Hallo Brissotin,
es ist ein bisschen komisch als Gast zu antworten.
Vielleicht sollte ich mich mal registrieren.
1)
Zu welchem Zeitpunkt war die Idee einer Nation unbekannt? Zumindest im 18.Jh. war sie bekannt und die problematische Stellung des Reiches zwischen neuzietlichem Staat und altem Feudalwesen sowie der Aspekt ob man das HRR so recht als Nation bezeichnen dürfte, war damals heiß diskutiert.
Ich fürchte nur, man kam damit nicht zu einem vollkommen schlüssigen Ende.
Dem bin ich mir schon bewusst. Es geht nur darum, dass zum Zeitpunkt der Gründung bis zum Ende keine "Verfassung" oder sowas gab, demnach man das Reich so einfach auflösen konnte. Es war eine ununterbrochene Tradition seit dem Mittelalter und entsprechend sind die rechtlichen Einzelheiten sicher auch nicht die eines einzelnen Staates. Gewiss war das Reich kein Nationalstaat im modernen Sinne, dessen waren sich die meisten Gelehrten wohl bewusst und einige Kritik am Reich richtete sich wohl auch darauf, dass das als anachronistisch erlebt wurde. So vielleicht Goethe?
Brissotin schrieb:
2)
Eigentlich klärt sich das mit Punkt 1). Ob das Reich ein Staat wie die anderen des 18.Jh. war ist ungeklärt. Man wird soviele Meinungen darüber finden wie Theoretiker, auch wirklich geistreiche Juristen, darüber philosophiert haben.
Ich selbst würde auch dazu tendieren: ja es war ein Staat, aber mit Einschränkungen.
Interessant, welche Einschränkungen würdest Du sehen?
Brissotin schrieb:
3)
Wie sollte es weiter existieren, wenn es keiner mehr anerkannte?
Wie sah es denn 1806 aus?
Siehe:
http://www.geschichtsforum.de/378130-post7.html
Österreich wurde mit allen Mitteln zur Niederlegung (oder Abdankung) gezwungen. Viele Reichsfürsten warteten das garnicht mehr ab, sondern liefen schon zuvor über zum Rheinbund, den sie mitgründeten. Wer sollte also die Reichsinstitutionen z.B. finanzieren?
Wie gesagt ging es mir eher um den rechtlichen Aspekt, ganz elfenbeinturmmäßig.
Brissotin schrieb:
4)
Aber wie soll dieser ausschauen, wenn sich keiner darum schert? Welches Gericht sollte etwas einfordern, wenn es nicht mehr zu unterhalten war.
Halt! Ich glaube der Vertreter Schwedens hat sich beschwert. Aber ansonsten? :grübel:
Von den bedeutenderen Mächten, die dem Rheinbund nicht beigetreten waren, kämen mir Kursachsen, Kurbrandenburg und Kurhannover in den Sinn (eigentlich Braunschweig-Lüneburg). Wobei Letzteres faktisch 1803 von Frankreich aus dem Felde geschlagen worden war.
Das Überlaufen der Reichsfürsten wäre in diesem Sinne auch als strafbare Handlung zu betrachten (ich kenne mich damit nicht ganz so gut aus, aber separation dürfte schon unerlaubt gewesen sein), auch wenn es für die Institutionen des Reiches keine Mittel gab, die Strafe effektiv durchzusetzen. Wäre es nicht zumindest ein ideologischer Sieg gewesen, Napoleon verklagt und gewonnen zu haben? Die Finanzierung könnte (zunächst, bis auf Wiederherstellung
) der Kaiser und sein Hausgebiet übernehmen, um obige Frage aufzugreifen.
Mit dem Gedicht von Max von Schenkendorf (der selbst ja nicht auf Gebiet des HRR geboren wurde) scheint sich zumindest für den Zeitraum der Befreiungskriege eine gewisse "Sehnsucht nach dem Heiligen Römischen Reich" artikuliert zu haben. Während der Befreiungskriege kann ich mir durchaus vorstellen, dass es Bestrebungen zur Restaurantion gab.
Die Idee so einer Art "deutschen Nation" war ja genauso neu und noch genauso weit entfernt von der Realität (und für die Fürsten lag die Sorge um ein so eindeutig monarchistisches Reich natürlich näher als die um ein "national vereintes Deutschland", dessen Idee zumeist von "linken Demokraten aus dem bürgerlichen Lager" (
) vertreten wurde. Man sehe sich nur das Hambacher Fest an!).
Brissotin schrieb:
5)
Klar, wie sollen sie ihn auch sonst nennen?
Also für meine Begriffe macht es schon einen Unterschied, ob man "der Kaiser" ("the emperor") oder "Der Kaiser der Deutschen", "der römisch-deutsche Kaiser" oder "der Kaiser des Römischen Reiches" sagt. Ersteres könnte nämlich symptomatisch sein für das Verständnis, als Untertan seines jeweiligen Königs
auch irgendwie dem Kaiser zu unterstehen. So nach dem Motto: "Mein König ist Jakob der I. (um mal einen Namen herauszugreifen), aber mein Kaiser ist Karl der soundsovielte". Genauso wie ein heutiger Bürger von Frankreich oder Deutschland sagen könnte, er unterstehe gewissermaßen
auch den Vereintgen Nationen oder der EU, auch wenn diese keine direkte Kompetenz über ihn ausüben können.
Dass der Kaiser praktisch keine Macht über die Untertanen der anderen Königreich hatte, ist klar. Wobei man allerdings sagen muss, dass man ja auch von den Niederlanden als "die Generalstaaten" sprach, also einfach den Namen des Souveräns anstatt des Landesnamens wählte und der Kaiser war nunmal "der Kaiser", nicht "Kaiser der X". Insofern kann es sein, dass ich mehr in die Benennung dieser Zeit hineininterpretiere als es irgendein Zeitgenosse getan hätte.
Brissotin schrieb:
6)
Konkrete Beispiele wären interessant. Leider kenne ich keine Treffen zwischen dem Kaiser und dem französischen König, z.B., wo das zur Geltung kam.
Ich meine, einmal davon gehört zu haben, dass ein Preußenkönig (ich meine es wäre der "Soldatenkönig" gewesen) auf seine formale und zeremonielle Gleichstellung mit dem Kaiser bestanden habe und so auf seinen Schloss (in Brandenburg) extra einen Gang bauen ließ, auf den die beiden gekrönten Häupter gleichberechtigt aufeinander zulaufen konnten. Im Mittelalter soll der Kaiser zumindest gegenüber den König von Polen einmal auf seine höhere Stellung bestanden haben. Bei Ungarn z. B. fehlen mir leider die Informationen. Frankreich dürfte auch einigen Aufwand darauf investiert haben, nicht den Kaiser zu unterstehen (wobei das natürlich auch unter dem Blickwinkel der Aufspaltung des Frankenreichs und nachfolgenden Kompetenzstreitigkeiten verstanden werden muss). Beim König von England wieder fehlen mir schlicht die Informationen. Ursprünglich war England ja ein päpstliches Lehen, da frage ich mich schon, wie man eine absolute Unterordnung unter den Kaiser verhindern konnte...falls man es denn versuchte, vielleicht hat man das Problem einfach umgangen.
Hier ein Link aus dem Forum über Frankreich:
http://www.geschichtsforum.de/408059-post38.html
Brissotin schrieb:
7)
Ich würde eher zu letzterem tendieren.
Grade in mittelalterlicher katholischer Zeit frage ich mich, wie das gerechtfertigt werden konnte. Sowas wie souveräne Nationalstaaten gab es damals nicht (siehe meinen Hinweis über England weiter oben) und die Kaiserwürde wurde vom Papst explizit als die des "weltlichen Oberhauptes der Christenheit" vergeben, worauf Karlder Große noch bestanden hätte. Niemals wurde diese Verknüpfung irgendwie zurückgenommen oder beseitigt, meines Wissens.
Wie konnte also ein rechtgläubiger König (denn Religion stellte damals eine der zentralen Legitimationsquellen dar, wenn nicht sogar die Einzige) den, womöglich noch direkt vom Papst gekrönten Kaiser mit dem Selbstbewusstsein eines eigenständigen Herrschers gegenübertreten? Dass der König nicht vom Kaiser direkt belehnt wurde war ein gewaltiger Schönheitsfehler der Konstruktion - im Falle von Frankreich auf jeden Fall, da es meines Wissens aus Erbfolgestreitigkeiten zwischen den Karolinern resultierte, bei England liegt der Fall wohl anders und dort ist die Sache "evolutionär" gewachsen - , aber das entzieht der Sache ja auch nicht gleich die Legitimität. Beim Investiturstreit hat es doch auch keinen gestört als der Papst seine (zunächst nur zeremoniellen) Rechte durchsetzen wollte.
Brissotin schrieb:
8)
Das hing stark vom Herrscher ab. Bei Friedrich II. ist es unzweifelhaft, dass er nur selten durch Handlungen eine Anerkennung des Kaisers über sich zu verstehen gab.
Ich glaube aber in der Regel versuchte er das zu ignorieren.
Bei seinem Vater war es schon rein formell erkennbar. Die berühmten Memoiren der Wilhelmine berichten von einem Treffen zwischen Friedrich Wilhelm I. und dem Kaiser Karl VI., wobei der König in Preußen jegliches Zeremoniell zu umgehen suchte. Zuvor sollen wohl Ungereimtheiten zwischen den Vertretern der beiden über den Ablauf des Treffens bestanden haben, wobei m.E. wohl der kaiserliche Vertreter vom König in Preußen Unterwürfigkeit in seinem Auftreten erwartete, dass der Vasallenstatus zum Ausdruck käme.
Juristisch waren der Kurfürst von Brandenburg und waren die Fürsten Reichsitaliens ganz zweifelsfrei Vasallen des Kaisers.
Interessant, danke.