Wer war in einer mittelalterlichen Stadt ausgeschlossen?

Genau so verhielt es sich damit, wenn man beispielsweise den Kopf eines Enthaupteten, der von der Bühne fiel, aufzufangen und zurückzuwerfen, denn damit pfuschte man in die Sphäre des Henkers rein und konnte sich somit selbst den Makel der Unehrlichkeit zuziehen ( es gibt ein Beispiel aus Köln von Irsigler/Lassotta, wo ein Fassbinder genau das tut und dann aus der Zunft geworfen wird). Fand man also einen Selbstmörder, musste man zunächst den Henker oder Abdecker rufen, der sie dann mitnahm. Wie man dann Gerichtlich mit ihnen verfuhr, weiß ich nicht, aber es gibt ja, glaube ich, die Vorschrift, dass Selbstmörder in ungeweihtem Boden beerdigt werden, und das is schon ne harte Strafe, neben der, dass man am Tag des Jüngsten Gerichts nicht wieder aufersteht sondern in der Hölle schmort.
Recht weit getrieben wurde offensichtlich die Meidung des Nachrichters in Schwäbisch Hall. Dort hatte er rote Kleidung und ein Schwert vor sich her zu tragen. Der eigene, seperate Sitzplatz im Wirtshaus war da auch üblich. Bei der Beerdigung des Scharfrichters hatte sein Personal (leider weiß ich nicht, ob damit sein Gesinde oder seine Gehilfen gemeint sind) seinen Sarg zu tragen. Gab es davon nicht genügend, so wurde diese Pflicht bestimmten Handwerkern wie Schmieden und Wagnern auferlegt. Wenn diese sich weigerten - man sieht schon wie unbeliebt das war - sollten Wasserträger dies tun. Ja, selbst um die toten Angehörigen des Henkers wurde das gleiche Gewese gemacht und bspw. weigerten sich einmal selbst die Wasserträger den Leichnam der Frau des Nachrichters im 18.Jh. zu tragen, woraufhin es den Bürgerarbeitern zufiel.
Leider ist über die Haller Henker des Mittelalters kaum etwas bekannt. Bei Wunder findet sich die erste Angabe über die Zahl von Vollstreckungen aus dem 17.Jh., als ein Andreas Bürck von 1676 bis etwa 1702 76 Delinquenten mit "Richten, Strangulieren, Rutenstreichen" bestrafte, also damit die Strafen vollzog. Sein Nachfolger brachte es auf 10 Hinrichtungen binnen etwas mehr als 30 Jahren. Unter den 76 Verurteilten, die von seinem Vater bestraft wurden, dürften also m.E. auch weniger als die Hälfte durch ihn getötet worden sein.
Schwäbisch Hall war im 18.Jh. eine Stadt mit 5000 Einwohnern, also durchaus nicht klein. Ich denke, dass die Angaben zumindest für eine Stadt dieser Größenordnung wahrscheinlich nicht sehr unrepräsentativ sein dürften. Allerdings muss man im Falle Halls auch ein größeres Territorium als Zuständigkeitsbereich hinzu ziehen, wo zumindest ein großer Teil der Einwohner als Untertanen ebenfalls unter die hällische, hohe Gerichtsbarkeit fielen. Die Schätzungen über die genaue Zahl der Untertanen auf dem Lande variiert leider bedeutend und mag zwischen dem doppelten bis dreifachen der Einwohner der Stadt selbst (waren ja nicht alles auch Bürger) gelegen haben. Wieviele davon dann aber auch der entsprechenden Gerichtsbarkeit unterstanden, vermag ich nicht zu sagen.
Der Nachrichter wurde vierzehntägig von 1411 bis 1520 mit 6 bis 15 Schillingen entlohnt. Später stieg das Gehalt noch bedeutend an. Für eine Hinrichtung bekam der Nachrichter zusätzlich ein Paar neue Handschuhe zu 3 Schilling bis ins späte 16.Jh.. Honorare für Tätigkeiten neben dem Hinrichten wie dem schon oben von anderer Seite erwähnten Abdecken, aber auch "heimliche Gemächer zu fegen" veranschaulichen, dass das Tätigkeitsfeld der Nachrichter in Hall doch sehr weit gesteckt war.
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Gerd Wunder: "Die Bürger von Hall - Sozialgeschichte einer Reichsstadt 1216-1802" Thorbecke, Sigmaringen, 1980
Kapitel: "Die Nachrichter" S. 148-149
 
Der Nachrichter wurde vierzehntägig von 1411 bis 1520 mit 6 bis 15 Schillingen entlohnt. Später stieg das Gehalt noch bedeutend an. Für eine Hinrichtung bekam der Nachrichter zusätzlich ein Paar neue Handschuhe zu 3 Schilling bis ins späte 16.Jh.. Honorare für Tätigkeiten neben dem Hinrichten wie dem schon oben von anderer Seite erwähnten Abdecken, aber auch "heimliche Gemächer zu fegen" veranschaulichen, dass das Tätigkeitsfeld der Nachrichter in Hall doch sehr weit gesteckt war.
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Gerd Wunder: "Die Bürger von Hall - Sozialgeschichte einer Reichsstadt 1216-1802" Thorbecke, Sigmaringen, 1980
Kapitel: "Die Nachrichter" S. 148-149


Die Handschuhe des Scharfrichters waren übrigens gefragte Souvenirs, die der Henker mit Gewinn weiter verkaufen konnte. Nach einer Exekution durch den Galgen, musste ein Henker viele Stricke zerschneiden, weil jeder ein Stück vom Strick als Glücksbringer haben wollte.

Menschenblut oder Menschenfett spielte in magisch- abergläubischen Praktiken der Volksmedizin eine wichtige Rolle. das Trinken von Menschenblut sollte bei allerlei Gebrechen helfen. Der Fingerknochen eines exekutierten Diebes, den man wie eine Hasenpfote mit sich trug, sollte vor Diebstahl schützen, konnte aber auch bei eigenen Diebstählen helfen. Eine aus Menschentalg gefertigte Kerze sollte bei Einbrüchen hilfreich sein, weil sie das Opfer in Tiefschlaf versetzen sollte, aus dem man nicht aufwacht.

Von einer Brandstifterin, dier mit einem Komplizen 1813 in Berlin verbrannt wurde, kolportierte der preußische Kriminalist Falkenberg eine gruselige Geschichte, dass diese ihr eigenes Baby getötet haben sollte, um daraus Diebeskerzen zu machen, die sie dem Anführer der Bande, dem "schönen Carl" schenken wollte.

Der Verkauf von Souvenirs und menschlischen Produkten wurde übrigens von den Obrigkeiten geduldet und machte einen nicht unbeträchtlichen Teil des Einkommens der Scharfrichter aus, von denen viele haupt- und nebenberuflich als Heilpraktiker und Veterinäre arbeiteten. Der henker musste einen Delinquenten nach der Folter gesund pflegen. Von Berufs wegen musste ein Henker über gute anatomische Kenntnisse verfügen. Mittelalterliche Scharfrichter waren einerseits gemiedene Pariahs, deren Kontakt dazu führen konnte, selbst stigmatisiert zu werden.

Es ist der Fall eines Handwerkers überliefert, der unwissentlich mit dem "Meister Hans" getrunken hatte und sich das Leben nahm. In manchen Gerichtsbezirken stand dem Scharfrichter das Recht zu, eine Delinquentin begnadigen zu können, indem er sie heiratet, wobei es Fälle gab, wo Frauen darauf verzichteten und sich lieber exekutieren ließen.
 
Die Handschuhe des Scharfrichters waren übrigens gefragte Souvenirs, die der Henker mit Gewinn weiter verkaufen konnte. Nach einer Exekution durch den Galgen, musste ein Henker viele Stricke zerschneiden, weil jeder ein Stück vom Strick als Glücksbringer haben wollte.

Naja im Mittelalter war das eher gegenteilig... zumindest Mancherorts. Dort waren die Utensilien des Henkers mehr tabuisiert, wie ich es schon erwähnt hatte, dass durch Berührung eines Henkerutensils einen der Makel der Unehrlichkeit treffen konnte. Ein Henker konnte die Utensilien, eben auch die erwähnten Seile, ja frei auf dem Markt kaufen, sobald sie in seinem Besitz waren, schlug das ganze um. War so ähnlich wie mit dem abgeschlagenen Kopf, durch den man bei Berührung eben auch aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden konnte, da man in die Sphäre des Henkers eingegriffen hatte. Aber das war wie gesagt nich überall so.
 
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