weise dich erneut darauf hin, dass die Annexion Bosniens und der Herzegowina durchaus eine Änderung des Status Quo darstellte.

Drittens, danke, dass du mein Arguent untermauerst. Denn diese Politik, die Russland da betrieb, die wäre mit dem Rückversicherungsvertrag nicht vereinbar gewesen.
Der Rückversicherungsvertrag war eine nützliche Hilfskrücke, so lange die Lage im Osmanischen Reich ruhig war.

In dem Moment, in dem dort Bewegung hinein kam, hätte das Zarenreich vor der Wahl gestanden, entweder sich Buchstabengetreu an den Rückversicherungsvertrag zu halten, was es die Sympathien der Balkanstaaten gekostet hätte, wenn diese Expansionsmöglichkeiten witterten, oder aber sich von Zugewinnen an Einfluss am Balkan durch Unterstützung der Expansionswünsche der Balkanstaaten dazu verleiten zu lassen den Vertrag zu kündigen, weil es wegen Artikel II nicht beides haben konnte.

Ob also dieser Vertrag längerfristig als Grundlage der Beziehungen zwischen Berlin und St. Petersburg überhaupt gangbar gewesen wäre, erscheint höchst fraglich.
Das widerrum stellt allerdings infrage, ob ein gerechtes Urteil ist, wenn man denjenigen, die gegen die Verlängerung des Vertrags waren mangelnde Weitsicht unterstellt.
Sehr wahrscheinlich hätten die Beziehungen zu Russland nämlich ohnehin in näherer Zukunft einer anderen Grundlage bedurft, die sich nicht aus der Bismarck'schen Politik herleiten ließ.


Bloß daran hatte die Russen eben kein Interesse. Wer versuchte denn gerade in Moment der Bedrängnis, Krieg mit Italien, die Meerengenfrage aufzurollen? Richtig, Russland!
Du übergehst gerade, dass realiter zu diesem Zeitpunkt der Vertrag längst gekündigt war, so dass Russland von der Aufrechterhaltung des Status Quo am Balkan keinen Benefit mehr hatte.

Die Frage ist, eher was wäre Russland wichtiger gewesen, wenn es die Wahl gehabt hätte? Zu Bismarcks Zeit war das anscheinend das gute Verhältnis zu Deutschland, sonst hätte man sich auf den Vertrag ja nicht eingelassen.
Allerdings hatte zu Bismarcks Zeit Russland auch noch Expansionsmöglichkeiten in Asien, die es um weiteren Einflusszuwachs zu haben und das Imperium zu vrgrößern nicht notwendig machten an den Verhältnissen am Balkan zu rütteln.

Das wäre aber spätestens 1905 nicht mehr so gegeben gewesen.

Ich denke man darf bezweifeln, dass Bismarcks Weg in the long run weiter gangbar gewesen wäre.
 
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Und dennoch hätte es dadurch im Kriegsfall französische Truppen zu binden und Frankreich bei einem potentiellen Angriff zu zwingen seine Streitkräftee zu teilen von Nutzen sein können.

Vielleicht 2 Armeekorps, mehr aber auch nicht.

Diese Meinung teile ich nicht. Diese Meinung teilte offenbar auch Berlin nicht oder man wäre nicht bereit gewesen den Dreibundvertrag zu verlängern.

Die Initiative zum Abschluß und den meisten Verlängerungen, wenn nicht allen, ging von Italien aus. Die deutschen Staatsmänner sahen, genau wie du, die Bindungswirkung französischer Streitkräfte; überschätzten die Italiener aber, vor allem hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit.

Ach bitte, es sind schon Dinge über Bord geworfen worden, die genau so tief oder tiefer verakert waren. Der Deutsche Bund von 1815 zum Beispiel.
Das wäre eine Frage der Einsicht und des politischen Willens gewesen. Nicht mehr und nicht weniger.

Auch in Deutschland gab es es so etwas wie eine kritische öffentliche Meinung. Die Aufkündigung des Bündnisses mit Österreich-Ungarn wäre nicht zu vermitteln gewesen; im Prinzip war es schon reichlich schwer, das Bündnis mit Russland zu verkaufen.

Erstmal ist Nicolaus Hartwig nicht Russland. Er war Russischer Botschafter in Belgrad, nicht mehr.

Oh, da unterschätzt du diesen Herrn aber gewaltig. Hartwig wurde nicht ohne Grund König von Belgrad genannt. Ohne ihm ging in der serbische Politik so gut wie nichts. Es war Hartwig, nicht Sasonow, der maßgeblich an der Herstellung des Balkanbundes beteiligt war. Und was Sasonow in seinen Erlassen forderte, interessierte Hartwig nur bedingt.

Irgendwie hast du den Rückversicherungsvertrag mit seiner Konsequenz nicht so richtig durchdrungen. Das Wichtigste, ich wiederhole, war nicht so sehr der Inhalt, sondern, das Frankreich isoliert blieb und Russland gehindert war, sich an Frankreich zu binden. Der Draht von Berlin zu Petersburg hätte weiter Bestand gehabt, aber er wurde ohne Not von inkompetenten Diplomaten über Bord geworfen.

Ob also dieser Vertrag längerfristig als Grundlage der Beziehungen zwischen Berlin und St. Petersburg überhaupt gangbar gewesen wäre, erscheint höchst fraglich.
Das widerrum stellt allerdings infrage, ob ein gerechtes Urteil ist, wenn man denjenigen, die gegen die Verlängerung des Vertrags waren mangelnde Weitsicht unterstellt.
Sehr wahrscheinlich hätten die Beziehungen zu Russland nämlich ohnehin in näherer Zukunft einer anderen Grundlage bedurft, die sich nicht aus der Bismarck'schen Politik herleiten ließ.

Das ist viel zu spekulativ. Wir wissen es nicht.
In dem Moment, in dem dort Bewegung hinein kam, hätte das Zarenreich vor der Wahl gestanden, entweder sich Buchstabengetreu an den Rückversicherungsvertrag zu halten, was es die Sympathien der Balkanstaaten gekostet hätte, wenn diese Expansionsmöglichkeiten witterten, oder aber sich von Zugewinnen an Einfluss am Balkan durch Unterstützung der Expansionswünsche der Balkanstaaten dazu verleiten zu lassen den Vertrag zu kündigen, weil es wegen Artikel II nicht beides haben konnte.

Auch das wissen wir nicht. Was wir wissen, ist, das beispielsweise ein Hartwig den Balkanbund geschmiedet hatte. Die katastrophalen Folgen sind hinreichend bekannt.

Du übergehst gerade, dass realiter zu diesem Zeitpunkt der Vertrag längst gekündigt war, so dass Russland von der Aufrechterhaltung des Status Quo am Balkan keinen Benefit mehr hatte.

Die Frage ist, eher was wäre Russland wichtiger gewesen, wenn es die Wahl gehabt hätte? Zu Bismarcks Zeit war das anscheinend das gute Verhältnis zu Deutschland, sonst hätte man sich auf den Vertrag ja nicht eingelassen.
Allerdings hatte zu Bismarcks Zeit Russland auch noch Expansionsmöglichkeiten in Asien, die es um weiteren Einflusszuwachs zu haben und das Imperium zu vrgrößern nicht notwendig machten an den Verhältnissen am Balkan zu rütteln.

Das wäre aber spätestens 1905 nicht mehr so gegeben gewesen.

Wir reden, mal wieder ;) aneinander vorbei. Ich sprach nicht von 1890.

Russland interessierte sich für die Aufrechterhaltung des Status Quo am Balkan exakt nur so lange, wie es seine Aufmerksamkeit Ostasien zugewendet hatte. Ab 1907 war damit aber Feierabend. Iswolski wollte in die russische Geschichte eingehen und die Meerengenfrage in russischen Sinne lösen und sein Nachfolger Sasonow hatte sich dessen Positionen zu eigen gemacht. Und damit begann der Ärger am Balkan.
 
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