Und das nachdem es in der Antike eine hohe Badekultur ohne diese übertrieben Scham gab. Erst die rückkehrenden Kreuzfahrer brachten die Badekultur wieder nach Europa, allerdings konnte sie sich wegen fehlender Infrastruktur – es gab keine Wasserleitungen – nur auf einer niedrigen Stufe für ein paar Jahrhunderte etablieren;
Diese Behauptung würde ich nicht unterschreiben wollen. Nehmen wir doch mal die berühmte Stelle aus Einhard,
Vita de Caroli Magni:
Delectabatur etiam vaporibus aquarum naturaliter calentium, frequenti natatu corpus exercens; cuius adeo peritus fuit, ut nullus ei iuste valeat anteferri. Ob hoc etiam Aquisgrani regiam exstruxit ibique extremis vitae annis usque ad obitum perpetim habitavit. Et non solum filios ad balneum, verum optimates et amicos, aliquando etiam satellitum et custodum corporis turbam invitavit, ita ut nonnumquam centum vel eo amplius homines una lavarentur.
[Karl] genoss auch die Dämpfe der heißen Quellen (der natürlich heißen Gewässer), er formte seinen Körper mit häufigem Schwimmen. Deswegen errichtete er auch die Königsstadt Aachen dort und lebte dort in seinen späteren Lebensjahren bis zum Tod. Und nicht nur seine Söhne, sondern auch die Adeligen und Freunde lud er zum Bad ein, manchmal auch Gefolgsleute und die Schar der Wächter, so dass manchmal hundert oder noch mehr Männer in einem badeten.
Selbst über die Zerstörung der Badeanlagen durch die Wikinger hinaus wurden diese genutzt, später belehnt und besteuert.
In Aquae Sulis erhielt sich die Badekultur, so dass bereits im 9. Jhdt. die Münze dort Nominale mit der Aufschrift BAD herausgab, was als Baðum gelesen wird: bei den Bädern. Heute handelt es sich um die Stadt Bath. Ein angelsächsisches apokalyptisches Gedicht aus dem 10. Jhdt., welches heute als
The Ruin bekannt ist, wird - aufgrund der Erwähnung der Bäder, auf die Stadt Bath bezogen. Dort ist von altem durch Krieg und Fäulnis vergangenem Glanz die Rede, es wird die Pracht der alten Bäder (
burnsele monige) beschrieben: Die Steinhöfe standen (
Stanhofu stodan) der Strom warf heißes [Wasser] auf (
stream hate wearp), eine Mauer umfing den hellen Schoß [das Wasserbecken?] (
weal eall befeng beorhtan bosme).
Da wo die Bäder waren (
þær þa baþu wæron), heiß im Herzen (
hat on hreþre). Es war üblich, sich über einen Harnestein[?] mit heißen Strömen begießen zu lassen (
þæt wæs hyðelic leton þonne geotan ofer harne stan hate streamas). Das heiße Ringmeer (
þæt hringmere hate) [vermutlich ein ringförmig gemauertes Becken]
da war das Bad (
þær þa baþu wæron). Dieses Gedicht, das im Exeter Book überliefert ist, vermutlich von benedektinischen Mönchen zusammengestellt, bedauert den Niedergang der Badekultur, die es nicht etwa religiösen Verboten zuschreibt, sondern Krieg und Pestilenz und dem daraus resultierenden Verfall. Der Verfasser des Gedichtes schreibt zwar in der Vergangenheitsform, scheint aber einigermaßen eine Vorstellung gehabt zu wie das heiße Wasser über den Harnestein auf die Badenden geleitet wurde (wohl, um es ein wenig abzukühlen?).
Beim Mittelalter muss man auch immer schauen, was die Bibel zu einem Sachverhalt sagt und - als in den Klosterbibliotheken nach der Bibel zweithäufigstes Buch -: Die Etymologien von Isidor von Sevilla.
Das Baden kommt in der Bibel vor. Vorwiegend im Alten Testament, aber auch im Neuen Testament, im NT als Heilungswunder, was von Jesus nicht angezweifelt, aber übertroffen wird (da der Bethesda-Teich immer nur den ersten heilt, der nach einer Bewegung des Wassers den Teich erreicht, und daher die Lahmen und Krüppel benachteiligt sind). Bei der Erzählung von Suzanna im Bade, wo das Bad zwar nur am Rande vorkommt, ist Suzanne die Keuschheit selbst, die sich gegen die Unzucht zweier Alter erfolgreich zu Wehr setzt. Baden ist also biblisch nicht verpönt.
Und bei Isidor? Der schreibt:
Sed et balnea et loca cursorum et athletarum gymnasia sunt, eo quod illic homines in suae artis studio exercitentur. [...] Thermas appellatas quod caleant; Graeci enim THERMON calorem vocant. Balneis vero nomen inditum a levatione maeroris; nam Graeci BALANEION dixerunt, quod anxietatem animi tollat. Haec et gymnasia dicuntur, quia ibi athletae uncto corpore et perfricato manibus exercitantur; nam GUMNASION Graece, Latine exercitium dicitur. [41] Apodyterium, ubi lavantium vestimenta ponuntur, ab exuendo scilicet dictum; APODUEIN enim Graece exuere dicitur. [42] Propina Graecus sermo est, quae apud nos corrupte popina dicitur: est autem locus iuxta balnea publica, ubi post lavacrum a fame et siti reficiuntur.
Aber Bäder und Orte des Laufs und der Athletik sind die Gymnasien, dies ist wo Menschen auf ihre Weise Eifer betreiben. [...] Thermen werden die genannt, die erhitzen, denn die Griechen sagen zur Hitze Thermon. Bäder aber ist der Name wo man sich hineinbegibt, um seine Stimmung (Trauer) zu heben, denn die Griechen sagen dazu Balaneion, was die Ängstlichkeit des Geistes aufhebt. Und man nennt sie Gymnasien, weil dort die Athlethen die Salbung des Körpers und Einreibung der Hände[???] betreiben, den Gymnasion auf griechisch heißt auf Latein exercitium. Das Apodyterium, wo man die zu waschende Kleidung hinlegt, nämlich von entkleiden, denn apodyein nennt man auf griechisch das entkleiden. Propina ist griechische Rede, welche bei uns korrupt popina (Gasthaus) genannt wird, dies aber ist ein Ort neben den öffentlichen Bädern, wo nach dem Bad Hunger und Durst gestillt werden.
So schreibt der Bischof von Sevilla, im Mittelalter nach der Bibel die zweitwichtigste Autorität des lateinischen Christentums* über das Bad. Die Herleitung für
balneis von
balaneion dürfte allerdings falsch sein. Aber es geht ja nicht darum, ob seine Etymologie korrekt sind, sondern wie Isidor das Baden bewertet: Gut gegen Missstimmungen.
*zumindest was die Häufigkeit seiner Etymologien in den mittelalterlichen Klosterbibliotheken anbelangt. Über 500 überlieferte HSS. Außer der Bibel ist kein Text häufiger in mittelalterlichen HSS überliefert.